Der typische CIO ist männlich, zu alt und hat Informatik studiert. Eine Studie zur deutschen CIO-Szene fragt, was dran ist an diesen Vorurteilen. [...]
Mit dem Typus des deutschen CIO beschäftigt sich eine Studie, die die Hochschule Koblenz gemeinsam mit dem Bundesverband der IT-Anwender, VOICE e.V., erstellt hat. Die Autoren formulieren zu Beginn einige provokante Thesen, die sie anschließend auf den Prüfstand stellen.
These 1: Der CIO ist männlich!
Zugegeben: Diese These ist weder neu noch besonders umstritten. Die Studienautoren sammelten nun die Fakten dazu und sprachen mit CIOs. „In Bezug auf die Frauenquote kann man sagen: It’s a man’s world“, urteilt ein Teilnehmer. Ein anderer sagt: „Auf meine Fachinformatikerstelle hat sich nie eine Frau beworben, auch nicht für die Ausbildung.“
Das Fazit der Autoren: Die These „Der CIO ist männlich!“ lässt sich klar bestätigen. Eine Analyse der Social Networks LinkedIn und Xing zeigt, dass derzeit 96 Prozent der CIOs Männer sind. Immerhin: Viele der interviewten CIOs sehen in dem geringen Frauenanteil eine verpasste Chance.
These 2: Der CIO ist zu alt!
Verbunden mit dieser Behauptung ist der Vorwurf, der CIO schaffe es häufig nicht, die Digitalisierung voranzutreiben. Stattdessen verwalte er den Status Quo. Die Studie bestätigt diese These nicht. So zeigen die LinkedIn- und Xing-Auswertungen, dass rund 80 Prozent der CIOs zwischen zehn und 30 Jahren Berufserfahrung mitbringen. Geht man etwa von einem Berufseinstieg mit 25 Jahren aus, liegt das durchschnittliche Alter zwischen 35 und 55 Jahren.
Demnach könne man nicht pauschal auf ein zu hohes Alter schließen, argumentieren die Studienautoren. Auch habe die Auswertung der Experteninterviews ergeben, dass das Alter des CIO keineswegs ein Indiz für sein Engagement in Sachen Innovation und Change sei.
These 3: Je größer das Unternehmen, desto älter der CIO
Diese These lässt sich tendenziell bestätigen. Laut der Social-Media-Analyse setzen beispielsweise Unternehmen mit weniger als 100 Beschäftigten eher auf jüngere IT-Chefs mit einer Berufserfahrung von weniger als 16 Jahren. Mit steigender Unternehmensgröße sinkt der Anteil junger CIOs. Große Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern vertrauen fast ausschließlich auf IT-Manager, die mehr als 16 Jahre Erfahrung mitbringen.
These 4: Der CIO hat Informatik studiert
„Es braucht ganz klar den Informatiker, der aber über den Tellerrand hinausschaut“, kommentiert ein Studienteilnehmer diese These. Ein anderer empfiehlt: „Das Studium sollte vorzugsweise einen IT-Bezug haben, um IT wirklich von der Pike auf gelernt und verstanden zu haben.“ Doch es gibt auch andere Aussagen. Gerade im Kontext der Digitalisierung äußern einige IT-Manager auch die Ansicht, dass der CIO nicht zwingend Diplom-Informatiker sein müsse.
Die Fakten: Laut der Analyse haben 45 Prozent der CIOs Informatik studiert, zwölf Prozent Wirtschaftsinformatik / Informationsmanagement. Kumuliert man alle naturwissenschaftlichen und technischen Fachrichtungen (MINT), ergibt sich ein Anteil von 80 Prozent. Nur 19 Prozent der CIOs geben an, einen wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund zu haben. Andere Studienrichtungen wie Sozialwissenschaften und Psychologie spielen kaum eine Rolle.
These 5: Der CIO ist technologie- und faktenorientiert, aber kommunikationsschwach
Zumindest die Selbsteinschätzungen der befragten CIOs widersprechen dieser These. Sie sehen ihre Stärken eher in den Führungsqualitäten und weiteren „Personal Skills“. Technisches Verständnis, Branchenkenntnis oder betriebswirtschaftliches Wissen spielen laut der Studie eine geringere Rolle.
„Der IT-Chef muss mehr können als nur IT“, bringt es einer der Befragten auf den Punkt. Ein anderer erklärte: „Technologieverständnis ist unabdingbar, aber Kommunikation ist ebenfalls ein entscheidender Faktor, der häufig zu kurz kommt!“ Gefragt nach den entscheidenden Erfolgsfaktoren für ihre Position, nennen die CIOs insbesondere zwischenmenschliche Beziehungen.
These 6: Der CIO ist Akademiker
Diese These lässt sich klar bestätigen. Die LinkedIn- und Xing-Analysen zeigen, dass derzeit 90 Prozent der CIOs einen akademischen Abschluss haben. Ein weiteres Ergebnis: Unternehmen fordern von CIOs häufig ein abgeschlossenes Studium in Wirtschaftsinformatik.
These 7: Vom Programmierer zum CIO – der typische CIO-Karriereverlauf
Diese gängige Vorstellung vom Karriereweg eines CIO bestätigt die Studie nur teilweise. Laut den verfügbaren Daten starteten immerhin 53 Prozent der CIOs ihre Karriere in der IT, beispielsweise als Programmierer oder Systemadministratoren. Ein befragter IT-Manager erklärt dazu: „Internationale Top-CIOs weisen oft ein abgeschlossenes Studium plus einen Abschluss als Executive MBA vor.“
These 8: Der CIO ist „too cool for school“
Dahinter steckt der Vorwurf, viele CIOs legten auf die eigene Weiterbildung wenig wert und glaubten, schon alles zu wissen. Ganz von der Hand weisen lässt sich das offenbar nicht. Die Studienergebnisse zeigen ein geteiltes Bild: Einige CIOs vertreten die Ansicht, dass sich vor allem ihre Mitarbeiter technisch weiterbilden sollten, weil sie selbst eher strategische und koordinative Arbeiten übernähmen.
Ein größerer Teil der Befragten aber gibt an, dass gerade der CIO lebenslang lernen und sich in den relevanten Themenbereichen weiterbilden müsse. Ein Interviewpartner urteilt: „Wer nicht lernt, der kann gehen.“
These 9: Die Tätigkeit des CIOs hat sich vom Getriebenen zum Treiber gewandelt
„Vom Getriebenen zum Treiber?“- So steht es in der Headline der CIO-Studie von VOICE und der Hochschule Koblenz. Das Fragezeichen deutet schon darauf hin, dass es an dieser Stelle keine eindeutigen Antworten gibt. Tatsächlich beschreiben die Befragten ein differenziertes Rollenbild. Zumindest ein Teil der Studienteilnehmer sieht den CIO eindeutig als Business Enabler und Treiber von Innovationen.
Doch es gibt auch die Einschätzung, der CIO sei noch immer Getriebener der Fachbereiche, des Vorstands und des CEOs. Zugleich müsse er in seinem Bereich große Herausforderungen meistern. Dazu gehört etwa der Betrieb von IT-Systemen und das Thema IT-Sicherheit, dass angesichts wachsender Bedrohungen immer mehr Ressourcen beansprucht.
Auch Bettina Uhlich, Vorsitzende des VOICE-Präsidiums und CIO von Evonik, sieht das Thema differenziert: „Viele Unternehmen haben die zentrale Rolle von IT- und Digitalisierung verinnerlicht. Deshalb geben Sie ihrem CIO mehr Freiräume.“ Diese würden auch genutzt, um neue Initiativen auf den Weg zu bringen und Innovationen zu etablieren. Uhlich: „Aber natürlich gibt es diese Freiräume nur, wenn der IT-Betrieb reibungslos läuft. Das haben wiederum die meisten CIOs inzwischen verstanden und handeln entsprechend. Solide Track Records vergrößern die Freiräume.“
These 10: Der CIO hängt im Tagesgeschäft fest, anstatt das Business voranzutreiben
Aus Sicht vieler Fachabteilungen ist es die Aufgabe des CIO und der IT-Organisation, ihre Probleme zu lösen, nicht aber neue Geschäftsmodelle voranzutreiben. Nach eigener Einschätzung investieren die Befragten rund die Hälfte ihrer täglichen Arbeitszeit in Innovation und Transformation. Der IT-Betrieb nimmt demnach nur gut elf Prozent ihrer Zeit in Anspruch. Insofern lässt sich die Ausgangsthese nur zum Teil bestätigen.
Allerdings gibt es große branchenspezifische Unterschiede. So zeigt die Erhebung beispielsweise, dass im Behördenumfeld viele CIOs als „Systembetreiber“ agieren. In den Bereichen Handel, Dienstleistungen und Finanzen dagegen wird der CIO eher als Entwickler neuer Geschäftsmodelle gesehen. „Ein erfolgreicher CIO schafft es, den Basisbetrieb zu gewährleisten und darüber hinaus auf interne und externe Veränderungen angemessen zu reagieren“, kommentiert ein Studienteilnehmer.
These 11: Der CIO als Cost-Cutter ist ein Thema der Vergangenheit
Laut der Studie spielen IT-Kosten für den Großteil der CIOs nur eine untergeordnete Rolle. Dementsprechend bestätigen die Autoren diese These. Geht es um das Zielsystem der CIOs, steht vielmehr die Kundenorientierung ganz oben auf der Liste. Wichtiger als die IT-Kosten sind außerdem Themen wie Prozessunterstützung und Automatisierung, Innovation und Change, Geschwindigkeit sowie Sicherheit und Stabilität.
„Die IT ist in den Unternehmen der Implementierungspartner für innovative digitale Geschäftsprozesse, Geschäftsmodelle und smarte Arbeitsplätze“, kommentiert Evonik-CIO Bettina Uhlich. „Sie nimmt diese Herausforderung seit Jahren an.“ Das bedeute einerseits, kosteneffiziente IT-Lösungen und IT-Prozesse mit innovativen Technologien bei sich selbst zu implementieren. Andererseits gehe es auch darum, „die Zukunftsfähigkeit und profitables Wachstum mit innovativen Lösungen zu unterstützen.“
These 12: Die Herausforderung der CIO-Arbeit beginnt beim Arbeitgeber
Die Haltung ihres Arbeitgebers zur IT und dessen Verständnis für Digitalisierungsthemen empfinden etliche CIOs als Herausforderung. Das bestätigen laut Studie auch die befragten Personalberater, und es zeigt sich auch in der Auswertung einschlägiger Stellenausschreibungen.
„Wenn Unternehmen in ihren Stellenausschreibungen nicht genau formulieren können, was sie von einem CIO erwarten, besteht die Gefahr von späteren Missverständnissen und vielleicht von fehlender Unterstützung“, erklärt Uhlich dazu: „Und wenn Unternehmen nicht genau wissen, was sie von einem CIO wollen, ist es natürlich auch sehr viel schwerer Richtungsentscheidungen zu treffen.“
Die Studienautoren bestätigen die Unsicherheit in vielen Unternehmen. Zwar gebe es Betriebe mit einer klaren Vorstellung ihrer digitalen Zukunft, so dass dem CIO dementsprechend Gewicht und Freiraum zugestanden werde. Andere aber versuchten, ihre offenen Fragen in Sachen Digitalisierung durch eine Stellenbesetzung einfach „abzuräumen“. Ein befragter Teilnehmer drückte es so aus: „Die Kollegen sind froh, wenn sie nichts mit der IT zu tun haben und es geräuschlos läuft.“
These 13: Der CIO wird weiblicher
Der aktuellen Dominanz männlicher Vertreter in der CIO-Rolle ständen an vielen Stellen klare Bekenntnisse gegenüber, künftig mehr weibliche Führungskräfte einzusetzen, beobachten die Studienautoren. Sie verweisen aber auch auf die Herausforderungen in der praktischen Umsetzung. So gebe es auf dem Arbeitsmarkt schlicht zu wenige weibliche IT-Führungskräfte.
Eine Ursache: Die Karriere von Frauen in der IT sei in der Vergangenheit nicht ausreichend gefördert worden. Nachholbedarf scheint es auch an anderen Stellen zu geben: „Das Gehalt weiblicher CIOs ist oft niedriger als das der männlichen CIOs“, berichtet ein Studienteilnehmer.
These 14: DEN CIO gibt es so nicht
Diese These soll die vielfältigen Ausprägungen der CIO-Rolle zum Ausdruck bringen. Aus Sicht der Studienorganisatoren ist das „vielleicht die wichtigste Erkenntnis“, die sich auch in den Gesprächen bestätigt habe. „Als CIO bin ich Allgemeinmediziner“, kommentiert beispielsweise ein Teilnehmer. Ein anderer erklärt: „Der CIO wird daran gemessen, dass die IT funktioniert.“
Während sich viele Verschiebungen und Trends bezüglich der CIO-Rolle herausarbeiten ließen, seien die Unterschiede im Einzelnen enorm, resümieren die Autoren: „So vielfältig wie die Menschen und die Unternehmen sind auch die gelebten CIO-Rollen und deren Einbindung in die Unternehmen.“
*Wolfgang Herrmann ist Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Be the first to comment