Das Ende der Monolithen: Die neue ERP-Generation

Unternehmen sind dann erfolgreich, wenn sie es schaffen, sich auf Neues rasch einzustellen – insbesondere, wenn es um die Nutzung neuer Technologien und Kommunikationskanäle geht. Beispiel Dell: Der Computerhersteller witterte in Twitter schon früh einen neuen Vertriebskanal, um gebrauchte Laptops günstig zu verkaufen – und hatte damit Erfolg. Die Lektion ist einfach: Wer die Folgen der fortschreitenden Digitalisierung richtig nutzt, gehört zu den Gewinnern. Aber die Frage ist, wie viele Unternehmen tatsächlich die Möglichkeit haben, hier aufzuspringen – sind sie doch an IT-Systeme gebunden, die lange vor dem mobilen und "sozialen" Zeitalter entwickelt und implementiert wurden. [...]

Zwar prägte Gartner das Akronym ERP erst im Jahr 1990, doch die zugrundeliegende Technologie von Material Requirements Planning (MRP)-Programmen entstand schon in den 1970er Jahren. Überall dort, wo Produktivitätssteigerung der Schlüssel zum Wachstum war, nahm die Verbreitung von ERP-Systemen rasant zu. Anfang des neuen Jahrtausends kamen die ersten ERP-Systeme mit E-Commerce- und Supply-Chain-Funktionalität auf den Markt, um auch die nachgelagerten Unternehmensprozesse von den erreichten Produktivitätsvorteilen in der Fertigung profitieren zu lassen. In der Theorie klang diese Erweiterung vielversprechend, in der Realität sah dieser Komplettansatz etwas anders aus: ERP-Lösungen blähten sich mit immer neuen Funktionen zu komplexen Systemen auf, deren Implementierung sich über Jahre hinzog. Die Investitionen, die große Unternehmen in solche monolithischen ERP-Systeme steckten, gingen nicht selten in die Millionen.

Nach und nach stellten sich weitere Nachteile heraus. Etwa, dass die mächtigen Lösungen so gar nicht auf die spezifischen Bedürfnisse der verschiedenen Branchen angepasst waren. Dass ein Flugzeugbauer ganz andere Anforderungen hat als eine Großbäckerei, liegt auf der Hand – dennoch wurden in der Vergangenheit quer über Branchen hinweg die gleichen, wenn auch namhaften Systeme eingeführt. Der Preis dafür: Fehlende branchenspezifische Funktionalität verursachte in der Regel noch mehr Komplexität, weil Unternehmen diesen Mangel durch aufwändige Modifikationen ausglichen. Genau diese Anpassungen erschweren es nun, auf neue Software-Versionen umzusteigen, um mit Technologie- und Marktveränderungen mitzuhalten: Tatsächlich haben viele Unternehmen mit immer neuen Anpassungen und Erweiterungen wahre Monster-Anwendungen zusammengebaut, die sie nicht mehr anzufassen wagen. Jeder Versuch, eine dieser Anwendungen zu modernisieren oder mit anderen Systemen zu integrieren, könnte einen risikoreichen Systemausfall nach sich ziehen. Dennoch besteht Zugzwang: Heute sind im Tagesgeschäft Geschwindigkeit und Agilität gefordert. Nichts zu tun, könnte sich also als ebenso großes Risiko entpuppen. Die gute Nachricht: Die ERP-Revolution ist bereits in vollem Gang. Die größten Fehler und Defizite sind in den vergangenen zehn Jahren schon in Angriff genommen worden, so dass die Software-Branche nun echte Innovationen in Sachen ERP-Bereitstellung und -nutzung liefern kann.

NEUE WEGE
Moderne, branchenspezifische Software mit breiter, vertikaler Funktionalität ist inzwischen verfügbar. In diese Anwendungen haben Hersteller alle Industriefunktionen gepackt, die in der Vergangenheit auf Wunsch von Kunden individuell entwickelt wurden. So muss beispielsweise ein Großbäcker künftig nicht mehr eine generische ERP-Lösung für die Lebensmittelbranche an seine Anforderungen anpassen, sondern erhält eine Anwendung, die bereits spezifische Geschäftsprozesse, wie beispielsweise das Management unterschiedlicher Ofentemperaturen, berücksichtigt. Und dies ohne weitere Anpassungen direkt im Standard, wodurch der Anwender Zeit und Kosten bei der Einführung spart. Die wertvollen, aber teuren Customizations haben ausgedient. Trotz dieser Vorteile fragt man sich: „Wie soll das in der Praxis funktionieren? Warum sollte ein Unternehmen das Risiko eines solchen Wechsels eingehen?“ Ein Blick auf das Technologie-Konzept, auf welches das Internet aufsetzt, liefert hier eine Antwort: Wir erwarten, dass im Netz alle Applikationen miteinander kommunizieren – jederzeit und an jedem Ort. Wenn jetzt eine einzelne Website nicht erreichbar ist, hat das Auswirkungen auf das gesamte World Wide Web? Natürlich nicht. Die Basis des Internets ist eine lose gekoppelte Architektur, die auf standardbasierten Applikationen wie XML aufsetzt. Überträgt man dieses Architekturprinzip auf das Design von Unternehmenssoftware, lässt sich daraus ein neuer Evolutionsschritt ableiten.

Die Idee ist also, eng verzahnte Integrationen zugunsten einer lose gekoppelten Architektur aufzugeben, in der Anwendungen XML-Geschäftsdokumente erzeugen und übertragen. In dieser Umgebung können Unternehmen Teilbereiche nach Bedarf modernisieren, ohne dass das Upgrade einer Operation am offenen Herzen gleichkommt und die notwendigen Verbindungen zu anderen Anwendungen kappt. (In der Tat profitieren bereits heute Hunderte von Infor-Kunden von kleinen, regelmäßigen Upgrades für ihre Software alle sechs bis acht Wochen, statt alle paar Jahre Neuerungen aufwändig zu planen und durchzuführen.)

Eine lose gekoppelte Architektur bietet zudem enorme Flexibilität, wenn es um die Einführung von Cloud-basierten Lösungen geht. Zum Beispiel kann ein Fertigungsunternehmen geschäftskritische ERP-und Finanzsysteme auf den eigenen Servern betreiben, während zusätzliche Anwendungen in der Cloud laufen – wie etwa für HR-Prozesse oder Zeiterfassung. Im Cloud-Modell lassen sich die Lösungen schneller und ohne große Vorabinvestitionen implementieren. Ein ähnliches Szenario ist auch für die Bereitstellung eines Cloud-basierten Reisekostenabrechnungssystems denkbar, das nicht das Kerngeschäft betrifft und nur gelegentlich verwendet wird. Eine solche Hybrid-Umgebung hat den Vorteil, dass Anwendungen aktualisiert werden können, ohne sich auf die anderen Applikationen auszuwirken. Die Wolke wird als „Sandkasten“ immer beliebter für erste Tests, Schulungen der Anwender und die Pilotphase, bevor tatsächlich in eine On-Premise-Bereitstellung investiert wird. Wie Lösungen bereitgestellt werden, entscheidet der Anwender – nicht mehr der Software-Anbieter. Wichtig für den Anwender: In puncto Bereitstellungsgeschwindigkeit und Verfügbarkeit ist es gleichgültig, ob die Informationen aus einer lokalen Anwendung, aus der Cloud oder aus einer Hybrid-Bereitstellung stammen.

„SOZIALES“ ERP
Der Zugriff auf Facebook und Co. vom Smartphone oder Tablet zu jeder Zeit und an jedem Ort ist gerade für Wissensarbeiter normal, Anwendererfahrungen wie bei Amazon gelten heute rund um den Globus als Standard. Genau derselbe Anspruch wird jetzt auch an die Unternehmenssoftware am Arbeitsplatz gestellt. Mitarbeiter wünschen sich eine intuitive Benutzeroberfläche, die die Navigation einfacher und die Kommunikation übersichtlicher und direkter macht. Das Zusammenspiel von sozialen Netzwerken, Werkzeugen und Anwendungen, das durch eine moderne Oberfläche gefördert werden kann, verändert das individuelle Arbeitsverhalten und setzt einzelne Arbeitsschritte in einen größeren Kontext.

Eine grundlegende Anwendung ist beispielsweise ein News Feed, den Mitarbeiter abonnieren und der E-Mails mit breit angelegten Verteilern ablöst. Ähnlich wie man auf Twitter die Posts verfolgt, die einen interessieren, folgt man innerhalb eines sozialen Business-Netzwerks Objekten, die für die eigene Arbeit relevant sind – wie etwa Aufträgen, Bestellungen, Wartungsterminen, Kunden, Rechnungen oder gar bestimmten Teilen einer Fertigungsanlage. Sobald sich der Status eines Objekts ändert, erhält ein Follower per News Feed eine entsprechende Nachricht. Er kann diese Informationen dann sofort mit anderen teilen, die in der nachgelagerten Supply Chain davon betroffen sein können.

Wichtig: Dabei handelt es sich nicht um einen einfachen Chat-Stream außerhalb der eigentlichen Business-Anwendung. Social Business muss in die Anwendung eingebettet werden, so dass die Objekte innerhalb des News Feed im direkten Bezug zur Anwendung stehen. Wer also zum Beispiel eine Rechnung prüfen will, weil ihm der Betrag zu niedrig erscheint, kann auf das Objekt klicken und darüber die zugrunde liegende ERP-Anwendung aufrufen, um das Problem in Echtzeit anzupacken. Wenn diese Korrektur dann in Form eines Updates weiterverbreitet wird, lässt sich über das Objekt der gesamte Kontext nachvollziehen. Das bedeutet, dass der nächste Empfänger den Zusammenhang überblickt und entsprechend agieren kann. Diese Abfolge von „Follow-Share-Act“ definiert diese neue Generation von ERP: Menschen folgen Informationen und Arbeitsschritten, nicht umgekehrt.

Diese sozialen Business-Netzwerke sind intelligent: Sie sind darauf ausgelegt, bestehende Verknüpfungen zwischen Menschen, Anwendungen, Maschinen und Daten zu nutzen – selbst wenn sich die Mitarbeiter persönlich gar nicht kennen. Das System kann sie aktiv nach dem „Das sollten auch Sie wissen!“-Prinzip verbinden: Es erkennt alle notwendigen Verbindungen zwischen Personen und Abteilungen mit ihren spezifischen Aufgabenbereichen und ermittelt so einen „Social Graph“, der das Unternehmen abbildet. Ein auf ein Social Business aufgesetztes ERP-System bietet umfangreiche Kollaboration-Funktionen, die sich durch die Integration von mobilen Funktionen auch außerhalb des klassischen Arbeitsplatzes fortsetzen lassen.

FAZIT
ERP ist selbst das Ergebnis einer technologischen Revolution. Die ursprünglichen Fertigungsplanungssysteme von vor über 30 Jahren, die zu heutigen ERP-Anwendungen geführt haben, sind heute längst veraltet. Intelligente, schnelle, agile Arbeitsweisen versprechen neue Geschäftsmöglichkeiten. Unternehmen müssen jetzt den Wandel von  monolithischen ERP-Lösungen zu modernen Werkzeugen vollziehen, die sich an die Anforderungen der modernen Geschäftswelt anpassen.

* Gerhard Knoch ist Infor Vice President and General Manager DACH.


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