Der Weg zu modernen ERP-Systemen

Neben Business Analytics, Mobility und Cloud Computing taucht heuer in den Top-Ten-Listen der technischen Prioritäten von IT-Verantwortlichen erstmals seit Jahren wieder das Thema ERP auf. Von mobilen Endgeräten über die Cloud auf echtzeitfähige Applikationen zugreifen: So lässt sich in einem Satz die Zukunft von ERP-Systemen zusammenfassen. Bis es soweit ist, sind jedoch noch einige Hausaufgaben zu erledigen. [...]

Das Unternehmenswachstum ankurbeln, neue Kunden gewinnen, Betriebskosten senken und die Entwicklung neuer Produkte und Services sicherstellen: Das sind die Business-Prioritäten für CIO in diesem Jahr. Wie wichtig dabei eine solide Basis rund um das ERP-System als zentrales Werkzeug zur Unternehmenssteuerung ist, zeigt ein Blick auf die technischen Prioritäten der IT-Verantwortlichen: Neben Business Analytics, Mobility und Cloud Computing taucht heuer in den Top-Ten-Listen der Marktforscher erstmals seit Jahren wieder das Thema ERP auf. Auch in Österreich, wie Michael Siedler, Österreich-Geschäftsführer des ERP-Anbieters Godesys, bestätigt: „Die letzten größeren Projekte gab es rund um die Jahr-2000- und die Euro-Umstellung, und daher wird ERP in den nächsten Jahren wieder stärker ein Thema sein.“ SAP-Manager Hermann Erlach sieht vor allem Potenzial im KMU-Bereich: „Da sind noch viele selbstgestrickte und wenig integrierte Systeme im Einsatz.“

Experten sind sich einig, dass der Druck auf die Verantwortlichen wächst, sich in Sachen Business-Software besser aufzustellen. Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, dass sie ihre ERP-Systeme in immer kürzeren Zyklen anpassen müssen. Der immer härtere Wettbewerb erfordert, die eigene Geschäftsstrategie kontinuierlich zu hinterfragen. Unternehmen müssen ihre Produkte und Preise laufend den Gegebenheiten des Marktes anpassen. Dazu kommt noch, dass immer mehr Nutzer immer höhere Anforderungen stellen. Sie wollen nicht mehr nur Transaktionen abwickeln, sondern mehr Entscheidungsunterstützung für ihre tägliche Arbeit.

VERALTETE ERP-SYSTEME
Um diese Herausforderungen meistern zu können, brauchen die Unternehmen moderne ERP-Systeme. Doch davon sind die meisten weit entfernt. In vielen Unternehmen werden noch ältere Versionen von ERP-Systemen eingesetzt, die in ihrer ­Architektur historisch bedingt eher monolithisch und somit den aktuellen Anforderungen nur eingeschränkt oder gar nicht gewachsen sind. „Ich kenne etliche österreichische Unternehmen, bei denen die ERP-Systeme bereits über zwanzig Jahre im Einsatz sind“, erklärt Michael Schober, Österreich-Vertreter des unabhängigen ERP-Beraters Trovarit. „Die Unternehmen sind mit diesen Systemen groß geworden, kommen aber nun in die Phase, in der bald der letzte Programmierer beim Anbieter in Pension geht und müssen sich daher schön langsam nach einer neuen Lösung umschauen.“

Viele Anwendungen entstammten einer über Jahre hinweg gewachsenen ERP-Landschaft, wobei sich zwei Ausprägungen unterscheiden lassen: Zentral mit einem starren, monolithisch geprägten ERP-System, mit dem das gesamte Unternehmen arbeitet, oder dezentral mit vielen lokalen oder funktional spezialisierten Systemen. Beide Varianten sind jedoch nur bedingt dafür geeignet, sich mit neuen Techniken  und Entwicklungen auseinanderzusetzen und dementsprechend stoßen viele Anwenderunternehmen an die Grenzen ihrer ERP-Systeme, die beispielsweise mit stetigem Wachstum und sich verändernden Geschäftsprozessen nicht mehr Schritt halten können.

WETTBEWERBSVORTEIL
Die Notwendigkeit, ERP-Systeme zu modernisieren, scheint jedoch noch nicht überall erkannt worden zu sein. Viele Anwender haben sich in der Vergangenheit meist nur mit der funktionalen Erweiterung ihrer Systeme beschäftigt und die zugrunde liegende ERP-Architektur vernachlässigt. „Rund 80 Prozent der Entscheider in produzierenden Unternehmen nennen die Funktionalität als wesentlichen Grund für eine ERP-Auswahl“, sagt Uwe Kutschenreiter, Vorstand Vertrieb und Marketing des ERP-Anbieters Oxaion. „Alle weiteren Aspekte haben nicht einmal halb so viel Zustimmung erhalten. Das bedeutet, Wunsch Nummer eins ist, dass die Software die Geschäftsprozesse funktional abbildet und gegebenenfalls optimiert.“ Eine moderne Software-Infrastruktur, die sich auf die im Unternehmen vorhandenen Prozesse abstimmen lässt und auch auf Änderungen flexibel reagiert, kann jedoch zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden.

Eine große Herausforderung beim Thema ERP liegt zudem in der Integration unterschiedlicher Systeme. „ERP bedeutet ja heute nicht mehr nur Warenwirtschaft und Buchhaltung, sondern umfasst auch CRM, Supply Chain Management, Business Intelligence oder Dokumentenmanagement“, sagt Godesys-Österreich-Chef Siedler. „Das ist meiner Meinung nach integrativ zu sehen.“ Trovarit-Mann Schober sieht das ähnlich: „Wir reden zwar von ERP-Systemen, aber genau genommen suchen die Unternehmen Business-Lösungen, die ihre Unternehmensprozesse sowohl intern, als auch extern ganzheitlich abdecken.“

KOMPLEXITÄT ALS GROSSE HERAUSFORDERUNG
Schober sieht diesen Wunsch des Marktes, alle Informationen in einem System zu haben, als große intellektuelle Herausforderung: „Mit jedem System, das ich integriere, steigt die Komplexität exponentiell an und das muss erst einmal bewältigt werden.“ Ein Punkt, in dem Godesys-Manager Siedler widerspricht: „Weniger verschiedene Systeme bedeuten weniger Schnittstellen. Wenn Sie einen übergeordneten Adressstamm haben, wird das ja nicht komplexer, sondern einfacher.“ SAP-Mann Erlach wiederum sieht das Thema zwiespältig: „Natürlich wird es komplexer, je mehr Systeme und Schnittstellen man hat, aber das ist die reine IT-Sicht.“ Dem Anwender sei es völlig egal, wieviele Systeme dahinterstecken, solange es schnell und einfach geht. „SAP-User zum Beispiel sind ja klassischerweise eher Poweruser, die sich in der SAP-Welt zuhause fühlen. Wenn man aber zum Beispiel an Mobility denkt, dann ist das eine ganz andere Art von Anwendern, die beispielsweise mit einem iPad auf das ERP-System zugreifen und das vielleicht nur ein Mal im Monat.“ Für die Anforderungen dieser User sei es dann einfacher, ein getrenntes System mit einer anderen Benutzeroberfläche zu haben.

Auch Godesys-Geschäftsführer Siedler sieht die Notwendigkeit flexiblerer Frontends: „Klassische PC-Clients wird es weiter geben – immer wichtiger werden aber auch Webportale und mobile Clients. Eine Weboberfläche alleine ist aber noch keine iPhone-App. Da braucht es ausgefeiltere Technologien am Frontend um solche Dinge umsetzen zu können, ohne die Applikation komplett neu entwickeln zu müssen.“ Zudem steigen auch die ergonomischen Ansprüche der Anwender. „Aus diesem Grund haben wir uns schon vor Jahren mit Design-Spezialisten zusammengetan und unsere Software weiterentwickelt“, erklärt Oxaion-Vorstand Kutschenreiter. Das Ergebnis ist eine modern gestaltete Oberfläche.

MOBILITY FIRST
Doch nicht nur die Erwartungen der Anwender was die Benutzerfreundlichkeit betrifft, steigt – auch die Zahl der ERP-User in Unternehmen nimmt stetig zu. Bei SAP gilt deshalb mittlerweile die Devise „Mobility first“. „Jede neue Entwicklung muss so designed sein, dass sie auf einem mobilen Client laufen kann“, erklärt Erlach. SAP verspricht sich dadurch bei neuen Themen eine Vereinfachung des Userinterfaces, „weil man in der Entwicklung ständig gezwungen ist, sich die Frage zu stellen: Ist das einfach genug für eine mobile Anwendung?“ Die Philosophie sei, mit einer relativ einfachen Benutzeroberfläche hineinzugehen, und nur bei Bedarf Komplexität zuzuschalten.

Eine wichtige Rolle spielen Benutzeroberflächen auch beim Thema Mobility. „Cloud Computing und Mobilität werden in den kommenden Jahren für viel Furore sorgen“, sagt Oxaion-Manager Kutschenreiter. „Unsere Arbeitsweise wird sich dadurch nachhaltig verändern, da die Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit ­immer mehr verschwimmt und der Arbeitsort zunehmend das Internet ist.“ Ob mobiler Zugriff auf das ERP-System Sinn macht, hängt dabei stark vom konkreten Businessszenario ab: „Im Bereich Serviceabwicklung oder Montage zum Beispiel macht es keinen Sinn mehr, auf Papier Serviceberichte auszufüllen und dann im Büro ins System einzugeben“, sagt Godesys-Mann Siedler. Wichtig sei die Flexibilität. „Ein ERP-System muss Mobilität unterstützen können, wenn sie sinnvoll ist, sonst muss man das vielleicht mit einer extra Applikation machen, und dann wird es wieder komplex.“

Trovarit-Vertreter Schober warnt jedoch vor planloser Mobilität: „Unternehmen fragen heutzutage: Und, geht das auch am iPad?“ Wenn man dann diese Frage als ERP-Anbieter nicht bejahen kann, sehe man alt aus. „Ob die Geschäftsprozesse das wirklich erfordern, ist wieder eine ganz andere Frage.“ Wichtig ist dem ERP-Berater auch die Unterscheidung, ob es ein klassisches ERP-System ist, für das zusätzlich ein mobiler Client aufgesetzt wird, oder eine neu entwickelte, moderne Lösung, die von vorne herein so programmiert ist, dass sie auf allen Clients läuft.

STRATEGIE FORMULIEREN
Aus Sicht von SAP-Manager Erlacher stecken noch viele heimische Unternehmen beim Thema Mobility in einem stark Geräte-zentrierten Ansatz fest. „Eine echte Enterprise-Mobility-Strategie ist derzeit die große Ausnahme. Meist dominiert noch die Frage, wie ich aus Security-Sicht in meinem Unternehmen iPhones und iPads zum Laufen bekomme.“ Im besten Fall überlegen Unternehmen gerade, in welchen Businessszenarien Mobilität einen echten Mehrwert schaffen könnte.

Aktuelle Anlässe, ERP-Systeme zu modernisieren, gibt es also genug. Derzeit kommen etliche neue technische Möglichkeiten rund um In-Memory-Computing, die Cloud und mobile Lösungen ins Spiel, die dazu führen, dass alteingesessene ERP-Systeme in Frage gestellt werden. Am plakativsten stellt SAP, selbst ein alteingesessener Anbieter, diesen Wandel dar. Nicht nur bietet der Konzern mit Business ByDesign ein ERP-System, das komplett aus der Cloud kommt (mehr zum Thema Cloud-ERP auf Seite 15) – in Kombination mit der HANA-Plattform sollen völlig neue Businessmöglichkeiten entstehen. „Mobility, Cloud, HANA plus ERP birgt viel Potenzial“, sagt Erlach. „Wir wissen heute noch gar nicht, wo das enden wird.“ Über mobile Devices auf Applikationen in der Cloud zugreifen, die von HANA echtzeitfähig gemacht werden, sei in jedem Fall die Zukunft von SAP. Wahrscheinlich nicht nur von SAP.

HAUSAUFGABEN
Abseits von kleineren Pilotprojekten lassen sich Techniken rund um In-Memory-Computing, die Cloud und mobile Lösungen aber erst dann umfassend nutzen, wenn die ERP-Architektur entsprechend angepasst ist. Doch zuvor müssen erst noch grundlegende Hausaufgaben erledigt werden. Unternehmen finden es zwar toll, wenn man mit HANA zwei Milliarden ­Datensätze innerhalb von Sekundenbruchteilen auswerten kann, doch solange keine Datenharmonisierung über die verschiedenen Unternehmensteile hinweg erfolgt ist, bringt die neue Technik wenig. Der erste Schritt auf dem Weg zu einer neuen ERP-Architektur ist daher zunächst eine Harmonisierung von Prozessen und Daten. Erst dann kann man sich überlegen, an welchen Stellen im Unternehmen genau die neuen Möglichkeiten wirklich Sinn machen.

Der Weg zu einer modernen ERP-Architektur ist indes alles andere als einfach. Eine ERP-Landschaft stellt ein hohes Investitionsvolumen dar. In Softwarelizenzen, Einführungsprojekte, Anpassungen und Umstellungen sowie Mitarbeiterschulungen sind nicht zu unterschätzende Beträge geflossen. Kein Unternehmen kann angesichts des notwendigen Investitionsschutzes sagen: „Das schmeißen wir weg und machen alles neu.“ Es geht letztlich nicht nur um die idealtypische ERP-Architektur. Die viel schwierigere Frage ist: Wie komme ich mit planbaren und vor allem finanzierbaren Schritten dorthin?

Im Idealfall über einen stufenweisen Prozess, an dessen Ende erst der vollständige Umstieg auf eine zukunftsgerichtete Lösung steht. Ein Technologiewechsel ist oft mit großem Aufwand und hohen Kosten verbunden. Nur wenige Unternehmen sind daher bereit, ihre Systeme aus technologischen Gründen abzulösen. Besser lässt sich eine Ablösung über eine fehlende oder mangelhafte Prozessabdeckung rechtfertigen. Da aber Funktionen beziehungsweise Prozesse über viele Jahre mühevoll ergänzt wurden, halten viele Unternehmen oft an ihren alten Lösungen fest.

Wie aufwendig es ist, eine moderne ERP-Architektur aufzubauen, hängt von der Ausgangssituation ab. Es ist nicht immer erforderlich, das System im Rahmen eines Großprojekts zu erneuern. Beispielsweise lässt sich eine Finanzbuchhaltung, die keinem besonders starken Veränderungsdruck unterworfen ist, durchaus auf einem Altsystem weiterbetreiben, während man sich bei der Modernisierung zunächst auf andere Bereiche wie die Produktion oder CRM konzentriert. Wesentliche Vorteile ergeben sich aber erst, wenn die verschiedenen Funktionsbereiche gut miteinander verbunden sind. Betreibt ein Unternehmen schlecht integrierte Satellitensysteme, kann man einen Schnitt machen und auf eine integrierte Lösung wechseln. Dabei lässt sich aber nicht alles aus der alten in die neue ERP-Welt hinüberretten. Dafür gibt es die Chance, im Rahmen eines solchen Wechsels auch die eigenen Abläufe zu überprüfen und an der einen oder anderen Stelle die Prozesse zu modifizieren und effizienter zu machen. (oli)


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