Die Appifizierung der Unternehmens-IT

Angetrieben von den Erfolgen der Consumer-Appstores für mobile Endgeräte, beginnen immer mehr IT-Anbieter das Modell für den Vertrieb von Geschäftsapplikationen zu kopieren und bauen eigene B2B-Marktplätze auf. [...]

Seit Apple mit der Einführung des iPhones das Prinzip eines Online-Marktplatzes zum Verteilen von Software etabliert hat, sind Apps und ihre entsprechenden Stores aus der IT-Branche nicht mehr wegzudenken. Bei der Analyse der wichtigsten IT-Themen hat Gartner B2B-Marktplätze dementsprechend zum Trendthema 2012 erklärt und mittlerweile können etliche Anbieter mit eigenen Marktplätzen aufwarten oder arbeiten zumindest daran. Anwender sollen auf diese Weise nicht nur einen besseren Überblick über verfügbare Services bekommen, sondern haben auch die Möglichkeit, diese kostenlos zu testen und mit wenigen Klicks auch gleich direkt zu bestellen.

CLOUD- UND SAAS-ANGEBOTE
Die B2B-Stores konzentrieren sich dabei nicht wie ihre Vorbilder von Apple und Google auf mobile Endgeräte, sondern werden als zentrale Vertriebsplattform für Cloud- und SaaS-Angebote positioniert. Denn die bereits etablierten Marktplätze App Store (Apple) und Play Store (Android) stellen trotz der unbestreitbaren Vorteile von Cloud-Services aus professioneller IT-Sicht eher eine Gefahr als einen Fortschritt dar: Zu groß ist das Risiko, dass sich Anwender mit einer Applikation auch Malware herunterladen und dadurch die Sicherheit der Unternehmens-IT aufs Spiel setzen.

Ein zweites Manko ist das riesengroße Angebot: Mag es im Wettbewerb um Privatanwender sinnvoll sein, hunderttausende Apps anzubieten, von denen 90 Prozent unbrauchbar sind, wird die Vielfalt im Unternehmen zum Nachteil: Wer hat schon die Zeit, unzählige Anwendungen nach dem passenden Tool zu durchsuchen? Minuspunkte, die inzwischen auch IT-Hersteller und Service-Provider erkannt haben. Mit eigenen Marktplätzen wollen sie explizit Business-Kunden ansprechen. Zudem handelt es sich bei den professionellen Angeboten in der Regel nicht um Apps zum Herunterladen, sondern um buchbare Cloud-Services.

Die Telekom Austria richtet sich  als größter heimischer B2B-Marktplatz-Betreiber mit ihrer Austria Cloud an KMU. „Gerade Unternehmen mit 4, 5 Mitarbeitern haben oft keine professionelle IT, könnten aber von professionellen Tools sehr profitieren“, erklärt der TA-Vertreter Alexandros Osyos. Das Angebot umfasst neben Microsoft-Services wie Exchange (E-Mail, Kalender, Kontakte, Aufgaben), Sharepoint und Lync auch eigene Angebote und Services von Partnern. Zu den eigenen Angeboten zählt beispielsweise A1 Auftragsmanagement, eine Applikation, mit der sich Aufträge an Mitarbeiter verteilen lassen. „Die primäre Zielgruppe sind zunächst einmal Gemeinden“, erklärt Osyos. „Gemeinden haben sehr viele manuelle Prozesse, die sie optimieren wollen, zum Beispiel die Schneeräumung.“ Die Gemeinde teilt dem zuständigen Mitarbeiter über die Applikation mit, wo Schnee geräumt werden soll und wenn die Aufgabe beendet ist, kommt eine Bestätigung zurück. „Dadurch weiß man dann auch genau, wann wo im Winter geräumt wurde, welche Gemeinde gerade welches Gerät verwendet und erleichtert damit die Abrechnung und die Planung.“ Ein weiteres eigenes Angebot ist Mobile Device Management aus der Cloud: Unternehmen wollen Lösungen, um Apps sicher und kontrolliert auf die mobilen Geräte ihrer Anwender zu bringen und wie bei Desktops Regeln für mobile Geräte festzulegen. „Und geht das mobile Gerät verloren oder wird gestohlen, werden aus der Entfernung die Daten gelöscht“, erklärt Osyos.

Ein Blick in die ersten implementierten Marktplätze zeigt die enge Anlehnung an die Vorbilder App Store von Apple und Android Market von Google. Besucher können in den Angeboten stöbern, Software testen und direkt auf ihr Gerät laden. Es gibt kostenlose und kostenpflichtige Applikationen, die Nutzer können die gewählte Software bewerten und kommentieren. Die Betreiber listen zum Teil die beliebtesten Tools auf und schlagen den Besuchern weitere passende Lösungen vor. „Wer etwas auf sich hält, bietet heute einen App Store an“, bringt es Rüdiger Spies, Analyst und Vice President bei IDC, auf den Punkt. „App-Store-Betreiber gelten als modern, erfolgreich und innovativ.“

NISCHENLÖSUNGEN
Doch anders als die digitalen Software-Supermärkte von Apple und Google streben die B2B-Betreiber nicht nach Masse, sondern wollen Lösungen für Nischen und spezielle Unternehmensanforderungen bereitstellen. Auf Fragen nach Branchen- oder Anwendungsschwerpunkten flüchten die Anbieter derzeit noch ins Ungefähre. Der Grund dafür ist simpel: Die inhaltliche Ausrichtung haben die Content-Lieferanten in der Hand, und die Gespräche mit ihnen laufen noch. „Die Business-orientierten App-Stores befinden sich in einem frühen Stadium, viele Anbieter experimentieren noch“, beobachtet etwa Forrester-Analystin China Martens.

Die Softwarehersteller spielen in diesem Marktplatztrend eine Schlüsselrolle für jeden Betreiber. Erfolgreich kann ein Store nur arbeiten, wenn er interessante Applikationen bietet. Kein Wunder also, dass alle Marktplatzbetreiber Partnerinitiativen pflegen, um die Lieferanten an ihre Plattform zu binden. Nahezu alle großen Anbieter zielen strategisch darauf ab, rund um den Marktplatz ein Ökosystem für Partner zu errichten. „Die wahre Kraft  von B2B-Stores liegt im Ökosystem“, sagt beispielsweise Günther Patterer von SAP.  „Die Anzahl der Angebote ist wichtig und alleine schaffen wir das gar nicht. Wir brauchen gute Partner mit viel Branchen-Knowhow, das fördern wir stark und unsere Marktplatz-Strategie ist auch eine Partner-Strategie.“ Microsoft hat laut Georg Droschl gar eine eigene Abteilung, die sich um die Partner kümmert. Auch HP und die TA bemühen sich derzeit „intensiv darum, eine Partnerlandschaft“ für ihre B2B-Stores aufzubauen.

Damit ist ein verschärfter Wettbewerb um Softwarehersteller und Programmierer die unausweichliche Folge der Marktplatz-Schwemme. Es geht um die Sichtbarkeit beim Anwender und die Sicherung künftiger Erlösquellen. Das Geschäftsmodell der Betreiber sieht in der Regel geringe oder keine Startkosten für die Partner vor. Erst wenn die Kunden die Software kaufen oder mieten und die Einnahmen fließen, fordern die Betreiber ihren Obulus ein. Wieviel Geld den Partnern tatsächlich abgeknöpft wird, will aber niemand so wirklich kundtun.

Den Wettbewerb um Softwarefirmen führen die Marktbetreiber aber auch über ergänzende Dienstleistungen. Fujitsu stellt ihnen etwa ein dreistufiges Modell zur Wahl, das sich von der einfachen Präsentation im Marktplatz über Services etwa für die Abrechnung bis hin zum kompletten Hosting erstreckt. Die Betreuung sieht ferner einen Workshop für die Partner vor, zudem können sie Services und Tools in Anspruch nehmen, mit denen sich vorhandene Applikationen in Web-fähige Anwendungen verwandeln lassen. HP lockt indes mit einer kompletten Cloud-Umgebung, die bei Bedarf auch einen White-Label-Marktplatz umfasst, den die Softwarelieferanten im eigenen Unternehmensdesign gestalten können. Stefan Ried, Principal Analyst bei Forrester Research, erwartet: „Für die Hersteller von Business-Software wird die Präsenz in einem Marktplatz wichtiger als bisherige Vertriebspartnerschaften mit Plattformanbietern wie beispielsweise Microsoft.“

Einzig IBM mag sich dem Store-Trend noch nicht anschließen, der IT-Konzern sondiert noch den Markt. Zu Buche steht eine Kooperation mit HTC, in deren Rahmen Business Apps via Android Market vertrieben werden sollen. Darüber hinaus konzentriert sich IBM darauf, Unternehmen, die eigene Marktplätze installieren wollen, Tools und Services zur Verfügung zu stellen. Basis sind zum einen Mobility-Lösungen von Rational, zum anderen die Plattform „AppDistribution with Web­Sphere“, mit der sich interne App-Stores für die eigene Belegschaft installieren lassen. Erfahrungen damit hat IBM selbst seit 2009 gesammelt. Auf dem „Whirlwind App Store“ stehen den IBM-Mitarbeitern  400 interne und externe Apps zum Download bereit.

NEUER ANWENDUNGS-VERTRIEB
Die vielfältigen App-Store-Initiativen sind Indikatoren für einen grundlegenden Wandel im Vertrieb von Anwendungen. „Die Softwareverteilung verläuft künftig nicht mehr ausschließlich über Distributoren und Händler, sondern direkt vom Hersteller zum Anwender“, erwartet IDC-Analyst Spies. „Der Umbau ermöglicht es Newcomern wie etwa Fujitsu, Atos, Telekom Austria und HP, eine lukrative Position in der neuen Distributionskette zu besetzen.“ Begünstigt wird diese Entwicklung durch ein verändertes Design in der Softwarearchitektur, das die monolithischen Blöcke durch schmale Softwarekomponenten ersetzt. „Kunden wollen nicht mehr ganze Suites, sondern wollen Teilbereiche über die Cloud abdecken“, erklärt SAP-Mann Patterer. SAP hat deshalb vier Bereiche definiert: Einkauf, HR, Verkauf und Finanz. „Diese vier Bereiche bieten wir als eigene Applikationen an, die lose miteinander gekoppelt sind und über die Cloud ins ERP-System integriert werden können.“ Kunden, die bereits Systeme im Einsatz haben und nur einen Teilbereich erneuern wollen, können zum Beispiel nur den HR-Bereich optimieren, ohne ein Riesen-ERP-Projekt zu aufzusetzen.

Die Marktbeobachter der Experton Group werten die Vorgänge im Softwaremarkt gar als disruptiven Einschnitt. „Der Wechsel von komplexen, hoch riskanten, monatelangen Projekten hin zu mobilen, sozialen, schlüsselfertigen Apps, auf die Anwender von jedem App Store aus jederzeit zugreifen können und die nutzungsbasierend abgerechnet werden, wird die Spielregeln im Markt drastisch verändern“, erwartet Experton-Analyst Hal Kreitzman. Und nicht zuletzt die verschwimmenden Grenzen zwischen privat und beruflich genutzter IT sorgen für die „Appifizierung“ der Software. IT-Nutzer wollen an ihren mobilen Endgeräten auch Geschäftsapplikationen bedienen können.

Was am Ende auf den neuen B2B-Plattformen geschieht und wie üppig die dort gehandelten Softwarekomponenten ausfallen, bleibt nicht nur den Anbietern, sondern auch den Kunden überlassen. „Auf den Marktplätzen etwa von Fujitsu, Atos und SAP können sich Firmen ihren eigenen virtuellen App Store mit individueller App-Auswahl einrichten“, sagt Forrester-Analyst Ried. „Diese Sichten auf die fir­men­intern angebotenen Apps können eigene und zugekaufte Programme umfassen.“ Allerdings warnt Franz Novak, Cloud-Experte bei HP Österreich, in diesem Zusammenhang vor einer Schatten-IT: „Die IT-Abteilung muss aufpassen, dass nicht an ihr vorbeigesourced wird, weil sich die Fachbereiche selber Lösungen von einem Marktplatz holen.“

Die Anwender gewinnen damit an Flexibiliät, allerdings auf Kosten der Durchgängigkeit von Prozessen. Abhilfe wollen Spezialisten wie Hubspan und Informatica schaffen, ebenso die Dell-Tocher Boomi.com und IBMs Cast Iron. Ihre Profession ist es, Daten, Prozesse und Applikationen auf unterschiedlichen Ebenen zu integrieren. „Eine App-Integration dauert wenige Tage und nicht einige Wochen, wie es bei den monolithischen ERP-Systemen und traditioneller Middleware der Fall ist“, vergleicht Ried.

Nachdem die Anwender in den vergangenen Jahren eine Single-Vendor-Sourcing-Strategie mit überschaubaren Erfolgen in der Integration verfolgt hätten, schlage das Pendel nun wieder in Richtung Best of Breed aus. „Bislang haben Unternehmensanwendungen ihre Nutzer mit der Funktionsvielfalt erschlagen“, betont Ried. „Heute wollen die Anwender einzelne konsumierbare Stücke – die Apps!“

ÜBERSICHT DER B2B-MARKTPLÄTZE
Telekom Austria: Austria Cloud
Die Telekom Austria bietet auf ihrem B2B-Marktplatz neben Microsoft-Produkten wie Exchange, Lync und Sharepoint auch eigene Applikationen wie A1 Auftragsmanagement oder Mobile Device Management. Darüber hinaus gibt es auch Partnerangebote: Ein Beispiel sind Security-Services, die gemeinsam mit Ikarus angeboten werden. Weitere Services sollen folgen – laut Telekom-Austria-Vertreter Alexandros Osyos wird die Partnerlandschaft ausgebaut.

HP: HP Cloud Services
Im Mai hat HP die Betaphase seines öffentlichen Marktplatzes „HP Cloud Services“ eingeläutet. Zum Start kündigte das Unternehmen erste Cloud-Lösungen an, darunter Computing-, Storage-, My­SQL- und Identity-Dienste. Der Konzern wirbt zunächst vor allem um Programmierer und Softwarefirmen, die auf Basis der Infrastrukturdienste neue Applikationen entwickeln, testen, ausliefern und skalieren können. Das ist wichtig, um den Marktplatz mit Inhalten zu füllen und somit Privat- und Geschäftskunden als Nutzer von Cloud-Diensten zu finden. In Österreich sind derzeit keine Partner dabei, laut HP-Mann Franz Novak hat das Go-to-Market jedoch gerader erst begonnen. Er rechnet daher in den nächsten Monaten mit einigen Ankündigungen.

Fujitsu: Business Solutions Store
Mit dem Fujitsu Cloud Store können Kunden auf eine Reihe von SaaS-Angeboten zugreifen. Ziel ist ein Ökosystem zu schaffen, in dem große wie kleine Softwarehäuser ihre Lösungen anbieten und Reseller, Berater und Technologiepartner ihre zugehörigen Angebote bereitstellen können. Der Business Solutions Store bedeutet für Fujitsu den Einstieg in das Geschäft mit Business-Apps, ohne dass der Konzern viele eigene Anwendungen hat. Ausnahme ist eine hauseigene CRM-Lösung, die eigens entwickelt wurde, um die Tragfähigkeit des Modells zu beweisen. Ansonsten sollen die Softwarepartner ihre Produkte in die Cloud stellen, dabei aber weiterhin Vertrieb und Marketing selbst in die Hand nehmen. Bislang gibt es 70 Softwareangebote im Online-Laden.

SAP: Sap Store
SAP ist mit der Implementierung weit fortgeschritten. Bereits auf der Cebit 2011 wurde die erste Version des „SAP Store“ vorgestellt, anfangs nur für Applikationen der Mietsoftware „Business ByDesign“. Seit der Hausmesse Sapphire sind darin auch mobile Anwendungen zu finden. Mittlerweile gibt es dort rund fünfhundert Apps. Ergänzt wird das Angebot durch den 2008 gestarteten Marktplatz EcoHub für klassische SAP-Installationen. Hier können Anwender unter gut 1.000 Anwendungen wählen.

Microsoft: Windows Azure Marketplace
Microsoft bietet über den Windows Azure Marketplace Iaas- und Paas-Angebote sowie Applikationen. Zu den Angeboten von heimischen Microsoft-Partnern im Azure Marketplace zählen beispielsweise der Terminbutler der Firma WM Software: Mit dem Terminbutler können Dienstleister ihren Kunden die Möglichkeit geben, über den Browser einen Termin auszumachen. Ein weiteres Beispiel ist das Unternehmen Uptime mit der CRM-Software Pipeliner. Neben IaaS, PaaS und SaaS bietet Microsoft auch Datenservices an: In Österreich gibt es Kooperation mit Regiodata, die es Anwendern ermöglicht beispielsweise Kaufkraftdaten in CRM-Systeme einbinden, oder auf historische Wetterdaten und Wechselkurse zuzugreifen. (oli)


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