Die digitale Medizin der Zukunft

Auch in der Medizin kommt die Digitalisierung unaufhaltsam. Das zeigen zumindest die Apps mehrerer europäischer Startups. [...]

Noch ersetzt die Digitalisierung den Arzt nicht, doch mit ihr könnte so mancher Arztbesuch überflüssig werden. Muss bei starkem Husten wirklich der Arzt aufgesucht werden? Können Blutdruck und Puls nicht aus der Ferne untersucht werden? Solche Besuche könnten bald unnötig werden, wenn sich die Apps einiger Startups durchsetzen. Dabei handelt es sich selten um hochkomplizierte Raketenwissenschaften, sondern häufig nur um clevere Ideen, die bereits vorhandene Technologien miteinander kombinieren. Auffallend dabei ist, dass die jungen Unternehmen fast alle im Ausland angesiedelt Sinn. Eine Tatsache, die eventuell dem Umstand geschuldet ist, dass hierzulande ein Wust an Regularien und Bestimmungen medizinische Innovationen erschweren.
DIGITALES STETHOSKOP
Das polnische Startup StethoMe hat die App und das digitale Stethoskop entwickelt. (c) StethoMe
Ein solches Startup ist das polnische StethoMe. Das junge Unternehmen hat schlicht das rund 200 Jahre alte Stethoskop digitalisiert und zudem mit einem digitalen Fieberthermometer ausgestattet. Das digitale StethoMe wird per Bluetooth mit dem Smartphone gekoppelt. Die dortige App kann die Geräuschdaten dann an den Arzt senden. Im Hintergrund läuft zudem ein Server, der per KI die übertragenen Geräuschmuster mit seiner Datenbank vergleicht, um so eine Lungenentzündung zu erkennen. „Fast 75 Prozent der Hausärzte erkennen eine Lungenentzündung beim Abhören nicht“, erklärt Unternehmensgründer Wojciech Radomski. Im Gegensatz zum klassischen Stethoskop wartet StethoMe zudem noch mit einer Visualisierung der Geräusche auf – der Arzt kann Anomalien also auch sehen.
SMARTPHONE ÜBERWACHT HERZ
FibriCheck überwacht das Herz per Smartphone-App. (c) FibriCheck
An den Gedanken, Videos und Fotos mit dem Smartphone aufzunehmen, haben wir uns gewöhnt – aber mit der Handykamera das eigene Herz überwachen? Genau dies macht die App FibriCheck des belgischen Startups Qompium NV. Hierzu muss der User seinen Finger 60 Sekunden lang an die Kamera seines Smartphones halten. In dieser Zeit nimmt die Kamera die Haut auf (Photoplethysmogram). Den Herzschlag errechnet die App dann anhand der Verfärbungen der Haut, denn deren Farbe verändert sich durch das Pumpen des Herzens ständig. Skeptikern hält das Unternehmen entgegen, dass die App in Europa bereits als medizinisches Messinstrument zugelassen sei.
Zudem erkennt die Software Herzrhythmusstörungen und gibt laut Anbieter bei gefährlichen Störungen einen Warnung aus, um den User rechtzeitig zum Arztbesuch aufzufordern. Ferner generiert das System von den Messungen einen dreiseitigen Report, der an den Nutzer gemailt wird.
THERAPIE VIA SMARTPHONE
Gemessen wird bei FibriCheck mit photoplethysmografischen Signalen. (c) FibriCheck
Auf das Smartphone setzt auch das dänische Startup Monsenso. Es will mit seiner App Patienten mit psychischen Erkrankungen unterstützen. Auf dem Smartphone erhält der Patient täglich einen Fragenbogen, auf dem er seinen Zustand selbst einschätzt. Diese Informationen erhält dann der Arzt, der so die weitere individuelle Therapie planen und etwa via Smartphone an den Betreuer weiterleiten kann. Bei Monsenso unterstreicht man vor allem zwei Aspekte der Lösung: Zum einen könnten so die Patienten einfacher einen Therapeuten finden und mit ihm aktuell in Kontakt bleiben. Zum anderen wären so alle Beteiligten über den Behandlungsverlauf informiert und könnten bei Komplikationen schneller und zielgerichteter reagieren.
Nach der Messung erstellt die FibriCheck-App einen Report. (c) FibriCheck
Ganz der Diagnose von neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer widmet sich das finnische Startup Combinostics mit seinen Apps cDSI und cMRI. Ergänzend dazu haben die Finnen noch die Cloud-Plattform CNeuro aufgebaut. In dieser Plattform sollen die Ergebnisse neurologischer Test zusammengefasst und analysiert werden. Auf diese Weise soll nicht nur eine sichere Diagnose gewährleistet werden, sondern dem Arzt auch entsprechende Therapievorschläge unterbreitet werden.
MIT DEEP LERNING ZUR THERAPIE
Diese Gedanken, medizinische Daten und Bildgebungsverfahren mit Machine Learning oder Deep Learing besser zu analysieren und via Cloud möglichst viele Vergleichsmuster zu erhalten, verfolgen noch andere Unternehmen. Etwa die britische Optellum Ltd., die mit ihrem System die Erkennung und Behandlung von Lungenkrebs verbessern will. Dabei fahren die Briten mehrgleisig. Zum einen setzen sie auf ein Expertennetzwerk aus tausenden Mediziner, zum anderen auf KI um große Mengen an Röntgenbildern und Patientenaufzeichnungen auszuwerten.
AI VERBESSERT DIE DIAGNOSE
Der Auswertung von Röntgenbildern hat sich auch die Wiener Contextflow GmbH gewidmet. Dabei kombiniert die gleichnamige Software der Firma Suchmaschine, Bildverarbeitung und Machine Learning auf einer Plattform. Radiologen verspricht das Wiener Startup so schneller zu genaueren Befunden zu kommen. Hierzu müssen die Ärzte nur den entsprechenden Bereich einer Röntgenaufnahme auswählen und das System sucht in seinen Datenbanken nach vergleichbaren Fällen zu Diagnose. Fernen liefere die Software zudem gleich die passende Fachliteratur zum Befund.
Die digitale Krebsbekämpfung steht bei der kalifornischen CureMatch Inc. im Fokus. Ein auf KI basierendes Decision Support System soll Onkologen dabei helfen, die passenden Medikamente für eine personalisierte Krebstherapie zu finden. Hierzu analysiert die Software Genom-Sequenzen, die Daten früherer Krebspatienten sowie Millionen bekannter Krebstherapien. Hieraus errechnet das System dann laut CureMatch eine personalisierte Behandlung.
*Jürgen Hill ist Teamleiter Technologie für die computerwoche.de


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