Die drei Typen der Big-Data-Experten

Die Knappheit an gut ausgebildeten IT-Fachkräften ist für CIO ein weit verbreitetes Phänomen. Innerhalb dieses allgemeinen Mangel-Szenarios zeichnet sich noch ein zunehmender spezieller Notstand ab: Je mehr sich das Hype-Thema Big Data in Unternehmen in tatsächlichen Projekten zur Analyse riesiger, unstrukturierter Datenberge manifestiert, desto mehr wächst der Bedarf an Experten auf diesem Gebiet. [...]

Wen genau IT-Chefs für diese Aufgaben einstellen sollten, ist gleichzeitig noch unklar. Die Profile von Big-Data-Experten schälen sich erst langsam heraus. Laut der jährlichen Trendumfrage des deutschen IT-Branchenverbands Bitkom ist Big Data nach Cloud Computing und mobilen Anwendungen 2013 das wichtigste Thema. Und aus Sicht der IT-Berater von Accenture ist der Fachkräftemangel auf diesem Gebiet bereits im Entstehen. „Auf Online-Stellenbörsen im deutschen Markt hat eine Suche nach dem Begriff Big Data mehr als tausend Angebote ausgespuckt“, sagt Jörg Besier, Analytics-Chef für die DACH-Region bei Accenture. Der Befund lässt aus seiner Sicht eine ähnlich starke Entwicklung erwarten wie in Ländern wie etwa Großbritannien, in denen schon mehr Unternehmen Big-Data-Analysen durchführen als hierzulande.

In welchem Ausmaß IT-Abteilungen die Suche nach Big-Data-Fachleuten verstärken, verdeutlicht eine Auswertung der Freiberuflervermittlung Gulp. 2012 verzeichnete das Portal 348 Projektanfragen nach Freelancern mit einer Spezialisierung auf Big Data. Das ist zwar an sich keine große Zahl, aber fünf Mal so viel wie im Jahr zuvor. Und die Stundensatzforderungen dieser Spezialisten liegen mit 79 Euro gut fünf Euro über dem Durchschnitt aller rund 80.000 bei Gulp eingetragenen IT- und Engineering-Freelancer. Fast 60 Prozent der Big-Data-Experten verlangen zwischen 70 und 90 Euro in der Stunde, während sich nur 40 Prozent aller Freelancer in diesem Bereich bewegen.

DER ALLESKÖNNER
Welche Fertigkeiten Unternehmen von den Experten verlangen, ist unterschiedlich. Mal sind es Kenntnisse, Informationen aus verschiedenen Quellen für neue Angebote wie etwa ortsbezogene Dienste zu kombinieren, mal fragen sie speziell nach Erfahrungen mit Datenbanken etwa in Petabyte-Dimensionen. „Den einen Big-Data-Spezialisten gibt es nicht“, sagt Gulp-Sprecherin Susanne Schödl.

Auch wenn speziell bei Gulp nur selten explizit danach gesucht wird, fällt in der Diskussion um das Profil von Big-Data-Experten wohl am häufigsten der Begriff des „Data Scientists“. Er soll „kreativ, frei und möglichst bereichsübergreifend mit den Daten arbeiten, buchstäblich jonglieren“, sagt Holm Landrock, Senior Advisor bei der Experton Group. Spricht man mit Fachleuten, so lässt sich als gemeinsamer Nenner ein Profil des Data Scientist herausmeißeln, das auf der Kombination aus Mathematik beziehungsweise Statistik, Informatik/IT und Business-Wissen fußt. Mit diesem Dreigestirn als Werkzeug soll ein Data Scientist „Business-Probleme in Analysefragen übersetzen und Lösungen entwickeln in Bereichen, in denen es noch keine Standardlösungen gibt“, sagt Michael May, Abteilungsleiter Knowledge Discovery beim Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS). Holm Landrock empfiehlt an Kenntnissen zusätzlich psychologisches und technisches Wissen sowie Medienkompetenz. Dieses Profil könne in einer zwei- bis dreijährigen Berufsausbildung vermittelt werden, meint der Analyst. Die IT-Branche sollte nach Ansicht der Experton Group ein solches Berufsbild gemeinsam mit Bildungseinrichtungen oder Industrie- und Handelskammern etablieren. Gleichzeitig braucht es laut Landrock aber auch Datenwissenschaftler mit akademischem Hintergrund. „Ein guter Mathematiker hat schon die wichtigsten Fähigkeiten eines Data Scientists, er müsste jedoch zusätzlich noch ein Modul in BWL oder VWL hören“, sagt der Analyst. Umgekehrt könnte sich auch ein Volks- oder Betriebswirt zusätzlich vertiefte Statistik- oder Mathematik-Kenntnisse aneignen.

DER ANALYTISCHE
Gemeinsam ist den Vorstellungen von Data Scientists, dass es Fachleute mit diesem Profil nicht von der Stange gibt. „Dieses Universal-Know-how, am besten noch gekoppelt mit Erfahrung etwa in Hadoop, bringt ja niemand von der Uni mit“, sagt Jörg Besier von Accenture. Lässt sich all das nicht in einer Person finden, so hält Holm Landrock es für „pragmatisch“, die Aufgaben aufzuteilen. Ein Data Scientist müsste ihm zufolge die Anwendung, die Daten nach seinen Vorstellungen analysiert, ja nicht selbst schreiben. „Damit beauftragt er einen Programmierer“, sagt Landrock. Auch für Michael May kommt „als Behelfslösung eine Arbeitsteilung zum Beispiel zwischen Informatikern und Statistikern infrage“. Jörg Besier plädiert sogar für eine Arbeitsteilung, und das nicht nur als Notlösung. Er setzt den Schnitt an anderer Stelle: Firmen sollten die eigentliche Arbeit der Big-Data-Experten „sauber vom technischen Daten-Management abtrennen“. Letzteres sei Aufgabe der klassischen IT-Abteilung. Den Data Scientists hingegen komme es zu, „die wirklich neuen Insights zu gewinnen und in den Business-Kontext zu übersetzen“.

Für Besier hat diese Arbeitsteilung auch eine organisatorische Komponente, die letztlich sogar die Stellung des CIO im Unternehmen berührt. Ihr analytisches Talent – Statistiker, Mathematiker – sollten Firmen nach seiner Vorstellung in einem Center of Excellence oder als Shared Service Center zusammenführen. „Entstehen könnte so eine Art neue IT-Abteilung, die neue Analytics-Ansätze in gleicher Form in alle Bereiche trägt“, sagt Besier. Statt über Prozesse könne sich der CIO so künftig wieder stärker über das „I“ in seinem Titel definieren. „Was die IT hier schon an die Fachabteilungen verloren hat, kann sie zurückgewinnen. Der CIO muss dafür klarmachen: Ich bin der, der Datenstrategie und Datenarchitektur mitbestimmt“, sagt Besier.

DER KREATIVE
In die Sphäre von Big Data gehört eine weitere Komponente: Kreativität. „Mathematik hat sehr viel mit Kreativität zu tun“, sagt Jörg Besier. Und Michael May erläutert: „Ganz typisch für Big Data ist es, dass ein Kunde ein Problem schildert, für das man schöpferisch eine neue Lösung finden muss.“ Häufig müsse man als Fachmann für Big Data sogar die Fragestellungen erst entwickeln, die man auf Datensätze anwenden wolle. Holm Landrock von der Experton Group sieht sogar Raum für ein eigenes Expertenprofil mit dem Schwerpunkt Kreativität. Er plädiert dafür, außer dem Data Scientist den Ausbildungsberuf des Data Artists ins Leben zu rufen. Dessen Aufgabe sei es, aus Daten gewonnenes Wissen zu visualisieren. Er solle sich in der Ausbildung mit Grafikdesign, Psychologie, Mathematik, IT und Kommunikation beschäftigen, rät der Analyst.

Ausbildungen zu Big-Data-Experten oder Data Scientists gibt es zwar schon einige, es ist aber auf jeden Fall noch viel Ausbaupotenzial vorhanden. HP beispielsweise hat Anfang diesen Jahres ein Schulungs- und Zertifizierungsprogramm für Big-Data-Lösungen auf Grundlage der HP-Vertica-Analytics-Plattform gestartet. Das Programm soll Fach- und Führungskräften vermitteln, wie sie strukturierte, semi- und unstrukturierte Daten für die Wertschöpfung im Unternehmen nutzbar machen können. Das Schulungsprogramm soll sicherstellen, dass mit Big-Data-Analysen betraute HP-Vertica-Systemadministratoren, Datenbank-Analysten und Anwendungsentwickler über notwendige Fähigkeiten verfügen.

EMC bietet einen fünftägigen Kurs zu Data Science and Big Data Analytics. Neben einer Einführung zu Big Data sowie zum Data Analytics Lifecycle soll dieser Kurs grundlegende und fortgeschrittene Analyse­methoden sowie eine Einführung in die Technologien und Werkzeuge vermitteln. Auch Eduvision bietet mit dem Seminar Big Data fünftägige In-House-Schulungen oder maßgeschneiderte Kurse an, um Fachkräften zu ermöglichen, eine erste Big-Data-Strategie aufzustellen. Auch SAS bietet zu den Themen Analytics oder BI Schulungen an. (idg/mi)


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