Sind Sie ein Kontrollfreak? Ein Infrastruktur-Junkie? Ihre Tech-Süchte könnten für Ihr Unternehmen ein Problem darstellen. Hier geht's zum kalten Entzug. [...]
Jeder hat schlechte Angewohnheiten, aber manchmal können sie zu Zwängen werden. Während Technologieabhängigkeit speziell für Teenager ein Problem darstellt, haben IT-Profis ihre eigenen Macken.
Egal, ob Sie ein Infrastruktur-Junkie oder ein Slack-Fan sind, ob Sie Datendrachen hinterherjagen oder von den blinkenden Lichtern Ihres Dashboards fasziniert sind: Ihre Tech-Süchte können Produktivitätseinbußen bedeuten, Budgets belasten und Innovationen verlangsamen. Die Unfähigkeit, die Kontrolle abzugeben, kann zu Technologiesilos und Grabenkämpfen führen. Übermäßige Abhängigkeit von künstlicher Intelligenz kann dem Unternehmen schaden. Und die schönsten neuen Spielzeuge sind möglicherweise nicht die kostengünstigsten Lösungen für Ihr Unternehmen.
Der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung besteht darin, zuzugeben, dass man ein Problem hat. Der nächste Schritt besteht darin, folgende Tipps zu lesen, wie man seine schlechten Angewohnheiten los wird.
IT-Sucht Nr. 1: Daten
Da Daten fast jede geschäftliche Entscheidung bestimmen, liegt es auf der Hand, dass der Appetit der Unternehmen unersättlich ist. Aber Daten planlos zu sammeln kann schlimmer sein als gar keine Daten zu sammeln. Laut Umfragen von Square Root verbringen die Mitarbeiter mehr als 20 Stunden pro Woche mit dem Sammeln und Analysieren von Daten, aber mehr als 40 Prozent der Unternehmen verwenden diese Daten nicht.
„Organisationen sind in einer Paralyse durch Analyse gefangen“, sagt Sarah Kampman, Vice President Product bei Square Root. „Die Informationen führen nicht zu Verhaltensänderungen, die den Erfolg vorantreiben.“
Anstatt sich auf große Datenmengen zu konzentrieren, sollten sich Unternehmen besser auf kleine Datenmengen konzentrieren, die für sie relevant sind. „Die Erfassung Ihrer Unternehmensdaten in Stapeln von mehreren Petabyte wird Ihre Organisation nicht auf magische Weise in ein schlankes, hyperperformantes Data-Mining-Unternehmen verwandeln“, stimmt Mike Meikle zu, Partner von SecureHIM, einem Beratungsunternehmen, das auf Informationsmanagement und Sicherheit im Gesundheitswesen spezialisiert ist. „Keine Frage, Daten sind wertvoll, aber zu wissen, was zu behalten ist, wie man sie benutzt und wer sie verwaltet, ist genauso wichtig.“
Die Heilung: Sie müssen sich das Datensammeln nicht abgewöhnen, aber Sie sollten selektiver sein, was Sie mit den Daten tun. „Identifizieren Sie jene Daten, die für Geschäftsentscheidungen wirklich wichtig sind, alles andere verwerfen Sie am besten“, so Meikle.
IT-Sucht Nr. 2: KI
Wie Big Data sind künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen aktuelle Schlagworte. Gewöhnlich laufen die Gedanken so ab: Man schafft einen riesigen Datenpool, führt ihn durch maschinelle Lernmodelle – und voilà: Sofort hat man tiefe Einblicke ins Business.
Nun, so ist es nicht ganz. „Egal, was Sie darüber gelesen haben, KI ist nicht die Lösung für jedes Problem“, bemerkt Cristian Rennella, Mitbegründer und CIO von oMelhorTrato, einem Finanzdienstleistungs-Marktplatz in Brasilien.Nach neun Jahren, in denen die HR-Abteilung Fragen der Mitarbeiter per Live-Chat und Telefonanrufen beantwortet hatte, wurde mit der Google-Plattform TensorFlow ein eigener KI-gesteuerter Chatbot entwickelt.
Es sei ein großer Erfolg gewesen, sagt Rennella. Das Unternehmen konnte Antworten auf 67 Prozent aller Fragen automatisieren und die Mitarbeiterproduktivität um 24 Prozent verbessern. Der KI-Chatbot erwies sich als ebenso nützlich für die automatisierte Beantwortung von Verkaufsanfragen.
Aber als sie versucht haben, KI auf das Marketing zu übertragen, sei es zur Katastrophe gekommen, sagt er. KI konnte die Kundenbasis des Unternehmens nicht optimal segmentieren und die Conversions waren um 35 Prozent niedriger. „Wir haben gelernt, dass nicht alles mit KI optimiert werden kann“, sagt er. „Wir waren nie in der Lage, das gleiche Maß an Erfolg zu erreichen wie bei persönlichen Beziehungen.“
Das Heilmittel: Bevor Sie sich für KI-Lösungen entscheiden, sollten Sie zunächst kleine Pilotprojekte durchführen, um zu sehen, wie erfolgreich diese für jeden Anwendungsfall sein könnten, sagt Rennella.
IT-Sucht Nr. 3: Infrastruktur
Viele CIOs haben den größten Teil ihrer Karriere damit verbracht, Rechenzentren zu verwalten. Viele dieser Leute sind oft nicht in der Lage oder nicht bereit, loszulassen. „Sie sind nach der Infrastruktur geradezu süchtig“, sagt Chandra Sekar, Vice President Marketing bei Avi Networks, einer Cloud-basierten Application-Delivery-Plattform.
„Das Surren der Ventilatoren und die blinkenden Lichter gaben den Menschen ein Gefühl von Kontrolle und Macht“, sagt er. „Wenn sie an den Serverreihen vorbeigingen, konnten sie nicht umhin, mitzuzählen. Je mehr Server sie hatten, desto besser war das Unternehmen. Hardware war wie eine Sucht.“ Sekar, der sich selbst als „recovering engineer” bezeichnet, sagt, dass er seine Sucht überwunden hat, als er begann, für Unternehmen zu arbeiten, die sich mit Cloud Computing beschäftigten.
„Cloud-Migration ist einer der größten Trends in der Unternehmens-IT, aber nicht alle IT-Profis können ihre Abhängigkeit von Hardware aufgeben“, sagt er. „Wenn man eine Hardware-zentrierte statt anwendungszentrierte Sicht besitzt, verlangsamt sich die Fähigkeit eines Unternehmens, innovativ und erfolgreich zu sein.“
Das Heilmittel: Denken Sie bewusst darüber nach, welche Applikationen und Dienste Sie wirklich im Haus haben müssen, und verfrachten Sie den Rest in die Cloud. „Dies wird CIOs befreien, um strategischer über das Geschäft nachdenken zu können“, sagt Doug Bordonaro, Chief Data Evangelist bei ThoughtSpot. „CIOs verbringen zu viel Zeit mit Infrastruktur und zu wenig Zeit damit, das Geschäft zukunftssicher zu machen“, sagt er. „Sie müssen die Infrastrukturabhängigkeit aufbrechen und mehr Zeit etwa damit verbringen, die Mitarbeiter mit hochmodernen Skils auszustatten.“
IT-Sucht Nr. 4: Slack
Von allen Echtzeit-Business-Kommunikations-Tools hat Slack eine spezielle Nische in der Welt der Technologie gefunden. Und es macht süchtig. Das Problem ist, dass Unternehmen sich so sehr auf das Chat-Tool verlassen, dass es zur dominierenden Form der Kommunikation wird. Am Ende des Tages verbringen die Leute mehr Zeit damit, sich zu entspannen als zu arbeiten.
Dave Teare, Mitbegründer und CTO von AgileBits, den Machern von 1Password, kennt das Problem genau. Vor zwei Jahren schrieb er im Blog seines Unternehmens, dass die zunehmende Abhängigkeit von Slack schädlicher als hilfreich geworden sei. „Langsam aber sicher hat diese Sucht meine geistige Gesundheit gefährdet und unsere Produktivität geschwächt, da wir Slack einfach zu intensiv benutzt haben“, schrieb er.
Als AgileBits mit Slack anfing, waren alle begeistert. Schon bald hatten die 60 Mitarbeiter des Unternehmens 81 öffentliche Slack-Kanäle geschaffen. Immer, wenn Mitarbeiter Fragen hatten, war Slack die erste Anlaufstelle, selbst wenn bessere Optionen wie interne Wikis und Wissensdatenbanken verfügbar waren. Aber je mehr Gespräche geführt wurden, desto schwieriger wurde es, tiefergehende Diskussionen zu führen.
„Die Sache ist die, dass man nicht unbedingt effektiv kommuniziert, nur weil man verbunden ist“, schrieb Teare. Teare sagt zudem, er habe sich verzweifelt bemüht, mit all den Slack-Dialogen in seinem Unternehmen Schritt zu halten und in seinen Antworten immer knapper zu werden, bevor er sich endlich dazu entschloss, für eine Weile den Stecker zu ziehen.
Als AgileBits einige Wochen später zu Slack zurückkehrte, hatte das Unternehmen neue Regeln aufgestellt: „Kanäle fokussierter halten, weniger Teammitglieder zu jeder Diskussion einladen und Slack nur für kurze Chats nutzen“, erklärt Jeff Shiner, der CEO des Unternehmens. Wenn eine Diskussion gespeichert oder archiviert werden soll, verwendet AgileBits andere Tools wie Workplace.
Das Heilmittel: „Erstellen Sie Regeln rund um Slack und andere Formen der Unternehmenskommunikation. Ermutigen Sie beispielsweise Mitarbeiter, den Videochat zu verwenden, um Probleme zu lösen, oder fordern Sie sie auf, zu telefonieren, wenn der E-Mail-Verkehr länger hin- und hergehen würde“, sagt Jimmy Carroll, von TetraVX, einem Unternehmen, das Kommunikations– und Collaboration-Lösungen herstellt. „Aber das muss von oben nach unten gemacht werden“, sagt er. „Sie brauchen Maßnahmen, um Ihre Mitarbeiter vor sich selbst zu schützen.“
IT-Sucht Nr. 5: Kontrolle
Da sich immer mehr Unternehmen zu „Digital first“-Organisationen entwickeln, ziehen einige IT-Profis instinktiv vor, ihr Terrain zu schützen, indem sie Wissen horten und Mini-Lehnsgüter errichten. Sie sind süchtig nach Kontrolle über ihre Kompetenzbereiche.
Das Auftauchen neuer C-Mitarbeiter, wie Chief Digital Officer, Chief Experience Officer oder Chief Marketing Technology Officer, schafft ein noch größeres Potenzial für Grabenkriege, da jeder hofft, seine eigenen Teil des Technologie-Kuchens abzubekommen.
„Wenn jeder nur nach seiner eigenen Agenda lebt, ist die Katastrophe nicht weit“, sagt Scott Kitlinski, CIO und Vizepräsident für Managed Services bei Astadia, einer Cloud-Beratungsfirma. „Sie alle spielen unterschiedliche Rollen, die synergetisch zusammenpassen sollten“, sagt er. „Es geht allen besser, wenn sie sich zusammenschließen und die Budgets im Interesse der Organisation ausgeben.“
Das Heilmittel: „Geben Sie die Illusion der Kontrolle auf und setzen Sie stattdessen auf Transparenz“, sagt Meikle. „Anstatt Wissen zu horten, sollten Sie es teilen“, sagt er. „Belohnen Sie Ihre Mitarbeiter für den Austausch von Informationen und für die Unterstützung anderer. Setzen Sie Prozesse ein, um Transparenz in der Funktionsweise der IT-Abteilung zu schaffen.“
IT-Sucht Nr. 6: Blinkende Lichter
Die Wissenschaft hat gezeigt, dass jedes Mal, wenn das Telefon läutet, Dopamin durch das Gehirn fließt. Techniker, die ihre Augen nicht von einem Überwachungs-Dashboards lassen können, machen Benachrichtigungen ebenso süchtig, indem sie gespannt auf das nächste blinkende Licht warten.
„Ständige zufällige Benachrichtigungen entziehen Ihre Aufmerksamkeit und machen Ihre Fähigkeit zur produktiven Arbeit zunichte“, sagt Prince Ghuman, Professor für Neuromarketing, Kommunikation und Unternehmertum an der Hult International Business School.
„Wir haben eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne und unsere Willensstärke ist ebenfalls begrenzt“, ergänzt Ghuman, der ein Buch über digitale Sucht mitveröffentlicht hat. „Jedes Mal, wenn Sie einer Benachrichtigung nachgehen, wird Ihre Willensstärke aufgebraucht. Ist diese Willensstärke früh am Tag erschöpft, werden Sie am späteren Tag eher schlechtere Entscheidungen treffen.“
„Sie wissen, dass Sie süchtig nach Benachrichtigungen sind, wenn Sie merken, dass sie Sie von Ihrer Arbeit abhalten“, sagt Leon Adato von SolarWinds. „Wenn Sie sich schuldig fühlen, zu viel Zeit am Dashboard verbracht zu haben, ist das ein klares Zeichen.“
Die Heilung: „IT-Profis müssen disziplinierter sein, wie sie ihre Zeit verbringen“, unterstreicht Adato. „Verwenden Sie Tools, mit denen Sie wichtige Benachrichtigungen erkennen und filtern können, und legen Sie fest, wie viel Zeit Sie an Dashboards verbringen, anstatt die eigentliche Arbeit zu erledigen.“
IT-Sucht Nr. 7: Glänzende neue Objekte
Jeder liebt neue Spielzeuge. Aber wenn diese Liebe in Schränken voller ungenutzter Hardware und Lizenzen für Software resultiert, die mit der Zeit vergessen sind, dann haben Sie ein Problem. „Die neueste Hardware oder Software sind kein Allheilmittel, um Ihre wichtigsten IT-Probleme zu lösen“, bemerkt Meikle. „Menschen und Prozesse sind mindestens genauso wichtig wie die gesamte Hardware und Software in Ihrem Arsenal.“
Das Heilmittel: Meikle schlägt vor, Geld für die Ausbildung der Mitarbeiter zu verwenden, anstatt den neuesten Dingen nachzujagen. „Bilden Sie ein Team, um Ihre Projekte zu verwalten. Und stellen Sie sicher, dass es für jeden größeren Kauf eine klare Rechtfertigung gibt.“ Und: „Wenn Sie keine geschäftliche Rechtfertigung für einen IT-Einkauf haben, sollten Sie sich von den Hochglanz-Versprechen der Industrie trennen und zu den Grundlagen zurückkehren“, so Mike Meikle abschließend.
*Dan Tynan schreibt unter anderem für das US-amerikanische Magazin CIO.
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