Vieles wird falsch gemacht bei der E-Mail-Nutzung. Die Folgen sind eine sinkende Produktivität und Stress. Doch es gibt einfache Hilfen. [...]
Wie bearbeiten Sie eigentlich Ihre E-Mails? Lesen Sie Ihre elektronische Post systematisch jeden Morgen oder eher zwischendurch? Ordnen oder filtern Sie die eingehenden Nachrichten oder kommt alles auf den großen digitalen Haufen „für später“? Schreiben Sie nur Geschäftliches oder alles, was Ihnen in den Sinn kommt oder lustig ist? Schicken Sie Ihre Mails gern an alle oder nur an ausgewählte Empfänger?
Lassen Sie sich vom E-Mail-Client über neue Post benachrichtigen, oder schauen Sie sowieso ständig nach? – Auf Fragen wie diese können geschäftliche E-Mail-Nutzer meist keine eindeutigen Antworten geben. Nur in einem Punkt sind sich heute die meisten einig: Sie sehen in der Informationsflut durch E-Mails eine der Hauptursachen für Stress und Unkonzentriertheit am Arbeitsplatz.
Tatsächlich finden sich dramatische Hinweise, dass etwas schief läuft in den Arbeitsvorgängen, die heute ohne elektronischen Geschäftsverkehr nicht mehr vorstellbar sind. So ergab im letzten Jahr eine Umfrage der US-amerikanischen Beratungsfirma Basex unter „Wissensarbeitern“, dass ein typischer IT-Angestellter 28 Prozent seiner Arbeitszeit unproduktiv verbringt, weil ständig unwichtige Nachrichten per Telefon, E-Mail oder Instant Messages eingehen. Elf Minuten kann durchschnittlich ein „Knowledge Worker“ arbeiten, bis er von irgendetwas oder irgendjemanden unterbrochen wird, fand 2005 eine Untersuchung der University of California heraus.
220 Milliarden E-Mails am Tag
Die jährlichen Kosten durch Arbeitsunterbrechungen beziffert Basex allein in den USA auf 900 Milliarden Dollar im Jahr (711 Milliarden Euro). Eindeutige Zahlen steuerte auch die Radicati Group bei, die von einem weltweiten Aufkommen von 220 Milliarden E-Mails am Tag ausgeht. Gartner prognostiziert, dass sich diese Summe um jährlich 40 Prozent erhöhen wird.
Zwar beziehen solche Zahlen den privaten E-Mail-Verkehr mit ein, doch scheint klar, dass auch im professionellen Umfeld die elektronische Post im Arbeitsalltag immer mehr (produktive) Zeit und Speicherressourcen frisst. So ergab kürzlich eine von Adobe Systems in Auftrag gegebene Umfrage unter 3.000 europäischen „Knowledge Workern“ dass 92 Prozent aller Befragten E-Mails nutzen, um Informationen auszutauschen und abzustimmen – aber nur 60 Prozent der Büroangestellten mit E-Mail-Kommunikation als Methode der Zusammenarbeit zufrieden sind.
Risiken und Kosten nehmen zu
Der laxe und unsachgemäße Umgang mit oft geschäftlich relevanten E-Mails hat weit reichende und derzeit viel diskutierte Folgen für Unternehmen: Sie verlangsamen Geschäftsprozesse, werfen komplexe rechtliche Fragen auf (aufbewahrungswürdige und aufbewahrungspflichtige Dokumente) und treiben die Infrastruktur- und Supportkosten in die Höhe (Eine Studie von BearingPoint wirft hierzu einen Blick in deutsche Unternehmen).
Hilfe versprechen heute Softwareprodukte für E-Mail-Management, die meist Collaboration-Lösungen wie Lotus Notes, Microsoft Outlook oder auch den Microsoft Sharepoint Server erweitern und Anwender zu einer systematischen (manuellen oder automatisierten) Ablage wichtiger Korrespondenz zwingen – immer vorausgesetzt, es gibt klare Unternehmensrichtlinien. Ebenso finden sich spezielle E-Mail-Response-Management-Systeme, die beispielsweise in Call-Centern eine strukturierte, automatisierte und nachvollziehbare Bearbeitung großer Mengen eingehender E-Mails ermöglichen sollen.
Trotz dieser Hilfsmittel, die zusammen mit hoffentlich leistungsfähigen Spam-Filtern und Firewalls die E-Mail-Flut eindämmen beziehungsweise kanalisieren sollen, bleibt der persönliche Umgang mit E-Mails am Arbeitsplatz ein Zeit- und Mengenproblem – mit dem die Geschäftsleitungen ihre Mitarbeiter meist allein lassen.
Unstillbare Neugier
Viele Nutzer sind mittlerweile so konditioniert, dass sie es nicht aushalten, neu eintreffende E-Mails nicht zu öffnen. So zeigte im letzten Jahr eine Umfrage des Branchenverbands Bitkom zum Einsatz von Handys und E-Mail, dass ein Viertel der beruflichen Nutzer permanent nebenbei in seinen Posteingang schaut. Ein weiteres Drittel liest immerhin mehrmals täglich seine E-Mails. Dabei sind laut der Umfrage eigentlich nur 40 Prozent der elektronischen Nachrichten wirklich wichtig.
Um die eigene Produktivität bei der E-Mail-Nutzung zu steigern, müssen Nutzer ihr Verhalten ändern. Das fängt schon vor dem Schreiben und dem Versand an: Anwender sollten überlegen, ob eine E-Mail überhaupt das richtige Instrument für ihr Anliegen ist und welchen Verteiler sie wählen. So sei elektronische Post für einfache Anweisungen, Rückfragen oder Absprachen ein probates Kommunikationsmittel, rät die Stiftung Produktive Schweiz. Ansonsten könne der Griff zum Telefon oder ein kurzes Meeting der bessere Weg sein, um Missverständnisse und unproduktive Pingpong-Effekte durch zu viele Rückfragen per Mail zu vermeiden.
Posteingang täglich ausmisten
Oft legen Anwender beim Verfassen von E-Mails auch zu wenig Wert auf eine aussagekräftige Betreffzeile. Sie sollte laut Praktikern neben dem Anliegen auch signalisieren, ob vom Empfänger eine Antwort oder Reaktion erwünscht ist. Ferner sollte der Absender sein Schreiben klar strukturieren, indem er die wichtigsten Informationen voranstellt, den Text durch Aufzählungszeichen gliedert und nicht zu viele Themen in einer Mail vermengt.
Der Schulungsanbieter Digicomp rät zudem, Vorlagen oder Textbausteine für immer wiederkehrende Formulierungen zu nutzen, um so elektronische Briefe schneller verfassen zu können. Auch sei es ein Zeichen von „Netikette“, ein Textformat anstelle von schwerer zu nutzenden HTML-formatierten Mails zu verwenden sowie Dateianhänge über 0,5 MB nur auf Wunsch zu verschicken.
Viele Fehler werden ebenfalls beim Umgang mit eingehenden E-Mails gemacht. So rät die Stiftung Produktive Schweiz Anwendern davon ab, E-Mails als Pausenfüller zu sehen oder sie während Konferenzen zu betrachten. Besser sei es aus Gründen der Produktivität, sich täglich einen bestimmten Zeitpunkt für ihre Bearbeitung zu reservieren. Fabian Fischer, Mitglied der Geschäftsführung der Unternehmensberatung Beck et al., empfiehlt zudem den regen Gebrauch von Inbox-Filtern im E-Mail-Client.
Ziel müsse es sein, den Posteingang möglichst frei zu bekommen und stattdessen eingehende Post über vordefinierte Regeln in logisch strukturierte Unterordner zu verfrachten. Auch sei es eine große Hilfe, die automatische Benachrichtigungsfunktion der E-Mail-Software auszuschalten. Und schließlich rät Fischer, auf andere Kommunikationskanäle wie etwa Teamspaces auszuweichen.
Werden E-Mails bearbeitet, sollten Anwender sich an Regelmäßigkeit gewöhnen und nach Möglichkeit jede E-Mail nur einmal anfassen. Dabei ist die Frage zu stellen: Muss ich etwas erledigen? Guido Schmitz, Vorstand der Pentadoc AG, sieht hier drei Möglichkeiten: „Was weniger als zwei Minuten Zeit braucht, wird sofort erledigt. Was delegiert werden kann, wird sofort delegiert, und was länger dauert, wird geplant.“ Unwichtige E-Mails, die aber im Posteingang immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sollte man sofort löschen.
Es gibt keine Patentrezepte
Schwierig sind hingegen Schreiben, deren Nutzen und Bedeutung nicht klar ist oder für die man momentan keine Zeit hat: „Solche E-Mails lege ich in den Ordner Vielleicht/Irgendwann, den ich einmal in der Woche prüfe“, beschreibt Schmitz seine ganz persönliche Lösung. Hilfreich kann es auch sein, diese E-Mails in den Kalender zu kopieren und sich dort Zeit für die Bearbeitung zu reservieren oder sie in eine Aufgabenliste zu stellen. „Am Abend muss aber der Posteingangskorb leer sein“, hat sich Schmitz vorgenommen.
Wer die Produktivität in Sachen E-Mail steigern will, sollte sich alle guten Ratschlägen zum Trotz nichts vormachen: Es gibt keine Patentrezepte. Mit Sicherheit sind aber E-Mails nur einer von mehreren Faktoren, die den Arbeitsrhythmus unterbrechen und Stress verursachen. Wer seine Produktivität steigern will, sollte ehrlich mit sich selbst sein und auch die anderen Störer identifizieren und – wenn möglich- besser kontrollieren. Zeiten der Ungestörtheit während des Arbeitsalltags sind wichtig- sei es, um Aufgaben gewissenhaft zu erledigen oder aber den eigenen Akku nach Stressphasen wieder aufzuladen.
E-Mail richtig nutzen
Neben Unternehmensrichtliinien und rechtlichen Vorgaben gibt es einige Verhaltensregeln, die die persönliche Arbeit mit der elektronischer Post erleichtern und organisieren helfen:
- Verwenden Sie E-Mail nur dann für die Kommunikation, wenn Sie damit keine Pingpong-Korrespondenz auslösen.
- Überlegen Sie grundsätzlich, ob nicht ein persönlicher Kontakt sinnvoller und ergiebiger sein kann als der virtuelle.
- Prüfen Sie, für welche Szenarien sich andere Kommunikationsformen wie Teamspaces oder Blogs besser eignen.
- Nutzen Sie Mails nicht als Pausenfüller oder zur Ablenkung. Bearbeiten Sie Ihre E-Mails nur ein- bis zweimal am Tag.
- Halten Sie Ihre Inbox frei.
- Schalten Sie die Benachrichtigungsfunktion ab.
- Bearbeiten Sie eine E-Mail wenn möglich nur einmal.
- Schaffen Sie Ordnung durch Filter und Regeln, die E-Mails automatisch in Unterordner verschieben.
- Behalten Sie Ihre Aufgaben mit den Kalender- und Aufgabenfunktionen unter Kontrolle.
- Überlegen Sie, wen Sie adressieren, und schreiben Sie klare Betreffzeilen, die auch die Dringlichkeit und die Art der Mail signalisieren.
- Strukturieren Sie Ihr Schreiben (Wichtiges nach vorn, Aufzählungen, kein bunter Themenmix).
- Nutzen Sie Vorlagen und Textbausteine.
- Schreiben Sie Ihre Nachricht als Text statt im HTML-Format und verschicken Sie Dateianhänge über 0,5 MB nur auf Wunsch.
- Halten Sie sich an die Etikette und respektieren Sie Gruß- und Rechtschreibregeln.
Tipps gegen Stress am Arbeitsplatz
Auch wenn man glaubt, dass keine Zeit hat und sich schon irgendwie durchwursteln kann, sollte man aus eigenem Interesse die Empfehlungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Ernst nehmen:
- Abwechslung: Beugen Sie Ermüdungen vor, indem Sie Ihren Arbeitstag so abwechslungsreich wie möglich gestalten. Achten Sie darauf, Tätigkeiten, die eine hohe Konzentration erfordern, andere Arbeiten folgen zu lassen, die eher routinemäßig zu erledigen sind oder einen kommunikativen Schwerpunkt haben.
- Störquellen: Wenn Sie Konzentration für eine anspruchsvolle Aufgabe benötigen: Schalten Sie die Störquellen ab! Suchen Sie gegebenenfalls einen besonders ruhigen Arbeitsraum auf, schalten Sie das Telefon ab oder leiten Sie es um und signalisieren Sie Ihren Kollegen: Konzentrationsbedarf!
- Planung: Ein ausgewogenes und durchdachtes Zeit-Management vermindert Termindruck und bewahrt eigene Handlungsspielräume. Nicht vergessen: Keine Planung „auf die letzte Minute“, sondern Zeitpuffer schaffen!
- Pausen und Distanz: Nutzen Sie auch kleine Arbeitspausen zu bewusster Entspannung! Prüfen Sie genau, welche Eindrücke und Momente in Ihrem Arbeitstag es wirklich wert sind, dass Sie sich diese als „Stressoren“ zu Herzen nehmen. Es sind oft weniger, als man denkt.
*Sascha Alexander ist seit vielen Jahren als Redakteur, Fachautor, Pressesprecher und Experte für Content-Strategien im Markt für Business Intelligence, Big Data und Advanced Analytics tätig. Stationen waren unter anderem das Marktforschungs- und Beratungshaus BARC, die „Computerwoche“ sowie das von ihm gegründete Portal und Magazin für Finanzvorstände CFOWORLD. Seine Themenschwerpunkte sind: Business Intelligence, Data Warehousing, Datenmanagement, Big Data, Advanced Analytics und BI Organisation.
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