Bewerbende und Unternehmen müssen sich in einem digitalen HR-Management auf neue Spielregeln einlassen. Wir erklären, welche Schritte dabei wichtig sind. [...]
Klassische Ratgeber zum Thema ‚Richtig Bewerben‘ wandern in diesen Tagen in großen Mengen in den Papierkorb – und es ist höchste Zeit dafür. Denn während Produktion, Marketing, Buchhaltung, Verkauf und Logistik bereits durch massive Digitalisierungsschübe geprägt wurden, setzen viele Personalabteilungen immer noch auf das altbewährte System aus Stellenausschreibung, Bewerbung, Bewerbungsgespräch, eventuell Assessment-Center und Einarbeitung. Und viele dieser Prozessschritte sind bis heute nicht digitalisiert. Neue Mitarbeitende will man gerne face-to-face kennen lernen, um sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Und die Teamleitung will meist herausfinden, ob der Team-Fit passt und sich bestehende und zukünftige Teammitglieder gegenseitig ‚riechen‘ können.
Die Personalbeschaffung in Zeiten von New Work sieht allerdings anders aus. Denn die Ideen des New Work Philosophen Frithjof Bergmann zu Selbständigkeit, Entscheidungs- und Handlungsfreiheit sowie der Persönlichkeitsentfaltung in der sogenannten ‚New Work and New Culture‘ sind die perfekte Vorlage für neue Formen des Zusammenarbeitens im Zeichen von Agilität und Dezentralität auf Unternehmensseite, von persönlicher Freiheit, Vereinbaren von Beruf und Familie und dem Wunsch nach mehr Homeoffice auf Seite der Mitarbeitenden.
Die fortschreitende Digitalisierung schafft immer mehr Möglichkeiten und Tools, die die neuen Formen des Arbeitens und Zusammenarbeitens fördern. Doch wer von den Effekten dieser Entwicklung profitieren will, muss sich zunächst auf neue Spielregeln einlassen. Denn aus dem klassischen System zur Personalbeschaffung mit Preboarding und Onboarding ist inzwischen ein komplexes System geworden, das weit mehr als nur das Sichten einer Bewerbungsmappe und die Ergebnisse eines Vorstellungsgesprächs berücksichtigt. Ein neues Verständnis von digitalen ineinandergreifenden Prozessen und Aufgaben gewinnt an Bedeutung.
1. Digitales Employer Branding
Wer heute Mitarbeitende sucht, muss sich als Unternehmen in vielfältiger Weise präsentieren, denn Interessierte werden sich ihren ‚employer of choice‘ in der Regel erst einmal genau anschauen. Das Stichwort lautet hier digitales Employer Branding. Die Frage lautet, wie sich Unternehmen im digitalen Raum selbst darstellen und wie sie durch interessierte Personen bewertet werden. Das beginnt bei der Corporate Identity, geht über die Eigendarstellung auf Website und in sozialen Medien und endet bei der Bewertung des Unternehmens durch aktuelle und/oder ehemalige Mitarbeitende auf Bewertungsportalen wie Kununu, Jobvoting oder Glassdoor.
Wer gut strukturierte Informationen zur Verfügung stellen kann (etwa auch einen Traffic-starken eigenen HR-Bereich auf der Website), wer über soziale Medien bereit ist, auf Fragen und Kritik zu reagieren und von außen gute Bewertungen erhält, kann bereits mit diesem ersten digitalen Schritt in der Aufmerksamkeit punkten. Zusätzliche Unternehmensinformationen in den Portalen, über die die neue Stelle ausgeschrieben wird, schaffen darüber hinaus Mehrwert für die Arbeitgebermarke. Ob stepstone.de, monster.de, indeed.com oder der Stellenmarkt auf Xing – überall haben Arbeitgeber die Möglichkeit, eigene Profile zu hinterlegen und zusätzliche HR-Informationen einzubinden.
2. Digitales Bewerben
Die meisten Unternehmen haben diesen Schritt bereits digitalisiert. Stellenanzeigen erscheinen größtenteils digital. Auch Bewerbungen schickt heute niemand mehr in Papierform, sondern meist als pdf an die Ansprechpartner im Unternehmen. Einige Jobbörsen bieten darüber hinaus bereits die Möglichkeit, den Bewerbungsprozess direkt aus dem Portal heraus zu organisieren. Hier können Bewerbungen hochgeladen, Kommentare hinterlegt, Termine vereinbart sowie Zu- und Absagen erteilt werden. Der Vorteil: Die Liste der Interessenten muss nicht in ein anderes System übernommen werden. Zudem befinden sich Kommunikation und Unterlagen an einem gemeinsamen Speicherort in der Cloud.
Die Alternative dazu bildet eine spezielle HR-Software, die im besten Fall bereits eigene Schnittstellen sowohl zu Jobbörsen als auch zur eigenen Karriereseite mitbringt, Termine und die internen Bewertungen und Beteiligten managed und die Unterlagen bei Bedarf gleich in die digitale Personalakte übernimmt. Komplexere Systeme liefern heute on top Schnittstellen zur Gehaltsabrechnung inklusive DATEV-Integration und Zeiterfassung.
3. Preboarding
Die Unterlagen sind geprüft. Jetzt werden Bewerberinnen und Bewerber einem ersten Auswahlprozess unterzogen. Hier haben Unternehmen – massiv durch den ersten und zweiten Corona-Shutdown beschleunigt – seit Anfang 2020 vielfach digitalisiert. HR-Software ermöglicht die digitale Einschätzung der Bewerbungsunterlagen. So kann die HR-Abteilung Dokumente etwa für bestimmte fachliche oder disziplinarische Vorgesetzte freigeben und Einschätzungen abfragen. Das Einladungsmanagement erfolgt ebenfalls digital über Portale, HR-Software oder Teams und Vorstellungsgespräche finden immer häufiger per Zoom, Microsoft Teams, Cisco Webex oder GoToMeeting statt.
Während mit Bewerbungsgesprächen, bei denen sich die Gesprächspartner physisch am gleichen Ort befinden, in der Regel eine größere Flexibilität einhergeht, erfordern Vorstellungsgespräche im virtuellen Raum aufgrund der besonderen Gesprächsbedingungen ein Mehr an Struktur. So sollten die Interessenten durch Zusendung von Einwahlinformationen, Kommunikationsregeln im virtuellen Meeting, einer Agenda und einer Teilnehmerliste frühzeitig wissen, wie sich das Gespräch gestaltet.
Manchmal bringt die virtuelle Situation sogar einen echten Mehrwert: So besteht die Möglichkeit, zeitgleich Teammitglieder aus unterschiedlichen Standorten oder Teams kennenzulernen. Und auch ein kurzer virtueller Rundgang etwa durch Produktionsstätten oder Büros bietet sich an, bei dem die zukünftigen Mitarbeitenden per Handy zu ihrem zukünftigen Arbeitsplatz und zu ein paar Kolleginnen oder Kollegen geführt werden. Damit kann bereits zu Beginn der Zusammenarbeit ein positiver Eindruck zur Unternehmenskultur, der Corporate Identity und dem Teamspirit vermittelt werden.
4. Onboarding
Das eigentliche Onboarding ist in vielen Unternehmen bisher nicht digitalisiert. Oft fehlen gerade bei den neuen Homeoffice- und Mobile-Office-Lösungen nach wie vor klare Strukturen und auch die technische Ausstattung von Arbeitsplätzen ist nicht immer standardisiert. Meist beginnt das Onboarding damit, dass den neuen Mitarbeitenden wichtige interne Informationen zur Abteilung, zu den Aufgaben und zum Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.
Oft finden sich Teile dieser Informationen bereits auf der Website oder im Intranet – so es frühzeitig freigeschaltet wurde. Diese Informationen sollten gut strukturiert und auf dem aktuellen Stand sein. Ansonsten hilft als erste Orientierung ein möglichst knappes pdf mit Charts, Organigrammen, relevanten Ansprechpersonen inklusive Kontaktinformationen und ein paar Worten zum Selbstverständnis des Unternehmens. Ganz zentral: eine schnelle Einführung in die digitalen Tools, mit denen im Unternehmen gearbeitet wird. So erhalten neue Mitarbeitende eine erste Möglichkeit, um sich auch virtuell im Unternehmen zu bewegen.
Diese Unterlagen ersetzen natürlich nicht den persönlichen Kontakt. Ganz egal, ob es um geographisch verteilte Teams oder um Mitarbeitende im Homeoffice geht: Hier sollten schnell und umfassend digitale Tools zum Einsatz kommen, die die regelmäßige Weitergabe von Informationen ebenso gewährleisten wie die Möglichkeit für inhaltliche Rückfragen und für die emotionale Anbindung. Bereits genannte Videoplattformen, die auch beim Bewerbungsgespräch zum Einsatz kommen, sind bei der Integration neuer Teamkolleginnen und -kollegen sehr hilfreich.
Bewährt hat sich auch der Ansatz, neuen Mitarbeitenden frühzeitig ein Netzwerk von fünf bis zehn weiteren Ansprechpersonen zu schaffen, die besonders in der Anfangsphase regelmäßig und wechselweise für bestimmte Teilfragen zur Verfügung stehen. So werden persönliche Bindungen geknüpft. Neuankömmlinge erhalten damit auch Informationen und Einschätzungen aus unterschiedlichen Quellen. Damit können sie sich ein besseres Bild von Aufgaben, Unternehmen und den Teams und ihren Strukturen machen. Um es nochmals zu betonen: Hier geht es um eine Bringschuld des Arbeitgebers mit dem Ziel, neue Mitarbeitende in virtuellen Arbeitsbeziehungen schnell zu integrieren.
Da das Gespräch an der Kaffeemaschine, das Mittagessen mit Kolleg(inn)en und das Feierabendbier wegfallen, sind bewusst eingesetzte digitale Tools für die erste Orientierung, das Entstehen einer persönlichen Vertrauensbasis und die Stärkung des Wir-Gefühls sehr hilfreich. Dazu können etwa einstündige wöchentlich oder 14-tägig stattfindende Morgen- oder Abendmeetings gehören, bei denen man ganz bewusst über den Tellerrand schaut und Referenten für Impulsreferate zu internen oder externen Themen mit anschließender Diskussion einbindet oder auch die tägliche 10minütige digitale Kaffee- oder Smoothie-Pause, bei der mal ganz bewusst nicht über den Job gesprochen wird.
Als Unterstützung helfen zudem Kollaborationstools wie Slack oder Microsoft Teams. Auch kleinere Unternehmen können heute problemlos Informationen und Arbeitsinstrumente von der einfachen Datenhaltung bis zum Hosting komplexer Anwendungen digital bereitstellen.
Wer digital noch mehr tun will, hat viele Möglichkeiten. Hier helfen etwa kurze Erklärvideos als Learning Snacks (die ruhig von Kolleginnen und Kollegen stammen können) und digitale Schulungen mit Wiederholungsfragen am Ende, die Informationen zu alltäglichen Problemstellungen liefern und mit denen sich der Integrationsprozess flexibilisieren lässt.
Gerade zu Beginn der Zusammenarbeit fühlen sich neue Mitarbeitende oft unsicher und bei fehlenden Rückfragemöglichkeiten allein gelassen. Deswegen ist es besonders bei virtuellem Arbeiten wichtig, neuen Teammitgliedern mit möglichst klaren und kurzfristig zu bewältigenden Aufgaben schnelle Erfolgserlebnisse und Team-Up Gefühle zu ermöglichen. Auch das regelmäßige Feedback im direkten Gespräch per Zoom oder MS Teams (besser dreimal täglich fünf Minuten als einmal pro Woche für eine Stunde) unterstützt den Onboarding-Prozess, sichert eine hohe Lernkurve bei fachlichen wie bei weichen Themen und unterstützt die Motivation.
Die zusätzliche Kommunikation über ein internes soziales Netzwerk – je nach Unternehmensgröße kann das eine einfache WhatsApp-Gruppe oder aber Yammer sein – und für die ersten Wochen ein Mentor, der täglich fünfzehn Minuten Zeit mitbringt, runden die digitale Eingliederungsphase ab.
5. Digitales Arbeiten
Bei der Arbeit im virtuellen Alltag helfen die digitalen Tools, mit denen sich die neuen Kolleginnen und Kollegen im Rahmen des Onboardings vertraut gemacht haben. Die Digitalisierung der Arbeits- und Kommunikationsprozesse bringt allerdings regelmäßige Neuerungen und Veränderungen mit sich. Vielleicht arbeitet man im Unternehmen einige Jahre mit Slack, um dann auf Teams oder auf Google Workspace umzustellen. Studien wie der Digital Future Skills Report der IUBH Hochschule zeigen, dass selbst bei den Basisfähigkeiten wie Computernutzung, Datensicherheit und dem Einsatz digitaler Tools aktuell noch sehr großer Handlungsbedarf besteht.
Von Beginn an ist also die regelmäßige Schulung und Weiterbildung ein wichtiges Standbein des Onboarding-Prozesses. Je besser das funktioniert, desto stärker tragen auch die sozialen Netzwerke im Unternehmen, die für die Weitergabe von Informationen ebenso wichtig sind wie offizielle Kommunikationskanäle via Intranet oder Sharepoint. Solche Weiterbildung unterstützt Funktionen von Kollaboration und Empowerment im Sinne einer Befähigung zur Eigenverantwortung bis zum Wissensmanagement.
6. Digitales Upskilling
Aktuell habe nur wenige Unternehmen diesen letzten aber wichtigen Schritt im Blick: das digitale Upskilling. Wer seine neuen Mitarbeitenden einmal auf den aktuellen Wissenstand gebracht hat, ist bereits auf dem richtigen Weg. Doch die digitalen Kompetenzanforderungen entwickeln sich ständig weiter. Wer will, dass die aufwändig gewonnenen Mitarbeitenden an Bord und leistungsfähig bleiben, sollte regelmäßig klären, welche Skills jetzt und in Zukunft im Unternehmen benötigt werden – und welche aktuellen Skills vorhanden sind. Eine solche Skillanalyse hilft, frühzeitig herauszufinden, welcher Upskilling-Bedarf wann gedeckt werden muss und ob die Kompetenzen dafür im eigenen Unternehmen vorhanden sind oder ob externe Bildungspartner mit ins Boot geholt werden sollten.
Die digitalen Instrumente und Weiterbildungsinhalte dafür sind vielfältig. Einiges wie Online-Schulungen in Cybersicherheit gibt es von der Stange. Komplexere Themen können über Akademien und Hochschulen in Form von Kursen eingekauft, in ein bestehendes Learning Management System (LMS) integriert und zum Teil sogar als White-Label-Produkte im eigenen Design der Unternehmensakademie an die Mitarbeitenden weitergegeben werden.
Ob es sich dabei um digitale Lerneinheiten handelt, die Mitarbeitende regelmäßig absolvieren, um Informationsvideos, auf den individuellen Bedarf zugeschnittene Online-Seminare oder Kurzpräsentationen, an die sich ein automatischer Test anschließt – die digitalen Möglichkeiten sind vielfältig und das digitale Know-how innovativer Hochschulen in ihrer Rolle als Weiterbildungsinstitution kommt den Unternehmen hierbei zugute. Die Skillanalyse zeigt den Handlungsbedarf. Die Planung und Vereinbarung von Upskilling-Maßnahmen hilft den Mitarbeitenden, den sich ändernden Qualifikationsanforderungen zu entsprechen.
Zu guter Letzt: Stand heute sind solche Upskilling-Programme für Unternehmen Heimspiele. Denn Studienergebnisse wie die des oben genannten IUBH Digital Future Skills Reports oder der IUBH-Trendstudie Upskilling 2020 zeigen, dass Beschäftigte von ihren Unternehmen sogar erwarten, proaktiv auf die Digitalisierung zu reagieren und den Fach- und Führungskräften Fortbildungsangebote zu machen.
Der Vorteil: Die intrinsische Motivation ist hier bereits vorhanden. Um fit für die digitale Zukunft, New Work und New Culture zu sein, gilt es also nicht nur, die richtigen Mitarbeitenden auf digitalem Weg zu finden, sondern sie auch kontinuierlich zu fördern, um Mitarbeiterbindung und Mitarbeiterzufriedenheit sicherzustellen.
*Kurt Jeschke ist als Professor für ABWL und Unternehmensführung an der IUBH Internationalen Hochschule tätig. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hannover wo er sich auch promovierte. Nach seinem Abschluss war Kurt Jeschke mehrere Jahre für die Volkswagen AG tätig. Im Anschluss wechselte er in die internationale Unternehmensberatung. An der IUBH Internationale Hochschule ist Kurt Jeschke parallel zu seiner Professur als IUBH Prorektor Corporate tätig und verantwortet in dieser Funktion die Entwicklung und Umsetzung von Trainings, Studienprogrammen sowie Weiterbildungsformaten für Unternehmen.
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