Entwickler müssen das große Ganze im Blick haben

Agile Softwareentwicklung mit Scrum oder Kanban ist stark im Kommen. Der Grund: Programme werden immer komplexer, Entwicklungszyklen kürzer. Der IT-Dienstleiser Datev hat auf den Trend zu neuen Methoden und mehr Teamwork in der Programmierung reagiert. Das organisatorische und bauliche Ergebnis ist der IT-Campus 111. [...]

Mit dem IT-Campus 111 hat die Datev ein neues gemeinsames Dach für ihre Softwareentwickler geschaffen. Deren Arbeitsweisen und Anforderungen an den Arbeitsplatz sind in jüngerer Zeit massiven Änderungen unterworfen, weil auch der auf Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, mittelständische Unternehmen sowie Kommunen spezialisierte Software- und IT-Dienstleister den Veränderungen am Softwaremarkt und in der Programmierung unterworfen ist.

Ein wesentlicher Aspekt der Architektur und Raumgestaltung des im April eröffneten IT-Campus 111 ist es, auf diese veränderte Situation einzugehen. In die Konzeption war auch ein Gremium von Mitarbeitern aus allen Hauptabteilungen des Entwicklungsbereichs einbezogen. Über die veränderte Methodik bei der Softwareentwicklung und darüber, wie die Arbeitsplatzgestaltung die Modernisierung unterstützt, stehen Datev-Entwicklungsvorstand Peter Krug und das Gremiummitglied Matthias Bulligk Rede und Antwort.

Die Entwicklung von Software hat sich in jüngerer Zeit stark gewandelt. Wo liegen denn die größten Unterschiede im Gegensatz zu früher?

PETER KRUG: Gesetzliche Anforderungen müssen in Produkten – natürlich nicht nur der Datev – seit jeher berücksichtigt werden, allerdings werden die Zyklen immer kürzer. Das heißt, dass Entwickler heute sehr viel schnell reagieren müssen, um den Ansprüchen an die Softwareaktualität gerecht zu werden. Zudem sind unsere Programme in den letzten Jahren komplexer geworden und weisen untereinander sehr hohe Abhängigkeiten auf, die manchmal nicht transparent und auch nicht praxistauglich sind. Dies bedingt einen erhöhten Abstimmungs- und Testaufwand. Gleichzeitig haben Kunden heute einen höheren Anspruch an die Ergonomie und Funktionalität der Software. Deshalb stoßen wir mit schwergewichtigen Vorgehensweisen à la Wasserfallmodell, bei denen alle Anforderungen schon sehr frühzeitig festgelegt sein müssen, immer mehr an unsere Grenzen. Diese Erkenntnis ist nicht Datev-spezifisch, sondern hat sich in der gesamten Entwicklungsbranche manifestiert. So verwundert es auch nicht, dass leichtgewichtige, agile Methoden wie Scrum oder Kanban immer stärker Fuß fassen – glücklicherweise auch bei der Datev.

MATTHIAS BULLIGK: Als ich bei der Datev anfing, hatten wir bei Weitem noch nicht diese Abhängigkeiten untereinander. Als Entwickler konnte man sich ziemlich auf das eigene Produkt konzentrieren, ohne ständig die Auswirkungen auf andere Softwareprodukte überprüfen zu müssen. Zudem sind die Anforderungen heute viel volatiler. Damals wurden Fachkonzepte zum Teil ein bis zwei Jahre vor Produktfreigabe angefertigt und dann nicht mehr oder nur geringfügig geändert. Wenn wir heute unsere Anwender frühzeitig in unsere Entwicklungsprozesse einbeziehen, müssen wir damit rechnen, essenzielle Änderungen an bereits umgesetzten Kundenanforderungen vornehmen zu müssen. Wir stehen nun vor der Herausforderung, wie wir diese Änderungen zeitnah und hochwertig integrieren.

Inwiefern ändert sich dadurch die Tätigkeit des einzelnen Entwicklers? Werden andere Skills wichtig, und wie lassen sich diese fördern?

PETER KRUG: Entwickler müssen heute schnell sein, die Verflechtungen der Software beherrschen, im Kopf des Kunden denken und flexibel reagieren. Eigentlich sind das keine neuen Eigenschaften, aber ihre Bedeutung ist gestiegen. Zudem ist Softwareentwicklung im großen Stil immer von Teamwork geprägt. Die größten Herausforderungen für den einzelnen Entwickler sehe ich darin, das große Ganze im Blick zu haben, nicht nur den eigenen Code.

Unsere Kunden im Kernmarkt der Steuerberater kaufen in der Regel keine Software für die Lohnabrechnung als isoliertes Produkt und auch keine Einzelanwendung für die Finanzbuchführung. Sie wollen eine ganzheitliche Lösung für all ihre Kanzleibelange. Diese Sichtweise muss sich jeder einzelne Entwickler zu eigen machen. Um dies zu fördern, ist es hilfreich, sich einfach einmal die Anwendung der Nachbardisziplinen anzusehen. Wenn ein Entwickler von Steuerprogrammen die Lohnanwendung kennt und umgekehrt, lassen sich schon viele Kleinigkeiten beseitigen. Uneinheitliche Bedienkonzepte, nicht selbsterklärende Begrifflichkeiten und Ähnliches kommen dann automatisch nicht mehr so häufig vor. Gleichzeitig verteilen wir damit unser Wissen auf mehrere Schultern, was die Flexibilität steigert. Das bedeutet, dass der Kommunikation im Projektteam, aber insbesondere auch zwischen Abteilungen und Geschäftsfeldern eine viel größere Bedeutung zukommen muss.

Datev-Entwicklungsvorstand Peter Krug und das Gremiummitglied Matthias Bulligk im neuen IT-Campus 111 der Datev. (c) Datev

MATTHIAS BULLIGK:
Genau darin sehe ich auch einen zentralen Punkt. Um die Korrelation mit anderen Produkten besser einschätzen zu können, brauchen wir ein stärkeres Generalwissen. Dafür müssen die notwendigen Informationen für alle zugänglich sein. Mit der Sharepoint-Strategie und der Einführung übergreifender Strukturen bei den Entwicklerwerkzeugen sind wir da schon ein ganzes Stück vorangekommen.

Enorm wichtig finde ich auch die Face-to-Face Kommunikation. Die Meetings aus der Welt der agilen Entwicklungsmethoden wie Daily, Sprint Review, Planung und Retrospektiven liefern hier einen großen Beitrag. Ausbaufähig ist noch das Lernen voneinander. Wir haben im Unternehmen wahnsinnig viel Know-how, sind aber noch nicht wirklich gut darin, es zu teilen und somit zu vervielfältigen. Außerdem ist es essenziell, dass wir uns und unsere Prozesse regelmäßig hinterfragen und verbessern. Ein passendes Instrument dafür sind Retrospektiven, die heute schon vielfach angewendet werden und zum Standardrepertoire eines jeden Teams gehören sollten.


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