ERP-Branche erhält die Note „Gut“

Der Marktanalyst Trovarit hat die ERP-Branche analysiert und knapp 2.700 Anwenderunternehmen zu ihren Erfahrungen befragt. Laut den Ergebnissen ist die Anwenderzufriedenheit seit 2012 leicht gestiegen. [...]

ERP-Lösungen spielen eine zentrale Rolle in den Unternehmen und sie spielen diese Rolle insgesamt recht gut. So die Erfahrungen aus knapp 2.700 Anwenderunternehmen – vorwiegend aus dem deutschsprachigen Raum –, die im Zuge der zehnjährigen Jubiläumsauflage der Studie „ERP in der Praxis“ durch die Analysten der Trovarit und die Wissenschaftler des FIR an der RWTH befragt wurden. Die Bewertung von über 50 ERP-Lösungen zeigt im Vergleich zu 2012 insgesamt leichte Verbesserungen der Anwenderzufriedenheit insbesondere im Hinblick auf die „Gesamtbeurteilung der Service-Qualität während der Implementierung“. Dies geht einher mit einer deutlich positiveren Bewertung des „Engagements der ERP-Berater“ im Rahmen der Einführung. Die Zufriedenheit stieg auch bei der Release-Fähigkeit der ERP-Lösungen und bei den Dienstleistungen rund um Updates/Release-Wechsel. Von einem niedrigem Niveau ausgehend ebenfalls signifikant verbessert zeigt sich das Thema „Formulare & Auswertungen“. Die Gesamtbewertung der ERP-Lösungen liegt sehr stabil bei einer uneingeschränkten Schulnote „Gut“. Bei etwas größeren Schwankungen auf gleichem Niveau liegt die Gesamtbeurteilung für die Dienstleistungsqualität.

Die „Mobile Einsetzbarkeit der ERP-Software“ ist mit der schlechtesten Note, die jemals für einen einzelnen Zufriedenheitsaspekt unabhängig von der Software-Lösung vergeben wurde, das neue Schlusslicht. Für die ERP-Lösung „zu jeder Zeit und an jedem Ort“, reicht die Bandbreite der Bewertungen von „katastrophal“ bis „mäßig“. Nach zehn Jahren die Rote Laterne abgegeben und Anschluss an das übrige Feld gefunden haben die „Formulare & Auswertungen“. Sie bleiben aber ein Schwachpunkt mit großen Schwankungen in Abhängigkeit der genutzten Software bzw. von der Art und Weise, wie diese implementiert wurde. Erstmals untersucht wurde „Internationale Einsetzbarkeit der ERP-Software“ , und stellt sich ebenfalls als Schwachpunkt dar. In Sachen Software werden schließlich Aspekte wie „Anwenderfreundlichkeit“, „Performance“ und „Schnittstellen“ regelmäßig kritisiert. Ebenfalls negativ auf den Nutzen der ERP-Software können sich die Schwächen im Hinblick auf das „Schulungs- & Informationsangebot“ der ERP-Anbieter sowie bei deren Beratung auswirken, wenn es darum geht, den ERP-Einsatz regelmäßig zu optimieren bzw. auch weiterzuentwickeln. Damit offenbart die langfristige Betreuung im Echtbetrieb durchaus deutlichere Kritikpunkte als der Service in der Implementierungsphase. „Evergreens“ bei den Kritikpunkten sind schließlich Budget- und Termineinhaltung. Hier fallen weiterhin die großen Schwankungen von Projekt zu Projekt ins Auge.

GEWINNER UND VERLIERER
Das insgesamt gute Abschneiden der ERP-Lösungen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Zufriedenheitsurteil der Anwender über die Software-Lösungen und -Anbieter hinweg betrachtet im Zweijahres-Vergleich durchaus sehr unterschiedlich ausfällt:

Lösungen für die „Größeren Unternehmen“: Hier liegt das Gesamturteil für die Software bei allen Kandidaten relativ eng beieinander, in einem Notenspektrum von 2,05 bis ca. 2,2 – und damit insgesamt im hinteren Bereich des Feldes.

Lösungen für die „Mittleren Unternehmen“: Gewinner sind weniger bekannte/verbreitete Lösungen und APplus (Asseco). Mit Abstand auf den Plätzen und damit durchaus gut positioniert: proAlpha, FOSS und Oxaion. Schlusslicht ist Infor COM.

Lösungen für die „Kleineren Unternehmen“: Gewinner sind hier weniger bekannte oder verbreitete Lösungen sowie Branchenspezialisten. In Österreich ist das zum Beispiel ORLANDO.

Lösungen und Anbieter werden tendenziell kritischer beurteilt je größer die Installationen sind, je größer der Anpassungsbedarf auf branchen-/unternehmensspezifische Anforderungen ist und je geringer die Intensität der Geschäftsbeziehung zwischen ERP-Anwender und -Anbieter ist. Größere ERP-Hersteller mit einem breiten Zielmarkt schneiden tendenziell schlechter ab als kleinere Spezialisten. Das Gesamtniveau der Bewertung von Software und Anbietern ist weitgehend stabil etwas besser als „Gut“.Das begründet sich darin, dass ERP-Installationen bei kleineren Unternehmen eine deutlich geringere Komplexität ausweisen,  dass spezialisierte ERP-Lösungen die Anforderungen der jeweiligen Zielgruppe in der Regel von vorne herein besser abdecken als horizontale Lösungen und dass Spezialisten unter den ERP-Anbietern oft über tieferes Fach- und Branchen-Knowhow als die Generalisten verfügen. Spezialisten erzielen meist eine höhere Kundenbindung.

Bei der Software geben die APplus-Anwender sehr starke Verbesserungen im Bereich der „Formulare & Auswertungen“ sowie bei der „Release-Fähigkeit“ zu Protokoll. Im Hinblick auf „Bedienerfreundlichkeit“, „Formulare & Auswertungen“, „Anpassbarkeit/Flexibilität“ und auch bzgl. der „Mobilen Einsetzbarkeit“ liegt APplus zudem deutlich über dem Marktdurchschnitt. Die Software Winline wird von ihren Anwendern unverändert mit „gut“ bewertet während sich die Servicequalität der Software-Häuser, die Winline als Partner des Software-Herstellers Mesonic einführen und betreuen, in den Augen der Anwender auf breiter Front spürbar verbessert hat.

Der österreichische Finanzspezialist BMD verzeichnet in der Breite ein schwächeres Ergebnis als 2012. Allerdings bewegt sich die Lösung auf insgesamt hohen Zufriedenheitsniveau, so dass man hier von einer „Normalisierung“ der Bewertungen sprechen kann.

UMSTELLUNGSPROBLEME
Die Gesamtnote von Microsoft Dynamics AX wird offenbar spürbar durch die Release-Wechsel-Problematik belastet. Die Umstellung auf das fundamental modernisierte Release AX2012 stellt Anwender wie auch Partner vor erhebliche Herausforderungen. Weniger als ein Drittel der Teilnehmer ist bereits auf AX2012 umgestiegen, da über 70 Prozent einen Release-Stand von 2012 und älter zu Protokoll geben. Die Bewertung der Dienstleistung ist stabil auf relativ gutem Niveau. Die Anwender kreiden die Umstellungsprobleme vorrangig der Software und damit Microsoft als Hersteller an.

SAP ERP zeigt sich sowohl im Hinblick auf die Gesamtzufriedenheit sowohl mit der Software als mit den Einführungs- und Wartungsdienstleistungen der verschiedenen SAP-Dienstleister nahezu unverändert. Gemessen an den anderen Lösungen für größere Unternehmen liegt die Lösung knapp vorne und das Urteil über die Dienstleistungen im guten Mittelfeld. Die Anwenderfreundlichkeit der Software – ausgehend von einem ausgesprochen niedrigen Niveau – wurde nochmals deutlich schwächer bewertet. Mobile Einsetzbarkeit ist nur in sehr beschränktem Maße gegeben. Vergleichsweise überdurchschnittlich gut bewertet wird die Release-Fähigkeit der Software. Über 85 Prozent der Teilnehmer haben ihre Installation seit 2011 aktualisiert. Nachgegeben hat die Bewertung der Partner in Sachen „Support/Hotline“ und „Betreuung durch den Account-Manager“.

Microsoft Dynamics NAV liegt unter den „Mittelstandslösungen“ im hinteren Mittelfeld. Die Anwenderzufriedenheit mit der Software ist mit der Schulnote „Gut“ insgesamt weitgehend stabil. In Sachen „Usability“ muss Dynamics NAV nach Verbesserungen gegenüber 2012 den Vergleich mit dem Wettbewerb nicht scheuen. Schwachpunkt der Software bleibt die „Release-Fähigkeit“ (3,3). Bei der Dienstleistungen fallen Verbesserungen im Bereich der Anwenderschulung sowie auf – hohem Ausgangsniveau – bei der „Unterstützung von Updates & Release-Wechseln“ und der „Branchenkompetenz“ der Microsoft-Partner ins Auge.

ProAlpha erzielt erneut ein gutes Ergebnis. Die Gesamtnote für Software liegt leicht über dem Marktdurchschnitt, die Dienstleistungen von proAlpha und ihren Partnern knapp darunter. Der negative Trend im Bereich der „Usability“ fällt ins Auge. Von der 2013 erneuerten Oberfläche scheinen bis dato nur wenige proAlpha-Anwender zu profitieren. Rund 75 Prozent der Studienteilnehmer betreiben noch Release-Stände aus 2012 und früher. Positiv dagegen das Engagement der proAlpha-Berater im Zuge der Implementierung.

Auch ABAS Business Software wird leicht über dem Durchschnitt und die Dienstleistungen knapp darunter  bewertet. Das Ergebnis kommt aber auf anderem Wege zustande: ABAS punktet durch „Anpassbarkeit & Flexibilität“ und „Release-Fähigkeit“. Der Vergleich in der „Usability“ und „Mobilen Einsetzbarkeit“ mit dem Wettbewerb muss nicht gescheut werden. Das 2013 vorgestellte neue GUI scheint bei den ABAS-Anwendern positive Wirkung zu erzielen. Bereits 2/3 der Anwender nutzen Releases ab 2013. Die abnehmende Zufriedenheit mit der „Anwenderschulung“ und dem „Schulungs- & Informationsangebot“ kann die Ursache im neuen GUI haben, da derartige Umstellungen gerade bei langjährigen Nutzern zu Einarbeitungsaufwand führt, der zumindest kurzfristig als lästig empfunden wird.

GRUNDSÄTZLICHE ERKENNTNISSE
Neben der notwendigen funktionalen Unterstützung wirken sich offenbar eine hohe Anpassbarkeit & Flexibilität, die Bedienerfreundlichkeit der Software und ein leistungsfähiger Berichts-/Formulargenerator besonders positiv auf die Anwenderzufriedenheit aus. Schwächen dort führen oft auch zu weniger gute Noten die Dienstleistungen. Schwächen der Software sind nur in sehr begrenztem Umfang durch Dienstleistungen kompensierbar.

Der Release-Fähigkeit der installierten ERP-Software kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu, weil Schwächen in diesem Bereich nicht nur zu aufwändigen und teuren Release-Wechseln führen. Sie wirken auch als Modernisierungsbarriere mit spürbar negativen Effekten auf die ERP-Anwenderzufriedenheit. Die Beratungs- und Support-Dienstleistungen während der Implementierung und des späteren Betriebs haben erheblichen Einfluss auf die Beurteilung der ERP-Software. Besonders dann, wenn sich Release-Wechsel schwierig gestalten, da dann die Gefahr besteht, dass eine Installation auf einem veralteten Technologiestand „hängen“ bleibt und der Software entsprechende Schwächen angekreidet werden, obwohl die aktuelle Version der Software diese gar nicht mehr aufweist. Weiters ist eine enge und intensive Kommunikation mit den Bestandskunden über das Tagesgeschäft hinaus erfolgskritisch.

VIEL AUFWAND FÜR UPDATES
Besonders kritisch werden Aufwand für Updates & Release-Wechsel, Performance, Ergonomie der Software, Mobilität und Web-Fähigkeit sowie Anpassbarkeit/Flexibilität der Software wahrgenommen; immerhin ca. 30 Prozent der Installationen werden als „problemlos“ eingestuft, davon sind ca. 36 Prozent kleinere und  nur ca. 20 Prozent größere Unternehmen.

DIE WICHTIGSTEN ANFORDERUNGEN
Die wichtigsten Anforderungen an die ERP-Systeme sind „Funktionale Eignung“, „Praktikabilität/Mittelstandseignung“ und „Flexibilität der Software“. Auf den Plätzen folgen „Kosten-Nutzen-Verhältnis“, „Kompetenz & Auftreten des Anbieters“ sowie „Benutzerführung/Ergonomie“.

Weniger Augenmerk legen Unternehmen bei der die Anschaffung einer neuen ERP-Lösung auf die „Release-Fähigkeit“ der Software, die „Betriebskosten“, ein bestimmtes „Betriebs-/Preiskonzept“ und die mobile Nutzbarkeit der ERP-Lösung. Dies scheint sich in der Folge zu rächen, da zum Beispiel der „Aufwand bzw. Support bei Release-Wechseln“ überdurchschnittlich stark kritisiert werden. Offenbar sind derartige Leistungskriterien den Anwendern aber in der Auswahlphase entweder nicht gegenwärtig oder aber einfach schlecht zu greifen, so dass sie kaum berücksichtigt werden (können). In Abhängigkeit der Unternehmensgröße unterscheiden sich die Anforderungsschwerpunkte zum Teil recht deutlich.

THEMEN & TRENDS
An der Spitze der Trend-Liste rangieren Themen wie „Steigende Usability“ (60 Prozent), „Mobiler ERP-Einsatz“ (33 Prozent) sowie eine „Rollen- & Kontextbasierte Benutzerführung“ (27 Prozent). Diese sind sehr unmittelbar mit der Nutzung der ERP-Software als Werkzeug für den Arbeitsalltag verbunden. Technologisch weiter gediehen ist bereits der mobile Einsatz von ERP-Software – jedenfalls, wenn man darunter die Nutzung über das Internet per Laptop oder auch per Tablet-Computer versteht. Der Einsatz über das Smartphone setzt angesichts des reduzierten Platzangebotes eine neue Oberflächengestaltung voraus, an der ERP-Anbieter fieberhaft arbeiten. Problematischer ist es noch um die „Offline-Fähigkeit“ der ERP-Anwendungen bestellt, die angesichts der Lücken in den Mobilfunknetzen durchaus eine Notwendigkeit darstellt. Einige der Themen, die in den einschlägigen Fachmedien und -kreisen sehr hoch gehandelt werden, offenbaren dagegen noch deutlichen (Er-)Klärungsbedarf: „Cloud Computing“, „Social Media“, „Industrie 4.0“, „Big Data“ und „Bring Your Own Device/BYOD“ landen mit unter zehn Prozent am Ende der Liste.

* Der Autor Michael Schober ist Leiter von Trovarit Österreich.


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