ERP und SCM integrieren – eine Frage der Fantasie?

"Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt", sagte einst Albert Einstein. Auf die Entwicklung bahnbrechender wissenschaftlicher Erkenntnisse trifft das sicher zu. Doch wenn es darum geht, die Logistik eines internationalen Unternehmens zu optimieren, sollte man sich lieber auf die vorliegenden harten Fakten konzentrieren. Schließlich kann selbst begrenztes Wissen den Mensch schon überfordern. [...]

Globale Firmen unterhalten oft lange Lieferketten, die sie über mehrere Kontinente hinweg beobachten und steuern müssen. Innerhalb dieser Netzwerke werden Massen an Daten generiert, etwa von Zulieferern, Transportunternehmen und den transportierten Waren. Diese Daten müssen zeitnah zur Verfügung stehen: Je mehr Informationen über eine Lieferkette verfügbar sind und je schneller, umso eher lassen sich Risiken minimieren, Prozesse verschlanken und Sicherheitsbestände reduzieren.

Hier macht den Unternehmen jedoch oft die IT einen Strich durch die Rechnung: Vielerorts befinden sich Insellösungen im Einsatz: Diverse ERP-Systeme, selbstprogrammierte Lösungen und Module wie eben SCM sind nicht ausreichend miteinander verzahnt. Informationen sind daher lokal gebunden. Doch wie lässt sich dieser Zustand ändern?

In erster Linie bietet sich hier der Einsatz moderner Middleware an: sie unterscheidet sich von traditionellen Lösungen, indem sie nicht als Individualprogrammierung zwischen zwei Systemen steht, sondern ein universelles, flexibles und ressourcenschonendes Bindeglied darstellt.

Eine standardisierte und zentrale Datenhaltung sorgt dafür, dass Informationen über die verschiedenen Systeme hinweg zur Verfügung stehen und bildet so die Grundlage für durchgängige Geschäftsprozesse.

Die Software-Module kommunizieren dann auf Basis sogenannter Business Object Documents, standardisierter Geschäftsdokumente, die von sämtlichen beteiligten Lösungen verstanden werden. Dadurch, dass die notwendigen Informationen in einem einzigen elektronischen Dokument stecken, lässt sich die Zahl der Interaktionen zwischen Applikationen stark reduzieren. Damit sinkt auch die Komplexität.
 
EINE PLATTFORM FÜR SCHLANKE PROZESSE
Über die Middleware lässt sich dann eine Lieferantenplattform vorschalten: Sie stellt den Zulieferern einen zentralen Anlaufpunkt bereit, verschlankt und standardisiert Beschaffungsprozesse und macht Lieferanten vergleichbar.

So lassen sich etwa Pull-basierte Beschaffungsmethoden wie Supplier Managed Inventory (SMI) umsetzen. Durch die Verwendung eines SMI-Systems hat der Lieferant elektronisch Einsicht in Lager- und Bedarfszahlen des Kunden und kann je nach aktuellem Verbrauch zeitnah reagieren. Unnötige Bestände werden so minimiert.

Auch Kanban-Initiativen gelingen mit transparenter Einsicht in den Status von Lieferungen und schneller Kommunikation besser: Die Kombination erleichtert die Abstimmung der Produktion mit dem Einkauf, so dass Lieferungen dann eintreffen, wenn sie wirklich gebraucht werden.

Neben der Optimierung der Prozesse liefert eine saubere Systemintegration die Grundlage für wertvolle Analysemöglichkeiten. Zum Beispiel kann ein Unternehmen seine Lieferanten automatisiert bewerten: Im Rahmen eines professionellen Supplier Relationship Management lässt sich so herausfiltern, mit welchen Lieferanten man weltweit in Kontakt ist, welche Materialien sie im Sortiment haben oder welche Leistungen sie rund um ihre Produkte bieten. Auch Lieferantenanalysen, die beispielsweise deren Liefertreue oder Profitabilität zum Gegenstand haben, können gefahren werden.

Um Lieferketten steuern zu können, müssen sie bis zu einem gewissen Grad transparent sein. Oft fehlen allerdings schon grundlegende Informationen, etwa, ob eine Lieferung schon rausgegangen ist oder wo sich ein Container gerade befindet. Das zwingt Firmen, Sicherheitsbestände aufzubauen, um bei Verzögerungen nicht auf dem falschen Fuß erwischt zu werden.

Hier helfen Lösungen, die eine Lieferkette von Anfang bis Ende durchleuchten. Bestellt etwa ein deutsches Unternehmen Rohmaterial aus China, so definiert es idealerweise vorweg strategisch wichtige Checkpunkte in der Supply Chain. Erreicht ein Produkt einen dieser Punkte, wird das per Barcode-Scanning oder RFID-Technologie registriert. Egal, ob ein Zolllager in Asien, ein Schiffstransport, der nächstgelegene europäische Hafen oder das in der Nachbarstadt angesiedelte Distributionszentrum: Die SCM-Lösung gibt die Daten zuverlässig ans ERP-System. So haben Mitarbeiter des Einkaufs die Möglichkeit, Lagerbestände zu prognostizieren und durch mehr Informationen die Sicherheitsbestände zu reduzieren.

SOFTWARE DENKT
Damit sich diese Abläufe wirklich automatisiert in Gang setzen, ist die Kommunikation zwischen den Systemen ereignisgesteuert. Die ERP-Lösung empfängt auch hier ein Business Object Document, das in der SCM-Software seinen Ursprung hatte. Es enthält alle für diesen Auftrag relevanten Informationen, die dann zentral verfügbar sind.

Das reduziert den administrativen Aufwand und die Mitarbeiter können sich ihren Kernaufgaben widmen, anstatt laufend nach Auffälligkeiten zu suchen. Selbsttätig informiert das System beispielsweise über das Unterschreiten eines Bestandsniveaus oder über eine Lieferung, die den nächsten Checkpunkt entgegen der Planung noch nicht erreicht hat.

Diese Datenpakete lassen sich dann über verschiedene Kanäle zustellen. Mögliche Transportmittel sind nicht nur E-Mail oder SMS, sondern auch Social-Media-Nachrichtendienste. So kann der Einkaufsmanager das verantwortliche Transportunternehmen kontaktieren und den Fall prüfen – und das äußerst zeitnah. Spätestens hier wird klar: Wissen mag zwar begrenzt sein, aber knappe Güter sind bekanntlich besonders wertvoll.

* Gerhard Knoch ist Vice President und General Manager von Infor.


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