Die ganze Welt redet von Faltbildschirmen und Dual-Screen-Smartphones. Wir geben Ihnen sieben gute Gründe, diesen Hype zu ignorieren. [...]
Gerüchten zufolge wird gerade an einem Klappbildschirm-Handy mit dem Codenamen „Winner“ gearbeitet. Noch die Wahrscheinlichkeit, dass es zum Verlierer wird, ist wesentlich größer. .
Es ist eines von vielen Produkten, die in letzter Zeit die Runde machen und dabei eine besondere Falttechnologie mit flexiblem Bildschirm verwenden – oder bei denen an der Rückseite des ansonsten normalen Smartphones ein zweiter Bildschirm integriert wird.
Die Begeisterung für Faltbildschirme hat sich mittlerweile über fast ein Jahrzehnt entwickelt. Die Tech-Medien haben in dieser Zeit jede Art von flexibler Bildschirmtechnologie auf Grundlage von Laborberichten und zukunftsweisenden Vorhersagen zur Schlagzeile gemacht. Dabei bereiten sich die ersten Unternehmen erst jetzt auf den Versand von Produkten vor, die diese Technologie verwenden.
Die Dual-Screen-Idee erfreut sich gerade in letzter Zeit wachsender Beliebtheit, was vor allem auf die Social-Media-Begeisterung und die Verzweiflung der Smartphone-Industrie zurückzuführen ist, ihre Produkte aus einem Meer von langweiligen Glas-Rechtecken hervorstechen zu lassen
Solche Ideen zur Vergrößerung der allgemeinen Bildschirmfläche eines Geräts scheinen nun die Lösung für ein langjähriges Problem darzustellen: nämlich die Tatsache, dass Smartphone-Kunden stets maximale Bildschirmgröße, aber nur eine minimale Smartphone-Größe wünschen. Während wir uns auf der einen Seite also immer weiter dem Nullpunkt und auf der anderen Seite dem Höhepunkt nähern, fragt sich die Branche, wohin die Reise gehen soll.
Unglücklicherweise enttäuschen die Ideen rund um Falt- und Doppelbildschirme – obwohl sie in der Theorie wirklich erstaunlich sind – Unternehmensgruppen, Einzelunternehmen und sogar Konsumenten in zunehmendem Maße.
Im Anschluss verraten wir Ihnen, warum solche Smartphones dem Hype, den sie ausgelöst haben, nicht gewachsen sein können. Doch zunächst werfen wir einen Blick darauf, welche neuen Technologien angekündigt, durchgesickert oder gemunkelt worden sind.
Smartphones mit faltbarem Bildschirm
Samsungs Sieger könnte sich letztlich als das Galaxy X oder das Galaxy F herausstellen und soll, Gerüchten zufolge, um die 1700 Euro kosten. Laut den Berichten soll das Gerät schnellstmöglich auf den Markt gebracht werden, wird aber wahrscheinlich nicht bis frühestens nächsten Sommer erscheinen.
(Weiteren Berichten zufolge arbeitet Google gemeinsam mit Samsung an einer speziellen bzw. eigenen Version von Android, um Samsung-Handys mit klappbarem Bildschirm zu unterstützen.)
Wahrscheinlich wollte Samsung das erste Unternehmen sein, das mit einem Klappbildschirm-Handy auf den Markt kommt, doch dafür ist es wohl bereits zu spät: Ein kalifornisches Startup-Unternehmen namens Rouyu Technology (aka Royole) nimmt bereits jetzt Vorbestellungen für ein ca. 1100 Euro teures Faltbild-Handy entgegen, das FlexPai heißen und bereits im Dezember ausgeliefert werden soll. Im vollständig entfalteten Zustand entspricht das FlexPai einem 7,8-Zoll-Tablet und hat damit in etwa die Größe eines iPad Mini. Beim Zusammenklappen wird der Bildschirm hinten und vorne um das geschlossene Gerät gelegt. Wenn es aufgeklappt wird, befindet sich auf der Innenseite ein weiterer Bildschirm. Das FlexPai ist für die meisten Hosentaschen allerdings zu groß.
Evan Blass, der schon seit langem stets über sehr genaue Produktnachrichten informiert ist, gab diese Woche auf Twitter bekannt, dass auch LG plane, auf der CES im Januar ein Smartphone mit faltbarem Bildschirm vorzustellen.
I can’t speak for Samsung…
…but I do know that LG plans to unveil a foldable phone at its 2019 CES keynote.
— Evan Blass (@evleaks) October 31, 2018
Dass die Faltbildschirme kommen werden, steht außer Frage. Und gerade diese frühen Geräte werden in Zukunft eine Menge Nachahmer haben. Aber biegsame Bildschirme sind keinesfalls die einzige Möglichkeit, die Bildschirmfläche eines Smartphones zu maximieren.
Smartphones mit zwei Bildschirmen
Es ist schon seit langem klar, dass sich Microsoft für Geräte mit zwei Bildschirmen interessiert. Das gestrichene Courier-Projekt von vor 10 Jahren zeigte schon damals das Interesse des Unternehmens an dieser Thematik.
‚Andromeda‘, von dem behauptet wird, es handle sich um ein auf Windows 10 basierendes Semi-Phone mit Dualscreen, wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit verschoben, könnte aber bereits in den nächsten ein bis zwei Jahren nachgeschoben werden.
Im letzten Monat veröffentlichte Microsoft Research einen Aufsatz, in dem das Unternehmen seine Idee für ein Smartphone-Cover mit einem zweiten Display auf den Punkt bringt. Das Unternehmen entwickelte einen Prototyp für ein Lumia 640, das mit einem über Bluetooth verbundenen eInk-Bildschirm mit niedrigem Stromverbrauch und niedriger Auflösung ausgestattet war, der zusätzliche Informationen für Windows Phone-Apps bereitstellen könnte. (Microsoft arbeitet anscheinend schon eine ganze Weile daran). Das Projekt liebäugelte außerdem mit der Idee eines eInk-Touch-Smartphone-Covers, das gleichzeitig als Tastatur fungiert.
In den Medien gaben die Microsoft-Forscher etwas wie: „Eine Einschränkung, die von den Anwendern angesprochen wurde, war der monochrome Charakter des Display-Covers. Die Verbraucher von heute erwarten Vollfarbdisplays. Wir glauben, dass dies in Zukunft durch den Einsatz von bistabilen Farbdisplays möglich ist.“
Ein chinesisches Unternehmen namens Nubia (eine ehemalige Tochterfirma von ZTE) veröffentlicht schon bald ein Smartphone namens Nubia X. Das Gerät verfügt über ein zweites Farbdisplay auf der Rückseite, das hauptsächlich für Selfies mit der besseren Rückfahrkamera geeignet ist. Die Implementierung erscheint relativ elegant, obwohl sich der Bildschirm nur mehr oder weniger in das Gehäuse einfügt. Das Nubia X ist allerdings nur für den chinesischen Markt geplant.
Das Nubia X ähnelt in seinem Konzept einem australischen Produkt namens DigiCase, das von einem Startup-Unternehmen mit demselben Namen entwickelt wird. Das DigiCase ist ein App gesteuertes Gehäuse, auf dem Sie mit der guten Kamera Ihres Smartphones Selfies aufnehmen können. (Es enthält außerdem einen eigenen Akku zu Verlängerung der Akkulaufzeit des Smartphones).
Andere Smartphone- und Gehäusehersteller haben bereits diverse Optionen für das Hinzufügen eines weiteren Bildschirms auf der Rückseite des Smartphones angekündigt oder sogar schon ausgeliefert.
Mehr Bildschirm? Was könnte man daran nicht lieben?
Warum Faltbildschirme und Smartphones mit zwei Bildschirmen scheitern werden
Theoretisch sollten Faltbildschirme und Smartphones mit zwei Bildschirmen großartig sein. Die Technologie ist jedoch noch längst nicht bereit dazu, die Erwartungen der Kunden im Unternehmensbereich oder auf dem Verbrauchermarkt zu erfüllen.
Hier sind nun unsere sieben Gründe, warum Faltbildschirme und Smartphones mit zwei Bildschirmen die überwiegende Mehrheit der Smartphone-Käufer vermutlich nicht ansprechen werden:
- Kosten. Der Preis für das neue Samsung Smartphone mit Faltbildschirm beträgt, wenn man den Gerüchten glauben schenken kann, rund 1700 Euro. Und auch das FlexPai ist alles andere als billig. Zusätzliche Bildschirme verursachen ungeheure Zusatzkosten für die Herstellung des Smartphones. Bereits heutzutage überschreiten viele der gewöhnlichen Smartphones die Obergrenze dessen, was Käufer gerne für sie zu zahlen bereit sind. Selbst ein Bildschirm auf der Rückseite verursacht zusätzliche Kosten, die die meisten Käufer nicht bezahlen möchten. Warum also für ein faltbares Smartphone so viel Geld ausgeben?
- Akkulaufzeit. Der Bildschirm eines Smartphones ist eine der größten Ableitungen für dessen Akku, wenn nicht die größte von allen. All diese zusätzlichen Bildschirmflächen werden den zukünftigen Smartphones noch mehr Dicke verleihen, und die für die Stromversorgung dieser Bildschirme erforderlichen Batterien machen sie sogar noch dicker. Während zusätzlicher Bildschirmplatz für das Bildschirmproblem ganz hilfreich sein kann, wird das Akkuproblem dadurch bloß noch verschlimmert.
- Bildschirmschäden. Dem Stand der heutigen Technologie nach zu urteilen, bekommen Faltbildschirme an ihrer Biegungsstelle immer mehr Knicke. Jedes Mal, wenn der Bildschirm verbogen wird, wird er schwächer, was die Lebensdauer des sehr teuren Geräts nur weiter verkürzt. Wenn sich der Bildschirm auf der Außenseite befindet, wie der Bildschirm des FlexPai, ist der empfindliche Bildschirm Beschädigungen ausgesetzt, ohne dass eine offensichtliche Möglichkeit gibt, eine Schutzhülle anzubringen. Bildschirme auf beiden Seiten des Smartphones sorgen dafür, dass das Gerät beim Ablegen auf diverse Oberflächen, noch mehr Schaden nimmt als bisher.
- Unelegantes Design. Faltbildschirme und alle bekannten Dual-Screen-Lösungen mit Ausnahme des Nubia X sind außerordentlich hässlich, unelegant und klobig. Und sogar das Nubia-Handy verfügt auf der Rückseite über einen Bildschirm mit so niedriger Auflösung, dass er einfach nicht besonders gut ist.
- Größe und Gewicht. Apple macht seine iPhones mit jeder Generation immer dünner, leichter und gibt ihnen noch kleinere Blendengrößen. Smartphones mit flexiblem Bildschirm oder zwei Bildschirmen gehen dagegen in die entgegengesetzte Richtung: Faltbare Bildschirme lassen sich nämlich nicht an einer vorgesehenen Faltkante knicken, sondern werden über die abgerundete Kante zusammengeklappt. Wenn sie geschlossen sind, sind sie dadurch zwangsläufig um ein Vielfaches dicker als die herkömmlichen Standard-Smartphones. Das FlexPai passt nicht einmal in die Hosentasche. Und ist es nicht eigentlich der springende Punkt eines Smartphones, dass es in die Tasche passt?
- Mangel an Apps. Android hatte schon immer ein Fragmentierungsproblem. Smartphones mit flexiblem Bildschirm erfordern anscheinend ein speziell dafür konzipiertes Betriebssystem und dementsprechend spezielle Apps, die die Bildschirme voll ausnutzen können. Da nur ein kleiner Prozentsatz an Käufern überhaupt ein faltbares Smartphone besitzen wird, ist vorauszusehen, dass das App-Ökosystem für die Unterstützung von Apps auf diesen Betriebssystemen winzig sein wird.
- Bessere Alternativen. Es gibt unzählige Alternativen zum Vergrößern von mobilen Bildschirmflächen. Tablets sind billig. Smartphones werden zunehmend an Fernseher und Monitore angeschlossen. Riesige Bildschirme sind heute leicht zu bekommen. Für Selfie-Kunden ist es sinnvoller, die Frontkamera oder beide Kameras zu optimieren, als einen zweiten Bildschirm für die Selbstanzeige hinzuzufügen, während Selfies mit der Rückkamera aufgenommen werden. Die neue Pixel-3-Linie von Google zeigt, wie nützlich es ist, ein Weitwinkelobjektiv für Selfies zu verwenden – oder eine KI, um Bokeh-Effekte im Hochformat für Selfies zu erzeugen, die mit der Frontkamera aufgenommen wurden. Bessere Frontkameras sind wesentlich kostengünstiger, sparen Akku und reduzieren Größe und Gewicht des Smartphones im Vergleich mit einer zweiten Rückenscheibe.
Machen Sie sich also bereit für den Hype. Zumindest in den nächsten Jahren werden wir zahlreiche neue Smartphone-Produkte zu sehen bekommen, die faltbare Bildschirme oder einen zweiten Bildschirm verwenden.
Trotz jahrelanger Erwartungshaltung und Häufigkeit am Markt wird sich die praktische Realität dieser Telefone als äußerst unattraktiv erweisen. Dieselben Tech-Journalisten, die diese Konzepte bislang als Hype verkauften, werden die vernichtendsten Kritiken verfassen.
*Mike Elgan ist Tech-Journalist und Kolumnist und schreibt u.A. für Computerworld.com
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