Heuristik-Orientierung im Web 2.0

Im interaktiven, kollaborativen Internet – Web 2.0 – nutzen Anbieter wie Amazon das Mitwirken der Verbraucher. Dieses innovative Konzept können auch andere Unternehmen erfolgreich nutzen. [...]

Web-2.0-Unternehmen wie Amazon und Facebook wenden innovative Konzepte der Business Intelligence (BI) konsequent an, um ihre globale Vormachtstellung auszubauen. Ein Beispiel dafür sind Empfehlungssysteme. Doch welche BI-Anwendungen entfalten hierbei die größte Wirkung? Auf welche sollten Manager setzen?

Business Intelligence umfasst allgemein die systematische Umwandlung von Daten in entscheidungsrelevante Information. Doch allzu oft beschränken sich BI-Systeme darauf, dem Management vergangenheitsorientierte Daten zu liefern. Demgegenüber erweitern sich die zukunftsorientierten Einsatzgebiete kontinuierlich. „Social-BI“ ist nur ein Beispiel von vielen. Zudem steigen das Angebot an Software und die Anzahl der darin enthaltenen Funktionen rasant, so dass naheliegende, vorteilhafte BI-Anwendungen oftmals übersehen werden. Demgegenüber werden unverhältnismäßig hohe Investitionen für Vorhaben getätigt, die einen vergleichsweise geringen Nutzen bringen.

So stellt sich die Frage: Wie sind vorteilhafte BI-Anwendungen zielgerichtet zu identifizieren und erfolgreich einzuführen? Dies lässt sich anhand eines Suchrasters mit Heuristiken beantworten. Es erkennt nutzbringende Anwendungen und liefert Empfehlungen zu deren Einführung. Das Raster setzt sich aus einzelnen Suchfeldern zusammen, die im Folgenden erläutert werden.

  • Zeit. Das erste Suchfeld ist der Zeithorizont bereitgestellter Informationen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Am weitesten verbreitet sind herkömmliche, vergangenheitsorientierte Anwendungen in Form von Reports und Dashboards. Diese treffen aber keine Aussagen über zukünftige Entwicklungen. Das Controlling liefert beispielsweise lediglich Angaben dazu, ob die Umsatzziele erreicht wurden. Jedoch wächst die Anzahl der Anwendungen, die Daten in Echtzeit verarbeiten: Sensoren überwachen komplexe Produkte, Anlagen oder Transportmittel, um Probleme zu erkennen und Eingriffe rasch durchzuführen, wie zum Beispiel den Einbau von Ersatzteilen. Noch weiter gehen Forecasting-Systeme, die einen Blick auf die Zukunft wagen und beispielsweise folgende Fragen beantworten: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die kurz- oder langfristigen Ziele erreicht werden? Deuten die dargestellten Daten auf einen Trend hin? Lassen sich in den Daten Hinweise auf das Aufkommen einer Krise erkennen?
  • Aktion. Die Art der Handlung wird mittels des zweiten Suchfeldes erfasst: Information, Empfehlung, Entscheid und Steuerung. Vergangenheitsorientierte Informationen liefern herkömmliche Reportingsysteme, während ausgefeilte Empfehlungssysteme das Ziel vor Augen haben, den Umsatz aufgrund von Empfehlungen zu steigern: Cross-Selling. Zu dessen Pionieren gehört Amazon. Der Online-Händler macht Besucher seines Shops auf interessante Artikel aufmerksam. Social-Media-Unternehmen wie Facebook und Twitter analysieren das Verhalten von Benutzern, um ihnen auf diese Weise „Freunde“ zu empfehlen. Einen Schritt weiter gehen Systeme, die selbstständig Entscheide treffen. Beispiele dafür sind die Bonitätsprüfung bei der Kreditvergabe und die Berechnung von Versicherungsprämien. Steuerungssysteme lösen oder führen nach dem Treffen eines Entscheids die entsprechende
  • Handlung automatisch aus. Im „High Frequency Trading“ werden beispielsweise große Volumina von Wertpapieren in Sekundenbruchteilen gehandelt.
  • Einsicht. Das dritte Suchfeld betrifft durch BI-Anwendungen gewonnene Einsichten, wie zum Beispiel Mustererkennung, Simulation und Optimierung. Systeme der Mustererkennung analysieren Abweichungen in Zeitreihen oder Transaktionen, um Fehler oder Betrug zu entdecken. Dazu zählt etwa das Aufspüren von Betrug bei Kreditkarten und Steuererklärungen. Auch werden Abhängigkeiten zwischen Parametern aufgedeckt. Mithilfe von Simulationen lassen sich mehrere Alternativen rasch vergleichen. Optimierungssysteme erleichtern Aufgaben wie Routenplanung und Lagerhaltung.
  • Firmenstrategie. Aus der Unternehmensstrategie ergeben sich weitere gewinnbringende BI-Anwendungen. Beispielsweise empfiehlt sich für ein Unternehmen mit der Strategie „Individualisierter Kundenservice“ die Mikrosegmentierung. Dabei handelt es sich um das Bilden von Kundensegmenten in Echtzeit. Dadurch lassen sich stark individualisierte Produkte und Dienstleistungen anbieten. Neben der Kundensegmentierung enthält die Methode der „Customer Analytics“ weitere Verfahren wie Empfehlungssysteme für Cross- und Up-Selling. Wenn schnelle Lieferungen den strategischen Fokus darstellen, sind die erwähnten Systeme zur Optimierung von Routenplanung und Lagerhaltung zu empfehlen. Anstöße liefert zudem eine detaillierte Analyse der Stärken und Schwächen des Unternehmens sowie der Chancen und Gefahren des Umfelds: Stagnierende Umsatzzahlen etwa können die Einführung eines Empfehlungssystems nahelegen, um den Umsatz mit bestehenden Kunden zu erhöhen. Ein weiteres Verfahren mit dem Namen „Open Innovation“ begünstigt die Entwicklung kundennaher Innovationen: In Online-Formularen regen Kunden neue Produkte oder Produktfunktionen an. Die folgende Auswertung führt zu neuen oder verbesserten Produkten.
  • Prozesse, Benchmarking und Wissen. Geschäftsprozesse mit mindestens einem der folgenden Charakteristika können aus BI-Anwendungen einen Vorteil ziehen: hohe Kosten, großer Bedarf an Material, Zeit, Koordination oder Information, hohe Fehleranfälligkeit, enger Zeitrahmen oder mehrere involvierte Abteilungen. Abgesehen davon, weisen besonders die Entscheidungspunkte in den Geschäftsprozessen auf Verbesserungspotentiale hin – etwa durch Automatisierung. Weitere Anregungen sind durch Vergleiche zu gewinnen, beispielsweise mit „Benchmarking“ der eigenen BI-Anwendungen auf Gebieten wie: Prognose der Nachfrage, Lageroptimierung, Kapazitätsplanung und Preissetzung. Impulse können auch die eigenen Abteilungen liefern. Zudem bieten Megatrends wie Urbanisierung, Mobilität und Konnektivität nützliche Hinweise. Dasselbe gilt für Experteninterviews oder Fachtagungen.
  • Daten und Applikationen. Dieser Bereich widmet sich den vorhandenen Datenbeständen sowie eingesetzten BI-Applikationen. Denn die Unternehmen werten in der Regel nur einen geringen Teil der Daten in ihren Systemen aus. Aus einer Überprüfung der tatsächlich genutzten Daten lassen sich Anhaltspunkte für vorteilhafte Anwendungen ableiten. Manche Applikationen, vor allem am Markt erworbene BI-Suiten, enthalten oft Funktionen, die nicht gebraucht werden. Ein typisches Beispiel sind Data Mining-Module, die in vielen Programmen standardmäßig enthalten sind, aber nur von vergleichsweise wenigen Unternehmen eingesetzt werden.

EINFÜHRUNG DER ANWENDUNG
Wie soll die Suche nach nutzbringenden BI-Anwendungen mit dem dargelegten Raster idealerweise gestaltet werden? Klar ist: Sie müssen geschäftlichen Nutzen realisieren. Für eine zielführende Suche sind deshalb sowohl fachliches als auch BI-Wissen erforderlich, das in den Unternehmen nicht gleichmäßig verteilt ist. Die Fachabteilungen verfügen über vertiefte Sachkenntnis, ohne das Anwendungspotential der Business Intelligence zu kennen. Bei der IT-Abteilung verhält es sich umgekehrt. Deshalb suchen Fach und IT-Verantwortliche innovative BI-Anwendungen gemeinsam, iterativ und explorativ. Anhand des vorliegenden Rasters lassen sich Anwendungen finden, die einen möglichst großen Nutzen für das Unternehmen erbringen. Für die Einführung der ersten Anwendungen empfiehlt es sich, kleine und klar eingegrenzte Probleme in Angriff zu nehmen. Mit Prototypen lässt sich das gewählte Vorgehen vorab überprüfen. Größere Projekte sollte das Management idealerweise in kleinere, überschaubare aufteilen. Optimal sind Projektzeiträume zwischen drei und sechs Monaten. Ein schrittweises, iteratives Vorgehen hilft, realistische Ziele zu erreichen. Schulungen fördern die Anwendung von Business Intelligence im Unternehmen.

Aber Vorsicht bei mathematischen Modellen in BI-Anwendungen: Unternehmen sollten sie regelmäßig auf deren Gültigkeit überprüfen. Es ist empfehlenswert, systematisch vorzugehen, beispielsweise anhand eines Modellmanagements. Dieses enthält eine Modellbibliothek und ein entsprechendes Versionierungssystem, das den Gebrauch der Modelle erleichtert. Um den geschäftlichen Nutzen der realisierten Anwendungen nachhaltig zu sichern, ist dieser vor der Einführung und während des Betriebs kontinuierlich nachzuweisen. Ein BI-Kompetenzzentrum koordiniert und vereinheitlicht dazu die Suche, die Einführung und den Betrieb der Anwendungen. Dieses Gremium setzt sich aus Vertretern der Fach- und IT-Abteilungen sowie weiteren Spezialisten zusammen, wie zum Beispiel Statistikern.

FAZIT
Business Intelligence-Anwendungen unterstützen die Realisierung von geschäftlichem Nutzen, die Sicherung von Wettbewerbsvorteilen und die nachhaltige Stärkung der Unternehmensstrategie. Der Erfolg von Web-2.0-Unternehmen wie Amazon basiert auf dem konsequenten Einsatz innovativer, zukunftsorientierter BI-Anwendungen. Diese geben beispielsweise Empfehlungen ab, treffen Entscheide, lösen Handlungen aus und steuern Abläufe, während herkömmliche Anwendungen oftmals lediglich historische Reports bereitstellen.

Es empfiehlt sich deshalb, Anwendungen strukturiert zu suchen und in Form von Projekten zu implementieren, sodass sie einen möglichst großen geschäftlichen Nutzen bringen. Fach- und IT-Abteilungen setzen dabei das hier vorgestellte Suchraster mit Heuristiken ein, um gemeinsam erfolgversprechende, zukunftsorientierte Anwendungen explorativ und iterativ herauszuarbeiten. Ein schrittweises Vorgehen bei der Einführung hilft, das Realisierungsrisiko zu beschränken.

* Ilias Ortega arbeitet als Senior Consultant für Business Intelligence bei Trivadis. Er ist promovierter Betriebswirtschafter der Universität St. Gallen und diplomierter Ingenieur der ETH Zürich.


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