Auf der einen Seite rufen Unternehmen ihre Belegschaft zurück ins Büro, auf der anderen Seite verlangen Mitarbeiter nach flexiblem Arbeiten – Josephine Hofmann vom Fraunhofer IAO nennt die Knackpunkte in puncto Home Office. [...]
„Wir haben es blühen und manchmal auch wuchern lassen.“ So lautet ein Zwischenfazit von Josephine Hofmann in Sachen Home Office. Hofmann leitet das Competence Center Business Performance Management beim Fraunhofer IAO. Damit forscht sie auch über flexible Arbeitsformen. Im Gespräch mit dem CIO-Magazin stellt sie fest: „Es wird eine Riesendiskussion auf uns zukommen.“
Resumé:
- Die Frau, die der Kinder wegen im Home Office arbeitet, hat weder bessere noch schlechtere Gründe als der Kollege mit der Rockband
- Künftig könnten Städte bei Feinstaubalarm Home Office verordnen
- Home Office heißt künftig nicht mehr zwingend „Arbeiten von zuhause aus“, sondern auch etwa vom Zug, vom Kunden oder Hotel aus.
GEMEINSAMER SPIRIT TROTZ HOME OFFICE?
Schlagzeilen rund um Yahoo-Chefin Marissa Mayer oder IBM, die die Mitarbeiter wieder ins Büro zurückrufen, überraschen Hofmann nicht. Sie weiß um die Sensibilität eines Themas, das Arbeiten und Leben berührt, und um dessen Komplexität. Frank Schabel, Head of Marketing/ Corporate Communications beim Personaldienstleister Hays, bestätigt: „Es gibt zwei sich widersprechende Entwicklungen: Auf der einen Seite ist Homeoffice nach wie vor für viele Mitarbeiter ein wichtiges Thema, zum Beispiel, weil sie lange Anfahrtswege haben oder Kinder beziehungsweise Eltern betreuen.
Das hat also oft pragmatische und keine grundsätzlichen Gründe.“ Aber auf der anderen Seite, so Schabel weiter, haben Unternehmen festgestellt, dass für Unternehmenskultur, Teambildung und die Art der internen Zusammenarbeit der persönliche Austausch wichtig ist. „Arbeiten viele Mitarbeiter mobil, entsteht kein gemeinsamer Spirit, und das Arbeiten an gemeinsamen Zielen zerfranst. Daher fahren Unternehmen die Option auf Homeoffice wieder zurück“, beobachtet er.
Für Schabel folgt daraus: „In meinen Augen wird sich das Thema zwischen diesen beiden Polen einpendeln. Der Wunsch der Mitarbeiter nach mobilem Arbeiten ist nicht vom Tisch, er sollte jedoch mit den Interessen des Unternehmens harmonieren.“
HOME OFFICE – SECHS KNACKPUNKTE
Auch Hofmann vermisst die Balance zwischen diesen beiden Polen. Ihre Schilderungen verweisen auf fehlende Regelungen innerhalb deutscher Unternehmen. Die Diskussion, die die Forscherin erwartet, wird sich um folgende Aspekte drehen:
Mangelnde Flexibilität: „Starre Regelungen, etwa, dass an festen Tagen von daheim aus gearbeitet wird, sind nicht mehr zeitgemäß“, sagt Forscherin Hofmann. Sie will den Begriff der Flexibilität auf Orte wie auf Zeiten ausgedehnt sehen. Das so genannte Home Office – die Forscherin bevorzugt den Begriff „mobiles Arbeiten“ – bezieht sich dann auf Tätigkeiten von zu Hause, vom Zug, vom Hotel oder vom Kunden aus. Einen aktuellen Schub bekommt diese Diskussion im Rahmen der Feinstaub-Problematik. Hofmann beobachtet, dass sich flexible Arbeitsformen mittlerweile zum Thema von Stadtplanern entwickeln. So sei es denkbar, dass künftig bei Feinstaub-Alarm Home Office angeordnet wird, um Verkehr zu vermeiden.
Rechts- und Governancefragen: Wer flexibles Arbeiten auf Orte wie Hotels oder den Zug ausweitet, hat es nicht mit einem „ergonomiefreien Raum“ zu tun, wie Hofmann sagt. Ist der Mitarbeiter von zuhause aus tätig, muss das Unternehmen kontrollieren, ob er dort vernünftiges Licht hat, auf geeigneten Büromöbeln sitzt und Weiteres. Für Arbeiten im Zug gilt das bisher nicht, da das zeitlich begrenzt ist und nicht auf Dauer angelegt. Die Forscherin: „Hier könnten in Zukunft neue Diskussionen auf uns zukommen“
Ladies first? Oft steht Home Office mit Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen im Zusammenhang und gilt damit als Frauenthema. Das findet nicht jeder gerecht. Hofmann kennt die ungute Diskussion über „richtige“ und „falsche“ Begründungen, flexibel arbeiten zu wollen. So hat sie ein Unternehmen begleitet, in dem ein Mitarbeiter mehr Flexibilität wollte – er spielt in einer Rockband, traute sich aber nicht, das als Begründung anzuführen. Entscheider erkennen das, bestätigt Hofmann. „Seitens der Unternehmen wird immer weniger nach spezifischen Gründen gefragt“, sagt sie. „Stattdessen zählen die beiden Kernfragen: Passt es zur Tätigkeit und passt es zur Person?“
Die „Was ziehe ich an?“-Frage: Wer in geografisch verteilten Teams arbeitet, die sich über Videokonferenzen zusammenschalten, ist mit ganz Handfestem konfrontiert. So mag einer der Teilnehmer zum Zeitpunkt des virtuellen Meetings um zehn Uhr morgens gerade erst aus dem Bett gekommen sein und schaltet sich vielleicht im Schlafanzug zu. „Trifft man sich persönlich, gilt der Dresscode des Gastgebers“, erklärt Hofmann. „Aber wie regelt man das im virtuellen Raum? Praktiker berichten, wie irritiert beispielsweise Japaner auf den lockeren Amerikaner mit T-Shirt und Käppi reagieren können.“
Das Fehlen des „Flurfunks“: Der Meier ignoriert neuerdings den Müller, und im dritten Stock sind seit ein paar Tagen immer die Türen zu. Der „Flurfunk“ trägt solche Beobachtungen weiter und kann das Unternehmensklima beeinflussen. Im Home Office ist man von solchen Informationen abgeschnitten. „Wir erforschen Möglichkeiten, diesen Flurfunk auch virtuell abzubilden“, berichtet Hofmann. So könnte ein Team jenseits der fachlichen Besprechungen in einen bewusst locker gehaltenen Chat wechseln und dort die Gerüchte des Tages austauschen. Letztlich geht es hier um „den Kitt, der die Mitarbeiter verbindet“, wie die Forscherin sagt.
Agile Methoden: Die Verbreitung agiler Methoden wie Scrum stellt flexibles Arbeiten auf den Prüfstand. „Das tägliche Standup-Meeting lebt davon, dass die Leute da sind“, bestätigt Hofmann. Sie kennt Projektleiter, die nicht gern mit zugeschalteten Kollegen arbeiten. Das IAO forscht daran.
FLEXIBLES ARBEITEN MACHT ARBEIT
„Flexibles Arbeiten macht Arbeit“, sagt Hofmann offen. Von den Mitarbeitern erfordert es eine gute Selbstorganisation und von allen Beteiligten sehr regelmässige und bewusste Kommunikation. Man muss Tools und Geräte ein- und ausschalten, Teams und Führungskräfte müssen sich absprechen, wer wann wo erreichbar ist. Je flexibler gearbeitet wird, desto mehr Disziplin brauchen alle. Bei all der Diskussion ist die Forscherin überzeugt: „In zehn Jahren wird flexibles Arbeiten selbstverständlich sein!“
*Christiane Pütter ist Journalistin aus München
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