Hybrides Arbeiten geht nur, wenn die Technik reibungslos funktioniert und die Menschlichkeit nicht auf der Strecke bleibt, so das Ergebnis eines aktuellen, virtuellen CW-Roundtables. [...]
Die Pandemie wirkt wie ein Innovationsbeschleuniger. Im Frühjahr 2020 mussten Unternehmen schnell reagieren und ihren Beschäftigten, wo immer das möglich war, Home-Office und mobiles Arbeiten anbieten. Lehnten vorher viele Chefs hybride Arbeitsformen ab, blieb ihnen während des ersten Lockdowns keine andere Wahl. Doch wie sieht es nach eineinhalb Jahren aus? Entwickelt sich hybrides Arbeiten zum New Normal? Das wollte die Computerwoche wissen und lud Expertinnen und Experten aus der IT-Branche zu einer virtuellen Diskussionsrunde ein.
Im März 2020 suchten Unternehmen händeringend nach Softwarelösungen, Kollaborations- sowie Videokonferenz-Tools, damit ihre Angestellten im Home-Office problemlos weiterarbeiten konnten. Gefragt waren beispielsweise mobile Lösungen, um gemeinsam an Dokumenten zu arbeiten sowie eine gut funktionierende Anruf- und Mailweiterleitung. Auch Videotools sowie der sichere Zugriff auf das Firmennetzwerk waren gefragt. „Heute haben die Kunden spezifischere Anforderungen, etwa dass Lösungen besser in ihre IT-Landschaft integriert werden“, sagt Galina Goduhina, Sales Director von Onlyoffice, einem Anbieter von Bürolösungen auf Cloud-Basis.
Es geht um die Beschäftigungsfähigkeit
Ähnlich sieht es auch Dr. Ralf Ebbinghaus, Geschäftsführer von Enreach Deutschland. „Mit Corona wechselten die Beschäftigten ad hoc ins Home-Office. Jetzt wollen viele Kunden das mobile Arbeiten professionalisieren.“ Integrierte Lösungen seien gefragt, so Ebbinghaus, etwa dass während einer Videokonferenz kein Telefon klingele oder die fünf wichtigsten Kunden immer durchgestellt werden.
Vor Corona herrschte hierzulande große Skepsis gegenüber Cloud-Anwendungen, doch Kollaborationstools benötigen einen virtuellen Speicher. „Viele Firmen haben alle Bedenken gegenüber Cloud über Bord geworfen, denn sie wollten die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Teams sichern“, sagt Christian Koch, Manager Unified Communication & Collaboration beim Beratungshaus Campana & Schott.
Doch hybrides Arbeiten ist kein Selbstläufer. Nicht alle Kollaborationstools lassen sich intuitiv bedienen, gerade viele ältere Beschäftigte, die keine Erfahrung im mobilen Arbeiten mitbringen, fühlen sich von der neuen Arbeitsumgebung im Home-Office überfordert. „Softwareentwickler fügen gerne neue Knöpfe und Funktionen hinzu. Dabei besteht die Kunst darin, möglichst viel wegzulassen und das User-Interface einfach zu gestalten“, sagt Ebbinghaus.
Basistechnik reicht nicht auf lange Sicht
New Work verlangt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel ab. Deshalb brauche es Führungskräfte, die auch in dieser Situation die Menschlichkeit im Blick behalten und ihren Führungsstil anpassen. Das fängt bei der Aufgabenverteilung an. Wenn Chefs Arbeitsaufträge ohne Kommentar per Mail weiterschieben, verlieren die Angestellten den Überblick und mit der Zeit auch die Geduld.
Ein Griff zum Telefon oder eine kurze Videobesprechung hilft oft. „Nach einem Telefonat können Beschäftigte den Arbeitsauftrag besser einschätzen“, sagt Christian Koch. In einem kurzen Video-Call bekommen sie auch Mimik und Stimmung ihres Gegenübers mit. Koch beobachtet, dass sich viele Firmen zunächst darauf konzentrierten, eine Basistechnik einzuführen, und sich um die IT-Sicherheit kümmerten. Doch die Arbeitsorganisation dürfe nicht zu kurz kommen, mahnt er.
Videokonferenzen sind ein zweischneidiges Schwert. In manchen Firmen jagt eine virtuelle Besprechung die nächste. Vielen Mitarbeitern fehlt die Zeit, das Besprochene nachzuarbeiten oder zu dokumentieren. Manche Beschäftigte fühlen sich enorm unter Druck. „Wichtig ist, dass Führungskräfte ihre Teams unterstützen und diesen Druck nehmen“, sagt Wolfram Disch, Mitglied des Senior Leadership Teams des IT-Dienstleisters Experis.
Studie „Hybrid Work 2022“: Sie können sich noch beteiligen! |
Zum Thema Hybrid Work führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, hilft Ihnen Frau Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384) gerne weiter. Informationen zur Hybrid-Work-Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).Profil von Regina Hermann im CIO-Netzwerk |
Mehr Toleranz verbessert Arbeitsklima
Gerade weil mobiles Arbeiten den Beschäftigten mehr abverlange, brauche es Chefs, die wissen, wie sie ein virtuell arbeitendes Team erfolgreich führen. Dazu zählt beispielsweise, Arbeitsaufträge und Besprechungen besser zu planen und niemanden zu überfordern. Besonders wenn sie berufstätige Eltern im Home-Schooling-Stress im Team haben, sollten sie tolerant reagieren, wenn ein Kind des Mitarbeiters mal durchs Bild läuft oder getröstet werden muss. Mehr Rücksicht aufeinander verbessert das virtuelle Arbeitsklima. Vergisst beispielsweise ein Angestellter, die Kamera richtig einzustellen, hilft es, dezent oder mit einem Scherz darauf hinzuweisen, um peinliche Situationen für alle zu vermeiden.
Eine professionelle Ausstattung sollte selbstverständlich sein. Doch oft fehlt Beschäftigten in der eigenen Wohnung ein Arbeitszimmer. Manchen ist es unangenehm, wenn die Chefin sieht, wie das Wohnzimmer dekoriert ist oder wenn schmutziges Geschirr ins Bild ragt. Ein virtueller Hintergrund im Videotool löst dieses Problem elegant und einfach.
Teammanager sollten darauf achten, dass auch im Home-Office die Privatsphäre der Mitarbeiter geschützt ist. Außerdem empfiehlt es sich, genügend Abstand zur Kamera zu haben, damit nicht jede Falte im Gesicht auffällt. Schließlich rücken sich Angestellte im Konferenzsaal auch nicht auf die Pelle. Wolfram Disch empfiehlt beispielsweise ungeplante Anrufe, um sich mit Mitarbeitern informell über aktuelle Aufgaben auszutauschen oder manchmal die Kamera auszuschalten, wenn es nur um kurze Absprachen geht.
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Das Gespräch in der Küche fehlt
Viele Beschäftigte im Home-Office vermissen den Tratsch mit den Kollegen in der Kaffeeküche oder auf dem Flur. Plattformen können diesen Wissensaustausch nur ungenügend ersetzen. Gestresst fühlen sich manche auch von dem Gefühl, immer erreichbar zu sein. Führungskräfte haben gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Fürsorgepflicht und sollten klare Grenzen setzen, wann im häuslichen Büro Feierabend ist. Absprachen und die Technik helfen, das auch umzusetzen.
Christian Ruoff, Co-Founder von Epikshare, erzählt, dass sein Startup, das über drei Standorte verfügt, selbst gekämpft habe, um gut virtuell zusammenzuarbeiten. Entstanden sei Epikshare, weil in der hybriden Arbeitswelt noch ein paar Puzzleteile fehlten, so Ruoff. „Für unsere Kunden war es wichtig, die Sicherheitsstandards zu erhöhen“, so Ruoff, der auch die Leitung Services und Marketing innehat. Die virtuelle Zusammenarbeit falle besonders den Mitarbeitern schwer, die bisher immer im Büro gearbeitet haben und den User-Support jederzeit erreichen konnten.
Begehrte Supporter müsssen es richten
„Zu viel Technik macht den Beschäftigten Angst, besonders dann, wenn sie alleine zuhause vor dem Rechner sitzen“, sagt Ruoff. Entscheidend seien empathische Mitarbeiter im Helpdesk, die die Probleme der Kunden ernst nähmen und kompetent lösten. Außerdem sollten alle, die im User-Support arbeiteten, „gut drauf“ sein und am Telefon gute Laune verbreiten, empfiehlt Ruoff. Gerade weil den Mitarbeitern im Home-Office viel abverlangt werde, sei ein empathischer Support entscheidend. „Die Mitarbeiter im Helpdesk müssen behutsam vorgehen und einfühlsam mit den Leuten reden“, sagt Ruoff.
Damit eine neue Plattform oder Software nicht abgelehnt werde, sei es notwendig, Schlüsselfiguren im Unternehmen zu identifizieren und sie mit der neuen Technik zu schulen. Sie tragen die Idee weiter, lernen ihre Kollegen an und motivieren sie. „Mehr Zeit in die Schulung der Mitarbeiter zu investieren, bringt den größten Erfolg, so unsere Erfahrung. Nur so schafft man es, alle mitzunehmen“, verrät Christian Ruoff.
Mehr Webinare und E-Learning
Mit dem Lockdown brach das Weiterbildungsgeschäft in Präsenz zusammen. Doch damit Beschäftigte schnell und effizient mobil arbeiten können, brauchen sie neben einem professionellen Helpdesk auch Schulungen. Mit Webinaren und E-Learning-Angeboten schlossen viele Firmen diese Lücke. Davon profitierten die E-Learning-Anbieter. „Schon seit einigen Jahren spüren wir einen starken Trend zu mehr E-Learning“, sagt Dr. Hartwig Holzapfel, Mitglied der Geschäftsleitung von time4you. Das 1999 in Karlsruhe gegründete Unternehmen zählt zu den Pionieren der Branche.
Während Corona suchten Kunden oft kurzfristig nach Schulungsangeboten und entschieden sich häufig für Webinare. Doch Online-Lerninhalte müssten konzeptionell in das Trainingskonzept eines Unternehmens eingebaut werden und das brauche Zeit, so Holzapfel. Auch die Nachfrage nach Lernplattformen nahm zu. E-Learning-Angebote schaffen flexible Lernanreize, die Mitarbeiter ohne Reisekosten und wenig Aufwand nutzen können. Auch nach einem Training liefert die Lernplattform oft noch ergänzende Informationen oder Tests.
Humor darf nicht zu kurz kommen
Im Frühjahr 2020 dachten viele, dass die Beschäftigten bald in die Firmen zurückkehren. Spätestens im Winter 2021 zeigt sich, dass das eine naive Illusion war. Deshalb wird es höchste Zeit, dass sich Firmen neben professionellen Kollaborationstools und IT-Sicherheit mehr um psychologische Aspekte und die Arbeitsorganisation kümmern. Denn je länger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mobil arbeiten, desto deutlicher zeigt sich, dass ohne Empathie und Humor auch die Produktivität leidet.
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*Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
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