Gartner und Forrester sind sich einig: Chief Digital Officer werden immer wichtiger. Neues Personal braucht es dazu aber nicht unbedingt. CIOs können das auch. [...]
Kommen ein Chief Marketing Officer (CMO), ein Chief Information Officer (CIO)und ein Chief Digital Officer (CDO) nacheinander in dieselbe Bar. Als erster tritt der CMO durch die Tür, bestellt ein Bier. Sagt der Barkeeper: „Tut mir echt leid, aber ich kann dir nichts geben. So, wie du aussiehst, weißt du vermutlich noch nicht mal, wie man ein Glas hält.“
Als nächstes kommt der CIO rein. Auch er bestellt ein Bier. Der Barkeeper: „Sorry. Klar, du weißt, wie man trinkt. Aber du hast bei mir noch unbezahlte Rechnungen liegen, die mindestens zehn Jahre alt sind. Deshalb: keine neuen Drinks.“ Der CIO ist ziemlich verdattert, wirft einen Blick auf den CMO, der nur ratlos mit den Schultern zuckt.
In dem Moment erscheint der CDO. Der Barmann begrüßt ihn enthusiastisch, gibt ihm High Five, sagt: „Mensch Alter, schön dich zu sehen. Was willst du Trinken? Das Erste geht aufs Haus!“
Ob mit dem Barkeeper der CEO oder der CFO gemeint sein soll, kann jeder Leser selbst entscheiden.
DIE PROPHEZEIUNGEN VON GARTNER UND FORRESTER
Den Witz veröffentlichte Scott Brinker schon vor etwa einem Jahr auf chiefmartec.com. Zugegeben, die Parabel ist etwas schlicht, dennoch beschreibt ihre Botschaft recht gut den Kern jener Diskussion, die vor allem US-Analysten und Journalisten seit etwa einem Jahr mit wachsender Leidenschaft führen: Gartner prophezeite schon im vergangenen Herbst, dass 2015 ein Viertel aller Organisationen einen CDO haben werden.
Forrester veröffentliche im November einen Report mit dem Titel „The Chief Digital Officer: Fad or Future?“ (Sinngemäß etwa: „Hype oder realistische Vision?“) Um nur wenig später, im März 2014, noch einmal nachzulegen mit einer Studie namens „Die DNA des Chief Digital Officers.“ Der Verkaufstext zu dieser Untersuchung („Why read this report?“) endet mit dem schönen Satz: „CIOs können diese Anleitung dazu nutzen, ihre technologischen Führungsqualitäten zu schärfen und die digitale Transformation ihres Unternehmens voranzutreiben.“
CEOS DRÄNGEN AUF STRATEGIE FÜR DIGITALE TRANSFORMATION
Die Botschaft ist unmissverständlich: Unternehmen brauchen nicht unbedingt einen neuen Macher, sondern jemanden, der eine bestimmte Rolle ausfüllt. Martin Gill, Principal Analyst bei Gartner: „Immer mehr CEOs bringen ihren Wunsch, die digitale Transformation zügig voranzutreiben, dadurch zum Ausdruck, dass sie einen CDO ernennen….Dabei geht es im Kern darum, dass Unternehmen dringend eine Strategie für die digitale Transformation benötigen. Welchen Titel derjenige trägt, der diese Strategie umsetzt, ist nicht so wichtig.“ Dieser jemand kann also auch der CIO sein. Womit wir wieder beim Rollenverständnis wären.
IN DEUTSCHLAND GIBT ES KAUM CDOS
Bevor wir uns näher damit beschäftigen, darf allerdings der Hinweis nicht fehlen, dass nicht nur die ganze Diskussion eine zunächst amerikanisch/britische ist, sondern auch die Jobbezeichnung CDO: Nach Angaben von Gartner arbeiten 65 Prozent der bekannten CDOs in den USA und weitere 20 Prozent in Großbritannien. Wenn es aber insgesamt – auch das schreibt Gartner – lediglich „mehr als 100“ solcher Jobs in großen Unternehmen gibt, dann ist es schon eine echte Rechercheaufgabe, einen offiziell so bezeichneten CDO außerhalb des USA und des UK zu finden.
Was es in Deutschland gibt, sind zumindest Spuren: Kai Kuklinski, neuer CEO der AXA-Versicherung, war zuvor unter anderem Digital Officer der AXA Winterthur Versicherungs AG in der Schweiz. Aber sonst?
Auch wenn die Entwicklung noch am Anfang steht: Spannend ist der Diskurs auch hierzulande. Erstens, weil er aller Erfahrung nach auch bei uns schon sehr bald an Fallhöhe gewinnen wird. Zweitens berührt der „Fall CDO“ mehrere wichtige Aspekte von Rollenbild und Image verschiedener C-Positionen.
DIE IT-HELDEN DER NÄCHSTEN GENERATION
Die gängigsten Klischees spiegelt eingangs zitierter Witz: Der Chief Marketing Officer ist ambitioniert, aber man traut ihm vieles nicht zu. Der CIO kann vieles, aber er hat in der Vergangenheit – allzu oft – nicht geliefert. Der Chief Digital Officer dagegen ist sehr beliebt, aber vielen Beobachtern bleibt unklar, warum genau.
Anhaltspunkte lieferte vor einiger Zeit Berater, Unternehmer und Autor Peter Hinssen auf der Website „Business Insider“: „Wer kümmert sich denn um strategische Fragen rund um Big Data und um Innovationen mit Hilfe von Datenanalyse? Der CDO! Diese IT-Helden der nächsten Generation haben verstanden, dass Digitalisierung DER Schlüssel zur Innovationsfähigkeit ihres Unternehmens ist.“
Dass sich vorhandenes C-Personal quasi zu IT-Helden weiterbilden lässt, glaubt Hinssen dabei nicht, wobei sich seine Analyse vor allem auf die USA bezieht: „Viele CIOs von Unternehmen haben keinen IT-Background. Sie kommen aus hoch angesehenen Abteilungen wie Marketing, Vertrieb oder Business Development. Eigentlich von überallher, nur nicht aus der IT.“ Auf Europa und insbesondere Deutschland trifft das allerdings sehr viel seltener zu.
ENTTÄUSCHTE ERWARTUNGEN AN DEN CIO
Die Bemerkung zeigt, worauf die Diskussion um den CDO – mal wieder – zuläuft: Es geht im Kern um den CIO und um die – vielleicht enttäuschten – Erwartungen an ihn. Und die Diskussion ist ein Beleg dafür, dass es für CIOs schlicht unmöglich ist, diese Erwartungen zu erfüllen. Zu wenig Nähe zur IT?
Mindestens ebenso beliebt ist der entgegengesetzte Vorwurf. Anh Nguyen, Autorin der CIO-Schwesterpublikation Computerworld UK, berichtete am siebten April über eine Studie aus Berlin, deren Autoren herausgefunden hatten, dass 70 Prozent aller CIOs introvertiert sind.
Professor Joe Peppard von der European School of Management and Technology hatte rund 200 IT-Führungskräfte einem psychometrischen Test mit dem Namen „Myers Briggs Type Indicator“ unterzogen. Dieser Test unterscheidet 16 Mentalitätstypen. Umso erstaunlicher, dass 70 Prozent aller IT-Chefs nur einem einzigen Muster zuzuordnen sind: dem des tausendfach beschriebenen Nerds.
IMMER DIESELBEN KLISCHEES ÜBER CIOS
Menschen, die dem von Peppard beschriebenen Muster folgen, werden von den Erfindern des beschriebenen Tests etwas kryptisch als „ISTJs“ (Introversion, Sensing, Thinking, Judging) bezeichnet. Sie hätten, schreibt der Professor, „ein starkes Verantwortungsgefühl und hohe Loyalität. Sie lassen sich von ihrem Wissen und ihrer Erfahrung leiten und orientieren sich an unmittelbaren praktischen Anforderungen ihres Jobs. Sie ziehen es vor, alleine zu arbeiten, erfüllen die Anforderungen pünktlich und gemäß den Anforderungen.“
Und Joe Peppard sagt über jene, die dem beschriebenen Persönlichkeitstyp zuzurechnen sind auch: „Man kann sie als praktisch, pragmatisch und sensibel beschreiben, aber auch als unbeweglich und übertrieben ernst. Sie bemühen sich um Perfektion und sind unter Umständen schlecht im Delegieren. Sie haben die Neigung, sich in Details zu verheddern und sehen unter Umständen den Wald vor lauter Bäumen nicht.“ Zack! Mehr Klischee geht nicht.
DIE ÜBLICHE DISKUSSION
Oder doch. Nämlich wenn Peppard abschließend schreibt, CIOs hätten in der Regel vorschreibende oder logische Fächer wie Mathematik, Physik, Ingenieurwesen oder Computerwissenschaften studiert und den größten Teil ihrer Karriere in einer IT-Rolle zugebracht, die von Vorschriften und begrenzenden Rahmenbedingen geprägt war.
CIOs sind also einmal zu sehr Techniker, dann wieder zu wenig, eine Diskussion, die quasi zu einem Teil des normalen Betriebsgeräuschs von Analysten und Journalisten geworden ist.
KÖNNEN CIOS AUCH CDO? SELBSTVERSTÄNDLICH
Doch die Ausgangsfrage lautete ja: Können CIOs auch CDO? Antwort: Selbstverständlich. Das gilt vor allem deshalb, weil es ja mittlerweile ohnehin fast kein IT-Thema mehr gibt, das nicht mit Digitalisierung zu tun hat. CIO müssen sich also zwangsläufig damit beschäftigen.
Und es geht ja auch – an diesem Punkt Martin Gill von Forrester Research völlig Recht – gar nicht um die Frage, wer es macht, sondern dass es überhaupt passiert. Dass Unternehmen eine Digital-Strategie entwickeln oder sich zumindest überlegen, wie sie auf den rasanten Trend zur Digitalisierung aller Lebens- und Businessbereiche reagieren wollen.
„Organisationen müssen vor allem lernfähig sein“, sagt Martin Gill. „Und sie müssen die Grenzen zwischen ‚traditionell‘ arbeitenden Business Units auf der einen und bereits im digitalen Zeitalter angekommenen Abteilungen auf der anderen Seite einreißen.“
CMO, CIO UND CDO GEMEINSAM IN DER KNEIPE
Außerdem sollten sie das Rollenverständnis und die Klischees, die den unterschiedlichen C-Jobs anhaften, überwinden, möchte man hinzufügen. Dann sitzen CMO, CIO und CDO am Ende hoffentlich gemeinsam in der Kneipe beim Bier, statt sich einzeln den Launen des Barkeepers auszusetzen.
* Christoph Lixenfeld ist Redakteur der deutschen CIO.
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