Innovationskraft der Mitarbeiter zur Automatisierung nutzen

Die Entwicklung von Anwendungen durch die Mitarbeiter selbst spielt bei der Automatisierung eine zunehmend wichtige Rolle. So setzen Sie ein Citizen-Developer-Programm schnell und effizient um. [...]

Unternehmen, die schlankere und agilere Strukturen mit möglichst hohem Automatisierungsgrad wollen, benötigen in erster Linie die Innovationskraft ihrer Mitarbeiter (c) pixabay.com

Der Fachkräftemangel nimmt in Deutschland weiter zu und betrifft vor allem den Tech-Sektor. Es ist daher nicht verwunderlich, dass im Bereich Automatisierung derzeit sogenannte Citizen Developer im Fokus der digitalen Transformation stehen. Denn mit Low-Code- und No-Code-Plattformen kann im Prinzip jeder Mitarbeiter Apps benutzerfreundlich via Drag-and-Drop-Code erstellen – auch ohne Coding-Expertise, die über Jahre hinweg angeeignet wurde. Viele der so erstellten Anwendungen wären bei einem reinen Top-Down-Ansatz wahrscheinlich nie entwickelt worden, auch wenn sie für die Automatisierung in Unternehmen großes Potenzial bieten.

Bei Citizen Developern handelt es sich um Mitarbeiter, die eigentlich keine Programmierer sind und nicht zwingend tiefergehende Technologiekenntnisse haben. Dennoch entwickeln sie aus eigener Motivation heraus kleinere Automatisierungen für alltägliche Prozesse und Arbeitsabläufe, um die Arbeit – vor allem auch ihre eigene – zu vereinfachen.

Generell sind Citizen Developer problemlösungsorientiert und aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien und Fertigkeiten. Zu ihren Kernkompetenzen gehört, dass sie prozessorientiert denken und Defizite sowie Verbesserungspotenzial in ihrem Arbeitsumfeld selbstständig erkennen. Schließlich weist jede Arbeitsumgebung sich wiederholende Prozesse auf, die die Möglichkeit zur Automatisierung bieten. Für eine Automatisierung dieser Prozesse ist es jedoch unabdingbar, dass deren Verarbeitung einer einfachen Logik mit wenigen Ausnahmefällen unterliegt, und die Daten elektronisch oder maschinell lesbar sind.

Citizen Developer verändern die Rolle der IT

Mit Citizen Developern im Unternehmen verändert sich auch das Aufgabenspektrum der IT; ein Paradigmenwechsel innerhalb dieser Abteilung ist notwendig. Die IT-Abteilung war lange Zeit eher als Einzelkämpfer in den Unternehmen bekannt, doch durch neue agile Methoden und DevOps veränderte sie sich nach und nach zum Teamplayer. Auch das Center of Excellence (CoE) agiert nun anders, beziehungsweise muss sich durch den Einsatz von Citizen Developern verändern.

Verstand sich das CoE bisher eher als Treiber einer Top-Down-Automatisierung, kommen nun neue Aufgaben und Funktionen hinzu. Zum einen müssen Citizen Developern passende Tools und ein entsprechender Entwicklungsrahmen zur Verfügung gestellt werden, um die Entstehung einer unkontrollierten Schatten-IT zu vermeiden. Zum anderen sollte das CoE die Rolle des Kommunikators, Problemlösers und Trainers übernehmen – und somit als Prüfinstanz für die neuen Lösungen der Citizen Developer fungieren.

Automatisierungsentwickler und CoE-Mitglieder lernen in einem ersten Schritt künftige Citizen Developer an und leiten sie. Dies geschieht entweder intern über eigene Trainings oder Online-Lernplattformen oder durch externe Schulungen, die vom Plattformanbieter angeboten werden. In Trainings und Guidelines müssen den Citizen Developern die Besonderheiten der verwendeten Plattformen erläutert werden.

Entwickler und CoE-Mitglieder sollten bei Problemen jederzeit als Ansprechpartner für Citizen Developer zur Verfügung stehen sowie erstellte Automatisierungen überprüfen, bevor diese genutzt werden. Durch eine solche vorherige Überprüfung kann auch evaluiert werden, ob die Lösungen sich für eine unternehmensweite Skalierung eignen. Um bei einer Vielzahl an Entwicklern die Sicherheit zu gewährleisten, sollten die Citizen Developer zudem im sicheren Umgang mit Daten bei Automatisierungslösungen sensibilisiert und überprüfbare Governance– und Compliance-Richtlinien implementiert werden.

Citizen Developer entlasten IT-Abteilung

Mit der neuen Rolle als Bindeglied zwischen Citizen Developer und oberster Automatisierungsinstanz im Unternehmen, beispielsweise dem Chief Automation Officer, kommen zwar auf IT und CoE zusätzliche Aufgaben zu, aber auch eine Entlastung. Denn die Mitarbeiter der IT-Abteilung können sich so auf große End-to-End-Prozessautomatisierungen im Unternehmen konzentrieren.

Die Mitarbeiter – befreit von repetitiven Routineaufgaben – können sich auf ihre Qualifikationen und Kernaufgaben konzentrieren. Dabei werden ihre Motivation und Zufriedenheit gesteigert, weil sie aus eigenem Können Kompetenzen zur Problemlösung entwickelt haben.

Praxis-Tipps: Citizen Developer erfolgreich einführen

Automatisierung kann und sollte von Unternehmen proaktiv über ein Citizen-Developer-Programm schnell und effektiv vorangetrieben werden. Hier hat sich in der Praxis folgendes Vorgehen bewährt:

  • Das Citizen-Developer-Programm sollte als Wertschätzung und Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter verstanden und kommuniziert werden. Die Unternehmensleitung muss sich darüber im Klaren sein, dass es um erhebliche Investitionen geht, deren ROI neben der schnelleren und verstärkten Automatisierung auch eine engere Bindung der High-Performer sein kann.
  • Aller Anfang ist (meist) holprig. Jeder Mitarbeiter, egal in welcher Funktion, sollte wissen, dass in seiner neuen „Rolle“ auch Fehler passieren können und dürfen. Diese müssen jedoch schnell, offen und sanktionsfrei kommuniziert werden können.
  • Das Citizen-Developer-Programm sollte vor der unternehmensweiten Einführung in einem ersten Schritt als Pilot in einzelnen Fachbereichen und mit einer begrenzten Anzahl freiwilliger Citizen Developer getestet werden. Die erfolgreichen Citizen Developer der Pilotphase sind die besten Botschafter für den weiteren Rollout des Programms im Unternehmen. Sollten sich dennoch in einzelnen Fachbereichen zu wenige Mitarbeiter finden lassen, können Incentive-Programme weiterhelfen.
  • Citizen Developer benötigen einen dedizierten Ansprechpartner, der jederzeit bei auftretenden Problemen zur Verfügung steht und weiterhelfen kann.
  • IT und CoE müssen auf ihre neue Funktion als Coach für Citizen Developer im Unternehmen personell und strukturell vorbereitet sein. Neben der Unterstützung bei Schwierigkeiten sind sie zukünftig für Freigabe und den Rollout der erstellten Lösungen zuständig.
  • Zur Vermeidung von Schatten-IT und für die geordnete Umsetzung und Integration der so entstehenden Automatisierungslösungen im Unternehmen muss eine passende und umfangreiche Automatisierungsplattform ausgewählt und verwendet werden. Gute Plattformen ermöglichen nicht nur die einfache und definierte Erstellung von Code durch Citizen Developer, sondern beinhalten auch Governance-Tools zur Validierung, Freigabe und Rollout in die Unternehmensbereiche.
  • Alle Citizen Developer benötigen eine intensive Schulung zu Handling, Möglichkeiten und Grenzen der ausgewählten Plattform. Außerdem sollten sie die Prozesse des Citizen-Developer-Programms zur Freigabe und dem künftigen Einsatz ihrer Lösungen im Unternehmen kennen und verstehen. Alle müssen wissen, dass neue Lösungen nur über die zur Verfügung gestellten Plattformen und Prozesse entwickelt werden dürfen.
  • Die Freigabe des Codes von Citizen Developern sollte mehrstufig erfolgen. Zunächst müssen die Lösungen auf ihren geschäftlichen Nutzen hin überprüft werden. Hier ist auch zu überlegen, wo im Unternehmen diese oder ähnliche Lösungen künftig eingesetzt werden könnten. Ist das Ergebnis positiv, erfolgt die technische Freigabe, also die Überprüfung hinsichtlich Qualität und Korrektheit des entstandenen Codes.
  • Muss der Code im Anschluss technisch überarbeitet werden, kann und sollte dies ein kleinerer Kreis bereits erfahrener Citizen Developer durchführen. Nach erneuter Prüfung wird die Automatisierungslösung vom CoE dann entsprechend ihrer Bedeutung in einzelnen Fachbereichen oder dem ganzen Unternehmen ausgerollt.

*Lars Braitinger ist Pre-Sales Director Central & Eastern Europe bei UiPath.


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