Im Jahr 2020 soll es bis zu 50 Milliarden Geräte geben, die miteinander vernetzt sein können. IoT birgt enormes Potenzial, aber auch gewisse Risiken. Oliver Loisel von der ATLAS Group teilt in einer achtteiligen exklusiven COMPUTERWELT-Serie seine Erfahrungen. [...]
Wie haben Sie zuletzt eine größere Reise geplant? Das Reiseziel haben Sie vermutlich vorab bestimmt und entsprechende Flüge gebucht. Auf booking.com hat Ihnen das Feedback der anderen Hotelbesucher die Hotelauswahl erleichtert. Sie trafen eine Menge an klaren Entscheidungen für in der Zukunft liegende Ereignisse.
Doch dann kommt es: Ein verspäteter Flug oder verlorenes Gepäck zum Beispiel. Die nächtlich lärmende Baustelle neben dem Traumressort wurde in den Hotelbewertungen nicht erwähnt. Blöd, wenn das Wetter unerwartet Dauerregen bringt, denn dann fordern die Kinder ein spontan zu entwickelndes Ersatzprogramm ein.
Eine typische Reise eben: Intensiv geplant verläuft oft nicht genau wie geplant. Kann man deshalb die Reise antreten ohne jede Planung? Wohl kaum, denn spontan ist vieles nicht verfügbar, kurzfristig gekauft sind Flugtickets erheblich teurer und die Reiseziele sind deutlich eingeschränkt. Man muss sich zufrieden geben mit dem, was noch übrig ist, statt die Reise aktiv zu gestalten.
Mit einer IoT-Strategie verhält es sich ganz ähnlich. Zugegeben, viele künftige Entwicklungen lassen sich nicht exakt vorhersagen. Doch gerade deshalb sind ein gemeinsames Zielbild und ein grober Fahrplan nötig. Eine Organisation muss wissen, wo die IoT-Reise hinführt – und wo sie nicht hinführen soll (Roadmap). Im Zentrum steht dabei die Frage: Wie soll die Kundenzufriedenheit gesteigert und eine koordinierte Innovation für heutige und zukünftige Produkte, Services und Technologien vorangetrieben werden?
Folgende Prämissen dienen als Anregung bei der Entwicklung einer IoT-Strategie:
1.Eine IoT-Strategie ist nie fertig
Benötigt wird ein rollierender Prozess, der sich rasch an geänderte Kundenpräferenzen oder neue Technologien anpassen muss und bereit ist, in der Vergangenheit definierte Ziele oder deren Terminisierung anzupassen.
2.Kein Elfenbeinturm
Munter drauf los eine IoT-Strategie ohne Rücksicht auf die Unternehmensziele zu entwickeln ist sinnlos. Die IoT-Strategie hat sich an der Unternehmensstrategie zu orientieren. Durch neue Technologien möglich werdende Geschäftsmodelle sind mit den Unternehmenszielen in Einklang zu bringen.
3.Im Zentrum steht der (End-)Kunde
So wichtig die Einbindung von Vertriebs- und Servicepartnern, Lieferanten oder weiteren Dienstleistern – beispielsweise einer Versicherung – ist, letztlich müssen die User in den meisten Anwendungsfällen Leistungen annehmen und dafür bezahlen, zumindest aber bereitwillig Daten preisgeben.
4.Gesammelte Daten sind ein Asset
Auch wenn sich die Einsatzpotenziale gewonnener Daten erst nach und nach erschließen sollten – je breiter der Fundus, desto wertvoller für F&E, Marketing, Vertrieb und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle sowie Services.
5.Besser gestern starten als heute
Die gewaltige Veränderung unserer Welt infolge der Digitalisierung findet statt, ob man das gutheißt oder nicht. Wer die Entwicklungen verschläft, braucht gar nicht mehr aufzuwachen.
Im Jahr 2020 soll es geschätzt plus minus 50 Milliarden „Things“ geben, knapp ein Drittel davon Computer, Smartphones, Tablets und TVs. Bei den anderen zwei Dritteln sind der Phantasie kaum Grenzen gesetzt – smarte Sportschuhe, Pfannen, Raumthermostate, Yogamatten oder Tampons (ja, richtig gelesen!). All diese Things überwachen, kontrollieren, analysieren und verfolgen den Zweck – mal mehr, mal weniger zweckmäßig –, diese Welt zu optimieren. Bei all diesen Things, also smarten Produkten, sollte man aber nicht übersehen, dass es bei IoT auch um smarte Prozesse gehen kann. Am Anfang einer IoT-Strategie steht daher unter anderem die Frage: Was wollen wir smart machen? Produkte oder Prozesse? Oder gar beides?
Smarte Produkte (zum Beispiel ein smarter Rasenmähroboter) zielen unter anderem auf stärkere Kundenbindung, zusätzliche Services und USPs ab, aber auch auf neue Geschäftsmodelle und häufig wiederkehrende Umsätze. Smarte Prozesse (etwa Sammlungen von User-Daten für die Produktentwicklung oder Absicherung von Logistikprozessen) dienen in der Regel einer optimierten Asset-Auslastung, vorausschauenden Wartung inklusive Einbindung von Servicepartnern, Präzisierung der Logistik und Supply Chain oder einer Stärkung von Forschung und Entwicklung. Eine IoT-Strategie sollte daher klarstellen, zu welchem Zeitpunkt welche Ziele mit smarten Produkten und/oder Prozessen verfolgt werden:
1.Wissen und Erfahrung sammeln
Performance-Analyse (Einsatz der smarten Geräte im Feld; Ablauf von Supply-Chain-Prozessen)
2.Effizienz steigern
Asset und Lager-Management (Überwachung wertvoller Güter oder Maschinen; Optimierung der Auslastung von mobilen Maschinen; Monitoring von Lagerständen)
3.Produktverfügbarkeit erhöhen
Predictive Maintenance (Sehen, was kaputt geht, bevor etwas kaputt geht; Reduktion von Ausfallzeiten)
4.Neue Geschäftsmodelle ermöglichen
Per pay use und laufende Services (Abrechnung nach Nutzung von Produkten statt Verkauf; Anything as a Service)
5.Abläufe automatisieren
Workflow-Optimierung (Event getriebene Steuerung von Prozessen und Workflows)
6.Kundennutzen steigern
Customer Experience (Nutzung für den Kunden einfacher gestalten; Mehrwert schaffen oder Individualisierung steigern)
7.Innovationskraft heben
Neue Produkte und Services entwickeln (Innovation auf Basis gewonnener Daten der User sowie der eingesetzten Devices und Maschinen)
Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Und auch eine IoT-Strategie sollte nicht alles auf einmal wollen. Die Herausforderung ist vielmehr, Handlungsoptionen und Unternehmensziele in Einklang bringen, zu priorisieren und rasch „ins Tun“ zu kommen. Dazu reicht es oft schon, zu Testzwecken ein erstes Produkt mit Sensoren zu versehen, Daten zu sammeln und zu experimentieren.
Das kann parallel zur Vertiefung der IoT-Strategie geschehen. Ein solches „Lernen am lebenden Objekt“ – sei es hausintern oder bereits mit einem Schlüsselkunden – erspart viele Umwege und prüft die strategischen Überlegungen zeitnahe auf Praxistauglichkeit. Zeitnähe ist sehr wichtig. Denn das Internet der Dinge wird jene bestrafen, die eine IoT-Strategie verschlafen.
Oliver Loisel | ATLAS Group
ZUM AUTOR
Oliver Loisel ist Co-Gründer der ATLAS Group (www.atlastech.de) und begleitet Unternehmen bei Gestaltung und Umsetzung von IoT-Strategien und Use Cases. Dieser Beitrag ist der Beginn einer achteiligen Serie zum Thema „IOT – Strategie und Roadmap“, die Oliver Loisel exklusiv für die COMPUTERWELT verfasst.
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