Die IT-Auslagerung wandelt sich erheblich. Cloud-Alternativen schaffen Preis- und Veränderungsdruck. Einer Erhebung des Beratungshauses ISG zufolge hat sich die Zahl der Outsourcing-Verträge mit Cloud-Bestandteilen in den vergangenen zwei Jahren verdreifacht. Außerdem gewinnen Offshore-Provider trotz Gegenwinds an Bedeutung. [...]
Um zu verstehen, wie sich die Anforderungen im Outsourcing-Geschäft verändern, lohnt ein Blick zurück: In den Anfangsjahren haben Anwender ihre IT ausgelagert, um das IT-Budget zu entlasten und ihre gewachsene IT-Installation zu ordnen. Mit dem Betriebsübergang wurden IT-Installationen und -Abläufe von den Providern oft grundlegend neu und damit effizienter gestaltet. Das Auslagerungsgeschäft, die Standardisierung von Plattformen, die Einführung von ITIL-Prozessen sowie neue Techniken etwa zur Virtualisierung haben dazu geführt, dass heute schlankere IT-Landschaften üblich sind. Das gilt sowohl für den externen als auch für den internen IT-Betrieb, weil auch Inhouse-IT-Abteilungen erprobte Verfahren der Service-Provider übernommen haben.
Doch überall dort, wo Rechenzentren, Server, Speicher und Netze weitgehend reibungslos und automatisiert laufen, verändern sich die Rahmenbedingungen im Vergleich zu früheren Deals. Für Anwender mit gut funktionierender IT besteht weniger Druck, diese IT zu verlagern. Für Unternehmen mit aufgeräumter und bereits ausgelagerter IT tun sich enorme Kostenhebel auf, weil ein Provider-Wechsel leichter fällt. Die Konkurrenz unter anderem von reinen Offshore-Providern steht mit günstigen Preisen zur Vertragsübernahme bereit. Grundsätzlich gewandelt hat sich zudem, dass heute kleinere Deals üblich sind, die weniger tief in die Organisationsstrukturen der Unternehmen eingreifen.
CLOUD SCHADET OUTSOURCING
Ganz erheblichen und sichtbaren Einfluss auf das Outsourcing-Geschäft hat das Cloud Computing. Einer Erhebung des Beratungshauses ISG zufolge hat sich die Zahl der Outsourcing-Verträge mit Cloud-Bestandteilen in den vergangenen zwei Jahren verdreifacht, und zwar von anteiligen neun Prozent im Jahr 2010 auf 27 Prozent im vergangenen Jahr. Bezogen auf die Gesamtausgaben im professionellen IT-Geschäft sind die Investitionen der Business-Anwender in Cloud-Umgebungen zwar noch bescheiden. Die Experton Group errechnete in ihrer jüngsten Erhebung, dass deutsche Unternehmen gerade einmal fünf Prozent ihres IT-Budgets für Cloud-Leistungen ausgeben. Doch die Wachstumsraten sind beachtlich: Bis 2017 sollen die Ausgaben um durchschnittlich 50 Prozent pro Jahr wachsen.
„Früher war das Outsourcing eine Massenbewegung à la: Was alle machen, muss auch gut für mich sein. Das ist vorbei. Kleine Deals liegen im Trend“, beobachtet Frank Ridder, Research Vice President IT-Services und Sourcing bei Gartner. „Die Anwender besorgen sich Snipits, also Cloud-Insel-Lösungen, und wollen sie integrieren. In dem Zusammenhang fragen sie sich: Ist es sinnvoll, die Integration selbst zu machen oder an einen Dienstleister auszulagern? Hier tut sich ein neuer Markt auf.“
Anbieter, die sich in diesem Umfeld nicht ordentlich präsentieren und positionieren, werden vom Markt gefegt. Als herausfordernd erweist sich für viele Outsourcing-Provider, dass viele Cloud-Dienste neue Zielgruppen haben. Die Ansprechpartner der IT-Provider sitzen zuvorderst in den IT-Abteilungen, Angebote aus den Bereichen Software as a Service (SaaS) und Infrastructure as a Services (IaaS) werden hingegen zum Großteil von Fachbereichen geordert. Selbst wenn die Outsourcer eigene IaaS- und SaaS-Dienste im Portfolio führen, fällt es ihnen schwer, diese gegen die bekannte und mächtige Konkurrenz wie Amazon, Google und Salesforce an den Mann zu bringen. Besser aufgestellt sind Provider, deren Kontakte nicht nur in die IT-Abteilung, sondern auch in die Fachbereiche reichen. „Einer unser größten Geschäftsbereiche ist das Business Process Outsourcing“, sagt Sapthagiri Chapalapalli, Director Central Europe bei Tata Consultancy Services (TCS). „In diesem Geschäftszweig sprechen wir nur mit den Mitarbeitern in den Fachbereichen.“
Anbieter klassischer Betriebsdienstleistungen müssen sich auf ein ihnen fremdes Geschäftsmodell einlassen. Gleiches gilt für die Anwender, die ebenfalls aus einer Umgebung kommen, in der ihnen viel Aufmerksamkeit für ihre individuellen Wünsche geschenkt wurde. „Cloud-Services stellen insbesondere in Form von Multi-Tenant-Modellen für Anbieter wie für Kunden Neuland dar. Sie sind in hohem Maße standardisiert und nicht ohne weiteres anpassbar – und bilden damit die Antithese zu traditionellem Outsourcing“, warnt Stanton Jones, Technology Analyst bei ISG.
Die fehlenden Erfahrungen auf beiden Seiten sorgen bisweilen für böse Überraschungen. So berichtet Torsten Gründer, Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der Gründer Consulting GmbH, von der Rückabwicklung eines Projekts mit 30.000 E-Mail-Accounts. Der Konzern hatte zuvor das E-Mail-System in die Cloud verlagert, doch bereits nach wenigen Monaten stellten sich erste Qualitätsprobleme ein, der Dienst fiel des Öfteren aus. Das Management zeigte sich unzufrieden, weil es E-Mail als geschäftskritischen Dienst erachtete. „Man wollte aus dem Vertrag heraus, doch die Rückabwicklung war vertraglich nicht vorgesehen“, wunderte sich Gründer, als er das Projekt übernahm. „Es stellte sich heraus, dass selbst der Cloud-Provider dafür keinen Prozess installiert hatte.“
Die durch den Cloud-Trend bevorstehende Marktbereinigung stellt besonders solche Offshore- und Nearshore-Provider vor Herausforderungen, die sich darauf spezialisiert haben, günstige Leistungen auszuliefern, warnt Gartner. Große indische Offshoring-Anbieter wie Infosys, Wipro und Tata Consultancy Services haben sich längst mit dem Cloud-Geschäft arrangiert und steuern mit eigenen Lösungen den Geschäftserfolg an. Vorteilhaft für sie ist der riesige Heimatmarkt, in dem sie schnell die kritische Größe erreichen, um Cloud-Installationen profitabel betreiben zu können. TCS bietet beispielsweise kleineren Firmen in Indien Komplettumgebungen aus der Cloud an. Inwiefern damit der Sprung in andere Wirtschaftsregionen gelingt, ist fraglich. SaaS-Applikationen müssen lokalen Besonderheiten wie Sprache und Rechtslage angepasst werden.
Die durch den Cloud-Trend bevorstehende Marktbereinigung stellt besonders solche Offshore- und Nearshore-Provider vor Herausforderungen, die sich darauf spezialisiert haben, günstige Leistungen auszuliefern, warnt Gartner. Große indische Offshoring-Anbieter wie Infosys, Wipro und Tata Consultancy Services haben sich längst mit dem Cloud-Geschäft arrangiert und steuern mit eigenen Lösungen den Geschäftserfolg an. Vorteilhaft für sie ist der riesige Heimatmarkt, in dem sie schnell die kritische Größe erreichen, um Cloud-Installationen profitabel betreiben zu können. TCS bietet beispielsweise kleineren Firmen in Indien Komplettumgebungen aus der Cloud an. Inwiefern damit der Sprung in andere Wirtschaftsregionen gelingt, ist fraglich. SaaS-Applikationen müssen lokalen Besonderheiten wie Sprache und Rechtslage angepasst werden.
Auch abseits der Cloud verändern sich die Rahmenbedingungen für die Offshore- und Nearshore-Provider. Langsam, aber kontinuierlich schwindet beispielsweise der Lohnkostenvorteil. Mark Perry, Professor für Wirtschaftslehre und Finanzen an der School of Management der University of Michigan, macht in seinem Blog „Carpe Diem“ folgende Rechnung auf: In China wachsen die Löhne derzeit um elf Prozent, in Indien um zehn Prozent. Sie verdoppeln sich also alle sieben bis acht Jahre. In den USA legen die Arbeitslöhne dagegen um jährlich 1,9 Prozent zu, erst nach 37 Jahren haben sie sich – eine gleichbleibende Steigerung vorausgesetzt – verdoppelt. „Irgendwann um das Jahr 2015 wird es für Produzenten unerheblich sein, ob sie ihre Produktion für den amerikanischen Markt in China oder in den USA betreiben“, zitiert Perry in seinem Blog eine Analyse der Berater der Boston Consulting Group (BCG).
Selbst wenn diese Prognose gewagt erscheint, ist die Tendenz da. Ihre Auswirkung lässt sich bisweilen schon konkret in Projekten beobachten. In den USA musste beispielsweise ein indischer Provider im Rahmen eines weltweiten Deals zur Reparatur von Desktops einem indischen Experten einen höheren Lohn zahlen als einem amerikanischen Kollegen, der den gleichen Job in den USA erledigte, berichtet Gartner-Analyst Ridder: „Das ist noch kein Trend, bislang nur eine Anekdote. Anderseits ist es ein frühes Anzeichen dafür, dass die Situation irgendwann kippen kann.“
In den USA gibt es allerdings auch die Besonderheit, dass die Anwender dort – anders als die Unternehmen in Kontinentaleuropa – schon sehr früh sehr viele Services nach Indien verlagert haben. Entsprechende Projekte wurden und werden so routiniert und unaufgeregt abgewickelt, dass Amerikaner die Begriffe Outsourcing und Offshoring synonym verwenden. Angesichts der wirtschaftlichen Probleme und der hohen Arbeitslosigkeit sinkt dort nun aber die Bereitschaft, weitere Arbeiten ins Ausland zu verlagern.
Auch die US-Politik hat zumindest zwischenzeitlich ihr Scherflein dazu beigetragen, den ausländischen Providern das Leben zu erschweren. Sie kann den Zuzug ausländischer Experten über das Arbeitsvisum H-1B steuern. Bislang war eine Obergrenze von 65.000 ausgestellten Visa pro Jahr üblich, zumeist war sie bereits im Juli jedes Jahres ausgeschöpft. Noch vor wenigen Wochen diskutierten Senatoren aus beiden politischen US-Lagern über eine Verschärfung. Mit der jüngsten Immigrations-Offensive von US-Präsident Obama ist dieser kaum versteckte Protektionismus jedoch vom Tisch. Der Gesetzesentwurf sieht zur Freude der indischen Provider eine Erhöhung der H-1B-Obergrenze vor.
Politische Stolpersteine drohen den Anbietern dagegen nun in Europa, warnt Gartner. Die Analysten erwarten, dass die EU angesichts hoher Arbeitslosenquoten Stellenverlagerungen erschweren wird. In der Folge würden die Anwender und Anbieter auf andere europäische Länder oder ländliche Regionen ausweichen.
In den USA hat die Verlagerung von den teuren Wirtschaftszentren in günstige Heimatregionen bereits einen Namen. Als Vorreiter des „Farmshoring“ gelten dort der kanadische IT-Dienstleister CGI, der sich in Europa mit der Übernahme des britischen IT-Anbieters Logica im vergangenen Mai einen Namen gemacht hat, sowie der Rüstungskonzern Northrop Grumman. Sie haben in dem kleinen Städtchen Lebanon in Virgina neue Servicestützpunkte beziehungsweise Produktionsstätten errichtet.
Vom Farmshoring (oder auch Rural Sourcing oder Homeshoring genannt) versprechen sich die Firmen weniger Reibungsverluste bei der Bearbeitung von Aufträgen, da sie von heimischen Arbeitskräften erledigt werden. Verständigungsprobleme aufgrund unterschiedlicher Sprache und Kulturen entfallen, zudem sparen sich die Firmen die Overhead-Kosten für das Management der Offshore-Teams. Problematisch ist, dass es abseits der Ballungszentren nur wenige qualifizierte Arbeitskräfte gibt, eine umfassende Alternative zum Offshoring ist das Farmshoring also nicht. „Das Modell eignet sich allenfalls für kleine Projekte“, räumt Gartner-Experte Ridder ein.
Wo sich solche Betriebsoptionen in Europa anbieten, war kürzlich Gegenstand einer A.T.Kearney-Erhebung. Darin haben die Berater sogenannte Tier-2-Gegenden in den Industriestaaten analysiert, die abseits der Wirtschaftszentren liegen und etwas günstigere Lohnkosten vorweisen. In Deutschland ist dies beispielsweise das Bundesland Sachsen, in Großbritannien zählen der Nordosten von England, Wales und Nordirland dazu, in Frankreich werteten die Analysten die Region Languedoc-Roussillon aus. Die Betrachtung hat einen ernst zu nehmenden Hintergrund, denn erste Service-Provider liefern IT-Leistungen im Rahmen eines vierstufigen Sourcing-Modells, das neben dem Offshoring, Nearshoring (Outsourcing in nahe Länder) und dem Onshoring (Vor-Ort-Service) auch Farmshoring im Land des Kunden vorsieht, berichtet A.T. Kearney.
* Joachim Hackmann ist Redakteur der Computerwoche.
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