Viele IT-Unternehmen verabschieden sich von einer mehr oder weniger lieb gewonnenen Gewohnheit – dem Jahresgespräch. An dessen Stelle treten regelmäßige Motivations- und Coaching-Gespräche, wie zwei Beispiele zeigen. [...]
Jeder Mitarbeiter kennt sie, wenige mögen sie – Jahresgespräche mit dem Chef, in denen Mitarbeiter das vergangene Jahr Revue passieren lassen, mit ihrem Vorgesetzten neue Ziele festlegen und auch über Boni und Gehalt sprechen. Manche Unternehmen perfektionierten den Prozess mit ausgetüftelten Fragebögen, Noten, Ranking, 360-Grad-Feedback. Doch oft murren Mitarbeiter über dieses Prozedere, bei dem ihre Vorgesetzten krampfhaft versuchen, Engagement in Skalen zu pressen, sogenannte Top-Performer auszuzeichnen und – wie es vor allem in amerikanischen Konzernen lange üblich war – die sogenannten Minder-Performer zu feuern. Dass dieses darwinistische System motivierte Beschäftigte frustriert, merken immer mehr Firmen. Einige beginnen, sich von diesen Gewohnheiten zu verabschieden, und suchen neue Wege, ihren Mitarbeitern als Coach und weniger als strenger Richter gegenüberzutreten.
- Immer mehr Firmen merken, dass das Jahresgespräch motivierte Beschäftigte frustriert
- Einige versuchen daher, ihren Mitarbeitern als Coach und weniger als strenger Richter gegenüberzutreten
- Gegen Jahresgespräche spricht unter anderem, dass sich am Jahresanfang vereinbarte Ziele oft sehr schnell verändern
„Ich war am Anfang nicht so begeistert davon, den gut etablierten Prozess der Jahresgespräche abzuschaffen, denn jeder wusste, was er zu tun hatte, und das Ranking lieferte ein gutes Bild der gesamten Belegschaft“, gibt Ute Maria Zankl, Personalchefin von SapientNitro, offen zu. Doch sie kannte auch die Schwächen des starren Systems: „Die Hälfte der Mitarbeiter ging aus dem Jahresgespräch heraus und war frustriert, wenn es im Ranking nur für den dritten von fünf Plätzen reichte. Wer im vergangenen Jahr sehr hart gearbeitet hatte, erwartete eine bessere Benotung.“
Gerade in der schnelllebigen IT-Branche wirken Jahresgespräche antiquiert, denn viele der im Januar vereinbarten Ziele überrollt die Realität spätestens im Juli. Heute sprechen Mitarbeiter von SapientNitro regelmäßig, mindestens einmal im Quartal, mit dem für sie verantwortlichen People-Manager. Diese Gespräche ähneln einem Motivationsgespräch, in dem es vor allem um die Weiterentwicklung geht. SapientNitro beschäftigt weltweit rund 9000 Mitarbeiter, in Deutschland sind es etwa 380. Seit drei Jahren tüftelt das Unternehmen an der neuen Methode, doch die Personalchefin gibt offen zu, dass dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Zankl vermutet, dass es ein weiteres Jahr braucht, bis die neuen Verfahren rund laufen und die Quartalsgespräche etabliert sind.
NICHT JEDER MANAGER IST BEGEISTERT
Um den Wechsel von den durchstrukturierten Jahresgesprächen zu den offeneren Motivationsdialogen zu bewältigen, benötigen auch die Manager Schulungen und Trainings. „Wir haben intensiv mit Universitäten, vor allem in den USA, zusammengearbeitet, uns Themen der Lernpsychologie angesehen und mit anderen Unternehmen wie Adobe oder Google gesprochen, um unseren eigenen Stil für die Gespräche zu finden. Wir bieten den People-Managern viel Unterstützung an“, sagt Zankl. Manchen Managern liegt der neue Coaching-Stil, der regelmäßige und offene Austausch, andere müssen sich intensiv einarbeiten.
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