Kann das Internet abstürzen? Was passiert, wenn das Undenkbare eintritt

Wenn der düstere Tag irgendwann kommt, an dem das Internet einen globalen Absturz erlebt, wird das, was es zu Fall gebracht hat, fast schon per Definition etwas sein, das wir nicht haben vorhersehen können. [...]

Wenn der Tag kommt, an dem das Internet nicht mehr funktionier, werden wir vorbereitet sein? (c) pixabay.com

Ein Gedankenexperiment

Wenn Ihre E-Mails nicht geladen werden, Netflix nicht aufhört zu ruckeln oder Ihre Internet-Verbindung gleich ganz den Geist aufgibt, kann einem schon mal der Gedanke kommen: „Was, wenn das ganze Internet abgestürzt ist?“

Wenn Sie sich einmal gefragt haben, wird der Gedanke nicht verschwinden. Denn was ist das Internet überhaupt? Ein Haufen miteinander verbundener Computer. Könnten die nicht alle auf einmal zusammenbrechen? Was würde es dazu brauchen? Für all diejenigen unter uns, die sich beruflich mit Technologie auseinandersetzen müssen, sollte die Antwort auf diese Frage nicht unterschätzt werden.
Und nun denken Sie weiter – und die unheimlichen Fragen werden sich allmählich häufen: Was würde mit den Krankenhäusern geschehen? Dem Militär? Den Aktienmärkten?

Im Folgenden werden wir uns diesem komplexen Thema kurz und spekulativ nähern, um die Frage des jüngsten Tages zu beantworten: Könnte das Internet abstürzen? Eine konventionelle Weisheit sagt „Nein“: Als ein planetares Netzwerk von Computern und Maschinen ist das Internet zu groß, zu dezentral, zu redundant, um als Ganzes auf einmal zu versagen. Und doch gibt es eine ganze Menge Szenarien, die eintreten könnten – oder?

Ein Netzwerk von Netzwerken

Beginnen wir mit der konventionellen Weisheit: Es gilt als allgemein anerkannt, dass das Internet als Netzwerk nicht zusammenbrechen kann, weil es kein einzelnes Netzwerk ist. Es ist ein massives, untereinander verbundenes Netzwerk von Netzwerken. Es ist die mächtigste und komplizierteste Kommunikationsmatrix, die je von der Menschheit erschaffen worden ist. Das Internet ändert sich von Minute zu Minute – Sekunde zu Sekunde, sogar – wenn sich verschiedene Computer und andere Maschinen immer wieder an- und abmelden.

Paul Levinson, Autor und Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Fordham University, hat einen Großteil seiner Karriere damit verbracht, das Internet durch die Linse der Systemtheorie zu analysieren. Für ihn liegt es in der Natur des Internets, ein derart radikal dezentrales Gewirr einzelner Netzwerke zu sein, dass es weitestgehend vor einem Absturz geschützt bleibt.

Das Internet besteht aus unzähligen verschiedenen Einzelnetzwerken, die miteinander verbunden sind (c) Pixabay.com

„Basierend auf der Grundlage eines wichtigen systemtheoretischen Prinzips, genannt Redundanz, wäre es sehr schwer, das gesamte Internet auf einmal zum Absturz zu bringen“, so Levinson. „Es gibt so viele Backup-Systeme, so viele Workarounds, so viele verschiedene Möglichkeiten, von A nach B zu kommen. Und all diese Möglichkeiten kommen sofort und automatisch ins Spiel, wenn das System einmal ausfällt.“

Knoten und Drähte

Damit das Internet weltweit kollabiert – oder auch nur ein regionaler Kollaps mit Sitz in Nordamerika oder Europa zustande kommt –, müsste eine Agentur oder ein Event alle Netzwerkdienstanbieter (NSPs) gleichzeitig deaktivieren, die in diesem Augenblick online sind. NSPs verbinden kommerzielle Internetdienstanbieter mit dem Kern des Internets (Internet-Backbone) und sind über den gesamten Globus verstreut, jeder mit mehreren Einrichtungen, die über das geografische Gebiet verteilt sind, das der Dienst abdeckt.

Diese NSPs stellen die Infrastruktur des Internets zur Verfügung. Wenn irgendwo im Netzwerk ein Fehler auftritt, wird der Internetverkehr einfach über tausend andere mögliche Pfade um dieses Problem herumgeleitet. In Bezug auf seine physischen Komponenten besteht jeder dieser Pfade aus unterschiedlichen Hardware-Elementen: den eigentlichen Servern, Kabeln und Geräten. Es gibt allerdings keine Möglichkeit, das Internet dadurch zum Absturz zu bringen, indem man ein Stück Hardware – oder auch nur eintausend Stück davon – deaktiviert. Es gibt kein zentrales Kabel, das man durchschneiden, oder einen Hauptstecker, den man ziehen könnte. Um das Internet in einem großen geografischen Gebiet zu stoppen oder erheblich zu verlangsamen, müsste an vielen verschiedenen Orten sehr viel Schaden angerichtet werden.

„Es würde eine Katastrophe erfordern“, sagt Levinson. „Ein Ereignis oder eine Reihe von Ereignissen mit solch massiver physischer Zerstörungskraft, dass große Teile der Hardware des Internets – die Kabel, Server und Einrichtungen – allesamt schwer beschädigt würden.“

Katastrophe!

Die gute Nachricht, wenn man es denn so nennen möchte, ist, dass jede globale Katastrophe, die groß genug wäre, um alle NSP der Welt auszuschalten, wahrscheinlich auch gleich das gesamte Leben auf dem Planeten auslöschen würde. Dies wären, laut Levinson, Ereignisse auf Extinktionsebene wie ein Asteroideneinschlag oder ein globaler thermonuklearer Krieg. Und wenn wir uns einer solchen Eventualität gegenübersehen, wird der Internetzugang auf unserer Prioritätenliste vermutlich erst ganz zum Schluss kommen.

Kleinere Katastrophen könnten jedoch bereits ganze Teile des Internets vorübergehend lahmlegen. Und tatsächlich haben sie das bereits. Die anfälligste Komponente des Internet-Backbones ist das Netzwerk von Unterwasser-Glasfaserkabeln, die die einzelnen Kontinente miteinander verbinden. Diese Kabel, nach der letzten Zählung mehr als 400 weltweit, werden regelmäßig durch Felsstürze, Unterwassererdbeben und andere Naturphänomene zerschnitten und zerstört.

Über 400 Seekabel verbinden die ganze Welt mit dem Internet (c) OpenStreetMap

Die deutliche Mehrheit dieser Kabel ist ungepanzert, unbewacht, klein und relativ empfindlich – und in etwa so breit wie ein Gartenschlauch. Isolierte Fehler, die durch Naturphänomene verursacht werden können, oder manchmal ein fehlerhafter Anker sind normalerweise kein Problem, da der Datenverkehr in einem solchen Fall sofort auf andere Kabel umgeleitet wird. Und doch passieren Unfälle: 2011 durchtrennte eine 75-jährige Frau, die am Strand nach Kupfer grub, ein solches Seekabel und legte damit fünf Stunden lang den Internetzugang in Armenien lahm.

Sabotage!

Dies bringt uns zum ersten unserer InternetAbsturz-Szenarien: der vorsätzlichen Sabotage von Seekabeln durch Terroristen oder (noch wahrscheinlicher) gewisse militärische Kräfte. Dezember 2017 enthüllten NATO-Beamte öffentlich, dass russische U-Boote ihre Aktivitäten in Bezug auf Unterwasser-Datenkabel, die Europa und Nordamerika verbinden, drastisch erhöht haben.

„Aktuell beobachten wir russische Unterwasser-Aktivitäten in der Nähe von Seekabeln, wie wir sie noch nie gesehen haben“, äußerte sich US-Navy Konteradmiral Andrew Lennon, Kommandant der U-Boot-Streitkräfte der NATO, gegenüber der Washington Post. „Russland interessiert sich offenbar für die Unterwasserinfrastruktur der NATO und ihrer Mitgliedsländer.“

Der Querschnitt eines Seekabels (c) Wikipedia.com

Sollte jemand mit einem koordinierten Schlag alle oder die meisten Kabel im Pazifik und Atlantik durchtrennen, würde diese Aktion das Internet nicht unbedingt zum Absturz bringen. Doch es könnte dazu führen, dass die beiden großen Kontinente Amerika und Eurasien auf einmal voneinander isoliert wären – mehr noch, es könnte die Kommunikation zwischen den amerikanischen und europäischen NATO-Verbündeten erheblich stören.

Glitch!

Ruchlose menschliche Aktivitäten stellen nicht das einzige potentielle Risiko für das Internet dar (auch wenn dieses Szenario wohl das gruseligste war). Im Jahr 2015 veröffentlichte ein Komitee der Nonprofit-Organisation ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) einen ziemlich alarmierenden Bericht über eine mögliche Schwäche, die tief in der zugrundeliegenden Struktur des Internets begraben liegt.

Laut des Berichts könnte eine Sicherheitslücke im Adressbuch-System des Internets die Auswirkungen physischer Störungen auf Root-Server oder Seekabel verstärken. Ironischerweise ist dieses Dilemma auf die zentrale Stärke des Internets zurückzuführen, nämlich seine Redundanz. Wenn ein bedeutender Teil des Internets für mehrere Tage ausfallen würde, könnte das ‚BackupSystem‘ redundanter Pfade letztendlich durcheinandergeraten und neue Daten mit veralteten Informationen vermischen. Die Details werden an dieser Stelle äußerst kompliziert. Für weitere Informationen können Sie den Originalbericht der ICANN zu Rate ziehen.

Und sollten diese Root-Server tatsächlich absichtlich deaktiviert werden, sieht es für die weltweite Datenkommunikation äußerst düster aus.

„Der wohl interessanteste Weg, das Internet zum Absturz zu bringen, besteht darin, sich auf die 13 Top-Level Root-Server zu konzentrieren, die uns letztendlich dabei helfen, Computer namentlich über das Internet ausfindig zu machen“, so Dr. Patrick Juola, Professor für Informatik an der Duquesne University und Autor von „Principles of Computer Organization and Assembly Language“. Wenn diese Computer deaktiviert werden können – sei es durch einen Stromausfall, einen Virus oder direkten physischen Schaden –, könnten sich die meisten Computer nicht mehr finden, um einander Nachrichten zu senden. In der Praxis würde das Internet einfach aufhören zu arbeiten. “

Sonneneruption!

Sicherlich das dramatischste aller möglichen InternetAbsturz-Szenarien, die Möglichkeit einer massiven Sonneneruption, hat die Experten über mehrere Jahrzehnte hinweg auf Trab gehalten. Sonneneruptionen betreffen das Internet tatsächlich. Die Wissenschaft weiß schon lange, dass eine große Sonneneruption in der Lage wäre, einen elektromagnetischen Impuls (EMP) zu erzeugen, der theoretisch die gesamte Elektronik auf unserem Planeten lahmlegen könnte.

„Eine ausreichend starke Sonneneruption könnte einen elektromagnetischen Impuls erzeugen, der die meisten Computer auf der Welt zum Erliegen bringen würde“, so Juola. „Zwar sind einige Systeme gegen EMPs geschützt, doch dieser Schutz ist eben nur so stark, wie er von Menschen gemacht wurde. Die Sonne kann wesentlich stärker sein als alles, was wir jemals bauen könnten.“

Levinson stimmt seiner Aussage zu und fügt hinzu, dass es auch noch andere Bedrohungen gibt, die vom himmlischen Firmament kommen könnten. „Mit all unseren bisherigen technologischen Fähigkeiten haben wir noch immer nicht alle Kräfte im Universum gemeistert oder gar entdeckt“, sagt er. „Wir können nicht wissen, was sonst noch alles schief gehen kann.“

Das Szenario des bösen Genies

Selbst wenn wir Naturkatastrophen, kosmische Explosionen und Programmierfehler beiseitelassen, haben wir noch mindestens eine weitere große Bedrohung, um die wir uns kümmern müssen. Das eine Szenario, das in Science-Fiction-Filmen, High-Tech-Thrillern und der Popkultur im Allgemeinen am beliebtesten ist: Was ist, wenn ein Hacker oder eine ganze Gruppe von Hackern – sei es staatlich gefördert oder anderweitig – einen Weg gefunden hat, das gesamte Internet zu deaktivieren? Was, wenn jemand einen brandneuen Virus entwickelt hat, einen Brocken mutierten Codes, wie wir ihn uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal vorstellen können? Levinson nennt es das Problem des bösen Genies.

„Im Moment ist ein solches Szenario sehr unwahrscheinlich, aber im Grunde ist es nicht unmöglich“, so Levinson. „Schließlich gibt es immer eine Chance, dass irgendeine hinterhältige Hackergruppe einen Weg findet, das Internet und all seine Backup-Systeme, die Redundanz bieten könnten, zu Fall zu bringen.“

Wieder einmal sagt uns die konventionelle Weisheit, dass so etwas einfach nicht möglich sein kann. Dass die Architektur des Internets solch ein virulentes Weltuntergangsszenario schon irgendwie verhindern würde. Doch ein Grundprinzip der Computersicherheit besagt, so Levinson, dass man niemals nie sagen sollte. Machen Sie sich stets auf das Schlimmste gefasst.

„Sehen Sie, meine Vermutung ist, dass zu diesem Zeitpunkt niemand weiß, wie das gesamte Internet oder auch nur ein wesentlicher Teil davon zum Absturz gebracht werden kann“; sagt er. „Aber es wäre dumm, nicht darüber zu spekulieren, was in so einem Fall passieren könnte. Schließlich kann der Prozess der Spekulation Schwachstellen im System zum Vorschein bringen.“

Systemtheorie

Dies bringt uns zurück zur Systemtheorie und der dauerhaften Binsenweisheit, dass kein Netzwerk jemals zu 100 Prozent sicher sein kann. Uns Menschen ist es einfach nicht möglich, alle Variablen vorherzusehen, die ein solches Ereignis ins Rollen bringen könnten. Wenn der düstere Tag irgendwann kommt, an dem das Internet einen globalen Absturz erlebt, wird das, was es zu Fall gebracht hat, fast schon per Definition etwas sein, das wir nicht haben vorhersehen können.

„Es ist möglich, aber sehr unwahrscheinlich, dass das Internet in seiner Gesamtheit jemals untergeht“, so Juola. „Genauso wie es theoretisch möglich ist, fünfzig Mal eine Münze zu werfen und jedes Mal ‚Kopf‘ das Ergebnis ist. Die Chancen stehen ungefähr 250:1, aber es ist möglich.“

Levinson schlägt eine weitere Analogie vor: „Die Lehre der Titanic ist heute noch immer gültig“, sagt er. „Es war ein Schiff, das speziell dafür gebaut wurde, unsinkbar zu sein. Alle Wissenschaftler und Experten ihrer Zeit waren sich einig. Und doch haben sie nicht an alles gedacht – und der Eisberg traf genau zur falschen Zeit die falsche Stelle.“

„Das Gleiche gilt auch für das Internet. Die eine Sache, die ein unzerstörbares System zerstören kann, ist das, was wir nicht vorhersehen können; die eine Sache, an die wir nicht gedacht haben. Und dieser Grundsatz ändert sich niemals. “

*Glenn McDonald ist freischaffender Journalist und schreibt u.A. für CIO.com


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