KI in der Lieferkette: So wird die Logistik smart

Da Unternehmen von einer vorhersehbaren, automatisierten Zukunft im Bereich Logistik und Vertrieb träumen, steigt das Interesse an maschinellem Lernen und KI für das Supply Chain Management. [...]

"Am Ende des Tages geht es darum, dem Kunden zu helfen und seine Produktion am Laufen zu halten". (c) industrieblick - Fotolia
"Am Ende des Tages geht es darum, dem Kunden zu helfen und seine Produktion am Laufen zu halten". (c) industrieblick - Fotolia

2017 war für das kalifornische Unternehmen Infinera kein einfaches Jahr. Der Hersteller von Telekommunikationsgeräten verzeichnete einen Umsatzrückgang von 870 Millionen US-Dollar im Jahr 2016 auf 740 Millionen US-Dollar im Jahr 2017. Die Bruttomarge sank von 45 auf 33 Prozent. Am Ende meldete das Unternehmen, das in den USA, Kanada, China, Indien und Schweden rund 2.000 Mitarbeiter beschäftigt, für das Jahr einen Nettoverlust von 195 Millionen Dollar – verglichen mit einem Nettoverlust von 24 Millionen Dollar im Jahr 2016.

„Um den Turnaround zu schaffen, konzentrieren wir uns auf technologische Verbesserungen“, sagte CEO Thomas Fallon Anfang dieses Jahres den Investoren. „Neben der Schärfung unserer Marktorientierung haben wir im Rahmen unserer Umstrukturierung eine Organisation ins Leben gerufen, die zweierlei garantieren soll: kurzfristig schnellere Produktlieferungen und langfristig eine Technologie, die sich permanent differenziert. Hier machen wir deutliche Fortschritte.“

Zu diesem Zweck legt das Unternehmen den Fokus auf künstliche Intelligenz, da es sich für das Supply Chain Management (SCM) eignet. Infinera wird maschinelles Lernen nutzen, um bessere Vorhersagen über Liefertermine treffen zu können, indem frühere Schwankungen der Produktionszeiten sowie die Leistung der Logistikdienstleister analysiert werden.

„Wir möchten, dass unser Verkaufsteam die aktuelle Verfügbarkeit von Produkten für ausstehende Angebote und Bestellungen schnell ermitteln kann und wir sofort viele weitere Faktoren und Einschränkungen berücksichtigen und gleichzeitig Planungsentscheidungen treffen können“, sagt Todd Tuomala, Senior Vice des Unternehmens Präsident für Informationstechnologie.

KI und Prognosen

„Das erste KI-Pilotprojekt von Infinera wird Mitte dieses Jahres in Betrieb gehen“, sagt Tuomala, „beginnend mit einer Produktionsstätte. Außerdem möchten wir unseren Vertriebsmitarbeitern und Kunden noch vor Ende des Jahres Verfügbarkeitsinformationen für alle Produkte zur Verfügung stellen.“

Der Einsatz von maschinellem Lernen werde die Fähigkeit des Unternehmens beschleunigen, Entscheidungen zu treffen, ist er überzeugt. Darüber hinaus könne das Unternehmen viel mehr Faktoren berücksichtigen, als es derzeit möglich sei. Infinera nutzt die Supply-Chain-Management-Technologie von Intrigo Systems in Kombination mit der KI-Technologie von Splice Machine.

„Unternehmen gewinnen seit 30 Jahren brauchbare Vorhersagen aus ihren Supply-Chain-Management-Systemen“, sagt Monte Zweben, CEO und Mitbegründer von Splice Machine. „Aber erst seit kurzem gibt es die Dateninfrastruktur, um Dinge wie Lieferzeiten genau vorhersagen zu können.“

„Wenn die Vertriebsmitarbeiter eines Herstellers von Netzwerkgeräten große Systeme verkaufen, werden sie immer gefragt: ‚Können Sie den Auftrag bis zu diesem oder jenem Datum erfüllen?‘ Und in den meisten Unternehmen, auch in jenen mit den besten ERP-Systemen, sind die Vertriebsmitarbeiter gezwungen, zu antworten: ‚Ich werde nachsehen und auf Sie zurückkommen.‘ Das gibt den Kunden die Chance, sich am Markt umzusehen und eventuell in den Genuss eines konkurrierenden Angebots zu kommen – schließlich müssen sie ohnehin warten“, so Zweben. „Durch die Verfügbarkeit von Echtzeitinformationen wäre das Verkaufsteam in der Lage, mit dem Kunden zu verhandeln. Möglicherweise ist das eine Produkt zum gewünschten Datum nicht verfügbar, ein anderes, vergleichbares jedoch schon. Und das ist ein ganz anderer Prozess“, sagt Monte Zweben.

Voraussagen von Lieferungen basieren jedoch nicht nur auf Fertigungs- und Versandpläne. Mit einer intelligenten Supply-Chain-Management-Technologie können Unternehmen historische Lieferzeiten und Herstellungsdetails einsehen und diese mit externen Daten wie Wetterberichten kombinieren. „Unternehmen können anfangen, Versprechungen auf Basis der vorhergesagten Lagerbestände zu machen, nicht auf Basis der geplanten“, fügt Zweben hinzu. „Also Versprechen basierend auf dem, was wahrscheinlich passieren wird – im Gegensatz zu dem, was planmäßig passieren sollte. Man kann jetzt gleichsam ums Eck schauen.“

Das Lieferkettengewirr

Infinera hat einen Vorteil beim Einsatz dieser Technologie, da es über ein vertikal integriertes Geschäftsmodell verfügt. Für andere Unternehmen ist die Nutzung von KI-Technologien für die Lieferkette ein schwieriger Prozess. „Es mag ein lächerliches Problem sein, aber Tatsache ist, dass mehr als 50 Prozent der zwischen Geschäftspartnern ausgetauschten Informationen immer noch per Fax, E-Mail oder Telefon verschickt werden“, sagt Mark Morley, Direktor für Produktmarketing bei OpenText, ein Information-Management-Anbieter aus Ontario.

Aus diesem Grund ist Logistik nicht der erste Bereich, an dem man denkt, wenn es um den Einsatz von KI-Technologien geht. Laut einer aktuellen Forrester-Umfrage bei globalen Entscheidungsträgern liegt der Einsatz von KI in SCM weit hinter Marketing, Produktmanagement und Kundensupport. Nur 13 Prozent der Unternehmen geben an, dass die Logistik jener Bereich ihrer Organisation ist, der die Investition in die Einführung von KI-Systemen vorantreibt oder evaluiert.

Zu den Lieferketten gehören typischerweise eine große Anzahl externer Partner, von denen einige technologisch möglicherweise weiter zurückliegen als andere. Darüber hinaus gibt es Datenqualitäts- und Interoperabilitätsprobleme, sagen Experten. „Vor der Anwendung von Advanced Analytics und Machine-Learning-Algorithmen bei Supply-ChainDaten müssen Unternehmen diese Daten von ihren Herstellern, Distributoren, Wiederverkäufern und Lieferanten erst einmal sammeln“, meint Boris Evelson, Vice President und Principal Analyst bei Forrester Research. „Daten aus all diesen Quellen zu bekommen, ist eine große Herausforderung.“

Sobald die Daten gesammelt sind, können sie nicht immer sofort verwendet werden. „Es ist möglich, dass ein Lieferant die Daten auf einer ganz anderen Detailebene verfügbar hat als ein Distributor. Der Lieferant kann Daten zu einem einzelnen Produkt haben, der Distributor aber hat nur Daten basierend auf dem Container.“

Aber das heißt nicht, dass Unternehmen nicht versuchen, dieses Problem zu lösen. „Alle Kunden, mit denen wir im Fortune-400-Segment sprechen, sind daran interessiert, entsprechende Konzepte zu erarbeiten“, weiß Frank Meerkamp, ​​Managing Director für Applied Intelligence bei Accenture. „Es gibt viele Möglichkeiten für KI im Supply Chain Management. Unternehmen im Konsumgüterbereich sind hier ganz vorne, weil der Margendruck sehr hoch ist.“

Meerkamp: „Es gibt viele Hypes, keine Frage, aber ich denke auch, dass das eine positive Sache ist. Wir brauchen den Hype, um Leute in Bewegung zu setzen. Ich denke, dass wir erst am Anfang der Reise sind.“

KI jenseits von Analysen

Neben der Analyse von Logistikdaten und logistischen Vorhersagen werden KI-Technologien auch an anderen Stellen im Supply Chain Management eingesetzt.

Eine der offensichtlichsten Anwendungen von künstlicher Intelligenz für Verbraucher ist der Einsatz persönlicher Assistenten wie Siri, Alexa und Google. Diese Chatbots bringen Suche, Spracherkennung und Verarbeitung der natürlichen Sprache unter einem Dach zusammen, die alle von KI gespeist werden.

„Derselbe Ansatz kann verwendet werden, um virtuelle Agenten zu erstellen, die Unternehmen dabei helfen, Informationen aus ERP-Systemen leichter zu beziehen“, sagt Meerkamp. „Das wird innerhalb der nächsten zehn Jahren zum Alltag gehören.“

Eine weitere häufige Verwendung von KI sei die Bilderkennung. Das könne eine Rolle bei der Bestandsverwaltung spielen, sagt Jason Goldberg, Senior Vice President für Handel und Content bei SapientRazorfish. Ein Beispiel dafür sei der Amazon Go Store. Target habe auch Tests mit einem Roboter mit einer stereoskopischen Kamera durchgeführt, um die Lagergänge zu durchstreifen und zu inventarisieren. Walmart habe kürzlich ein ähnliches Pilotprojekt auf 50 Geschäfte ausgeweitet. „Es ist wichtiger als je zuvor, dass Einzelhändler einen genauen Überblick über die Lagerbestände haben, und die Bilderkennung entwickelt sich dafür zu einer führenden Technologie“, sagt Jason Goldberg.

„Die Preisgestaltung ist ein weiterer Bereich, in dem künstliche Intelligenz helfen kann“, sagt Nolwenn Godard, Direktor für Preisgestaltung bei PayPal. „Dazu gehören Preisoptimierung und Automatisierung des Preismanagements.“

Die Technologie werde auch dazu beitragen, die menschliche Produktivität zu steigern. „Die Kombination von menschlicher Intelligenz und KI sowie Automatisierung kann zur Zeitersparnis, reduzierten Betriebskosten und der Beseitigung manueller Fehler beitragen. Die Mitarbeiter können ihren Fokus auf nicht routinemäßige, analytische und kreative Aufgaben richten – und gleichzeitig bei diesen Aktivitäten durch KI unterstützt werden“, so Godard.

IoT treibt die KI-Entwicklung

Künstliche Intelligenz ist eine leistungsfähige und transformative Business-Technologie. Aber erst in Kombination mit dem Internet der Dinge (IoT) können Grenzen durchbrochen werden, so Morley von OpenText. „Man erhält damit eine autonome Lieferkette, die sich so gut wie selbst verwaltet und selbstständig agiert.“

ABB, eines der größten Maschinenbauunternehmen der Welt, plant genau das. „Wir haben seit den letzten fünf bis sieben Jahren Forschungszentren bei ABB, die sich mit künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen befassen“, sagt Satish Gannu, der CSO des Unternehmens. Zum Beispiel hat ABB eine IoT-Plattform namens ABB Ability aufgebaut. „In den Gesprächen mit unseren Kunden geht es typischerweise um die Überwachung von Anlagen und die Predictive Maintenance“, sagt er. „Die Kunden möchten wissen, wann etwas schief gehen wird und wann die Nutzungsdauer eines Bestandteils zu Ende geht. Und wenn wir wissen, dass etwas schief gehen wird, können wir das in das Ersatzteilbestellsystem einbinden.“

Das bedeutet, dass Kunden Probleme beheben können, bevor diese zu Stillständen führen. „Am Ende des Tages geht es darum, dem Kunden zu helfen und seine Produktion am Laufen zu halten“, sagt er abschließend.

*Maria Korolov ist Redakteurin des US-Magazins CIO.


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