Kommentar: Arbeiten im digitalen Zeitalter

Heute sind es nicht mehr nur die Selbstständigen, die völlig unabhängig im Homeoffice oder im Café um die Ecke ihren täglichen Arbeitsplatz aufsuchen. Mittlerweile haben viele Arbeitgeber den Trend der Zeit erkannt und wissen um die Notwendigkeit, ihren Mitarbeitern Freiheitsgrade in der Gestaltung der Arbeitsmodelle zu gewähren. [...]

Die Digitalisierung hat bereits in großen Zügen unsere Arbeitswelt geprägt und teilweise auch fest im Griff. Begünstigt durch veränderte Kommunikations- und auch Informationsstrukturen sind neue Arbeitsformen und Produktionskonzepte entstanden, die mit den klassischen Modellen der hierarchischen Unternehmensorganisation nicht mehr viel gemeinsam haben. Mitarbeiter schließen sich zusammen, engagieren sich in Communities, setzen auf Transparenz sowie Beteiligung und kooperieren in unterschiedlichsten Netzwerken.

Unternehmen sollten diesen neuen, demokratischen Strukturen offen gegenüberstehen, um bei Arbeitnehmern zu punkten und auch, um dem anhaltenden Fach- und Führungskräftemangel entgegen zu wirken. Außerdem können Mitarbeiter durch ihre Medienpräsenz verstärkt als Markenbotschafter ihrer Arbeitgeber agieren.

Selbstbestimmtes und flexibles Arbeiten
Unternehmen müssen ihren Mitarbeitern mehr Selbstbestimmung und Flexibilität zugestehen, wenn sie mit diesen erfolgreich sein wollen und ein positives Employer Branding anstreben. Eigenverantwortliches und zielorientiertes Arbeiten löst das Arbeiten mit Stechuhr und Kernarbeitszeiten nach und nach ab. Neue Technologien ermöglichen es, dass die Mitarbeiter arbeiten können wann und wo sie wollen. Durch entsprechende neue Arbeitsmodelle lassen sich familiäre, private und berufliche Belange wesentlich besser miteinander vereinbaren. Vor allem bei jungen Unternehmen sowie Start-ups sind flache Hierarchien und offene Unternehmenskulturen vermehrt anzutreffen. Der Trend zu demokratischem und freiem Arbeiten kann auch die sogenannten ‚Hidden Champions‘ unter den Arbeitgebern auf der Suche nach geeigneten Kandidaten unterstützen.

Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat es bereits 2015 in seinem Buch „Megatrends und Chancen“ umschrieben: „Man wird nicht mehr wie im klassischen Modell industrieller Arbeit tätig sein, sondern arhythmische Formen von zeitlicher Investition in Erwerbsarbeit erleben. In mehreren Phasen und Kaskaden wird eine Auflösung klassischer zeitlicher Investitionen in Arbeit stattfinden.“

Überreizung der Sinne
Eines der damit einhergehenden Probleme ist es, dass wir einer medialen Überreizung ausgesetzt sind, die unsere Sinne durch Lärm und auch -teilweise schlechten- Einflüssen täuscht und prägt. Der einhergehende Trend der Arbeit in virtuellen Teams beziehungsweise die mobile Arbeitswelt haben auch ihre Schattenseiten. Mitarbeiter sind in einem Dauermodus via Telefon, Email oder Sozialen Netzwerken erreichbar und auch stets auf aktive Reaktion und Aktivitäten konditioniert. Hier müssen Arbeitgeber Verantwortung übernehmen und die Mitarbeiter an Ruhe- und Erholungsphasen erinnern und an deren Vernunft appellieren.

Welche Hindernisse und Widerstände gilt es zu überwinden?
Unternehmensführung, Personalmanager und auch Betriebsräte haben die Mitarbeiter lange wie Unmündige behandelt und taylorisierte Strukturen propagiert. Nun steht ein Umdenken in neue Prozesse und Strukturen auf der Agenda.

Diejenigen Arbeitnehmer, die es sich fachlich leisten konnten, haben bereits seit längerem zu den Unternehmen gewechselt, die ihnen die gewünschten Freiheitsgrade zugestanden haben. Doch mittlerweile ist es quasi revolutioniert und Arbeitgeber müssen zunehmend lernen, dass ein Top-Down Delegieren von Arbeitszeit, -ort und -inhalt nicht mehr der Stand der aktuellen Arbeitswelt ist. Auch Betriebsräte, Gewerkschaften und die Politik müssen lernen, dass die umfangreichen Schutzrechte für Arbeitnehmer, die in Zeiten der Industrialisierung erforderlich waren, im Übergang und in Zeiten der digitalen Ökonomisierung zunehmend untauglich oder sogar kontraproduktiv sind.

Humane digitale Arbeit erforderlich
Viele Beschäftigte schätzen die Flexibilität in der Arbeitswelt und auch die Bandbreite an Arbeitszeitmodellen, die durch den technologischen Fortschritt möglich sind. Aber jede Medaille hat auch ihre Kehrseite; immer mehr Menschen haben Mühe, ihre Arbeit und ihr Leben in Einklang zu bringen und fühlen sich daher gestresst. Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sind oftmals diffus. Es gibt verschiedene Möglichkeiten hierauf zu reagieren, eine dazu könnte die Selbstbestimmung sein.

So hat beispielsweise der Münchner Autohersteller BMW das Thema Eingrenzung der Arbeit und der ständigen Erreichbarkeit aufgegriffen und eine Betriebsvereinbarung unter dem Motto ‚flexibel arbeiten – bewusst abschalten‘ eingeführt. Die Vereinbarung gilt für alle Mitarbeiter, gleich an welchem Standort sie sind, und ermöglicht, dass die Arbeitszeit flexibel und auf verschiedene Arbeitsorte und auch Tageszeiten aufgeteilt werden kann und Mobilarbeit und klassische Büroarbeit frei kombinierbar sind. Außerhalb dieser Zeiten der Erreichbarkeit haben die Mitarbeiter jedoch ein ausdrückliches Recht auf Nicht-Erreichbarkeit, was von allen Seiten zu respektieren ist.

Ein weiteres Beispiel zum selbstbestimmten Arbeiten ist das britische Unternehmen Richard Branson (Virgin). Hier entscheiden die Mitarbeiter selbst, wann und wie viel Urlaub sie nehmen mit der einzigen Maßgabe, den unternehmerischen Erfolg und ihre eigene Karriere nicht zu gefährden.

Die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles sagte in einem Interview zur Frage, wie die Beschäftigungsfähigkeit im digitalen Zeitalter gesichert werden könne: „Wir brauchen Betriebe, in denen Lernen und Experimentieren möglich ist, wo neue Wege getestet werden. Wir können als Politik zwar den Rahmen setzen, doch gefüllt werden muss er in der Praxis“.

Sicher werden künftig noch viele weitere Arbeitsmodelle und Betriebsvereinbarungen erarbeitet werden, um diesen Trends weiter Rechnung tragen zu können.

Fazit: Die digitale Arbeitswelt ist technisch und inhaltlich bereits weit fortgeschritten. Bei vielen Unternehmen muss noch ein Umdenken der Arbeitsmodelle stattfinden. Es gilt nicht nur digitale Trends in Prozesse einzubinden, sondern dies auch im Arbeitsalltag zu leben und immer wieder bestehende Strukturen zu hinterfragen.

*Andreas Wartenberg ist Geschäftsführer der Hager Unternehmensberatung und Chairman of the Board der Horton Group International.


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