Künstliche Intelligenz für besseres Mitarbeitermanagement

Viele Unternehmen wollen mit KI ihre Belegschaft besser an sich binden. Erfahren Sie, wie das in der Praxis funktioniert und wo es Probleme geben kann. [...]

(c) pixabay.com

Immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kündigen ihre Stellen und den Unternehmen fällt es schwer, sie zurückzugewinnen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Mitarbeiter heute häufig von zu Hause aus arbeiten, was es Führungskräften erschwert, unzufriedene Mitarbeiter zu erkennen. Außerdem ist es schwieriger, neue Mitarbeiter auf den neuesten Stand zu bringen, wenn sie nicht an persönlichen Schulungen teilnehmen oder erfahrene Mitarbeiter beobachten können.

Um all diese Probleme zu lösen, setzen Unternehmen zunehmend künstliche Intelligenz ein. Doch die Möglichkeiten der KI sind begrenzt.

Stimmungsbarometer für Mitarbeiter

Die „Große Resignation“ ist keine Übertreibung. Die Zahl der Menschen, die ihren Job während der Pandemie gekündigt haben, ist so hoch wie nie zuvor. 2020 verließen 48 Millionen Angestellte ihre Arbeitgeber, was ein neuer Höchststand ist gegenüber dem bisherigen Rekord von 42 Millionen im Jahr 2019.

Laut einer McKinsey-Umfrage vom März gehören unzureichende Erwartungen an die Arbeitsleistung, fehlende berufliche Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten sowie ein Mangel an sinnvoller Arbeit zu den wichtigsten Kündigungsgründen. Unzureichende Vergütung steht erst an sechster Stelle. Der meistgenannte Grund, den Job zu wechseln waren dagegen gefühllose Führungskräfte.

Das Problem ist, dass es schwierig sein kann, Probleme von Kollegen zu erkennen, wenn sie plötzlich alle aus der Ferne arbeiten.

„Ich bin ein Mensch der alten Schule und glaube, dass es keinen Ersatz für die Führung durch Herumlaufen gibt“, sagt Bill Nowacki, Leiter des Bereichs für Entscheidungswissenschaft bei der Genossenschaft KPMG. Er ist der Meinung es gebe keinen Ersatz für gurte Manager, die wissen, dass die Tochter eines Angestellten letzte Woche ein Fußballspiel hatte.

Auf der anderen Seite mussten sich Arbeitgeber aller Größen anpassen. Einige hätten festgestellt, dass Remote- und Hybridarbeit Vorteile bietet. „Die Arbeit von zu Hause aus ist ziemlich cool und wird von Vielen angenommen,“ so Nowacki. Aber dadurch verliere man per definitionem die Möglichkeit, zu führen, indem Abhilfe für Probleme geschaffen wird. „Wenn ich ein Team habe, das über die ganze Welt verstreut ist, kann ich nicht wirklich nachvollziehen, was sie tun und lassen oder ob sie müde sind oder nicht,“ urteilt er.

Um diese Lücke zu schließen, nutzen einige Unternehmen Mitarbeiterbefragungen, mit denen sie das Befinden ihrer Mitarbeiter ermitteln wollen. In jüngster Zeit haben sie interaktive Chatbots erprobt, um ein Gefühl für die Mitarbeiterstimmung am Arbeitsplatz zu bekommen.

KPMG zum Beispiel hat 2016 seinen ersten interaktiven Chatbot entwickelt. Zunächst wurde er nur in begrenztem Umfang eingesetzt, doch das Interesse ließ schnell nach. „Diese Woche hatte ich buchstäblich vier Anrufe zu diesem Thema“, sagt Nowacki. „Die Leute werden langsam wach.“ Er sagt, dass die Technologie seither gewachsen ist. Es ließen sich viele Informationen darüber sammeln, was die Mitarbeiter tun, wann sie sich etwa in ihr Arbeitssystem einloggen, wann sie telefonieren und wie viel Zeit sie zwischen den Sitzungen haben. All diese Daten seien vorhanden.

Damit es sich nicht wie Überwachung anfühlt, sondern eher wie hilfreiche Aufmerksamkeit, schlägt Nowacki vor, den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich für das System aktiv zu entscheiden. Die Mitarbeiter können dann verstehen, worauf das Unternehmen achtet. So könnte etwa ein Burnout erkannt werden, bevor der Kollege es selbst bemerkt. „Wenn man ihnen zeigt, dass wir uns um ihre Gesundheit kümmern, stimmen sie zu“, sagt er.

KPMG berechnet einen Score für das Fluktuationsrisiko eines Mitarbeiters, versucht den Grund dafür zu ermitteln und schlägt dann Abhilfemaßnahmen vor. „Durch Backtesting und Kreuzvalidierung haben wir festgestellt, dass wir durchweg zwei Drittel der Mitarbeiter, die kurz vor der Kündigung stehen, vorhersagen.“ Sagt er. Zehn bis 20 Prozent der identifizierten Mitarbeiter hätten dann im Unternehmen gehalten werden können.

Nicht jedes Unternehmen wird jedoch in der Lage sein, KI zur Vorhersage der Personalfluktuation einzusetzen. „Wie bei jeder KI-Anwendung hängt die Fähigkeit zur Vorhersage der Fluktuation vollständig von historischen Daten ab“, sagt Jonathan Reilly, COO und Mitbegründer von Akkio, einem No-Code-KI-Unternehmen.

In der Regel bedeutet dies, dass nur große Unternehmen die Technologie nutzen können. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass diese Art von Technologie irgendwann zu den Kernfunktionen von HR-Plattformen in Unternehmen gehören wird, sagt Reilly. „In den nächsten fünf Jahren werden die meisten Unternehmensplattformen mit KI betrieben werden.

Personal-Fluktuation bekämpfen

Das Dienstleistungsunternehmen Genpact investiert in KI-gesteuerte Chatbots und andere Tools, um die Fluktuation zu verringern. Es beschäftigt mehr als 100.000 Mitarbeiter. Sein Chatbot mit dem Namen Amber stellt den Mitarbeitern an wichtigen Meilensteinen der Unternehmenszugehörigkeit Fragen.

„Die Ergebnisse ermöglichen es Personalleitern und Führungskräften, unzufriedenen Mitarbeitern proaktiv zu helfen“, sagt Sanjay Srivastava, Chief Digital Officer von Genpact. Früher habe Genpact Umfragen verwendet. Aber das KI-Tool könne die Stimmung der Mitarbeiter besser messen. Der positive Stimmungswert sei jetzt ein Schlüsselindikator. „Wir ergreifen Maßnahmen, wenn sich die Stimmung verschlechtert,“ sagt er. Indem sein Team dafür sorge, dass die Mitarbeiter zusätzliche Unterstützung erhalten, wenn sie sie brauchen, habe sich die Gesamtbewertung verbessert.

„Amber war vor allem während der Pandemie entscheidend, als das Unternehmen verstärkt auf Telearbeit umstellte“, sagt Srivastava. Nach Angaben von Genpact nutzten zwei Drittel der Mitarbeiter im Jahr 2021 den Amber-Chatbot. Davon berichteten wiederum 84 Prozent über eine positive Stimmung. Mitarbeiter, die sich nicht an Amber-Chats beteiligen, verlassen das Unternehmen laut dem CDO doppelt so häufig wie diejenigen, die das nicht tun.

Das Unternehmen setzt auch KI ein, um Nachrichten von Mitarbeitern auf Anzeichen für eine bevorstehende Kündigung zu überwachen. Srivastava betont, dass Metadaten von Nachrichten analysiert werden, nicht der Nachrichten selbst. Sein Team könne damit statistisch nachweisen, dass bestimmte Arten des Kommunikationsverhaltens direkt mit der Business Performance korrelieren.

Die Analyse kann dabei helfen, die besten Mitarbeiter zu identifizieren, so dass das Unternehmen zusätzliche Maßnahmen ergreifen kann, um sie motiviert zu halten, sagt er. Außerdem lassen sich Fluktuationsrisiken erkennen. So kann die Unternehmensleitung Strategien zur Mitarbeiterbindung erörtern oder Nachfolgepläne aufstellen, bevor die Fachkräfte tatsächlich ausscheiden.

Schnelleres Onboarding

Laut Srivastava beschleunigt Genpact mit Hilfe von KI auch den Onboarding-Prozess für neue Mitarbeiter. Das Unternehmen hat die Erfahrung bei er Einstellung neuer Mitarbeiter durch die Digitalisierung des gesamten Onboarding-Prozesses umgestaltet. Er biete nun eine personalisierte Erlebnisreise, begleitet von einem Erfahrungs- und Emotions-Mapping an jedem Kontaktpunkt.

Andere Unternehmen nutzen KI, um neue Mitarbeiter effektiver zu schulen, was mit dem Übergang zur Heimarbeit immer wichtiger wird. Durch zusätzliche Schulungsmöglichkeiten tragen Unternehmen auch dazu bei, Mitarbeiter stärker an sich zu binden, sagt Jonathan Parnell, Senior Consultant für Cloud– und Rechenzentrumstransformation bei der Technologieberatung Insight.

„Die Menschen haben das Gefühl, dass sich wirklich um sie gekümmert wird und dass sie in ihre Zukunft investieren“, sagt er. Viele der Probleme des Arbeitskräftemangels würden dadurch verursacht, dass die Unternehmen nicht in die aktuelle Belegschaft investieren.

KI-gestützte Schulungslösungen bieten den größten geschäftlichen Nutzen, wenn sie auf Funktionen ausgerichtet sind, in denen die Mitarbeiter innerhalb sehr spezifischer Parameter arbeiten und in denen es eine hohe Fluktuation gibt.

Andy Thurai, Vice President und Principal Analyst bei Constellation Research, hat kürzlich mit einem globalen Einzelhändler zusammengearbeitet. Das Unternehmen hatte Schwierigkeiten, die Fluktuation in seinen Callcentern zu bewältigen, als die Pandemie ausbrach.

Vor Covid lasen die neuen Mitarbeiter Unterlagen, sahen sich Videos an und saßen dann in einem Klassenzimmer. „Der Händler war darauf eingestellt, Mitarbeiter vor Ort im Callcenter einzustellen und zu schulen“, sagt Thurai. Man musste physisch anwesend sein. Als alles virtuell wurde, stellten sie jemanden ein, ohne ihn zu sehen, und versuchten, ihn virtuell zu schulen, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen.

Normalerweise gehen die Manager in einem Callcenter durch den Raum und beobachten, wie die Mitarbeiter arbeiten. Sie sind bereit einzugreifen, wenn es Probleme gibt. Bei virtueller Arbeit ginge das nicht.

Das Unternehmen baute schließlich eine Lösung, die auf Komponenten verschiedener Anbieter basierte, einschließlich Natural Language Processing, intelligenter Entscheidungsfindung, Coaching-Systemen und Konversations-KI. Es dauerte bis zu einem Jahr, bis die Lösung gut genug funktionierte, um die Anforderungen des Unternehmens zu erfüllen. „Und sie sind immer noch dabei, es zu entwickeln. Bei KI-Systemen sind die Dinge nie perfekt,“ sagt er.

Das Unternehmen begann damit, alte Kundenfälle für das Schulungsprogramm zu verwenden, um den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, eigene Lösungen zu finden. Anschließend ging es dazu über, neue Support-Anfragen zu simulieren, die in der Vergangenheit nicht aufgetreten waren.

Außerdem wurde ein System entwickelt, das eine Wissensdatenbank mit früheren Fällen durchsucht, um neuen Mitarbeitern während eines Anrufs mögliche Lösungen vorzuschlagen. „Es ist laut Thurai noch nicht perfekt, aber es zeige den richtigen Weg.

Kürzlich fügte der Einzelhändler eine Funktion hinzu, mit der laufende Telefongespräche automatisch mitgehört und den Vorgesetzten gemeldet werden können, wenn es so aussieht, als liefen die Dinge schief. Als Nächstes plant das Unternehmen, die Wissensdatenbank so zu verbessern, dass sie automatisch Lösungen anbietet. Zudem sollen Ein-Knopf-Automatisierungen eingebunden werden, so dass die Mitarbeiter auf eine Schaltfläche klicken können, um manuelle Aufgaben vom System übernehmen zu lassen. Darunter fällt etwa Rückerstattungen auszustellen oder Briefe zu versenden.

Augmented Human Resources

KI für Schulungen, Mitarbeiterbindung, Rekrutierung und andere HR-Aufgaben einzusetzen wird von IDC als „Augmented Human Resources“ bezeichnet. Die Ausgaben dafür sind im vergangenen Jahr um gut 30 Prozent auf fast 3 Milliarden US-Dollar gestiegen. 2025 werden sie voraussichtlich 6,3 Milliarden US-Dollar erreichen.

Mitarbeiter sind zunehmend von dieser Idee angetan. Laut einer Umfrage von Workplace Intelligence und Oracle aus dem Jahr 2021 gaben 82 Prozent von über 14.000 befragten Angestellten und Managern an, dass sie glauben, dass Roboter ihre Karriere besser unterstützen können als Menschen. Gleichzeitig sagten 85 Prozent, sie seien unzufrieden mit der Karriereunterstützung, die sie derzeit von ihren Unternehmen erhalten. Laut 87 Prozent sollte das Unternehmen mehr auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Darüber hinaus gab über die Hälfte der Befragten an, dass sie eher bei einem Unternehmen bleiben würden, das KI zur Unterstützung der beruflichen Entwicklung einsetzt. Einige Beispiele hierfür sind Fähigkeiten zu ermitteln, die sie entwickeln müssen, und Möglichkeiten zu empfehlen, um neue Fähigkeiten zu erlernen.

Laut einem Bericht von Eightfold AI im März 2021 setzen mehr als die Hälfte der Unternehmen bereits einige KI-bezogene Tools ein, um die Personalarbeit zu verbessern. Anwendungsfelder sind unter anderem die Bewertung potenzieller Bewerber und der Abgleich mit den passendsten Rollen im Unternehmen. Sie setzen Chatbots ein, um häufig gestellte Fragen zu beantworten, sowie Karrierewege oder Möglichkeiten zu Weiter- oder Neuqualifizierung von Mitarbeitern aufzuzeigen. Darüber hinaus gaben 82 Prozent der befragten Personalleiter an, dass ihre Unternehmen in den nächsten fünf Jahren verstärkt KI-Tools für das Talentmanagement einsetzen werden.

Wo KI nicht helfen kann

Laut einer in der Harvard Business Review veröffentlichten Studie ist eine toxische Unternehmenskultur die größte Voraussetzung für eine Kündigung. Arbeitsplatzsicherheit und Umstrukturierung belegen Platz zwei und drei.

Ein HR-Chatbot, wie intelligent er auch sein mag, wird diese Probleme kaum lösen können. Tatsächlich ist KI ein Kraftmultiplikator. Der Einsatz von KI an einem toxischen Arbeitsplatz könnte die Toxizität noch verschlimmern.

Wenn zum Beispiel das Managements die Fluktuation beheben will, indem es die Mitarbeiter ständig zum Bleiben auffordert, dann kann ein KI-System, das die Kommunikation der Mitarbeiter auf Anzeichen von Stress überwacht, diese anfälligen Gruppen weiter ins Visier rücken. Sie können sich sogar schikaniert und unterbewertet fühlen.

In ähnlicher Weise versuchen einige Unternehmen, KI als Teil ihres Onboarding-Prozesses einzusetzen, um den Mangel an disziplinierten Dokumentenstrukturen auszugleichen, so Parnell von Insight. Wenn das Onboarding so kompliziert sei, dann ist das Unternehmen nicht solide: „Warum müssen Sie diese ganze verrückte KI für das Onboarding entwickeln? Wissen Sie denn nicht, wie Ihr Geschäft läuft? Warum müssen Sie eine KI entwickeln, nur um zu fragen, wie es jemandem geht?“

KI kann grundlegende Geschäftsprobleme nur bis zu einem gewissen Grad lösen, fügt Parnell hinzu. „Wie viel Febreeze kann man kaufen, damit man nie wieder seine Wäsche waschen muss? Irgendwann muss man einfach seine Wäsche waschen,“ sagt er. Man müsse die Arbeit machen und ein effizientes Geschäft organisieren. KI löse ein Problem nicht von allein. „Ja, KI kann helfen, aber man muss immer noch etwas tun, damit die KI erfolgreich sein kann,“ lautet sein Urteil.

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.

*Maria Korolov berichtet seit über zwanzig Jahren über aufstrebende Märkte und Technologien. Sie schreibt für die US-amerikanische IDG-Publikation CSO.


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