Lukrativer Tablet-Markt verführt Microsoft auf ungewohntes Terrain

Innerhalb von kurzer Zeit haben sowohl Microsoft als auch Google eigene Tablets als Konkurrenz zu Amazons Kindle, aber vor allem Apples iPad angekündigt. Während Google auf den Preisfaktor und die Smartphone-Erfolge setzt, geht besonders ­Microsoft ein nicht unerhebliches Risko ein, gilt es doch, die seit Jahrzehnten treuen Hardware-Partner nicht zu vergrämen. [...]

Mit der Vorstellung eines eigenen Tablets hat Microsoft eine neue Ära eingeläutet. Erstmals in seiner fast 40-jährigen Geschichte tritt das Unternehmen mit eigenen Produkten in Konkurrenz zu den bisherigen Partnern und Kunden. Die Tablets mit dem Namen Microsoft Surface sollen in zwei Varianten auf den Markt kommen. Mit Windows RT und ARM-CPU (Nvidia Tegra 3) und Windows 8 Pro und Intels Core-i5-CPU (Ivy-Bridge-Architektur). Preise und Termine nannte Microsoft aber noch nicht. Laut US-Quellen sollen die Surface-Geräte mit ARM-CPU ab 599 Dollar erhältlich sein. Die Surface-Geräte mit Intel-CPU sollen dagegen ab 799 US-Dollar und je nach Ausstattung bis zu 999 US-Dollar kosten.
Einerseits will Microsoft wohl nicht mehr tatenlos zusehen, wie sich andere den immer größeren Markt aufteilen. Die Analysten von NPD gehen davon aus, dass sich die weltweiten Verkaufszahlen für mobile Computer bis 2017 auf 809 Millionen Stück mehr als verdoppeln. Während die Laptop-Verkäufe laut der Studie von 208 Millionen im Jahr 2012 auf 393 Millionen im Jahr 2017 wachsen, nehmen die Zahlen für Tablet-PC im gleichen Zeitraum deutlich stärker von 121 Millionen auf 416 Millionen zu.
Ein weiterer Grund für die bisher ein­malige Entscheidung des Software-Konzerns sollen die mitunter schwierigen Beziehungen zu den Hardware-Herstellern sein. Einige Hardware-Partner wurden kurz vor der Präsentation über das neue Gerät informiert, Mitarbeiter mussten Gerüchten zufolge in einem fensterlosen Bunker arbeiten, um die Geheimhaltung zu wahren.
Als Apple die Produktion seines ersten iPads begonnen hat, erfuhr Microsoft über die Zulieferkette, dass der Hersteller aus Kalifornien große Mengen hochwertigen Aluminiums für das Gehäuse seines Tablet bei einer Mine in Australien aufgekauft hat. Microsoft war erstaunt, wie weit ­Apple in die Zulieferkette eingreift, um sich die benötigten Materialien zu sichern, wie die New York Times nun von einem Microsoft-Mitarbeiter erfahren haben will. Diesem Insider zufolge hat man befürchtet, dass die Hardware-Partner bei der Materialwahl weit weniger risikobereit wären und hat sich deshalb entschieden, die Entwicklung in die eigenen Hände zu nehmen. 
Außerdem war Microsoft noch das Debakel mit dem HP-Tablet Slate 500 in Erinnerung. Microsoft und HP hatten begonnen, ein Tablet für das Betriebssystem Windows 7 zu entwickeln, als die ersten Gerüchte über das iPad von Apple aufkamen. Microsoft-Chef Steve Ballmer persönlich stellte einen Prototypen des Modells im Januar 2010 auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas vor. Drei Wochen später präsentierte Apple das erste iPad. Als die beiden Unternehmen jedoch daran gingen, das Slate 500 für die Serienproduktion zu finalisieren, wurde das Modell „komplett ruiniert“, zitiert die Zeitung ehemalige Mitarbeiter von HP und Microsoft. Laut diesen Mitarbeitern soll HP begonnen haben, die Hardware zu verändern. 

WER BILLIG KAUFT, KAUFT TEUER

Das Unternehmen beschaffte, was auf dem Markt günstig zu haben war. Am Ende war das HP Slate klobig und der Prozessor lief heiß. Außerdem war das Windows-System langsam und kaum benutzbar, weil es nicht auf die neue Hardware optimiert war. Apple zeigte dagegen, wie gut ein Gerät funktionieren kann, wenn Hardware und Software aus einer Hand kommen. HP soll nicht der einzige Partner gewesen sein, mit dem Microsoft die Entwicklung eines Windows-Tablets startete. Doch im Laufe der Zusammenarbeit habe es immer wieder Meinungsverschiedenheiten über das Design oder den Preis der Geräte gegeben, sodass die Entwicklung eingestellt wurde. Microsoft habe die Hoffnung in seine Hardware-Partner verloren, zitiert die NY Times einen ehemaligen Microsoft-Manager. Für Ditech-Chef Damian Izdebski macht Microsofts Experiment Sinn: „Ich bin sicher, dass Microsoft damit den Markt für sich und in Folge alle Hersteller von Windows-basierenden Tablets beleben wird. Wie groß der Erfolg sein wird hängt davon ab, was die Microsoft-Geräte letztlich zu leisten im Stande sind.“
Gleichzeitig zur Tablet-Ankündigung hat Microsoft auch die Strategie bestätigt, das nächste Betriebssystem für alle Geräte und Formfaktoren vom PC bis zum Smartphone zu vereinheitlichen. Mit einer größeren Nähe zwischen Smartphones und Computern mit Windows-Oberfläche will Microsoft im boomenden Smartphone-Markt verlorenen Boden gutmachen. Microsofts neues Handy-Betriebssystem Windows Phone 8 wird auf der gleichen technischen Plattform basieren wie das Computer-Betriebssystem Windows 8. 

EINE PLATTFORM FÜR ALLE GERÄTE

Das soll nicht nur den Umstieg bei den Nutzern erleichtern, sondern es vor allem Entwicklern einfacher machen, Programme für beide Systeme zu schreiben. „Wir erwarten, dass die Zahl der Apps steigen wird“, sagte Microsoft-Manager Joe Belfiore bei der Vorstellung von Windows Phone 8 in San Francisco. Eines der Probleme der bisherigen Windows-Telefone ist, dass weniger der kleinen Zusatzprogramme zur Verfügung stehen als bei Apples iPhone oder bei den Android-Smartphones. „Das neue System wird die Arbeit der Entwickler verändern“, sagte Belfiore. Nutznießer sollen am Ende die Smartphone-Besitzer sein. Ihnen versprach Belfiore „viele leistungsstarke Telefone“, auf denen etwa Videospiele in bisher ungekannter Qualität laufen sollen. Windows Phone 8 wird unter anderem die leistungsfähigen Mehrkern-Prozessoren nutzen können und unterstützt höhere Bildschirm-Auflösungen als der Vorgänger.
Zudem wird das neue System die Mobilfunktechnik NFC (near field communication) eingebaut haben. Mit NFC lässt sich ein Handy zum Bezahlen an speziell ausgerüsteten Kassen einsetzen. Windows Phone 8 wird überdies die Kartendienste des Partners Nokia integriert haben sowie Office-Anwendungen. Die Telefone akzeptieren MicroSD-Karten zum Ausbau des eigenen Speichers oder zum Austausch von Daten. Die ersten Smartphones mit dem neuen Betriebssystem sollen passend zum Weihnachtsgeschäft herauskommen – von den Herstellern Nokia, Huawei, HTC und Samsung. Kurz zuvor wird der Start der endgültigen Version des PC-Betriebssystems Windows 8 erwartet. 
Das aktuelle Betriebssystem Windows Phone 7.5 konnte sich im Smartphone-Markt bislang nicht durchsetzen. Nach den Daten der Marktforschungsfirma Gartner lag der Anteil der Windows-Handys an den Verkäufen im ersten Quartal bei gerade mal 1,9 Prozent, Tendenz fallend. Apple kam im gleichen Zeitraum auf einen Anteil von 22,9 Prozent und Android auf 56,1 Prozent.

GOOGLE BRINGT EIGENEN TABLET

Nach dem Start eigener Mobiltelefone bläst der US-Internetriese Google auch auf dem Wachstumsmarkt der Tablet-Computer zum Angriff. Google präsentierte dieser Tage auf der alljährlichen Entwicklerkonferenz in San Francisco seinen eigenen Flach-PC mit dem Namen Nexus 7. Das Gerät hat eine Bildschirmdiagonale von sieben Zoll und wird zusammen mit dem taiwanesischen Technologiekonzern Asus produziert. Als Betriebssystem soll das neue Android 4.1 (Jelly Bean) zum Einsatz kommen. Mit einem Preis ab knapp 160 Euro soll der erste Google-Tablet-Computer vor allem mit dem Amazon-Gerät Kindle Fire konkurrieren. Das Amazon-Produkt läuft bereits mit dem Google-Betriebssystem Android. Mit seinem Tablet-PC nimmt Google aber auch den Platzhirsch Apple ins Visier. Auf den einschlägigen Technologie-Seiten im Internet war bereits seit Wochen darüber spekuliert worden, dass Google seinen ersten eigenen Flach-Computer vorstellen werde. Bei der Präsentation machten die Google-Manager deutlich, dass das Gerät neue Anwendungen der Android-Software in den Vordergrund stellen wird. 
Im Gegensatz zum iPad kann der Akku beim Nexus 7 ausgebaut und somit getauscht werden. Im Inneren werkt der mit 1,2 GHz getaktete 4-Kern-Prozessor Nvidia Tegra 3 T30L, der im Einzel-Kern-Betrieb mit 1,3 GHz getaktet ist. Hinzu kommt ein GB DDR3-Speicher. Vergeblich suchen wird man beim Nexus 7 einen MicroSD-Slot, der bei anderen Android-Tablets üblich ist. Warum Google beim Nexus 7 auf diesen Vorteil der Android-Tablets im Vergleich zu den iPads verzichtet hat, bleibt unklar. Wahrscheinlich wollte Google damit seine Cloud- und Online-Dienste stärken. Das Gerät selbst wird in einer acht GB und 16GB-Variante zu haben sein. Ohne externen Speicher sind aber gerade acht GB schnell aufgebraucht, da davon auch nur etwa 5,6 GB zur freien Verfügung stehen. Die Akkuleistung ist mit über zehn Stunden angegeben.

APPLE REAGIERT AUF KONKURRENZ

Apple hat auf die Ankündigungen der Konkurrenz reagiert und will nach Informationen aus Branchenkreisen noch in diesem Jahr eine kleinere Version seines Tablet-Computers iPad auf den Markt bringen. Der Bildschirm soll um einige Zentimeter kleiner sein als beim bisherigen Modell und auch eine geringere Auflösung haben, berichtete die US-Agentur Bloomberg unter Berufung auf Kreise, die mit den Entwicklungsplänen vertraut sind.
Der im vergangenen Oktober verstorbene Apple-Mitbegründer Steve Jobs hatte sich über kleinformatigen Tablet-Versionen der Konkurrenz noch lustig gemacht. Apple beherrscht mit seinem iPad bisher das Boom-Segment der Tablet-Computer. Der Konzern kontrolliert einen Marktanteil von 68 Prozent, gefolgt von Samsung und Lenovo. Erst danach folgt Amazon mit einem Anteil von etwas mehr als vier Prozent. Der Tablet-PC Kindle Fire, auf den es Google nun offenbar abgesehen hat, ermöglicht Nutzern den Zugriff auf digitale Bücher, Filme und Musik aus dem Repertoire des Online-Kaufhauses. Der Suchmaschinenbetreiber hat zwar mit Google Play einen eigenen App-Store, über den Programme für diverse Anwendungen verkauft werden. Eine Verkaufsplattform wie Amazon hat Google aber nicht. 
Auch auf juristischem Wege wehrt sich nicht nur Apple gegen das neue Google-Tablet. Laut Angaben von Nokia sollen Google und Asus notwendige Patente nicht lizenziert haben. Einen weiterhin spannenden Wettstreit dürften die neuen Marktbedingungen auf jeden Fall mit sich bringen. (aw/idg)

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