Memristoren: Die neuen Speicherchips mit Gedächtnis

Die Halbleiterindustrie arbeitet an einem Nachfolger für DRAM-Chips, der als nicht-flüchtiger Speicher Ladungszustände behält. Der Memristor wird sowohl Flash-Speicher als auch DRAM ersetzen und die Halbleitertechnologie revolutionieren. [...]

Ein aktueller PC mit SSD und Windows 8 benötigt nach einem Kaltstart rund 20 Sekunden zum Hochfahren. Und auch ein Android-Tablet dreht einige Sekunden an der Sanduhr, bis das Betriebssystem komplett vom Flash-Speicher geladen ist. Die Wartezeit während des Bootvorgangs könnte schon bald ein Anachronismus sein, denn die Speicherchips der Zukunft vergessen ihre Daten nicht mehr, auch wenn sie abgeschaltet sind.
„Memristor“ heißt das neue Bauelemente, ein Kunstwort aus „Memory“ (Speicher) und „Resistor“ (Widerstand). Ein Memristor ändert seinen Widerstand abhängig von der Stärke des Stroms, der durch ihn fließt. Der Clou: Auch wenn der Strom abgeschaltet ist, geht die Information nicht verloren.
PASSIVES GEDÄCHTNIS
An vorhergehende Schaltungszustände kann sich ein Memristor also erinnern. Und genau das macht das bereits vor 40 Jahren konzipierte, aber erst jetzt serienreife Bauelement zum Träger einer neuen Hardware-Revolution: Sofort hochfahrende Computer mit nicht-flüchtigem RAM sowie energieeffiziente und winzige Speicherchips mit passivem Langzeitgedächtnis sind damit absehbarer Zeit möglich. Der Memristor eignet mit diesen Eigenschaften als leistungsfähigerer Nachfolger sowohl für DRAM als auch für Flash-Speicher.
DAS FEHLENDE ELEMENT
Über den Memristor wurde seit den 70er Jahren spekuliert und Leon Chua, Professor an Berkeley, beschrieb bereits die grundsätzliche Funktionsweise, noch bevor das Bauelement überhaupt in der Realität angekommen war. Damals noch als visionäre Überlegung, welches Element elektronischen Schaltungen für deren Perfektionierungen noch fehlen würde. Der Memristor ist das vierte fundamentale Elemente neben den drei lange bekannten Schaltkreis-Elementen Widerstand, Spule und Kondensator. Fundamental deshalb, weil die Eigenschaften des Memristors nicht durch die Kombination der anderen drei Elemente nachgebildet werden können.
In der jetzigen Form sind Memristoren ebenfalls Halbleiter und besteht aus einem Titanoxid-Film zwischen zwei Platin-Elektroden. Der Sauerstoffgehalt im Titanoxid verringert dessen Leitfähigkeit. Eine Schicht des Films ist mit Sauerstoff-Fehlstellen dotiert und hat damit einen geringeren elektrischen Widerstand. Wird nun eine Spannung angelegt, wandern die Sauerstoff-Fehlstellen (Löcher) in die Richtung des Plus-Pols und verändern mit ihrer neue Verteilung permanent den Gesamtwiderstand. Bei einer Umkehr der Polung ist der Effekt reversibel und beim Anlegen von Wechselstrom lässt sich der Widerstand ohne Änderung einfach auslesen. Für die weitere Entwicklung der Elektronik ist der Memristor so ausschlaggebend wie beispielsweise die Entdeckung eines neuen chemischen Element in der Chemie oder eine neues Teilchens in der Physik.
ZU GUT FÜR DEN MARKT?
HP ist mit dem Halbleiterhersteller Hynix als Partner groß in die Memristor-Technik eingestiegen und kann laut eigener Aussage bereits marktreife Chips mit enormer Speicherdichte fertigen. Deren Leistung soll bereits nächstes Jahr jene von Flash-Speicherchips überholen.
Für die Halbleiterindustrie ist der Memristor aber schlicht zu gut und wird sogar als Gefahr für das traditionelle Geschäft angesehen. Chip-Hersteller treten jetzt bei der Markteinführung auf die Bremse. Memristoren würden auch das Ende von Flash-Chips einleiten, so die Befürchtung, und damit eine Technologie obsolet machen, mit der sich noch viel Geld verdienen lässt. Hynix ist ein führender Hersteller konventioneller Speicherchips und will sich als Partner von HP mit Memristoren nicht das eigene Geschäft kannibalisieren. Es werde jetzt mehr Geld in die Marktforschung zu Memristoren investiert, als in deren Entwicklung, so Stan Williams von HP Labs. In die freie Wildbahn werden die neuen Speicherchips erst entlassen, wenn eine hochprofitable Vermarktungsstrategie steht.
* David Wolski ist Redakteur der deutschen PC-Welt.


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