Am 3. Juli 2012 gab der Europäische Gerichtshof (EuGH) grünes Licht für den Software-Gebrauchthandel. Erstritten hatte dieses Urteil das Handelsunternehmen Usedsoft. Ein Jahr später freut sich die Branche über deutliche Angebots- und Nachfragesteigerungen. Doch am Horizont zeichnet sich ein neues Problem ab: Die Mietmodelle der Softwarehersteller. [...]
„Dieses Urteil war ein Meilenstein für den freien Handel in Europa“, so Peter Schneider, Gründer, Inhaber und Geschäftsführer von Usedsoft. „Endlich war Schluss mit dieser unerträglichen rechtlichen Grauzone, in der die Unternehmen zwar fleißig Software kaufen durften, die Hersteller aber den Eindruck erweckten, dass die Kunden über ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum nicht frei verfügen durften.“
Die Folge: Der Umsatz von Usedsoft hat sich in den vergangenen zwölf Monaten verdoppelt. Waren es bis vor einem Jahr noch durchschnittlich drei Neukunden pro Woche, die sich für Usedsoft-Lizenzen entschieden, sind es seitdem drei Neukunden pro Tag. Bereits Ende Juni war das Jahresumsatzziel erreicht. Dennoch versuchen Usedsoft zufolge immer noch einige Software-Hersteller – allen voran Microsoft – Gebrauchtsoftware-Käufer zu verunsichern. So wird etwa behauptet, Microsoft sei ein US-Unternehmen und das Urteil des EU-Gerichts deshalb irrelevant. „Mit solchen Unsinns-Argumenten dringen die Hersteller aber immer weniger zu den Kunden durch“, berichtet Schneider. „Der Markt wird zunehmend erwachsen. Immer mehr Kunden machen sich mit der Rechtslage vertraut und lassen sich nicht mehr einschüchtern.“
Auch international stehen die Zeichen auf Expansion. Im April gründete Usedsoft eine Niederlassung in Frankreich. Dies ist ein erster Schritt im Rahmen einer europaweit ausgerichteten Expansionsstrategie. „Die stetig steigende Nachfrage zeigt, dass die Einsparpotenziale, die der Gebrauchtmarkt bietet, inzwischen europaweit bekannt sind“, so Schneider. „Wir planen daher, unser Geschäftsmodell in die gesamte EU auszuweiten.“
Und nicht zuletzt hat das Usedsoft-Geschäftsmodell auch zwei der namhaftesten deutschen Manager überzeugt: Im Herbst 2012 konnte Schneider bekanntgeben, dass der ehemalige Siemens-Vorstandsvorsitzende Heinrich v. Pierer und der frühere IBM-Europachef und BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel in den Usedsoft-Verwaltungsrat eingetreten sind.
Als erster Gebrauchtsoftware-Anbieter hat Usedsoft mittlerweile sogar einen Internetshop für Volumenlizenzen eröffnet. Über http://www.usedSoft-shop.com können Unternehmen gebrauchte Lizenzen direkt kaufen. Zusätzlich werden Sonderposten angeboten, die ausschließlich online bestellt werden können.
DAS ENTSCHEIDENDE URTEILIn ihrer Urteilsbegründung haben die 13 Richter der großen Kammer des EuGH festgestellt, dass der Erschöpfungsgrundsatz bei jedem erstmaligen Verkauf einer Software gilt. Der EuGH verfügte sogar, dass der Zweiterwerber bei online übertragenen Lizenzen die Software beim Hersteller erneut herunterladen darf: „Außerdem erstreckt sich die Erschöpfung des Verbreitungsrechts auf die Programmkopie in der vom Urheberrechtsinhaber verbesserten und aktualisierten Fassung“, so der EuGH. Der Gebrauchtkäufer hat also sogar Anspruch auf kostenlose Updates.
Der Erschöpfungsgrundsatz besagt, dass sich das Verbreitungsrecht eines Herstellers an seinem Produkt „erschöpft“, wenn er es zum ersten Mal in Verkehr gebracht hat. Ein Hersteller hat demnach keinen Einfluss mehr darauf, was anschließend mit diesem Produkt geschieht. Der neue Eigentümer kann es also frei weiterverkaufen.
Weiter stellt der EuGH in einer zusammenfassenden Pressemitteilung fest: Schließt der Urheberrechtsinhaber mit einem Kunden „… gegen Zahlung eines Entgelts einen Lizenzvertrag, durch den der Kunde das unbefristete Nutzungsrecht an dieser Kopie erhält, so verkauft er diese Kopie an den Kunden und erschöpft damit sein ausschließliches Verbreitungsrecht.“ Durch ein solches Geschäft werde nämlich das Eigentum an dieser Kopie übertragen. „Somit kann sich der Rechtsinhaber, selbst wenn der Lizenzvertrag eine spätere Veräußerung untersagt, dem Weiterverkauf dieser Kopie nicht mehr widersetzen“, betont der EuGH. Auffällig ist bei allen Ausführungen des Gerichts, dass diese nicht nur explizit auf Oracle bezogen sind, also auch für Computerprogramme anderer Hersteller wie Microsoft oder Adobe gilt.
Der Gerichtshof urteilte darüber hinaus, „…dass der Urheberrechtsinhaber, wenn die Anwendung des Grundsatzes der Erschöpfung des Verbreitungsrechts allein auf Programmkopien, die auf einem Datenträger verkauft worden sind, beschränkt würde, den Weiterverkauf von Kopien, die aus dem Internet heruntergeladen worden sind, kontrollieren und bei jedem Weiterverkauf erneut ein Entgelt verlangen könnte, obwohl er schon beim Erstverkauf der betreffenden Kopie eine angemessene Vergütung erzielen konnte. Eine solche Beschränkung des Weiterverkaufs von aus dem Internet heruntergeladenen Programmkopien ginge über das zur Wahrung des spezifischen Gegenstands des fraglichen geistigen Eigentums Erforderliche hinaus.“
Der EuGH schränkt lediglich ein, dass Client-Server-Lizenzen nicht aufgespalten werden dürfen. Bei diesen Lizenzen handelt es sich um einzelne Computerprogramme, die auf einem Server liegen und auf die eine bestimmte Anzahl von Nutzern zugreifen können. Hier wäre eine Aufspaltung in der Tat widersinnig. Die Ausführungen des EuGH zum Aufspaltungsverbot beziehen sich aber nicht auf Volumenlizenzen, wo mehrere einzelne Programme lediglich in einem Paket zusammen verkauft und auch einzeln auf den jeweiligen Arbeitsplatz-Computern abgespeichert werden.
Dieses Urteil hat der Branche generell Auftrieb verliehen. So berichtet auch Tobias Lander, Sales Director des Gebrauchtsoftware-Händlers Relicense AG, von einer Steigerung der Nachfrage um bis zu 200 Prozent. Auch das Angebot ist gestiegen, da mehr Unternehmen nach dem Urteil ihre nicht benötigten Lizenzen wieder auf den Markt werfen. Aktuell, und noch bis 31. August, bietet Relicense AG deswegen – und zur Feier des Firmenjubiläums – vergünstigte Angebote für Office 2007 Pro Plus MVL, Windows 7 Upgrade MVL, Windows 2008 Server CAL MVL, Exchange 2007 / 2010 Server Std CAL MVL, Sharepoint 2007 Server Std CAL MVL sowie System Center Configuration Management 2007 R2 Server CAL MVL.
MIETMODELLE AM HORIZONT
Erst kürzlich hat Adobe mit seinem Vorhaben für Aufhorchen gesorgt: Die Komponenten der Creative Suite sollten nur noch zum Mieten, nicht zum Kaufen angeboten werden. Auch wenn das Unternehmen mittlerweile teilweise zurückgerudert ist, das Mietmodell steht bei vielen Softwareherstellern auf der Agenda – und könnte den Gebrauchtsoftwarehändlern mittel- bis langfristig einen dicken Strich durch die Rechnung machen.
Microsoft beispielsweise hält zwar noch am traditionellen Vertriebsweg fest, spekuliert aber, dass das Mieten von Software die herkömmlichen Kauf-Modelle wohl innerhalb der nächsten zehn Jahre komplett ablösen wird. Wenn das wirklich eintrifft, ist die Luft raus aus dem Gebrauchtsoftware-Markt. (rnf)
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