Technologien, die Netzwerk-Aufgaben und -Infrastruktur automatisieren und vereinheitlichen, können IT-Profis entlasten – und neue Hürden aufwerfen. [...]
Software-defined Networking, intent-based Networking, SD-WAN und eine Vielzahl anderer Technologien zielen darauf ab, IT-Profis das Leben, beziehungsweise die Arbeit durch Automatisierung leichter zu machen. Statt jeden Teil eines Systems manuell zu konfigurieren, unterstützen Templates und künstliche Intelligenz die Mitarbeiter und sorgen für eine wesentliche geringere Arbeitsbelastung. Soweit zumindest die Theorie. Ob sich das in der Praxis bewahrheitet, ist umstritten.
Wenn Outsourcing hilft
Für einige Unternehmen haben sich Netzwerkautomatisierung und Outsourcing als äußerst erfolgreich erwiesen. Stewart Ebrat ist der CIO der Modekette Vera Wang, seit mehr als zwanzig Jahren in der IT-Branche tätig und hat unter anderem für IBM und die New Yorker Börse gearbeitet.
In seinen IT-Tagen, so Ebrat, habe der Schwerpunkt darauf gelegen, sicherzustellen, dass alle Verbindungen funktionieren – besondere Problemfelder seien dabei Clients und Mainframes gewesen. Zu Beginn seiner Zeit als CIO bei Vera Wang im Jahr 2017 habe auch die dortige IT-Abteilung wesentlich traditioneller gearbeitet: Die einzelnen Ladengeschäfte wurden über VPLS (Virtual Private Lan Service) in ein Rechenzentrum geleitet, während beispielsweise Point-of-Sale-Systeme lokal gemanagt wurden.
Unter der Ägide von Ebrat sprang das Modeunternehmen auf den As-a-Service-Zug auf und lagerte nach und nach alle Teile seiner IT-Infrastruktur aus. Um die Vernetzung der Ladenlokale (einschließlich SD-WAN) kümmert sich beispielsweise Aruba/HPE. Die Daten laufen in einem Azure Backend zusammen. So konnte der CIO die Gesamtzahl der IT-Mitarbeiter von fünf auf zwei (sich selbst und einen Helpdesk-Mitarbeiter) reduzieren.
„In der Modeindustrie gilt die IT als Kostenstelle und nicht als Einnahmequelle. Heutzutage stellt es ein großes Problem dar, dass die IT-Abteilung immer verfügbar und in der Lage sein muss, jederzeit zu unterstützen. Die Möglichkeit, diese Support-Verantwortung an einen Anbieter abzugeben, ist sehr nützlich und hat uns viel Geld gespart.“
Ebrat sagte, er wolle die gesamte IT von Vera Wang in die Cloud verlagern und sich beim Support auf die Anbieter verlassen. Anstatt den Helpdesk des Unternehmens anzurufen, sollen sich die Mitarbeiter in den Geschäften bei IT-Problemen direkt mit den Anbietern in Verbindung setzen. „Jede Lösung hat ihren eigenen Support. Das hat sich bewährt. Die verschiedenen Serviceangebote, die wir angenommen haben, ermöglichen einen besseren Überblick über die Vorgänge in den Systemen und haben unsere Fähigkeit verbessert, die Infrastruktur zu automatisieren und zu stabilisieren.“
Ohne Knowhow geht nichts
Für andere Unternehmen ist das Versprechen von der IT-Entlastung deutlich schwieriger greifbar. Tom Hull ist CIO von Kaleida Healthcare, einem Unternehmen mit fast 200 Standorten in den USA – darunter Krankenhäuser, ambulante Pflegedienste, Kliniken, OP-Zentren und Notfalldienste. Ihm untersteht ein Team aus etwa 250 IT-Fachleuten. „Unsere weit verteilten Servicebereiche erfordern eine ziemlich komplizierte IT-Umgebung“, erzählt Hull. „Wir haben drei Rechenzentren, ein Kernnetz und verteilte Netzwerke. Einige der Standorte sind sehr komplex und verfügen beispielsweise über eigene TK-Systeme. Das konsolidieren wir zusätzlich zu unserem Kernnetzwerk.“
Der Manager ist seit 1986 in der IT-Branche tätig und hat in dieser Zeit drei große Veränderungen der Netzwerkarchitektur miterlebt: von Mainframes zu Client-Servern in den 1990er Jahren, zu Webanwendungen in den 2000er Jahren und jetzt die Umstellung auf die Cloud. Die Arbeit der IT-Abteilung sei heute nicht einfacher geworden, meint der CIO: „In den 1990er Jahren oder sogar noch vor 15 Jahren war es viel einfacher. Heute brauchen wir ein riesiges Maß an Cybersicherheit, um all die verschiedenen Endpunkte und Schwachstellen abzudecken.“
„Das soll nicht heißen, dass die neuen Technologien nicht zahlreiche Vorteile mit sich bringen, insbesondere im Bereich der Netzwerke mit SDN. Aber diese zu nutzen, erfordert eine Menge Fachwissen und Arbeit, um neue Systeme zum Laufen zu bringen – und viele IT-Mitarbeiter sind noch nicht auf dem neuesten Stand“, meint Hull.
Im Gegensatz zu Vera Wang hat Kaleida sein IT-Personal aufgestockt. Das liege laut dem CIO daran, dass sich die Anforderungen für Unternehmen unterschiedlicher Branchen teilweise drastisch unterscheiden: „Wenn Sie eine Zahnarztpraxis haben, kommen Sie eventuell mit ein paar PC-Technikern und einigen einfachen Anwendungen aus. Im Finanz- oder Gesundheitswesen braucht man mehr Mitarbeiter wegen der Komplexität der Systeme und der regulatorischen Anforderungen.“
Auf den Reifegrad kommt’s an
Ein wichtiger Grund dafür, dass verschiedene Unternehmen unterschiedliche Änderungen an ihre IT-Technologie stellen: Jeder Technologiebereich reift unterschiedlich schnell. „Ein Unternehmen, das auf eine bestimmte Technologie angewiesen ist, wird stärker von deren Reifegrad beeinflusst, als eines, bei dem das nicht der Fall ist“, meint Arun Chandrasekaran, Vice President und Analyst bei Gartner Research. „Tools, die Rechenleistung, Cloud Compute und Storage zur Verfügung stellen, werden beispielsweise immer besser. Ich würde aber behaupten, dass das Netzwerk in Bezug auf den Automatisierungsgrad, den wir heute in Unternehmen sehen, etwas hinterherhinkt“.
Der Gartner-Analyst zeigt sich nicht überrascht davon, dass die Erfahrungen der beiden CIOs Hull und Ebrat diametral auseinanderklaffen. Es gebe so viele Variablen, die Einfluss darauf nehmen, ob es für die IT einfacher wird, so Chandrasekaram: „Es ist eine Frage der Cloud-Reife, der organisatorischen Reife, wie die Infrastruktur und die Organisationsteams aufgestellt sind – wir beobachten heute eine ausgeprägte Varianz am Markt.“
Trotz des erklärten Ziels, die IT-Arbeitsabläufe zu vereinfachen, bringen viele der dafür konzipierten Technologien laut Mark Leary, Research Director von IDC, zusätzlichen Aufwand mit sich: „Netzwerkautomatisierung macht nicht unbedingt alles einfacher. Wenn das nicht ordentlich gemacht wird, kann das in einer Katastrophe enden.“ Dabei unterstreicht Leary Hulls Einwand, dass erfahrene Fachleute vonnöten sind, um neue Technologien zu managen. Zwar gebe es einige Unternehmen wie Vera Wang, die ihre IT größtenteils auslagern – in den meisten Fällen sei internes Fachwissen jedoch unabdingbar, um neue Systeme wie SD-WAN zu betreiben.
„Technologien zur Netzwerkautomatisierung können das Problem der IT-Komplexität teilweise lösen. Dabei hängt allerdings auch viel an den Mitarbeitern: Sie müssen sicherstellen, dass alles richtig abläuft. Wenn Sie ein Python-Programm schreiben wollen, müssen Sie Python lernen“, so der IDC-Chefanalyst. Ein modernes Netzwerk einfach zu gestalten, sei laut Leary eine komplizierte Angelegenheit, die sich in den meisten Fällen durch neue Technologien nicht wesentlich vereinfach ließe: „Ich habe noch keinen Netzwerkprofi getroffen, der sich über zu viel Freizeit beschwert hat.“
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Network World.
*Jon Gold ist Senior Writer bei der US-Schwesterpublikation Network World.
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