SAP baut neue On-Premise-Personallösung

Ursprünglich sollte SAP HCM nur bis 2025 unterstützt werden und die Kunden danach in die Cloud auf SAP SuccessFactors wechseln. Doch die Anwender protestierten, weshalb SAP nun eine neue HCM-Software herausbringen will, die Anwender im eigenen Rechenzentrum laufen lassen können. [...]

Viele Unternehmen stehen vor der Frage
Viele Unternehmen stehen vor der Frage

Obwohl SAPs Softwarestrategie eindeutig in Richtung Cloud führt, macht das Unternehmen Kunden gegenüber Zugeständnisse in Sachen On-Premise-Applikationen. Ab 2023 soll es eine neue Lösung für das Human Capital Management (HCM) geben, die Kunden bei sich im Unternehmen betreiben können und die SAP bis zum Jahr 2030 unterstützen will.
Ursprünglich wollten die Verantwortlichen des größten deutschen Softwareanbieters ihre Personallösung SAP HCM nur bis 2025 als klassische Lizenzsoftware-Variante unterstützen. Danach sollten die Anwenderunternehmen auf die von SAP vor rund sechs Jahren zugekaufte Cloud-Lösung von SuccessFactors umsteigen. Doch der Plan ging nicht auf.
Langjährige Kunden machten den Walldorfern einen Strich durch die Rechnung. Viele fordern schon länger vehement eine längerfristige On-Premise-Unterstützung für ihr SAP-basiertes Personalmanagement. Untermauert wurde dieses Anliegen durch eine Umfrage der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG).
Dafür haben die Anwendervertreter im November 667 Mitglieder aus dem rund 3000 Unternehmen umfassenden DSAG-Arbeitskreis Personalwesen befragt. Heraus kam wenig überraschend, dass fast alle (97 Prozent) die klassische SAP-HCM-Lösung im Einsatz haben. Ein Viertel setzt SuccessFactors ein, und neun Prozent nutzen „Concur“ – ebenfalls eine von SAP zugekaufte Cloud-Lösung – für das Reisemanagement.
(c) DSAG
SAP-ANWENDER BEVORZUGEN ON-PREMISE-LÖSUNGEN
Auf die Frage nach dem strategisch bevorzugten Betriebsmodell für SAP-Software im Personalwesen gaben 41 Prozent an, dass sie ausschließlich oder überwiegend On-Premise-Lösungen favorisieren. 42 Prozent erklärten, eine hybride Lösung, bestehend aus On-Premise und privater oder Public Cloud, ins Auge fassen zu wollen, während lediglich sieben Prozent eine Cloud-only-Lösung in Erwägung ziehen.
(c) DSAG
Grundsätzlich gibt es unter SAP-Anwendern nach wie vor etliche Vorbehalte gegenüber der Cloud. Etwa 26 Prozent der Befragten begründen ihre Zurückhaltung mit der Befürchtung, die Kontrolle über die Software zu verlieren. Für gut ein Viertel der Anwender (27 Prozent) spielt auch die Unsicherheit bei der Einhaltung von regulatorischen Vorschriften, Compliance und Security eine signifikante Rolle.
SAPS CLOUD-VARIANTE MIT FUNKTIONALEN DEFIZITEN
Die zögerliche Haltung der Umfrageteilnehmer gegenüber der von SAP präferierten Cloud-Lösung überrascht den DSAG-Arbeitskreis-Sprecher Personalwesen Hermann-Josef Haag nicht. Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf funktionale Defizite „Wir haben gezielt danach gefragt und mehr als die Hälfte (54 Prozent) hält die funktionalen Anforderungen des Personalwesens in den neuen, Cloud-basierten Lösungen für noch nicht ausreichend erfüllt“, konstatiert Haag.
(c) DSAG
Weitere Hindernisse auf dem Weg zur SuccessFactors-Lösung sehen knapp 23 Prozent der Befragten beim Thema Lizenzen und gut jedem Fünften (21 Prozent) fehlen Informationen hinsichtlich der Migration. Etwa 20 Prozent halten die Integrationsfähigkeit in andere Software-Module für nicht ausreichend und 13 Prozent der Befragten kritisieren den fehlenden Einfluss auf Verfügbarkeit und Support der neuen Lösung. „Eine Umstellung auf SuccessFactors würde den Einsatz von Schnittstellen in die ERP-Lösung notwendig machen, und das widerspricht dem bisherigen Integrationsansatz von SAP“, erklärt DSAG-Vorstandsmitglied Jean-Claude Flury.
Aus Sicht der DSAG-Verantwortlichen besteht insbesondere beim Thema Lohn- und Gehaltsabrechnung (Payroll) erhöhter Handlungs- und Informationsbedarf. SAP arbeite eigenen Aussagen zufolge an einer komplett neuen Lösung für die Abrechnung, die durch Micro-Services verstärkt automatisiert abläuft und beispielsweise auch Elemente des maschinellen Lernens enthält, berichtet Flury. „Hier wird sich noch herauskristallisieren müssen, wie diese Micro-Services konkret zusammenspielen sollen“, hinterfragt der Anwendervertreter die Vorgehensweise SAPs.

UNTERSCHIEDLICHE CLOUD-TEMPI VON ANWENDERN UND SAP
Angesichts der offenen Fragen hat SAP nun eingelenkt. Man werde auch weiterhin Kunden unterstützen, die HCM in der On-Premise-Option für das Personalmanagement einsetzen. Jeder Kunde habe individuelle Anforderungen und möchte sein Tempo für einen Umstieg selbst bestimmen, hieß es von Seiten des Softwarekonzerns. Es sei daher verständlich, dass manche SAP-Kunden ihre HR-Lösung auf absehbare Zeit in einer On-Premise-Umgebung nutzen wollten.
Um diese Kundenanforderungen zu unterstützen, plant SAP eigenen Angaben zufolge, eine neue On-Premise-Option für das Personalmanagement anzubieten. Die Lösung soll auf SAP ERP HCM basieren und einen vergleichbaren Funktionsumfang bieten – ausgenommen die Anwendungen „SAP E-Recruiting“ und „SAP Learning Solution“. Die kommende HCM-Software werde SAP-Angaben zufolge auf einer separaten Instanz implementiert und eng mit SAP S/4HANA integriert sein. Das bedeutet, Anwender müssen die dafür notwendigen HANA-Lizenzen kaufen. Die Verfügbarkeit der Lösung ist für 2023 geplant, die Wartung soll mindestens bis 2030 laufen.
Darüber hinaus will SAP seinen Kunden ein Programm zur Lizenzumstellung offerieren – um die bestehenden Investitionen zu schützen, wie es hieß. Details zu diesem Programm sollen SAP zufolge noch 2018 festgelegt werden. Die neue HCM-Lösung kann laut SAP erst mit deren Verfügbarkeit erworben werden. Zu diesem Zeitpunkt sollen Kunden die Möglichkeit haben, die neue Lösung zu lizenzieren und mithilfe geplanter Migrationswerkzeuge und -Services mit der Umstellung zu beginnen.
Die SAP-Verantwortlichen gehen davon aus, dass diese Umstellung ohne Unterbrechung des Geschäftsbetriebs erfolgen kann. „Kunden, die heute eine integrierte ERP- und HCM-Installation auf einer Instanz nutzen, sollen dann in der Lage sein, zu einem Betriebsmodell mit einer partitionierten Installation zu wechseln und das Angebot auf einer separaten Instanz zu nutzen“, hieß es in einer offiziellen Mitteilung des Softwarekonzerns.
ANWENDER BEGRÜßEN SAPS HCM-INITIATIVE, WOLLEN ABER KRITISCH BLEIBEN
Vertreter der DSAG begrüßten die Entscheidung der SAP. Es sei erfreulich, dass der Softwarehersteller hier an einer langfristigen Lösung für die Anwender arbeite, hieß es. Mit der neuen Lösung komme SAP den Kunden entgegen, die ihr Betriebsmodell strategisch primär On-Premise sehen. Zudem erhielten Anwender mehr Zeit, um für sich zu klären, wie ein möglicher Umzug ihrer HCM-Lösung in die Cloud aussehen könnte.
Aber, so schränkten die Anwendervertreter im gleichen Atemzug ein, werde man kritisch beobachten, wie die neue Lösung im Hinblick auf die Kundenanforderungen konkretisiert wird. Unter Beobachtung stehen das Lizenzmodell, benötigte Funktionalitäten, die Abdeckung gesetzlicher Anforderungen, die kontinuierliche Weiterentwicklung und die Integrationsfähigkeit. Diesbezüglich bleibe die DSAG im Gespräch mit SAP.
FOKUS DER INNOVATIONEN LIEGT AUF SUCCESSFACTORS
SAP wird trotz allem seinen Fokus klar auf die eigenen Cloud-Lösungen legen. SuccessFactors biete Kunden die besten Cloud-basierten Lösungen für das Personalmanagement auf dem Markt, betont man in der Chefetage der Walldorfer. Seit der Übernahme vor rund sechs Jahren habe sich die Zahl der SuccessFactors-Kunden fast vervierfacht.
„Wir erleben weltweit und in allen Branchen einen wachsenden Trend, HR-Prozesse in die Cloud zu verlagern“, teilt der Softwarekonzern mit. Die eigene Investitionsstrategie werde sich an dieser Marktnachfrage orientieren. Logische Konsequenz: Der Großteil der geplanten Innovationen für das HR-Portfolio wird sich SAP zufolge auf SAP-SuccessFactors-Lösungen konzentrieren.
SAP WILL KUNDEN EINE BRÜCKE IN DIE CLOUD BAUEN
Um seinen Kunden den Weg in die Cloud schmackhaft zu machen, hat SAP das Programm „HCM Bridge to the Cloud“ ins Leben gerufen. Anwenderunternehmen soll damit die Umstellung von einem klassischen On-Premise-HCM auf Cloud-basierte SAP-SuccessFactors-Lösungen erleichtert werden. Die im Programm enthaltenen Services und Tools würden dabei helfen, HR-Prozesse zu standardisieren und zu vereinfachen, versprechen die SAP-Verantwortlichen. Personalverantwortliche erhielten tiefere Einblicke und könnten so auch die Unternehmensziele besser unterstützen. Die neue Software binde zudem die Mitarbeiter stärker ein und erfülle damit die steigenden Erwartungen in der Belegschaft.
Die HCM Bridge to the Cloud enthält SAP zufolge vordefinierte Konfigurationsbeschleuniger, Prozessbibliotheken sowie Werkzeuge für die Integration und die Migration der Daten. Für jedes Unternehmen werde individuell eine Roadmap für die digitale Transformation der Personalprozesse gebaut sowie ein Business Case entwickelt, der die Wertschöpfung für das Unternehmen aufzeige, hieß es. Zu guter Letzt sollen offenbar auch finanzielle Anreize die Kunden in die Cloud locken. SAP spricht von „attraktiven Geschäftsbedingungen, die vorhandene Investitionen berücksichtigen“.
„Unser Ziel ist es, unseren Kunden zu helfen, zusätzlichen Mehrwert durch den Cloud-Betrieb zu erzielen“, erklärte Greg Tomb, President von SAP SuccessFactors. „Den Umstieg machen wir ihnen so einfach wie möglich. Wir möchten, dass sie schnell von Innovation und Einblicken sowie höherer Benutzerfreundlichkeit profitieren.“ Das Beispiel HCM scheint der erste Vorstoß einer breiter anlegten Cloud-Kampagne zu sein, die SAP offenbar für das Jahr 2018 plant. Nach Angaben des Softwareanbieters werde es eine Reihe von Programmen geben, die On-Premise-Kunden beim Umstieg in die Cloud unterstützen sollen. Details dieser Angebote sollen im Laufe des Jahres bekannt gegeben werden.
*Martin Bayer ist stellvertretender Chefredakteur der COMPUTERWOCHE.


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