Anwender, die Funktionen aus bestehender On-Premise-Software von SAP in die Cloud verlagern möchten, können die entsprechenden Lizenzen künftig aus der Wartung nehmen. Die Modalitäten eines solchen Wechsels regelt die "Cloud Extension Policy", die SAP nun veröffentlicht hat. [...]
SAP will seinen Kunden die Nutzung der eigenen Cloud-Lösungen mit finanziellen Anreizen schmackhafter machen. Bis dato müssen Anwenderunternehmen für Softwarefunktionen, die sie künftig aus der Cloud beziehen möchten, aber bereits in einer On-Premise-Installation im Einsatz haben, weiter Wartung für die gekaufte Lizenzversion bezahlen. Das soll sich künftig ändern, erläutert Christian Müller, Vice President bei SAP für den Bereich Maintenance Go-To-Market. Unternehmen sollen in Zukunft den Wechsel in die Cloud flexibler handhaben können und „nicht mehr auf ungenutzter Shelfware sitzen bleiben“.
SAP-Software, die Unternehmen zuvor als On-Premise-Lösung betrieben haben und die sie in Zukunft als Cloud-Variante beziehen möchten, können die Kunden im neuen Modell aus der Wartung nehmen. Wie die Modalitäten und Aufrechnung des Wechsels genau funktionieren, regelt die Cloud Extension Policy, die der Konzern für seine Kunden auf dem Softwaremarktplatz im Web veröffentlicht hat. SAP selbst hat in den vergangenen Jahren das eigene Cloud-Portfolio kontinuierlich ausgebaut, beispielsweise durch Eigenentwicklungen wie das ERP-Paket „Business ByDesign“ oder spezielle Funktionsmodule wie „Sales on Demand“. Darüber hinaus haben die Softwerker aus dem Badischen Cloud-Lösungen zugekauft, wie SuccessFactors, einen Spezialisten für Human-Capital- und Talent-Management, sowie das Einkaufsnetzwerk Ariba.
All diese Cloud-Lösungen haben indes ihre Pendants in SAPs On-Premise-Welt, wie HR-Funktionen in der Business-Suite, das Supplier Relationship-Management (SRM) und Customer Relationship Management (CRM). Müller zufolge wird der Einsatz von Cloud-Lösungen für die eigene Klientel immer interessanter. Derzeit entwickelten sich aus seiner Sicht vor allem hybride Infrastrukturen – mission-critical Prozesse würden die meisten Unternehmen weiterhin selbst in-house betreiben, während flankierende Funktionen, die sich weitgehend standardisiert betreiben ließen, zunehmend in die Cloud verlagert würden.
Um in diesem Umfeld einen teuren Doppelbetrieb von Cloud- und On-Premise-Lösung zu vermeiden, hat SAP seine Cloud Extension Policy entwickelt. Dieses Regelwerk definiert wie nicht mehr benötigte On-Premise-Software gegen neue Cloud-Funktionen verrechnet werden. Müller räumt ein, dass es an dieser Stelle zu der einen oder anderen Unschärfe kommen kann. Beispielsweise sei es nicht einfach, bestimmte Funktionen aus einem Komplettpaket wie der Business Suite herauszurechnen. Daher sei die neue Policy auch weniger als ein Preiskatalog zu verstehen, sondern vielmehr als Definition von Regeln, wie die Modalitäten eines solchen Wechsels zu bewerten seien.
INDIVIDUELLER UMSTIEG
Müller betont in diesem Zusammenhang die Vorteile der Cloud und verweist darauf, dass die Software-as-a-Service-Varianten oft auch mehr Funktionen bieten wie ihre vergleichbaren On-Premise-Versionen. Zugleich äußert der SAP-Manager die Erwartung, mit Hilfe der Cloud Extension Policy mehr Nutzer für die eigenen Cloud-Lösungen gewinnen zu können. Dabei sollen die Anwender ihren Cloud-Umstieg flexibel und individuell handhaben können.
Beispielsweise müssten nicht alle User eines bestimmten Funktionsmoduls in die Cloud verlagert werden. Der Kunde könne selbst bestimmen, wie viele Anwender künftig mit einer Cloud-Version arbeiten sollen. Entsprechend verringere sich der Aufwand für die Wartung des verkleinerten On-Premise-Anteils. SAP-Angaben zufolge spielt es auch keine Rolle, welches Wartungsmodell der Kunde im Einsatz hat – den Standard-Support oder den teureren Enterprise-Support.
Unternehmen stünden bei der Integration und dem Einsatz von Cloud-Lösungen in hochkomplexen IT-Umgebungen teilweise vor enormen Hürden, sagt Elaina Stergiades, Research Manager, IDC. „Daher sind sie auf der Suche nach Preis- und Einsatzmodellen, die flexibel sind und eine Erweiterung in die Cloud in ihrem eigenen Tempo ermöglichen“, so ihre Einschätzung. Das Modell der SAP könne dabei helfen, Investitionen in On-Premise und Cloud zu optimieren.
CLOUD-ANTEIL WÄCHST
Für den deutschen Softwarekonzern wird das Cloud-Geschäft insgesamt immer wichtiger. Im zweiten Quartal 2013 nahm SAP mit Cloud-Subskriptionen und -Support 159 Millionen Euro ein, das ist drei Mal so viel wie im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Gleichzeitig schrumpfte das klassische Softwaregeschäft um sieben Prozent auf 982 Millionen Euro. Damit kommt die Cloud mittlerweile auf einen Anteil von fast 14 Prozent am Produktgeschäft. Allerdings bleibt abzuwarten wie sich die neue Cloud-Policy auf den Posten Support in der SAP-Bilanz auswirkt.
Dieser kam im zuletzt abgeschlossenen Quartal auf fast 2,18 Milliarden Euro – plus acht Prozent im Vergleich zum zweiten Quartal 2012 – und machte damit den Löwenanteil an den gesamten Umsatzerlösen von gut vier Milliarden Euro aus. Die SAP-Verantwortlichen gehen indes nicht davon aus, „dass dieses Angebot einen wesentlichen Einfluss auf die von der SAP prognostizierten Umsätze und das prognostizierte Betriebsergebnis für das Jahr 2013 haben wird“, heißt es in einer offiziellen Mitteilung.
Zuletzt gab es allerdings einige Unruhe rund um SAPs Cloud-Abteilung. Deren Leiter Lars Dalgaard, Ex-Chef des von SAP übernommenen Cloud-Spezialisten SuccessFactors, gab Ende Juni seinen Cloud-Vorstandsposten ab. Zwar hieß es, Dalgaard werde SAP weiterhin beratend zur Seite stehen. Insider berichten jedoch, dass hier zwei unterschiedliche Auffassungen von Firmenkultur aufeinander prallten und der gebürtige Däne schließlich seinen Hut nehmen musste. Im April 2011 hatte sich der von Oracle gekommene John Wookey, der die Entwicklung von einzelnen Cloud-Modulen vorantreiben sollte, von SAP verabschiedet. Nun soll Technik- und Entwicklungschef Vishal Sikka die Fäden von SAPs Cloud-Geschäft in die Hand nehmen.
ANWENDER BEGRÜSSEN INITIATIVE
Die SAP-Anwender begrüßen die jüngste Initiative ihres Softwarelieferanten. Der Entscheidung, das SAP-Lizenzmodell an dieser Stelle flexibler zu gestalten, liege eine konkrete Forderung der DSAG zugrunde, hieß es von Seiten der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) „Wir haben schon seit längerem darauf gedrängt, dass Unternehmen, die sich in die Cloud hinein entwickeln wollen, nicht auf ihren Lizenzkosten sitzenbleiben dürfen“, kommentiert DSAG-Vorstand Andreas Oczko die SAP-Ankündigung. Vielmehr sollte es möglich sein, die durch die Cloud-Funktionalität überflüssig gewordenen Lizenzen zu liquidieren. SAP habe die richtigen Schlüsse im Sinne der SAP-Kunden gezogen.
Für die DSAG ist es ein Schritt in die richtige Richtung, um bei den SAP-Kunden die ersten Steine aus dem Weg zu räumen, die vielleicht bisher eine Investition in Cloud-Lösungen erschwert haben, stellen die Anwendervertreter fest. Zudem sei es ein Erfolg, der ansporne, „gemeinsam mit SAP weiteres Verbesserungspotenzial im Lizenzbereich herauszuarbeiten, zu diskutieren und zu tragbaren Ergebnissen zu kommen, um die Innovationsbereitschaft aller SAP-Kunden in SAP-Lösungen weiter zu fördern.“ Die DSAG drängt seit längerem darauf, die Lizenzbedingungen insgesamt stärker zu flexibilisieren. Bislang hatte sich das SAP-Management auf diesem Ohr allerdings taub gestellt.
* Martin Bayer ist Redakteur der deutschen Computerwoche.
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