Strategien für den Edge: So kombinieren Sie Edge und Cloud

Cloud-First heißt es in vielen Unternehmen. Doch die Verlagerung in die Cloud hat ihre Grenzen. Wir zeigen, wo und wie Rechen-Power am Edge gefragt sind. [...]

Anforderungen wie geringe Latenzeiten oder das hohe Datenvolumen von IIoT-Anwendungen zwingt Unternehmen auch im Cloud-Zeitalter Rechenzentren am Edge zu betreiben (c) pixabay.com

Mit der Etablierung der Cloud im letzten Jahrzehnt eröffneten sich viele neue Chancen und Innovationen, gleichzeitig nahmen die Datenmengen stetig zu. Edge Computing kann einen Ausweg aus diesem Dilemma bieten und durch eine dezentrale Datenverarbeitung viele neue Anwendungsfälle In der Fläche ermöglichen. Gleichzeitig stehen bereits etablierte Dienste aus der Cloud-Umgebung weiterhin zur Verfügung.

Zurück zur eigenen Serverlandschaft?

Auch wenn die großen unternehmenseigenen Rechenzentren der neunziger Jahre mit sukzessiver Einführung von Cloud-Diensten aus der Mode gekommen sind, verbleibt bei den Unternehmen häufig ein Anteil an sogenannten On-Premises-Serverlandschaften. So verfolgt gemäß einer aktuellen Studie lediglich ein Viertel der deutschen Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten eine sogenannte „Cloud-Only“-Strategie.

Die Mehrheit der befragten Unternehmen, rund 53 Prozent, favorisiert eine sogenannte Cloud-First-Strategie, in der neue Lösungen zwar bevorzugt, aber nicht zwingend in die Cloud verlagert werden. Der offensichtliche Nachteil daran ist, dass durch den Parallelbetrieb von Cloud-basierten Diensten und eigenen Serverlandschaften nicht das denkbare Kostenmaximum eingespart werden kann.

Wieso sollte sich ein Unternehmen also bewusst gegen die „Cloud-Only“-Strategie entscheiden? Dafür gibt es eine Vielzahl an Gründen. Zum Beispiel die Forderungen nach geringen Latenzzeiten, welche die Verbindung zur Cloud-Infrastruktur aufgrund der notwendigen Signallaufzeiten vor physikalische Grenzen stellt. Zudem fallen durch den Ausbau der Vernetzung im Kontext von (Industrial) Internet of Things ((I)IoT) immer mehr Daten in den Unternehmen selbst vor Ort an. In vielen Gegenden können diese aufgrund von Bandbreitenbeschränkungen nicht mehr adäquat in die Cloud verschoben werden. Andere Gründe könnten inkompatible Software-Lizenzmodelle oder auch eine gewisse Skepsis sein, wenn es darum geht, unternehmensrelevante und besonders sensible Daten aus der Hand zu geben.

OT und IT

Die Vernetzung innerhalb der Unternehmen betrifft beispielsweise Produktionsanlagen, während zeitgleich unterschiedliche Datenquellen aus der Gebäudeautomatisierung und der Produktion in einem Netz ((I)IoT) zusammengefasst werden. „Operational Technology“ (OT) und „Information Technology“ (IT) sind also miteinander verwoben und erfordern neben dem Einsatz unterschiedlicher Gateways verstärkt eine Vorsortierung, Speicherung und Verarbeitung von Daten, bevor sie das Unternehmen verlassen und in die Cloud weiterverarbeitet werden.

Diese Situation wird sich in absehbarer Zeit verstärken. Durch den neuen Mobilfunkstandard 5G und den hoch performanten WiFi-6-Standard werden künftig viele stationäre, aber auch mobile Datenquellen kontinuierlich miteinander verbunden sein. Analysten schätzen, dass im Jahr 2025 rund 80 Prozent aller Daten am Edge, beziehungsweise den dortangeschlossenen Geräten, anfallen werden. Zudem wird sich in den kommenden vier Jahren die globale Datenmenge laut IDC’s Data Age 2025 Report nahezu verdreifachen. All das erfordert eine innovative Lösung, um die Vielzahl an generierten Daten und deren optimale Verarbeitung sicherstellen und dennoch die unbestrittenen Vorteile der Cloud nutzen zu können.

Die technologische Antwort auf die genannte Problemsituation klingt zunächst trivial: Anwendungen, Daten und Dienste werden wieder aus der Cloud heraus verlagert. Und zwar an den sogenannte „Edge“, also auf Server oder Sensoren, die sich in der unmittelbaren Nähe der Datenquellen befinden, zum Beispiel in einem autonom fahrenden Auto, in einen smarten Wolkenkratzer, in einem Supermarkt oder in der Nähe von Fertigungsmaschinen in einer Produktionshalle.

Virtuelle Rechnerverbünde und technologische Herausforderungen

Die Cloud-Anbieter erschaffen ein sogenanntes „Cloud-to-Edge Computing, Storage, Network and Service Continuum“: Ein virtueller Rechnerverbund, der zentral gesteuert und verwaltet wird, jedoch eine dezentrale und auf die unterschiedlichen Anwendungsfälle optimierte Verarbeitung und Speicherung der Daten ermöglicht. So können die am Edge anfallenden Daten mobiler und stationärer Endgeräte bedarfsgerecht in einem Rechnerverbund zusammengefasst, sortiert, verarbeitet und bei Bedarf an die Cloud übersandt werden. Dies geschieht im Idealfall nach zentralen Regeln und weitgehend ohne zusätzlichen Aufwand und Personalbedarf. Zudem können unternehmensrelevante Daten an der Edge verbleiben, ohne zusätzliche Insellösungen erhalten beziehungsweise schaffen zu müssen.

Allerdings ist der Weg zu diesem Ideal mit einigen Hürden verbunden, da die umfassende Einbindung von Produktionsmaschinen, Sensoren und Gateways beispielsweise in ein 5G-Netz sowie die Ausbringung verteilter Edge-Server zunächst nicht unwesentliche Investitionen erfordern werden, die sich erst mittelfristig auszahlen. Ein Lösungsweg scheint die schrittweise Migration in eine Cloud-Edge-Architektur zu sein.

So vielversprechend der Schritt in die Edge erscheint, die hierdurch entstehenden Herausforderungen sind auch abseits finanzieller Investments nicht zu unterschätzen. Einfach an der „Cloud-Only“-Lösung ist, dass alle Daten in die Cloud verschoben und dort prozessiert wurden. Mit Einführung des Edge ist dieser Prozess weniger intuitiv. Werden nun beispielsweise Edge-Landschaften an verschiedenen Produktionsstätten eines Unternehmens aufgebaut, stößt man auf diverse Hürden.

Was passiert beispielsweise, wenn die Verbindung zur Cloud zusammenbricht? Kann die Edge dann einen teilautonomen Betrieb sicherstellen? Nach welchem Regelwerk werden Daten zwischen Cloud und Edges synchronisiert? Und nach welchen Regeln wird am Edge entschieden, was in die Cloud verschoben wird? Wie wird die Sicherheit der ausgelagerten Edge-Landschaften garantiert und ein Einfallstor in die Cloud verhindert?

Die TK-Provider ergreifen ihre Chance

Mit der Einführung des 5G-Standards durch das globale Standardisierungsgremium „3rd Generation Partnership Project“ (3GPP) nehmen aber auch andere Marktteilnehmer das Edge in ihren Fokus. So sieht der 5G-Standard den Aufbau sogenannter „Multi-Access-Edge-Computing“-(MEC-)Server im Bereich der stationären 5G-Funktürme vor. Die Zielgruppe ist eindeutig: Durch Bereitstellung hoch performanter kabelloser Übertragungsdienste im öffentlichen und kommerziellen Bereich bieten die TK-Anbieter ebenfalls zentral verwaltete Edge-Server in unmittelbarer Nähe zu ihren Kunden an.

Dies ermöglicht der Branche den Einstieg in umfassende IT-gestützte und echtzeitfähige Dienstleistungen, die bisher der OT-Technologie vorbehalten waren. Wie bereits beschrieben, werden große Datenmengen am Edge bei Bedarf zur Verfügung gestellt oder prozessiert. Aber auch im Bereich der Echtzeitkommunikation, beispielsweise für das autonome Fahren oder zur Steuerung industrieller Anlagen, bietet dieser Ansatz ein solides Fundament. Was heißt dies nun für die etablierten Cloud-Anbieter?

Hyperscaler setzen auf ein Cloud-Edge-Continuum

Der Fokus der Hyperscaler liegt bereits seit einigen Jahren auf der Befähigung des Edge und der Anbindung einer stetig zunehmenden Anzahl von (I)IoT-Geräten inklusive Zero-Touch-Funktionalitäten. Die Cloud-Anbieter versuchen so verstärkt, ihren Einfluss über die gesamte technologische Wertschöpfungskette auszuweiten und fokussieren sich folglich immer mehr auf das 5G-Edge-Segment und die TK-Anbieter. Nach einer aktuellen Einschätzung von Gartner werden jedoch bis Ende 2023 nur 20 Prozent der installierten Edge-Computing-Plattformen von Hyperscalern bereitgestellt und verwaltet, was laut Gartner einen Anstieg von weniger als ein Prozent im Verhältnis zu 2020 bedeutet.

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Hyperscaler und Carrier partnern

Um ihren Marktanteil weiter auszubauen, sind die Hyperscaler im letzten Jahr nun vielfach enge Partnerschaften mit den TK-Anbietern eingegangen, um 5G- und Edge-Dienste anzubieten. Aber auch die Produktkette wird maßgeblich auf die Edge ausgerichtet, um insbesondere eine zentrale Management-Fähigkeit anzubieten und wesentliche Dienste an der Edge bereitstellen zu können.

So bietet etwa Microsoft durch seine „Azure for Operators Strategy“ und größere Akquisitionen bereits heute eine sehr vollständige Palette an Edge-Angeboten an. Google Cloud hat im März 2020 seine „Global Mobile Edge Cloud (GMEC)-Strategy“ angekündigt, die auf einer Partnerschaft mit AT&T aufsetzt. Die Angebote von Amazon Web Services (AWS)konzentrieren sich hauptsächlich auf die TK-Anbieter, um die AWS-Infrastruktur nahe beim Kunden, also möglichst nahe am 5G-Sendemast in den Rechenzentren der Carrier am Edge auszubringen.

Neben den Cloud-Anbietern nehmen aber auch die IT-Hardwareanbieter die Edge zunehmend ins Visier. Insbesondere die Fähigkeit, komplexe Daten bereits am Edge auszuwerten, stellt hohe Anforderungen an die Edge-Server. Waren bisher komplexe Algorithmen mit Lerneigenschaften der Cloud vorbehalten, werden die Kunden künftig erwarten, bereits an der Edge eine Vorsortierung vornehmen zu können.

Eine KI-gestützte Videoüberwachung auf allen Etagen eines Wolkenkratzers würde in der herkömmlichen, monolithischen Cloud-Architektur eine Übertragung aller Streams in die Cloud erfordern. Je nach Auflösung würde dies zu einem nicht mehr abbildbaren Datenvolumen führen. Verteilt man zentral verwaltete und mit der Cloud eng kooperierende Edge-Server im Gebäude, die den Videostream bereits KI-gestützt auswerten, kann die gesamte Datenübertragung zur Cloud auf relevante, aggregierte Statusdaten reduziert werden.

Auswirkungen auf den Markt

Die Entwicklung im Bereich des Edge wird zum einen die Möglichkeiten zur durchgängigen Digitalisierung vieler Lebensbereiche und des gesamten industriellen Wertschöpfungsprozesses massiv vorantreiben. Viele IIoT-Anwendungen werden durch das Edge erst ermöglicht. Allerdings ist davon auszugehen, dass das Edge aufgrund ihres Wachstumspotenzials am Markt stark umkämpft wird. Denkbar sind kooperative Ansätze zwischen Cloud– und Telekommunikationsanbietern, die dem Kunden praktisch aus einer Hand das Rundumpaket anbieten.

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Aber auch kompetitive Szenarien sind zu erwarten, zumal das Edge und damit die Datensortierung und -verarbeitung sowohl ohne die Cloud-Anbieter als auch die Nutzung von 5G-Netzen grundsätzlich möglich ist. Sicherlich wird man auch Partnerschaften mit IT-Hardwareanbietern beobachten können, da je nach Anwendungsfall eine maßgeschneiderte Lösung zu hohen Leistungssteigerungen etwa im Echtzeitbereich führen kann. Derzeit entwickelt der gesamte Markt unter Hochdruck Lösungen für das Edge, um sich schnell in eine gute Ausgangsposition zu bringen.

Neue Anwendungsfälle und Herausforderungen für den Anwender

Viele der Anwendungsfälle sind grundsätzlich nicht neu, jedoch werden sie in vielen Fällen erst das ermöglichen, was viele Anwender sich schon länger erhofften. Beispielsweise war es für große Supermarktketten, die viele Geschäfte in ländlichen Regionen betreiben, aufgrund der geringen Internetbandbreite nicht zu realisieren, moderne Cloud-basierte Anwendungen, die ein verbessertes Kundenerlebnis im Geschäft ermöglichen, in den Geschäften zur Verfügung zu stellen. Mit Edge-Lösungen in diesen Geschäften wird es nun möglich, ohne zusätzliches IT-Personal zentral gesteuerte Dienste dezentral zur Verfügung zu stellen, selbst wenn die Datenanbindung nicht performant ist. Diese Systematik lässt sich beliebig auf alle Industrien übertragen.

Immer wenn die anfallenden Daten in einem Unternehmen vor Ort zu umfassend sind, um sie in die Cloud zu transferieren, oder hohe Anforderungen an geringe Latenzzeiten für die Steuerung existieren, hilft die Edge. So können komplexe Cloud-to-Edge-Anwendungsfälle realisiert werden, die trotz ihrer weitreichenden regionalen Verteilung zentral aus einer Hand überwacht und gesteuert werden können.

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