Vernetzte Industrie ist anfälliger für Angriffe

Industrie 4.0 bedeutet eine noch stärkere Vernetzung der Produktion mit der klassischen IT. Da ein Hacker-Angriff jedoch drastischere Folgen haben kann, müssen sich Industrie-Unternehmen besonders sorgfältig um die Sicherheit kümmern. [...]

Bei der Herstellung von Produkten beschränkte sich der Begriff Sicherheit lange Zeit primär auf den Arbeitsschutz oder die Verhinderung von Industriespionage. Wenn Anlagen und ganze Herstellungsprozesse zukünftig mit Hilfe von Informationstechnik weitestgehend automatisiert und vernetzt werden, müssen sich Unternehmen aber auch verstärkt Gedanken über geeignete und zuverlässige IT-Security-Lösungen machen.

Durch die Entwicklung in Richtung Industrie 4.0 wird der Schutz vor Angriffen durch Hacker und Spione, vor Schadprogrammen und Sabotage auch in Produktionsstraßen ein immer wichtigeres Thema. Klassische Firewall- und Anti-Virus-Technologien, wie man sie aus der Office-IT kennt, bieten dafür nicht genügend Möglichkeiten. Vielmehr sind ganzheitliche Konzepte gefragt, die technische und organisatorische Maßnahmen vereinen. Der Computerwurm Stuxnet sollte den Unternehmen ein warnendes Beispiel sein, was alles passieren kann.

Steuerungsgeräte von Produktionsmaschinen mit der Office-IT werden größtenteils über herkömmliche und nur leicht angepasste IP-Standards vernetzt. Entsprechend funktionieren Angriffsmethoden gegen IT-Systeme prinzipiell auch gegen Produktionssysteme. Doch die Auswirkungen können wesentlich schlimmer sein – aus zwei Gründen:

Einerseits unterbrechen Sicherheitsvorfälle unter Umständen die Produktion vollständig und richten damit sofort erheblichen finanziellen Schaden an. Demgegenüber stört selbst ein groß angelegter Angriff auf die IT-Infrastruktur in der Regel nur kurzfristig die Arbeitsprozesse, im schlimmsten Fall gehen Daten verloren.

Auch Manipulationen an den Produktionsmaschinen können zu minderwertigen Produkten führen. Handelt es sich hier beispielsweise um Fahrzeugbremsen, Medikamente oder Baumaterialien, sind möglicherweise Menschenleben gefährdet. Zudem können Schäden an den Maschinen auftreten, wenn sie außerhalb zugelassener Normen arbeiten.

ANGRIFFE VON AUSSEN UND INNEN
Diese Szenarien zeigen zwei mögliche ­Angriffswege: von außerhalb oder innerhalb des Unternehmens. Angriffe von außen funktionieren hauptsächlich über das Internet. Bislang war daran nur die zentrale IT-Infrastruktur der Verwaltung an­gebunden und nicht die Produktion. Mit Industrie 4.0 ändert sich das. Dadurch kann ein Angreifer über das Internet auf die IT-Systeme des Unternehmens und von dort auf die damit vernetzten Steuerungssysteme zugreifen und so Funktionen und Einstellungen der Maschinen ändern.

Noch größer ist die Gefahr von innen. So können einerseits die eigenen Mitarbeiter aus dem Internet unbeabsichtigt Schadprogramme auf die zentralen IT-Systeme übertragen, die sich von dort auf die Steuerungssysteme ausbreiten. Zum anderen stellen auch die bereits angeführten Techniker oder Partner eine Gefahr dar, wenn sie über mobile Geräte auf die Systeme im Haus zugreifen können oder Dateien sowie Datenträger schicken, die Viren enthalten. Die Gefahr von innen ist heute deutlich größer als die von außen. Im Rahmen der herkömmlichen Internet-Anbindung setzen die meisten Unternehmen längst strenge Sicherheitslösungen wie Firewalls, Anti-Virus-Programme oder Intrusion-Prevention-Systeme ein. Um diese Systeme zu überwinden, müssen Angreifer zudem die Art der Anbindung der Produktionssysteme ermitteln, bevor sie auf diese zugreifen können. Einfacher und direkter funktionieren Angriffe von innen, etwa über manipulierte Wartungsdateien oder Programmiergeräte.

Diesen Weg hat zum Beispiel Stuxnet genommen. Der Computerwurm verbreitete sich wohl über USB-Sticks an Notebooks, die zur Programmierung und Wartung an der Steuerung von Simatic-S7-Anlagen angeschlossen worden waren. Seine bekannteste Auswirkung erreichte Stuxnet in iranischen Anlagen zur Urananreicherung. Dort manipulierte der IT-Schädling die Drehzahl der Zentrifugen und schädigte so die Uranproduktion.

Das Ziel der Angreifer liegt tatsächlich eher in der Manipulation der Produktionsanlagen als in der Spionage. Denn die Daten für die täglich laufenden Standardprozesse sind in der Regel nicht so wertvoll wie diejenigen in Forschung und Entwicklung. Ausnahmen bilden hier Zusammensetzungen, Rezepturen und andere Betriebs­geheimnisse, die in der Produktion verwendet werden und das Ziel klassischer Konkurrenzausspähung sein können. Auch Geheimdienste dürften ein relativ geringes Interesse an den reinen Produktionsdaten haben.

DIE ERSTEN SCHRITTE

Wie sollten Unternehmen konkret vor­gehen? Im ersten Schritt müssen die Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Während diese im Office-Umfeld in der Regel geklärt sind, gibt es in der Produktion meist keinen Zuständigen für die Sicherheit. Idealerweise existiert nicht nur pro Werk ein Security-Beauftragter, sondern auch ein zentraler Chief Security Officer (CSO), der für die Niederlassungen und Werke weisungsbefugt ist. Die organisatorischen Prozesse hat der Vorstand frei­zugeben, bevor Entscheidungen über technische Lösungen fallen. In den meisten Chefetagen herrscht hier noch viel Auf­klärungsbedarf. Oft muss erst ein Security-Vorfall geschehen, damit sich das nötige Gefahrenbewusstsein entwickelt. Gerade dafür wäre ein Erkennungssystem für Angriffe nötig, das jedoch oft nicht existiert. Zudem verschweigen Unternehmen häufig Sicherheitspannen, um einen Imageschaden zu vermeiden.

Im Falle komplexer Zulieferketten und vieler Partner reicht der Schutz des eigenen Unternehmens nicht aus. Hier sind auch die Externen über umfassende Sicherheitsmaßnahmen und Richtlinien in das Gesamtkonzept einzubinden. Sonst besteht die Gefahr, dass die Produktion über die Zulieferer kompromittiert wird, wie das in der Office-IT im Fall von RSA Security und Lockheed Martin schon geschehen ist.

Sind die organisatorischen Fragen geklärt, sollten Unternehmen in einem Referenzprojekt in einem Werk eine umfangreiche Sicherheitslösung aufbauen, die sich andere Niederlassungen praxisnah ansehen und vom Werksleiter erklären lassen können. Dann wird Sicherheit in der Industrie 4.0 von einem theoretischen Mangel zu einer praktischen Lösung. (idg/aw)


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