Vier Fehler, die Industrie 4.0 Projekte scheitern lassen

Oft scheitern Industrie 4.0 Projekte bereits bei der Einführung einzelner Systeme oder sie laufen komplett aus dem Ruder und werden zu einer unendlichen Geschichte. [...]

Industrie 4.0 hat den deutschen Mittelstand noch nicht vollständig durchdrungen. Die Anforderungen einer dringend notwendigen Digitalisierung stellen für manche Entscheider eine große Herausforderung dar. Das erleben die Berater von cellent und Wipro nahezu jeden Tag. Ihre Projekte zeigen: Industrie 4.0 ist auch ein Thema der Firmen- und Führungskultur. Nicht nur IT-Systeme und Prozesse müssen modernisiert werden, sondern auch das Wissen und die Einstellung in den Köpfen der Menschen, die einen wichtigen Beitrag zum unternehmerischen Erfolg leisten.
Oft scheitern Industrie 4.0 Projekte bereits bei der Einführung einzelner Systeme. Dr. Andreas Wombacher und Matthias Müller haben auf der Basis ihrer Projekterfahrung vier typische Fallen definiert, die auf dem Weg zu Industrie 4.0 lauern.   

1. Hoheitswissen und Kompetenzgerangel

Bei Industrie 4.0 geht es nicht alleine nur um die Abbildung und die Kontrolle des Material- und Produktionsflusses mithilfe von IT-Applikationen. Es geht auch um die Analyse und Auswertung der Maschinen- und Produktionsdaten und um die Optimierung der vielschichtigen Prozesse der gesamten Wertschöpfungskette. Genau hier liegt die Crux vieler Industrie 4.0 Projekte: Das Erfahrungswissen, das in einzelnen Köpfen oder Unternehmensbereichen vorhanden ist, muss zusammengeführt werden. Alle Beteiligten, ob IT, Produktion oder Management, müssen bereit sein, ihr Know-how zu teilen und von anderen zu lernen.
Bei der Erstellung von Modellen für die Prozesslandschaft einer Fabrik ist ein holistischer Ansatz erforderlich, der alle Perspektiven und Ziele berücksichtigt. Daher ist es erforderlich, dass sich alle Beteiligten mit ihrem Wissen in das Projekt einbringen. Dieser Herausforderung sind Unternehmen ohne Unterstützung von außen oft nicht gewachsen, zu sehr arbeiten verschiedene Ebenen isoliert vor sich hin und zu sehr gehört Wissen zum Hoheitsgebiet einzelner Personen.

2. Produktionsnirwana

Die Traceability von Prozess- und Materialdaten ist eine Grundvoraussetzung für eine Optimierung der Produktionsabläufe. In den meisten Unternehmen werden diese Daten bereits erfasst, zusammengeführt und gespeichert, z.B. durch das Einlesen von Serien- und Chargennummern mittels Scanner oder direkt aus den Maschinensteuerungen. So lassen sich Produkthistorien ermitteln, Histogramme erstellen oder Durchlaufzeiten auswerten.
Gleichzeitig können den Produkten wichtige physikalische Gegebenheiten oder Produktions- und Kontrollparameter zugeordnet werden, was in vielen Branchen auch für die Compliance eine entscheidende Rolle spielt. Diese Nachvollziehbarkeit mag in der reinen Produktion noch stimmen, das gilt jedoch in den meisten Fällen nicht für den gesamten Wertschöpfungsprozess. Gerade bei größeren oder lange gewachsenen Unternehmen findet man komplexe Systemlandschaften – manchmal noch mit viel Legacy. Oft fehlt auch der Austausch zwischen verschiedenen Systemen, zum Beispiel vom MES zum ERP. Großunternehmen haben manchmal mehrere und separat laufende ERP-Systeme im Einsatz. Gewachsene IT-Landschaften führen auch oft dazu, dass sich Datensilos bilden.
Ein detailliertes Prozess-Screening zeigt auf, welche Systeme und Prozesse bereits miteinander verknüpft sind und wo Brüche vorkommen bzw. Informationen fehlen.  

3. Datensilos

Es ist eine Herausforderung, Datenflüsse zu evaluieren, bestehende Datensilos zu integrieren und alle im Unternehmen vorhandenen Informationen zentral in einen Speicher oder ein Repository zu leiten. Da es sich dabei um Rohdaten aus Quellsystemen und Daten aus den verschiedensten Anwendungsprogrammen handelt, kann alleine diese Aufgabe mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Am Ende des Projektes steht oft ein so genannter „Data Lake“, aus dem jederzeit und von überall aus Daten entnommen werden können.
Mit der zentralen Speicherung von Daten ist das Ziel jedoch noch nicht erreicht. Jetzt geht es darum, aus den Informationen nützliche Erkenntnisse zu gewinnen. Dazu sind nicht nur leicht bedienbare Analytics Tools erforderlich, sondern auch Mitarbeiter, die die richtigen Fragen stellen, Abhängigkeiten erkennen und die richtigen Schlüsse ziehen. Auch wenn alle Daten in geeigneter Form und zentral zur Auswertung zur Verfügung stehen, ist eines ganz wichtig: alle am Prozess Beteiligten, Produktionsleiter oder Fachkräfte, müssen ihr Erfahrungswissen zur Verfügung stellen. Nur so ist eine Prozessverbesserung auf der Shopfloor-Ebene richtig effizient.

4. Systeminseln

Industrie 4.0 betrifft nahezu alle Bereiche des Unternehmens. Produktionstechnische und betriebswirtschaftliche Aspekte müssen optimal miteinander verknüpft werden, um die gewünschten Synergieeffekte zu erzielen. In der Praxis sieht ein Produktionsleiter zunächst eine Sequenz von Stillstandzeiten und Störungen. Sein oberstes Ziel ist die Overall Equipment Effectiveness (OEE).
Ein guter Controller wiederum weiß auf Grundlage des Economic Value Added sehr genau, mit welchen Produkten welche Umsätze und Profite erzielt werden. Und er weiß, dass zu hohe Lagerbestände das Betriebsergebnis belasten und zu geringe Bestände ein Risiko darstellen könnten.
Die Verknüpfung verschiedener Unternehmensbereiche wie Sourcing, Produktion, Logistik und Controlling muss auf der Systemebene abgebildet werden. Damit rücken APIs immer mehr in den Vordergrund. Viele Systeme verfügen über standardisierte Schnittstellen, die einen nahtlosen Datenaustausch ermöglichen. Aber nicht nur die Klassiker wie SCM, Produktionsplanung und Manufacturing Execution müssen integriert werden – und oft genug gibt es auch da Probleme – auch Spezialsysteme müssen gezielt angebunden werden.
Eine erfolgreiche Integration gelingt am besten mit Hilfe von Modellierung, Kontextualisierung und Monitoring aller relevanten Prozesse. Bereits vor der Einführung oder Integration einzelner Systeme ist es sinnvoll, die Daten den einzelnen Prozessschritten zuzuordnen. Das gilt für alle Vorstufen der Produktion bis hin zum Shopfloor und zur Auslieferung.

Fazit: Technologie ist nicht alles

Der Gesamterfolg eines Industrie-4.0-Projektes ist nicht nur von der Informationstechnologie abhängig. Dennoch gibt es einige wichtige Voraussetzungen, die sich mit modernen Systemen effizienter erreichen lassen: Die Traceability von Daten, deren zentrale Speicherung und Auswertung, ein detailliertes Prozessmodell sowie die Integration aller relevanten Systeme. Nur wenn alle Aspekte, die kulturellen und die technologischen, bei der Projektdurchführung berücksichtigt werden, kann Industrie 4.0 auch das leisten, was es verspricht.
Dr. Andreas Wombacher und Matthias Müller


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