IT-Organisationen müssen sich von einem IT-Dienstleister zu einem Technologieführer der nächsten Generation entwickeln. Damit die Transformation gelingt, wirft dieser Artikel Licht auf sechs Erfolgsfaktoren. [...]
Totgesagte leben länger. Der größte Fehler, den man beim Einsatz von Informationstechnik begehen könne, besteht in der Investition in die firmeneigene Software und Hardware. Obwohl diese kontroverse These von Nicholas Carr aus dem Jahr 2003 im Zuge der digitalen Transformation verblasst, hat sie doch auch etwas Wahres an sich. Wie steht es um die IT-Organisation der Zukunft? Hat diese überhaupt eine Zukunft? Oder hat die IT-Organisation in der uns bekannten Form ausgedient?
Fragen, die im Zuge der aktuellen Diskussion um Digitalisierung und dem damit verbundenen kulturellen Wandel mehr denn je an Aktualität gewonnen haben. Eines lässt sich sicher vorweg sagen: Die Zukunftsfähigkeit hängt unmittelbar mit der Fähigkeit der IT-Organisation zur (eigenen) Transformation zusammen. IT-Organisationen müssen sich von einem IT-Dienstleister zu einem Technologieführer der nächsten Generation entwickeln. Damit die Transformation gelingt, wirft dieser Artikel Licht auf sechs Erfolgsfaktoren.
1. Spagat zwischen Automation und Disruption meistern
IT-Organisationen obliegt seit jeher die Aufgabe der Automation von Geschäftsprozessen und Produkten. Der Anspruch hat sich auch durch die Digitalisierung nicht verändert. In vielen Unternehmen ist sogar so, dass aufgrund der IT-technischen Abbildung die IT-Organisation die genauesten Kenntnisse über die Abläufe der Geschäftsprozesse bzw. die Architektur der Produkte hat – auch wenn dies von Seiten des Geschäfts oft so nicht gesehen wird.
Im Rahmen der Digitalisierung nähern sich technologische Gefahren auf der Geschäftsseite. Der Einsatz von innovativen Technologien stellt die IT-Organisation vor die Herausforderung, sich auch mit disruptiven Elementen zu beschäftigen. Unter der Annahme, dass digitale Investitionen auch in der IT-Organisation landet (und nicht verpufft), mutiert die IT-Organisation der Zukunft so zur Speerspitze der Veränderung und Transformation der Geschäftsseite.
Dies stellt die IT-Organisation selbst vor Herausforderungen: Wie werden die neuen Technologien in den eigenen Technologie-Stack integriert? Wie kann eine experimentelle Vorgehensweise zur Erprobung der Technologien aussehen (Stichwort: Bimodale IT)? Oder, wie sehen zukünftige Strukturen aus, um sich diesen Herausforderungen zu stellen? Diese Fragen stehen nur exemplarisch für eine Reihe ganz operativer Fragen zum Umbau der IT-Organisation, um den Spagat von Automation und Disruption zu meistern.
2. Erfolge durch Strukturanpassung verstetigen
Viele IT-Organisationen haben den ersten Schritt in Richtung der Flexibilität und Agilität bereits erfolgreich gemeistert. Beispielsweise führte die Einführung von Scrum-basierten Vorgehen für einzelne Projekte oft zu Verbesserungen und Optimierungen.
3. Innovationsgetriebene Prozesse nutzen
Die Herausforderungen von heute sind nicht mit den Lösungen von gestern zu bewältigen. Um den Umbau der IT-Organisation voranzutreiben, sind auch neue Arbeitsprozesse einzuführen. Es beginnt damit, dass immer mehr IT-Organisationen auf Projekte verzichten. Dies kommt in vielen Unternehmen einer Revolution gleich – wurde doch viel Mühe und Arbeit in den Aufbau von Projektmanagementkompetenz gesteckt. Doch ein Moment des Innehaltens und der kritischen Reflektion zeigen, dass es hierfür doch eine Logik gibt.
Eine große Herausforderung der Projektorganisation liegt in der Sicherstellung der für Projekte erforderlichen Rahmenbedingungen. Für den Erfolg eines Projekts muss unter anderem in der Planungsphase der Aufwand geschätzt werden und in der Umsetzung die erforderlichen Ressourcen entlang der Planung zur Verfügung stehen. Beides sorgt für Unschärfen und Ungenauigkeiten mit denen Unternehmen oft nicht umgehen können. Nicht selten finden sich in Projektorganisationen Mitarbeiter, deren Arbeitszeit durch unterschiedliche Projekte mehr als 500 Prozent ausgelastet ist. Allein das Ressourcenmanagement bindet damit schon Ressourcen, die für Wertschöpfung nicht zur Verfügung stehen.
Was liegt also näher, die Projektkultur in IT-Organisationen durch eine Produkt-orientierte agile Kultur zu ersetzen? Sicherlich ist ein Umbau mit etwas Aufwand (und oftmals auch externer Unterstützung) erforderlich. Doch Unternehmen, die diesen Weg gegangen sind, berichten von signifikanten Steigerungen ihres IT-Outputs. Dazu gehört auch die Einführung einer verstärkten Automatisierung und einer DevOps-Umgebung, um Technologen bei der schnellen Bereitstellung von Anwendungen zu unterstützen.
Damit dieser Wandel erfolgreich ist, bedarf es neuer Prozesse in der IT. Unternehmen müssen allerdings Prozesse haben, damit Menschen Veränderungen vorantreiben und testen können. Die heutige Wirklichkeit mit zum Teil rigiden Prozessmodellen wirkt hier schon sehr antiquiert.
Leider bedarf es viel Überzeugungsarbeit insbesondere bei den IT-Führungskräften, die Weichen in diese Richtung zu stellen. Die Veränderung „im Kleinen“ wird doch noch oft eher favorisiert als die Veränderung „im Großen“. Insofern verbleiben viele auf der Reifestufe des „Scrumifizierens“ ihrer Prozesse anstatt sich über einen umfangreicheren Umbau Gedanken zu machen.
4. Legacy-Systeme über Bord werfen und modernisieren
Digitale Startups werden in eine agile Welt in der Cloud hineingeboren. Sie schleppen damit keine Altlasten herum, um die sie sich kümmern müssen. Damit sind sie per se in der Lage schneller und flexibler auf neue „Customer Journeys“ einzugehen und sich auf die Werterzeugung zu konzentrieren. Sofern sie kontinuierlich an ihrer Architektur arbeiten, bleibt diese Eigenschaft auch sicher lange erhalten.
Bestehende, gewachsene IT-Organisationen müssen erst einmal ihre gewachsenen und konsolidierten IT-Landschaften aufräumen und ein „House-Keeping“ vornehmen, um dahin zu kommen. Erst wenn die Anwendungs- und Infrastrukturlandschaft modernisiert ist, können diese IT-Organisationen ebenso schnell, flexibel, wertschöpfend und differenzierend arbeiten wie ihre digitalen Counterparts.
Die Möglichkeiten zu einer vollumfassenden Modernisierung sind allerdings aufgrund fehlender Investitionen sehr beschränkt: Welcher Geschäftsbereich investiert schon gerne in die Modernisierung der Landschaft ohne einen Vorteil davon zu haben? Dadurch befinden sich jedoch viele IT-Organisationen in einem Teufelskreis: Je weniger modernisiert wird, desto höher steigen deren Wartungskosten für die Legacy-Umgebungen und desto weniger kann in zukunftsweisende, innovative Lösungen investiert werden.
Die IT-Organisation hat sich lange Zeit darauf konzentriert, die Kosten zu senken anstatt in strategisch wichtige Teile zu investieren. Die Zusammenarbeit und das Verstehen von Geschäftszielen durch die IT-Organisation und die Möglichkeit, diese wieder in die Technikabteilung zu bringen, um Innovationen zu entwickeln, betrachten viele IT-Organisationen nicht als ihr „Standardgeschäft“. Die Realität sieht deshalb so aus, dass die Legacy-IT erfolgreiche Digitalisierung verhindert. Nicht ohne Grund ist Diskussion um eine „Bimodale IT“ entstanden.
Nicht, dass dieses Problem nicht schon erkannt wäre. Anstatt zu renovieren setzen viele Unternehmen auf die Ablösung ihrer Legacy – interessanterweise meist durch Standardsysteme mit adaptiven Architekturen. Der modulare Aufbau meist auf Basis von Mikroservices erlaubt ein „Plug-and-Play“ mit selbst-entwickelten oder zugekauften Komponenten. Continous Integration/Continous Deployment-Pipelines in der Cloud erlauben darüber hinaus agilere, produktzentrierte Betriebsmodelle. Die Gefahr besteht jedoch, dass mit dem Standardsystem auch ein Teil des USP im Geschäftsmodell verloren geht, was durch Innovationen wieder kompensiert werden muss. Nur so entsteht für die IT-Organisation eine Story für die Zukunft.
5. Kontinuierlich die Kultur verändern
Es besteht heute kein Zweifel, dass Technologie die Innovationsmaschinerie antreibt. Doch trotz aller Innovation und Disruption ist Technologie heute auch nur Mittel zum Zweck. IT-Organisationen brauchen Menschen, die diese Dinge verstehen und die Vision haben, sie auf neue Art und Weise zu nutzen. Darüber hinaus muss die Unternehmenskultur Innovationen unterstützen und belohnen, die das technische und betriebswirtschaftliche Wissen weiterentwickeln, das für den jetzigen Zeitpunkt erforderlich ist, wie zum Beispiel Collaboration und DevOps Skills.
Der Aspekt des kulturellen Wandels ist für viele Unternehmen leichter gesagt als getan. Die wenigsten Unternehmen haben das Veränderungen implantiert – Kulturveränderung bedeutet für diese Unternehmen harte Arbeit jenseits der Komfortzone – auch dies beginnt, wie soll es anders sein, beim Management im Vorleben von neuen Arbeitsweisen und neuen Werten.
Und um wirklich innovativ zu sein, muss die IT-Organisation der Zukunft besser mit anderen Unternehmensfunktionen interagieren. Sie müssen raus aus ihrem Elfenbeinturm kommen und sich zeigen. Sie muss die Personalkomponente in Betracht ziehen und mit ihren HR-Kollegen zusammenarbeiten. Sie muss in Zusammenarbeit mit anderen Führungskräften fragen, wie sich die Interaktion mit den Kunden verändern wird und die Implikationen auf die Arbeitsplätze im eigenen Unternehmen abschätzen.
Darüber hinaus bedarf es andern Kommunikationsmechanismen, um die Veränderungen auch Zielgruppengerecht zu artikulieren. Neue Technologien nur um der Technologie Willen wird nicht erfolgreich sein. Und die IT-Organisation muss sich am Prozess der Zukunftsvision beteiligen (und auch von den Unternehmensverantwortlichen daran beteiligt werden).
6. Glaubwürdigkeit schaffen und Vertrauen herstellen
Viele der oben genannten Veränderungen können nur auf einer gemeinsamen Basis des Vertrauens gelingen. Doch Hand aufs Herz: In wie vielen Unternehmen sind Kunden und Mitarbeiter wirklich zufrieden mit ihrer Informationstechnologie? Oftmals gibt es viele Gründe für Schelte. Ehrlicherweise haben IT-Organisationen über viele Jahre hinweg auch selbst dazu beigetragen. Projekte in Schieflage oder schlechte Services führten so über einen langen Zeitraum zu Enttäuschungen und zu einem latenten Misstrauen der IT-Organisation gegenüber. Hinzu kommt die Angst der Anwender die technologischen Details am Ende doch nicht zu verstehen.
Viele stehen deshalb vor der Herausforderung, verlorenes Vertrauen erst wiederherzustellen, um so die Basis für Innovation zu schaffen. Die IT-Organisation der Zukunft mag sich wohl als Enabler oder Transformator des Geschäfts betrachten – wenn sie jedoch von ihren „Kunden“ als Dienstleister gesehen wird, fehlen die erforderlichen Investitionen.
In der Tat ist es aktuell schwer sein, eine IT-Organisation in Unternehmen zu finden, die die Taschen nicht voller innovativer Ideen hat. Die IT-Organisation ist nur nicht immer an strategischen Diskussionen beispielsweise rund um Digitalisierung beteiligt. Dies ist ein Zeichen dafür, dass das Unternehmen der IT-Organisation nicht vertraut und respektiert. Unternehmen werden Innovationen von einer leistungsschwachen IT-Organisation nicht akzeptieren und die Investition versagen.
Ein Ausweg besteht für die IT-Organisation darin, die permanente Überlast herauszunehmen, um die „Säge zu schärfen“: Governance glattziehen, Strukturen anpassen, Portfoliomanagement etablieren, Prozessrahmen schaffen und Architektur umbauen.
Kurzum: Es gilt die IT-Organisation umzudrehen, um die Zukunftsfähigkeit zu verbessern. Damit schafft es die IT-Organisation besser mit den täglichen Anforderungen Schritt zu halten und kontinuierlich Vertrauen aufzubauen. Das bildet wiederum die Grundlage, um in innovative Projekte mit strategischem Charakter einzusteigen.
Arzt, hilf Dir selber
Viellicht ist bei vielen zwischenzeitlich die Erkenntnis gereift, dass die Zukunft der IT-Organisation in der Transformation liegt. Erkenntnis ist das eine – Umsetzung das andere. Denn wenn es einfach wäre, hätten sich viele IT-Organisationen bereits auf den Weg begeben. In der Tat lässt sich beobachten, dass ein Aufbruch bei vielen stattgefunden hat.
Aus unserer Erfahrung heraus fehlt in vielen IT-Organisationen die Fähigkeit, die positiven Veränderungen im Kleinen nachhaltig zu verankern und Erfolge zum Beispiel aus kleinen, agilen Projekten nachhaltig zu verankern. Gut gemeint, ist leider nicht immer gut gemacht – denn die eigene Transformation gehört oft nicht zur Standardausbildung von IT-Führungskräften, um sich selbst aus dem täglichen Sumpf zu ziehen.
Die IT-Organisation der Zukunft muss nun diese Ansätze auf die gesamte IT, ja auf das gesamte Unternehmen skalieren und übertragen. Das Lesen eines Scrum-Buchs oder die Beschäftigung eines externen Scrum-Masters helfen hier oft nicht weiter. Damit dies gelingt, müssen Strukturen, Prozesse und Architekturen parallel weiterentwickelt und orchestriert werden.
Im aktuellen Status der digitalen Transformation gibt es hierfür auch Beispiele von Unternehmen, die diesen Weg schon gegangen sind. Sie lösten die bisher bekannten Linienstrukturen der IT-Organisation entlang Entwicklung und Betrieb sukzessive unter Trennung von fachlicher und disziplinarischer Verantwortung auf. Sie ersetzten diese durch autonome, interdisziplinäre Teams. Dieser Trend lässt sich nicht mehr umkehren, sodass die IT-Organisation der Zukunft mehr einer Netzwerk- als einer Linienorganisation gleicht.
Trotzdem muss auch eine solche Organisation einen Rahmen haben. Dieser wird durch das Management sowie durch Querschnittsfunktionen (wie etwa Portfolio- oder Architekturmanagement). Querschnittsfunktionen werden also im Zuge einer Reorganisation von der Bedeutung her aufgewertet. Sie müssen ihr „Stille-Kämmerchen“-Dasein verlassen oder verlieren in der IT-Organisation der Zukunft ihre Daseinsberechtigung.
*Oliver Laitenberger leitet bei der Managementberatung Horn & Company das Kompetenzzentrum Digitalisierung und Technologie.
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