Obwohl Business und IT heute besser zusammenarbeiten als in der Vergangenheit, gehen viele IT-Vorhaben nach wie vor schief. Lesen Sie, woran es liegt und was die Verantwortlichen besser machen können. [...]
Die Boston Consulting Group hat festgestellt, dass 70 Prozent der digitalen Transformationsvorhaben ihre angestrebten Ziele nicht erreichen. Ähnlich liest sich der „2020 Global Application Modernization Business Barometer Report„. Demnach schaffen es drei von vier Unternehmen nicht, ihre Projekte zur Modernisierung von Altsystemen erfolgreich abzuschließen. Ähnliches berichteten die Management-Berater von McKinsey vor ein paar Jahren: Die Misserfolgsrate bei großen IT-Vorhaben liege bei 70 Prozent.
So dramatisch, wie es klingen mag, ist die Realität aber wahrscheinlich nicht. Nur wenige Tech-Initiativen müssen als komplett gescheitert gelten. Es geht eher darum, dass nur eine Minderheit der Projekte rund um die IT-Transformation den erwarteten Wertbeitrag vollständig liefern. Entweder haben sie sich im Nachhinein nicht gerechnet oder sie erfüllen nicht die Bedürfnisse der Anwender.
„Manchmal scheitern die Vorhaben an der Technik, manchmal erweisen sich Lösungen auch als unzureichend oder für ihren Zweck wenig geeignet „, beobachtet Greg Stam, Managing Director bei Ahead. Offensichtlich gibt es verschiedene Faktoren, die – oft untereinander eng verknüpft – dazu führen, dass IT-Projekte ihre Ziele nicht erreichen. Das sind die zehn häufigsten Probleme.
1. Alignment gelingt nur auf dem C-Level
CIOs wissen, dass Geschäfts- und IT-Strategie eng aufeinander abgestimmt sein müssen. Aber selbst wenn das der Fall ist, haben Führungskräfte oft Schwierigkeiten, ein solches Alignment in ihren Unternehmensbereichen auch umzusetzen und zu leben. So können IT-Teams und Geschäftsbereiche, die in technologiegesteuerten Initiativen zusammenarbeiten und sich abstimmen sollen, oft nicht erkennen, wie ihr Vorhaben in die allgemeinen strategischen Ziele des Unternehmens sowie in ihre jeweiligen Roadmaps passt.
Dieses fehlende Alignment auf den untergeordneten Ebenen verzögert dann Projektlaufzeiten, hemmt die Umsetzung und beeinträchtigt den Erfolg. Greg Stam nennt das Beispiel eines Unternehmens, das ein neues System für einen effizienteren Datenfluss und eine bessere Datenanalyse einführen wollte. Das für die Anwendung verantwortliche Team war auf einem guten Weg, aber die für die Datenaufbereitung zuständigen Kollegen waren nicht im Bilde. Sie hatten weder die Wichtigkeit des Projekts noch den Zeitplan für die Fertigstellung verstanden.
2. Keine klare Definition von Projekterfolg
Zwar steht die digitale Transformation bei den meisten Unternehmen ganz oben auf der Agenda, aber fragt man, worum es dabei eigentlich konkret gehen soll, erhält man viele verschiedene Antworten. Thimaya Subaiya, Senior Vice President für Customer Experience bei Cisco, stellt fest, dass der Begriff oft überstrapaziert wie auch falsch verwendet werde. „Ich sehe immer wieder IT-Organisationen, die vorgeblich die digitale Transformation vorantreiben, in Wirklichkeit aber nur ihre Systeme aufrüsten. Es gibt keine Verknüpfung mit den Geschäftsanforderungen und -metriken“, sagt der Cisco-Manager.
CIOs und ihre Geschäftskollegen sollten klare Vorstellungen davon haben, wann sie ein Projekt als erfolgreich bezeichnen und welche Kennzahlen sie verwenden wollen, um Zwischenergebnisse und den Projekterfolg insgesamt zu messen. Spätestens, wenn sich das Ziel ständig ändert, ist höchste Vorsicht angebracht.
3. Projekte werden nicht priorisiert behandelt
Auch wenn Business und IT auf allen Ebenen übereinstimmen, können Vorhaben scheitern. Ursache ist häufig, dass Führungskräfte die Projektarbeit nicht priorisieren und die für einen Erfolg erforderlichen Ressourcen verweigern. „Manchmal bewegen sich zwar die Führungsebenen im Gleichschritt, was ihre Prioritäten angeht, aber es geht trotzdem nichts voran“, sagt Stams. „Die Mitarbeiter, die eigentlich das Projekt vorantreiben sollten, blieben auf ihr Tagesgeschäft konzentriert. Sie wüssten es nicht besser, weil die Führungskräfte es versäumten, die Dringlichkeit zu betonen und Ressourcen freizumachen.
Schwierigkeiten entstehen immer, wenn Unternehmen projektbezogene Aufgaben zu der unverändert bestehenden Grundarbeitslast der Mitarbeiter aufsatteln. „Das Vorhaben gliedert sich dann irgendwo ein und wird ein beliebiger Teil der vielen Aufgaben, die schon jetzt für einen Stau in den IT-Organisationen sorgen. Dann kommt auf den CIO die typische Frage zu: Warum geht hier nichts voran?“, beobachtet Stam.
4. Change Management wird unterschätzt
Veränderungen sind für Mitarbeiter immer eine unbequeme Herausforderung, manchmal gibt es offenen Widerstand. Werden Führungsteams damit nicht fertig, bleiben Tech-Initiativen hinter den Erwartungen zurück. Statistiken untermauern die Versäumnisse vieler Betriebe: So hat die International Project Management Association herausgefunden (PDF-Download), dass nur 63 Prozent der Unternehmen in irgendeiner Form Change Management in ihren Projekten berücksichtigen.
Thomas Phelps, CIO von Laserfiche und Lehrbeauftragter an der University of Southern California, berichtet von der Einführung eines CRM-Systems in einem Unternehmen: Technisch gab es keine Probleme, aber die Mitarbeiter weigerten sich, ihre Kontaktdaten in das neue zentrale System einzuspielen. Sie betrachteten ihre Kundenkontakte als ihren ganz persönlichen Wertbeitrag, ohne den ihre Bedeutung für den Arbeitgeber sinken würde. Das Unternehmen hatte es versäumt, sich auf solche Bedenken vorzubereiten und etwas zu unternehmen, damit das neue Kundenmanagementsystem eine hohe Akzeptanz bei den Usern erreicht.
5. Potenzielle Risiken werden nicht erkannt
Eben genannte Projektmanagement-Studie aus dem Jahr 2019 zeigt, dass nur 60 Prozent der Befragten während eines Projektverlaufs konsequent Risikomanagement-Methoden anwenden. Alle anderen arbeiten ohne Netz und doppelten Boden. Doch wer sich nicht bemüht, aufkommende Probleme zu erkennen und zu bekämpfen, kommt schnell in die Bredouille. „In IT-Projekten gibt es immer Chaos, damit muss man rechnen. Man braucht einen Prozess, um mit Risiken und Problemen fertig zu werden“, sagt Phelps.
Diese Risiken können finanzieller, organisatorischer, betrieblicher oder technischer Natur sein. Sie können mit Lieferanten zusammenhängen, die viel versprechen, aber wenig liefern. Ebenso können Einsatzpläne Makulatur werden oder Benutzeranforderungen sich ständig ändern. Auf so etwas kann man sich vorbereiten.
Phelps verweist auf die problematische Einführung von Healthcare.gov in den USA, im Jahr 2013. Die Anwendung stürzte innerhalb weniger Stunden nach dem Start aufgrund des unvorhergesehenen Andrangs der Bürger ab. Die Projektleiter hatten sich davon überraschen lassen. Dabei war die Wahrscheinlichkeit einer hohen Belastung keineswegs gering, die Situation hätte mit entsprechender Planung entschärft, ein rufschädigender Fauxpas vermieden werden können.
6. Nur ein bisschen agil
Cisco-Manager Subaiya glaubt nicht an einen Projekterfolg, wenn er die Verantwortlichen sagen hört, sie hätten einen perfekten Plan. Mehr Vertrauen hat er zu Projektmanagern, die sich ein 60-Prozent-Ziel setzten und Raum lassen, um fortlaufend anzupassen und zu optimieren. „Man kann den Entwicklern keine 100-Prozent-Vorgaben machen. Sie müssen flexibel bleiben, um Vorhaben umzusetzen und dabei auf veränderte Anforderungen und Marktbedingungen reagieren zu können.“
Die meisten Firmen haben zwar agile Projektmethoden eingeführt, aber sie sind noch nicht so weit, die zugrundeliegenden Prinzipien in allen Belangen umzusetzen. Dazu würde beispielsweise die aktive Nutzung von Feedback gehören, um Entwicklungsprozesse sowie auch das angestrebte Endergebnis ständig neu anzupassen. Gerade die Bereitschaft, solches Feedback wirklich aufzugreifen, ist oft nicht sonderlich gut ausgeprägt.
„Die meisten Organisationen sind immer noch nicht gut auf agile Methoden eingestellt“, sagt Robert McNamara vom Beratungsunternehmen Guidehouse. „Sie haben Agilität konzeptionell angenommen, aber nicht in der Ausführung.“ Solange sich das nicht ändere, würden Projekte nicht alles liefern, was Anwender brauchen und wollen.
7. IT-Profis am Katzentisch
Obwohl agile Entwicklungsmethoden auf das Feedback künftiger Anwender angewiesen sind, darf nicht allein das Business entscheiden. Die Techniker müssen bei der Ausgestaltung von IT-Projekten ein gewichtiges Wörtchen mitreden dürfen. Immerhin sind sie es, die die Potenziale und Fallstricke der Technologie kennen, die sie zu implementieren gedenken.
Zum Beispiel können künftige User eine lange Liste an Anforderungen für eine neue Anwendung erstellen. Doch es sind die Entwickler, die wissen, ob die gewünschten Funktionen realistisch sind und welche Nebenwirkungen – zum Beispiel übermäßiger Ressourcenverbrauch oder Performance-Verlust – damit einhergehen.
Deshalb ist es wichtig, dass CIOs ihre Teams befähigen, gut und sprachlich klar mit der Business-Seite zu kommunizieren und mit ihr zusammenzuarbeiten. Es geht darum, ein Gleichgewicht zwischen Anwenderwünschen und den Expertenmeinungen in der IT herzustellen. Dann wird allen Seiten schnell klar, was das Endprodukt enthalten sollte, um einen hohen Nutzen zu erzielen.
8. Projekte werden unnötig kompliziert
Während sich viele Unternehmen auf eine längerfristige digitale Transformation ausrichten, versuchen manche Führungskräfte Abkürzungen zu nehmen und möglichst schnell ihre individuellen Ziele zu erreichen. Das mag zunächst als gute Idee erscheinen, schließlich will niemand ein Nachzügler sein oder Marktchancen ungenutzt lassen. Tatsächlich führen solche Alleingänge aber eher zu Komplexität in Projekten und machen ihr Scheitern wahrscheinlicher.
McNamara berichtet von einem Betrieb, der eine bessere Customer Experience erreichen wollte und sich zu diesem Zweck für die Einführung verschiedener Best-of-Breed-Lösungen entschieden hatte – für mehrere Prozesse, die die Kundeninteraktionen unterstützen sollten. Das führte dazu, dass sich das IT-Team in immer mehr Integrationsaufgaben verstrickte. „Die Absicht war gut, aber am Ende entstand ein Riesenaufwand, die verschiedenen Lösungen so zusammenzuführen, dass sie effektiv arbeiteten“, sagt McNamara. So habe sich die Projektabwicklung erheblich verzögert und viel mehr gekostet als vorgesehen. Außerdem wurden die angepeilten Ergebnisse unterm Strich nicht erreicht.
McNamara glaubt, es wäre besser gewesen, entlang der wichtigsten Geschäftsziele die bestmögliche Software-Suite zu wählen. Das hätte wahrscheinlich zu einer pünktlichen und budgetgerechten Softwareeinführung geführt und die Erwartungen erfüllt. „Das so eingesparte Geld hätte der Kunde in andere Prozessverbesserungen investieren können, um letztlich alle Ziele rund um einen verbesserten Kundenservice zu erreichen.“
9. Zu wenige Ressourcen
Weltweit haben CIOs Schwierigkeiten, die geeigneten Talente für ihre IT-Teams zu finden. Laut dem „IT-Skills and Salary Report“ des IT-Schulungsunternehmens Global Knowledge von 2020 haben 60 Prozent der IT-Manager Probleme, offene Stellen zu besetzen. Auch wenn Vorstände momentan auf dem Digital-Trip sind, werden sie ihren CIOs kaum unbegrenzte Mittel zur Verfügung stellen. Die Studie „State of the CIO“ von CIO.com sagt, dass 2021 nur 49 Prozent der IT-Führungskräfte steigende Budgets erwarten. 39 Prozent rechnen mit unveränderten und zwölf Prozent mit rückläufigen Mitteln für die IT.
Fehlende Talente und zu knappe Finanzen können laut Sunil Kanchi, CIO und Chief Investment Officer beim Beratungsunternehmen UST, die Fähigkeiten einer IT-Abteilung erheblich einschränken. Er weiß wovon er spricht, hat er doch selbst gesehen, wie ein Mangel an Full-Stack-Entwicklern den Erfolg eines millionenschweren IT-Projekts eines Kunden behindert hat. Das Vorhaben verspätete sich um mehrere Wochen und sprengte den Budgetrahmen um 15 Prozent, weil ungefähr ein Dutzend Entwickler zu wenig an Bord waren.
10. Festhalten an veralteter Technologie
Manchmal scheitern IT-Projekte, weil sie auf einer Legacy-Architektur aufbauen. McNamara hat das in verschiedenen Organisationen erlebt, in denen Führungskräfte unbedingt an einer veralteten Technik festhielten. Die Verantwortlichen wollten mehr aus ihren einmal getätigten Investitionen herausholen und am Bekannten und scheinbar Bewährten festhalten. Ganz egal, welche Beweggründe dahinterstecken: Eine solche Entscheidung kann den Projekterfolg gefährden.
McNamara nennt das Beispiel eines Kunden, der ein neues Logistik-Tool auf Altsysteme aufsetzte, die Finanz- und Kundendaten enthielten. Ein Upgrade dieser Altsysteme war dem Kunden zu kostspielig, das knappe Budget war für die Implementierung des neuen Tools vorgesehen. Ergebnis war, dass das neue Tool nur etwa die Hälfte der Aufgaben bewältigen konnte, für die es eigentlich vorgesehen war.
„Das Unternehmen wusste von Anfang an, dass dieses Projekt suboptimal war. Sie ahnten, dass sie durch ihre Altsysteme eingeschränkt sein würden“, sagt McNamara. Was sie vermutlich nicht bedacht haben: Andere Unternehmen in der Logistikkette akzeptieren das Sparen an falscher Stelle wahrscheinlich nicht. Das Projekt war deshalb unterm Strich ein Misserfolg.
*Mary K. Pratt ist freiberufliche Journalistin in Massachusetts.
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