9. Zürcher Konferenz und Netzwerktreffen – Technologieoutlook und IT-Trends als Chance für Europa

Zum bereits neunten Mal lud am 8. 9. 2015 das Future Network gemeinsam mit der Schweizer Informatik Gesellschaft, ICTswitzerland, OCG, AIT, SCCH und CON•ECT Eventmanagement zum Technologieoutlook an der Universität Zürich ein. Branchenvertreter und Wissenschaftler diskutierten rege zum Schwerpunkt-Thema "Digital Society and Economy 4.0". Welche Herausforderungen und Chancen bieten Big Data und Industrie 4.0? Welche gesellschaftlichen Implikationen bringt das Internet der Dinge mit sich? [...]

Damit Europa an vorderster Front mitmischen könne, müsse eine Kultur des Scheitern und Wiederaufstehens nach Rückschlägen etabliert werden. Und der Weg zum Erfolg führe zudem vor allem über Bildungsmaßnahmen. Google selbst habe sich verpflichtet, bis Ende 2016 eine Million Europäer in digitalem Know-how auszubilden und zum wirtschaftlichen Wachstum Europas beizutragen.

BIG DATA ALS CHANCE

Mit interessanten Studienergebnissen zum Thema Big Data und dessen Einfluss auf Geschäftsmodelle konnte Herbert Stauffer von der IT-Beratungsfirma BARC aufwarten.

Dass datengetriebene, digitale Geschäftsmodelle disruptiv seien, würden unzählige Beispiele wie Airbnb im Tourismus, Uber als Taxi-Alternative, aber auch 3D-Printing statt traditionellen Ersatzteil- und Reparaturservices zeigen. In der Praxis hätten schon viele Firmen den Mehrwert von Big Data erkannt. In vielen Fällen würden die Erwartungen sogar weit übertroffen – etwa was das Entwickeln von Strategien, aber auch die Kostenersparnis und die Geschwindigkeit von Entscheidungenbetrifft.

Aber auch einige Einschränkungen zeigte Stauffer auf: „Big Data wird nur dann zum durchschlagenden Erfolg, wenn das oberste Management vorangeht, und der Kunde im Mittelpunkt aller Bemühungen bleibt.“ Aktuell ortet er bei vielen Unternehmen aber noch massive Know-how-Defizite sowie große Herausforderungen beim Thema Sicherheit und Datenschutz.

„Sowohl bei Big Data als auch beim Zukunftsthema Industrie 4.0 hinkt Europa anderen Regionen noch hinterher“, warnte Stauffer.

DAS PROBLEM DER GENERATION 45+

Andreas Kaelin von ICTswitzerland machte in seinem Vortrag auf die überdurchschnittliche Arbeitslosenquote von über 45-Jährigen in der Schweizer IT-Branche aufmerksam.

Denn während die IT-Branche im Schnitt um 0,9 Prozent weniger Arbeitslose als andere Branchen aufweise, sei dies bei älteren Arbeitnehmern genau umgekehrt. Dies sei angesichts des fehlenden IT-Fachkräftemangels, der bis 2022 bis zu 30 000 Personen ausmache, besonders prekär. Derzeit könnten viele offene Stellen durch ausländische Fachkräfte gedeckt werden. Setze sich der Trend fort, bekomme die Branche langsam, aber sicher jedoch ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Als größtes Problem sieht Kaelin die fehlende systematische Personalentwicklung im IKT-Bereich, die im Vergleich zu anderen Branche zu wünschen übrig lasse. Viele Mitarbeiter im IKT-Bereich würden sich über viele Jahre spezialisieren.

Falle der Einsatzbereich weg, der oft mit einer bestimmten Architektur bzw. Software-Umgebung verknüpft sei, blieben auch die Fachkräfte auf der Strecke. Durch Kündigungen, die fehlender kontinuierlicher Weiterbildung geschuldet seien, verliere man aber auch die Erfahrung, die gerade ältere Mitarbeiter beitragen könnten.
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„Wir müssen das vorhandene Potenzial besser ausschöpfen“, lautete Kaelins Appell an die Branche. Manfred Nemeth vom AMS Österreich berichtete anschließend über die Situation und die Strategie im Nachbarland, diese besonderen Herausforderungen zu meistern.

GESELLSCHAFTLICHE FRAGEN

Der Rest des spannenden Tages war von inspirierenden Vorträgen und Debatten geprägt, die einen Blick über den Tellerrand hinaus wagten. Welche gesellschaftlichen Herausforderungen bringt das digitale Datenzeitalter? Welche sozialen, wirtschaftlichen und ethischen Implikationen ergeben sich durch die dritte industrielle Revolution, die zur digitalen Gesellschaft und Ökonomie 4.0 führt?

Universitätsprofessor Dirk Helbing von der ETH Zürich stellte seine Vision von einem „planetaren Nervensystem als Bürgernetzwerk“ vor. Ausgangspunkt  ist das Internet der Dinge, das in den kommenden zehn Jahren geschätzte 150 Milliarden Sensoren verbinden wird. Neben den in Smartphones verbauten Sensoren wie GPS, Mobilfunk, Bluetooth, NFC, Kameras, Beschleunigungs-, Entfernungs- und Bewegungssensoren können in Zukunft durch neue smarte Objekte vom Kühlschrank bis zu Smartwatches auch Temperatur, Luftdruck, Sauerstoffgehalt, Luftqualität und beliebige andere Sensordaten gewonnen werden.

BÜRGERNETZWERK FÜR MEHR DEMOKRATIE

Anstatt das Feld des Datensammelns und Datenauswertens ausschließlich den großen Technologiekonzernen zu überlassen, schwebt Helbing und seinem Team mit dem „Nervousnet“ ein Bürgernetzwerk vor, in dem diese Milliarden von Datensätzen zusammenlaufen. In einem ersten Schritt können User ihre mit dem Smartphone gesammelten Sensordaten freiwillig dort zur Verfügung stellen. Welche Sensordaten geteilt werden, entscheiden die User. Das Speichern ist dezentral über verteilte Datenserver vorgesehen, für einen besseren Datenschutz können auch eigene Server verwendet werden.

„Über so ein Netzwerk kann ein Erdbeben entdeckt und Warnungen an Freunde geschickt werden. Sensornetzwerke eigenen sich auch, um Staus zu verhindern sowie selbststeuernde Ampeln zu ermöglichen, und für smarte Produktionssysteme unter dem Stichwort „Werkplatz 4.0“, erklärt Helbing.

Auch die Bestandsaufnahme und der nachhaltigere Umgang mit Ressourcen könne über so ein Sensornetzwerk organisiert werden. Denn um komplexe Systeme zu Fall zu bringen, genügt laut Helbing oft ein einziger Auslöser, so der Wissenschaftler mit Verweis auf die Lehman-Brothers-Pleite, die hunderte von Banken in den Konkurs schlittern ließ, sowie den EU-weiten Strom-Blackout im November 2006, der von einer abgeschalteten Leitung ausgelöst wurde.

Um derartige Gefahren zu vermeiden, seien dezentrale Lösungen gefragt, die auf Basis von Echtzeitdaten und ständigem Feedback zur Selbstorganisation des Systems beitragen können.

„Man muss sich das wie ein Ameisen- oder Bienenstaat vorstellen. Auch dort gibt die Königin nicht die Anweisung, was die einzelnen Tiere zu tun haben – es funktioniert einfach durch geeignete Regeln. Daten können viel dazu beitragen, dass diese Interaktionsregeln so adaptiert werden, dass Systeme krisenfest werden“, zeigte sich Helbing überzeugt.

Dass die Gesellschaft die Hoheit über ihre Daten wiedererlange, sei eine wichtige Voraussetzung, um die Funktionsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft zu erhalten. Das Projekt Nervousnet gehe über den Ansatz von Open Data hinaus.


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