Die Affinity-Suite bietet eine Fülle an Möglichkeiten für sehr wenig Geld. Doch für wen lohnt sie sich wirklich und wo kommen die Profis ins Straucheln? [...]
Im grafischen Gewerbe führt kein Weg an den Adobe-Produkten vorbei. Wer Programme wie CorelDRAW oder Gimp als Alternativen preist, erntet von den Profis bestenfalls ein mitleidiges Lächeln. Denn sie wissen: Die Produkte und Dateiformate von Adobe sind nicht nur ein De-facto-Standard; auf ihnen basieren auch unzählige, teils hochkomplexe Abläufe in der Druckvorstufe, die auf Gedeih und Verderb funktionieren müssen.
Und doch schafft es ein Unternehmen, die Dominanz von Adobe infrage zu stellen. Serif bedrängt mit den Produkten Affinity Photo, Affinity Designer und Affinity Publisher die ehrwürdigen Adobe-Programme Photoshop, Illustrator und InDesign – also Adobes Kronjuwelen. Der Pfeil trifft: Die meisten Grafiker verdienen mit diesen drei Programmen ihren Lebensunterhalt und benötigen bestenfalls noch eine Alternative zu Acrobat – aber die gibt es wie Sand am Meer.
Preise mit einem Haken
Für Furore sorgen aber auch die tiefen Preise. Die einzelnen Programme für Mac und Windows kosten normalerweise je 55 Franken, was in Anbetracht des Gebotenen fast absurd wirkt. Und als ob das nicht genug wäre, bietet Serif die Produkte immer wieder zum halben Preis an. Spätestens dann sind diese Profi-Programme auch für private Anwender eine lohnende Anschaffung.
Oder zumindest dann, wenn man bereit ist, sich in die Software einzuarbeiten. Denn Affinity Photo befindet sich praktisch auf Augenhöhe mit Photoshop. Wer sich schon einmal als Nicht-Grafiker mit diesem Adobe-Koloss vertraut machen wollte, weiß, dass das in Knochenarbeit ausartet. Doch das soll hier nicht das Thema sein: Schließlich wendet sich das Affinity-Dreigestirn an engagierte Amateure und Profis in der Druckvorstufe, die sich einen konstanten Lernprozess gewohnt sind.
Auch wenn Serif keine Andeutung über die zukünftigen Preise macht, ist der Weg klar: Die Produkte sind viel zu günstig. Deshalb ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis so viele Leute angefüttert sind, dass der Hersteller mit einem zukünftigen Upgrade auf das Abo-Modell umschwenkt. Dafür spricht, dass bis heute alle Updates kostenlos waren – und auch das lässt sich als Geschäftsmodell bei so komplexen Produkten nicht ewig aufrechterhalten.
Tipp: Wenn Sie also an der Affinity-Suite interessiert sind, sollten Sie bald zuschlagen – dann besteht die Hoffnung, dass sich die drei Programme in Zukunft ohne Abo mit dem aktuellen Funktionsumfang weiterverwenden lassen – und der hat es in sich! Sie erhalten die Programme im Microsoft Store, im Mac App Store und direkt beim Hersteller unter affinity.serif.com/de. Demoversionen werden keine angeboten; beim Kauf über den Hersteller gilt immerhin eine 14-tägige Rückgabefrist.
Testen, testen, testen!
Die folgenden Beschreibungen zur Kompatibilität mit den Adobe-Gegenstücken sind allgemein gehalten. In den meisten Fällen werden Sie mit den Programmen bestehende Adobe-Dokumente problemlos öffnen und ohne grosse Reibungsverluste weiterverwenden können. Doch wenn es sich um komplexe Arbeiten handelt, die auf spezielle Funktionen zurückgreifen, wird vielleicht nicht die ganze Datei eins zu eins konvertiert. Hier helfen nur Tests mit eigenem Material.
Affinity Photo
Affinity Photo war die erste Software der Affinity-Suite und demonstriert eindrucksvoll, dass Photoshop nicht unantastbar ist.
Die Anwendung kommt in einem modernen, gefälligen Kleid, das sich beliebig anpassen lässt: von der Anordnung der Paletten über frei wählbare Tastenkürzel bis hin zur Auswahl und Anordnung in der Werkzeugkiste. Die Geschwister Designer und Publisher bringen dieselben Fähigkeiten mit.
Affinity verwendet etwas eigenwillige Bezeichnungen. So gilt eine Palette (etwa für die Schrift) als ein Studio, während ein spezialisierter Bereich als Persona bezeichnet wird. Jedes Programm bietet seine eigenen Personas, die wie Mini-Programme innerhalb der Hauptanwendung agieren, ohne dabei den Zusammenhalt zu verlieren.
Photo-Persona. Hier werden Sie am meisten Zeit verbringen, denn das ist der Bildeditor – als jener Bereich, in dem Sie retuschieren, korrigieren oder Bildteile zu einem neuen Ganzen zusammensetzen.
Liquify-Persona. Diese Umgebung entspricht dem Filter Verflüssigen in Photoshop – dem wohl wichtigsten Werkzeug, um Körperproportionen zu «optimieren» oder um Augen und andere Partien zu vergrößern. Hier vereint sich alles, was ein körperbewusstes Instagram-Model oder Modefotografen für ihre tägliche Arbeit brauchen.
Develop-Persona. Diese Persona öffnet sich automatisch, wenn Sie versuchen, in Affinity Photo eine RAW-Datei zu öffnen; sie ist also das Gegenstück zu Adobe Camera RAW.
Tone-Mapping-Persona. Diese Persona verschmilzt unterschiedlich belichtete Fotos zu einem HDR-Bild.
Export-Persona. Webdesigner und Fotografen, die regelässig große Mengen an Fotos exportieren müssen, erstellen in dieser Persona beliebige Vorlagen, um Bilder schneller zu sichern oder um sie für die Verwendung auf einer Website in «Slices» zu zerlegen, also in Segmente wie bei einem Puzzle.
Viele Automatismen
Photo bietet zahlreiche Automatismen für ambitionierte Fotografen. So werden Bilderstapel mit unterschiedlich platziertem Fokus über «Focus Stacking» zu einem neuen, durchgehend scharfen Bild zusammengesetzt: ein Muss in der Makrofotografie. Ähnliche Funktionen stehen für Panoramen, die HDR- und die Astrofotografie zur Auswahl. Auch eine Stapelverarbeitung ist mit an Bord, um zum Beispiel einen Bilderhaufen auf Knopfdruck zu verkleinern und zu schärfen.
Ein besonderes Highlight sind die Live-Filter. Damit sind nicht irgendwelche Spaßelemente wie Katzenohren gemeint, sondern anspruchsvolle Funktionen wie Entrauschen oder die Korrektur von Objektivverzerrungen. Sie wirken zwar als Filter, aber sie werden wie Ebenen eingesetzt. Deshalb kann jeder Filter ohne Verluste gelöscht oder verändert werden.
Zusammen mit Vektorformen, zahlreichen Ebenen-Funktionen und allen klassischen Werkzeugen, die man sich wünschen kann, ist Affinity Photo wohl lohnendste Programm für Fotografen und Grafiker. Die Chancen stehen gut, dass es Photoshop komplett ersetzen kann. Wird für die RAW-Konvertierung anstelle von Adobe Lightroom eine potente Alternative wie Capture One verwendet, lässt sich damit ein runder Foto-Workflow erzielen – allerdings ohne eine eigene Cloud-Unterstützung, wie sie Adobe bietet.
Kompatibilität mit Adobe
Grundsätzlich sieht die Software vor, dass die Dateien im eigenen Format mit der Erweiterung «.aphoto» gespeichert und am Schluss der Bearbeitung in das gewünschte Format exportiert werden. Dabei bietet Photo eine sehr gute Kompatibilität zu Photoshop. In der Einstellung Allgemein lässt sich zudem festlegen, dass Photoshop-Dateien geöffnet, geändert und ohne Umweg zurückgeschrieben werden.
Leider werden Textebenen aus Photoshop zwar als editierbare Texte übernommen, doch beim Schreiben als PSD verwandeln sie sich in Pixelhaufen.
Affinity Designer
Affinity Designer ist das Gegenstück zu Illustrator. Sein wichtigster Vorteil liegt in seiner relativ (!) zugänglichen Oberfläche. Motive wie Grußkarten, einfache Broschüren oder Einladungen sind auch für Einsteiger schnell zu realisieren, während die Profis auch komplexe Motive problemlos umsetzen.
Doch dann wird nicht nur die Lernkurve steil; es bedingt auch Übung im Umgang mit Bézier-Kurven (der Grundlage jeder Form) und im besten Fall eine entsprechende Ausbildung im grafischen Gewerbe. Kurz, Designer ist jene Affinity-Anwendung, die für Nicht-Grafiker nach schnellen ersten Erfolgen am schwierigsten zu durchschauen ist.
Neben dem gewaltigen Funktionsumfang überzeugt vor allem das rasende Tempo, mit dem auch die komplexesten Objekte herumgeschoben und manipuliert werden. Selbst PDF-Dateien werden in einer hervorragenden Qualität geöffnet, lies: Die Spalten und das Layout werden fast unverändert so übernommen, wie sie einst in einer anderen Software wie InDesign angeordnet wurden.
Designer ist darauf ausgelegt, sowohl mit Bitmap- als auch mit Vektorgrafiken umzugehen. Ähnlich wie bei Photo wird zwischen einer «Pixel-Persona» und einer «Design-Persona» gewechselt, sodass Mischdokumente komfortabel gestaltet werden können. Das kann Adobe Illustrator zwar auch, aber er vermittelt dabei stets das Gefühl, dass sich Bitmap-Objekte wie unerwünschte Fremdkörper anfühlen.
Kompatibilität mit Adobe
Affinity Designer liest und schreibt alle wichtigen Formate, wobei darunter auch Bitmap-Formate wie PSD, JPEG oder GIF.
Illustrator-Dateien mit der Endung «.ai» werden nur gelesen, wenn beim Speichern in Illustrator die Option «PDF-kompatible Datei erstellen» angewählt ist – aber das ist sowieso Bedingung, um die ai-Datei direkt in InDesign zu platzieren.
Was im hektischen Alltag schnell einmal lästig wird, ist die Unfähigkeit, ein editiertes EPS im selben Format zu überschreiben. Stattdessen muss die Datei während der Bearbeitung im Designer-eigenen Format gesichert und am Schluss wieder als EPS exportiert werden. Das wird sich hoffentlich bald ändern.
Affinity Publisher
Jetzt wird es kniffelig – jedenfalls für Profi-Grafiker, die offene Daten an die Kunden ausliefern müssen. Den meisten Kunden ist es egal, in welchem Programm eine PSD- oder EPS-Datei erzeugt wurde. Ganz anders die Layout-Dateien: Hier ist InDesign der Standard schlechthin. Seine Dateien werden verlangt, um die Drucksachen im eigenen Haus oder über eine andere Agentur weiterzuverarbeiten. Der Dominanz von InDesign kann man sich zwar entziehen, wenn man an seine Kunden prinzipiell nur PDF-Dateien herausgibt – doch das wird in den seltensten Fällen konsequent realisierbar sein. Dann bleibt nur, mit Publisher und InDesign zweigleisig zu fahren – oder auf Publisher ganz zu verzichten.
Damit ist das größte Problem von Affinity Publisher umrissen. Dabei ist die Software sehr, sehr nahe an InDesign dran. Serif wirbt auf der Produktseite mit den umfangreichen typografischen Möglichkeiten, den flexiblen Stammseiten oder Warnungen in Echtzeit, wenn es im Layout oder im Satz zu Unstimmigkeiten kommt. Das alles bietet InDesign schon lange – aber es ist einmal mehr die Leichtigkeit, mit der die Software ans Werk geht. Für einen Laien wirken die Möglichkeiten zwar erschlagend; aber es ist durchaus realistisch, mit einem verhältnismäßigen Aufwand hübsche Layouts anzufertigen – jedenfalls ist es sehr viel einfacher, als sich in Word die Finger zu verbiegen.
Zu den speziellen Eigenschaften gehört die Zusammenführung von externen Datenquellen (Text-, CSV-, JSON- und Excel-Dateien), um im großen Stil Diplome, Visitenkarten, Serienbriefe bis hin zu Katalogen zu erstellen. Wenn Sie mit solchen Aufgaben Ihre Brötchen verdienen, kann Affinity Publisher allein deshalb eine lohnende Anschaffung sein – zu einem Preis, an dem Sie andernorts nicht einmal ein InDesign-Plug-In erhalten.
Und wieder einmal ist es das Tempo, das alle Affinity-Programme auszeichnet. Hinein und heraus zoomen, Objekte verschieben, drehen, skalieren… alles geschieht augenblicklich. InDesign arbeitet auf einem modernen PC ebenfalls schnell – aber Publisher setzt eine neue Marke. Zu den Highlights gehört die Integration von Photo und Designer, deren Basiswerkzeuge sich auch hier als Personas aufrufen lassen.
Kompatibilität mit Adobe
Publisher kann InDesign-Layouts öffnen, wenn sie im Austauschformat IDML gespeichert werden. Dann schaffen auch die Absatzformate den Sprung. Das Layout wird erstaunlich genau umgesetzt, aber es gibt Grenzen: So wird ein Inhaltsverzeichnis nicht als solches erkannt und aktualisiert. Auch Querverweise gehen verloren, was je nach Dokument nicht verhandelbar ist
.Und so ist Publisher für InDesign-Anwender eine Einbahnstraße. Die meisten Dokumente lassen sich mit geringem Aufwand über IDML importieren, aber sie lassen sich aus Publisher nicht mehr als IDML exportieren. Überhaupt sollten solche Konvertierungen nur einmal durchgezogen werden, denn der Austausch ist längst nicht so einfach und zuverlässig wie bei einem Bild- oder Grafikformat.
Der Feind heißt Muskelgedächtnis
Unter dem Strich hält die Affinity-Suite in vielen Bereichen mit den Adobe-Programmen mit und kann sie teilweise sogar übertrumpfen. Außerdem spürt man an jeder Ecke, dass der Code frisch und unverbraucht ist, während Adobe auf einem Fundament baut, das Jahrzehnte alt ist. Diese Leichtigkeit ist es auch, die diese Grafik-Suite auch für Nicht-Profis so interessant macht.
Ironischerweise bekunden die Profis ein wenig mehr Mühe, wenn sie sich von den Adobe-Programmen lösen möchten. Denn die Affinity-Programme funktionieren in weiten Teilen gleich, wie die Adobe-Gegenstücke – aber eben nicht überall. Und so landen die Finger, tausendfach konditioniert, manchmal auf der falschen Taste. Doch eines ist sicher: Ein ernsthafter Versuch lohnt sich auf jeden Fall.
Die Affinity-Programme für macOS finden Sie im Mac App Store:
Die Affinity-Programme für Windows finden Sie im Microsoft Store:
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