Agilität zählt auch in der Filmbranche

Die Digitalisierung verändert die Branche der Film- und Fernsehproduzenten. CIO Mercedes Eisert stellt die Bavaria Film GmbH auf einen permanenten Wandel ein. [...]

"Wir brauchen klar formulierte Ziele und müssen IT-Kauderwelsch vermeiden", sagt Mercedes Eisert, CIO der Bavaria Film GmbH (c) Eisert

„Wir haben kein Wlan in Studio 9“. Solche Sätze hört Mercedes Eisert öfter, und das nicht nur tagsüber. Die Covid-19-Pandemie mit Social Distancing, Kontaktbeschränkungen und Hygiene-Maßnahmen hat die Drehzeiten in den Bavaria Filmstudios erheblich verlängert. Dreharbeiten bis tief in die Nacht sind keine Ausnahme. Das bedeutet auch mehr Arbeit für Eisert, die im Oktober 2019 den CIO-Posten bei der Bavaria Film GmbH übernahm.

Das Unternehmen mit Hauptsitz in Grünwald bei München gehört zu Deutschlands bekanntesten Film- und Fernsehproduzenten. Neben der Content-Produktion ist Bavaria Film mit etwa 1.650 festen und freien Mitarbeitern auch in der Vermarktung von Filmrechten und Lizenzen aktiv und offeriert eine breite Palette produktionstechnischer Dienstleistungen. In den Bavaria-Studios entstehen sowohl Fernsehserien wie die „Rosenheim Cops“ als auch aufwändige Produktionen für Streaming-Anbieter wie Netflix, Sky oder Amazon, beispielsweise Szenen der Serie „Das Boot“.

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Die Bayern profitieren von der stark wachsenden Nutzung von Streaming-Angeboten, aber auch vom insgesamt zunehmenden Medienkonsum. „Der Markt brummt“, sagt Eisert. „Es wird sehr viel digitaler Content nachgefragt“. Damit steige auch die Bedeutung der Digitalisierung.

Als die Diplom-Kauffrau 2019 von der Gema-Tochter IT4IPM zu Bavaria Film wechselte, waren dort die Voraussetzungen für einen digitalen Wandel alles andere als optimal. Zu ihren ersten Aufgaben gehörte es, eine IT-Strategie zu entwickeln. Sie setzte dabei vier Schwerpunkte: Business-IT-Alignment, Mitarbeiter, Technologie und Sourcing. „Wir müssen näher ran an die Produktionsbereiche“, beschreibt sie die Marschrichtung. Die IT sollte nicht länger als abgekapselte Abteilung, sondern als Dienstleister für alle Unternehmensbereiche wahrgenommen werden.

Agile Serviceteams

Dazu stieß die CIO eine umfassende Neuorganisation an. Wie in vielen mittelständischen Unternehmen war die Bavaria-IT klassisch in Funktionen wie Server, Support und Anwendungsbetreuung gegliedert. Eiserts Ziel war ein „Arbeiten in agilen Serviceteams„, die jeweils für die gesamte Leistungserbringung in ihrem Bereich verantwortlich sein sollten. Den theoretischen Rahmen schaffte sie mit einer Enterprise Architecture, in der verschiedene Fachdomänen definiert sind.

Die IT der Bavaria Filmstudios südlich von München hat es mit besonders datenintensiven Anwendungen zu tun © Bavaria Studios / Michael Hilscher

Die neu aufgestellten Serviceteams orientieren sich an diesen Domänen, darunter etwa Finanzen, Personal, Marketing, Content-Produktion und Facility Management. Sie bestehen jeweils aus einem Administrator, einem Anwendungsbetreuer und einem Support-Mitarbeiter. Jedem Team ist ein Business-IT-Koordinator zugeordnet, der die Schnittstelle zu „seinem“ Geschäftsbereich, also zur Fachabteilung bildet. Die Koordinatoren wiederum sitzen in einem Business IT Board, das die diversen IT-Initiativen steuert. Eisert: „Das war für das Unternehmen etwas völlig Neues.“

Neu war auch, dass die Mitarbeiter nicht einfach top-down einem Team zugewiesen wurden. Die CIO führte viele Einzelgespräche, fragte Wünsche und Präferenzen ab und versuchte, den Betroffenen die Angst vor Veränderungen zu nehmen. „Als wir den Betriebsrat einbezogen, war die Akzeptanz der Belegschaft schon da“, erinnert sich die Managerin.

Erste Ergebnisse des Change-Projekts sind sichtbar. „Die neue Organisation schafft Transparenz und Verständnis für IT-Themen“, sagt Eisert. Die Mitarbeiter verbänden mit der IT nicht mehr nur Infrastruktur: „Es geht jetzt viel öfter darum, wie wir Prozesse im Unternehmen verbessern können.“

IT-Modernisierung und Mixed Cloud

Im Bereich Technologie plant die IT-Chefin eine „grundlegende Modernisierung der Systeme und Applikationen“. Sie will die Anwendungslandschaft vereinfachen, Systembrüche reduzieren und manuelle Prozesse automatisieren, um Geschäftsprozesse effizienter zu gestalten. Im Rahmen einer „Mixed-Cloud-Strategie“ nutzt Eisert die Dienste mehrerer Cloud-Provider.

„Die Bavaria Film hat in vielen Bereichen sehr spezielle Anforderungen, es gibt kaum Standardprozesse“, begründet sie das Vorgehen. In Sachen Office und Collaboration-Funktionen setzt sie auf Microsofts Cloud-Dienste, für die Daten- und Anwendungsintegration holte sie den Spezialanbieter Talend an Bord. Er stellt eine Cloud-basierte Plattform für Enterprise Application Integration (EAI) zur Verfügung, die Bavaria Film unter anderem für das Data Cleansing und den ETL-Prozess nutzt (Extract, Transform, Load).

Die EAI-Plattform ist für Bavaria Film auch deshalb besonders wichtig, weil darüber die Web-APIs von Streaming-Anbietern wie Netflix eingebunden werden. „Wir haben das EAI-Projekt trotz Corona in nur neun Monaten gestemmt“, betont die IT-Chefin.

Die nächsten Großprojekte sind schon in der Pipeline. Zum Jahresanfang startete Eisert die erste Stufe der Migration auf SAP S/4 HANA. Sie will das neue Kernsystem in SAPs Public Cloud nutzen. Nach Abschluss von Stufe 1 mit den Modulen für Finanzen und Buchhaltung Ende 2021 folgen in den kommenden drei Jahren weitere Schritte. Im Endausbau sollen rund 400 Mitarbeiter das neue System nutzen.

Bereits abgeschlossen hat die CIO ein ITIL-Projekt mit dem Anbieter Ivanti, das mit der Einführung eines Customer Self Service Portal einherging. Automatisierte Workflows im IT-Service Management spielen dabei eine wichtige Rolle. Ähnliches gilt für ein System zum elektronischen Vertragsmanagement, das vor allem Mitarbeiter im Unternehmensbereich Rights & Distribution nutzen.

Lessons Learned

„Der schwierigste Teil ist das Change Management“, blickt die IT-Chefin auf die ersten Monate ihrer Amtszeit zurück. Das betreffe sowohl organisatorische als auch technische Veränderungen. Eisert studierte Betriebswirtschaft und angewandte Mathematik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Sie ist außerdem Absolventin des CIO Leadership Excellence Program (LEP), einer gemeinsamen Initiative von CIO-Magazin, der WHU – Otto Beisheim School of Management und dem Partner DXC Technology. Der Schlüssel zum Erfolgt liegt für sie in der Kollaboration und der Kommunikation: „Wir brauchen klar formulierte Ziele und müssen IT-Kauderwelsch vermeiden.“ Nur so lasse sich eine Nähe zum Business herstellen. Eisert: „Das braucht viel Zeit. Aber der Aufwand lohnt sich.“

*Wolfgang Herrmann ist Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.


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