Nach Corona werden andere Kompetenzen wichtiger – davon sind die beiden Nürnberger Wirtschaftspsychologen Colin Roth und Moritz Reichert überzeugt. [...]
Dass die digitale Transformation die Arbeitswelt auf den Kopf stellt, hat sich mittlerweile auch bis zum letzten Kleinbetrieb in der Republik herumgesprochen. Die Komplexität wird zunehmen, auch dank der mittlerweile fast täglich stattfindenden virtuellen Zusammenarbeit, davon ist Wirtschaftspsychologe Moritz Reichert überzeugt; die Anforderungen an Mitarbeiter verändern sich und vor allem die Komplexität nimmt zu.
Arbeit 4.0: Job Crafting
Sein Paradebeispiel dafür: Es dauerte 62 Jahre, bis weltweit 50 Millionen Autos auf den Straßen fuhren, zwölf Jahre für 50 Millionen Nutzer von mobilen Geräten, Facebook reichten drei Jahre und das Spiel Pokémon Go schaffte diese Nutzerzahl gar in 19 Tagen. „In so einer Welt werden Kompetenzen wichtig wie Selbstführung, Selbstentwicklung, sich selbst involvieren und selbständiges Lernen“, weiß der Wirtschaftspsychologe. Reichert reichert die Online-Diskussion mit einem neuen Fachbegriff an – nämlich dem des Job Craftings, also der Fähigkeit des Mitarbeiters seinen Job an seine Bedürfnisse anzupassen, ihn genauer zu verstehen, um ihn so noch besser zu erledigen. Oder jetzt in Homeoffice-Zeiten sich selbst motivieren oder umgekehrt bei zu hoher Belastung entspannen zu können. Die Kunst bestehe darin, darauf bewußt Einfluß zu nehmen.
Sein Chef, Colin Roth, ebenfalls Wirtschaftspsychologe, Inhaber der Unternehmensberatung BlackBox/Open, und Lehrbeauftragter an einigen Hochschulen, ergänzt dieses für Mitarbeiter wichtiger werdende Prinzip: Job Crafting sei die Fähigkeit über den eigenen Tellerrand zu schauen und sich trotz Jobbelastung zu fragen: Welche Skills benötige ich, was muss ich lernen? Natürlich gehöre es dazu, sich Fach-Know-how anzueignen, aber es werde in einem anderen Lernumfeld stattfinden.
Neulich erzählte Roth ein Firmenvorstand, als es mal wieder darum ging, dass die Forderung nach Excel-Kursen im Unternehmen laut wurde, dass der Firmenchef empfahl, dass sich die Mitarbeiter solches Wissen zum Beispiel via Youtube selbst aneignen sollten. Er wünsche sich, dass das Weiterbildungsbudget eher für Themen wie Resilienz, Stressmanagement und Selbstorganisation ausgegeben werde.
Neue Arbeitswelt: Investments angebracht
Arbeitgeber seien in diesen Zeiten erst recht gefordert in Themen wie Employer Branding und Unternehmenskultur zu investieren, empfiehlt Roth. Selten sei es vor allem für die Wissensarbeiter leichter gewesen wie jetzt ihren Arbeitgeber die kalte Schulter zu zeigen: „Die sitzen zu Hause, wechseln einfach von einer Videokonferenz zur nächsten, sind im Gespräch mit einer anderen Firma, ohne sich auch nur anstrengen zu müssen und das umständliche Bewerbungsverfahren antun zu müssen“, gibt der Wirtschaftspsychologe zu bedenken. Die Fluktuation wird zumindest bei den Wissensarbeitern zunehmen, ist sich Roth sicher, „sie müssen jetzt nicht mal mehr umziehen oder reisen“. Er warnt allerdings vor der Gefahr, dass die Kluft in der Gesellschaft zwischen den begehrten Wissensarbeitern und den Produktions- oder Mitarbeitern im Handel oder schlechtbezahlten Dienstleistungen größer wird.
Arbeitgeber müssten den Wunsch ihrer Mitarbeiter nach einem partizipativen und empathischen Führungsstil ernst nehmen, fordert Roth. Eines seiner Paradebeispiele sei ein 160 Jahre altes Hotel in Nürnberg, in dem vom Servicemitarbeiter bis zu den Chefs alle Schritte und Strategien gemeinsam besprochen und verabschiedet werden. Das seien Modelle mit Zukunft, ist er sicher.
*Hans Königes ist Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
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