Arbeiten im Kriegsgebiet – Das berichten IT-Profis

Viele ukrainische IT-Experten bleiben trotz Zerstörung und Ungewissheit in ihrem Heimatland. [...]

Viele internationale Unternehmen - einschließlich US-amerikanischer Organisationen - haben Mitarbeiter in der Ukraine. Ein großer Teil beschäftigt ukrainische Techniker. (c) Pixabay

Anfang dieses Jahres, als russische Truppen entlang der ukrainischen Grenze aufmarschierten, bot das israelische Unternehmen Beewise an, jeden seiner in der Ukraine ansässigen Techniker und bis zu zehn Familienmitglieder für sechs Monate umzusiedeln und alle Kosten zu übernehmen. Diana Lisovenko, eine Software-Ingenieurin aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew, entschied sich, zu bleiben. Sie hielt einen Krieg für unwahrscheinlich. „Ich dachte, es gäbe nur eine fünfprozentige Wahrscheinlichkeit“, berichtet sie. „Wer hätte gedacht, dass im 21. Jahrhundert so etwas passieren würde?“

Mitte März erzählte Lisovenko in einem Zoom-Talk, sie verbringe ihre Vormittage als Freiwillige damit, Lebensmittel zu den verbliebenen Einwohnern der Stadt und zu den Soldaten zu bringen. Dabei fahre sie in einem Auto, das sie Ende Februar gemietet habe, als Russland gerade seinen Angriff auf ihr Land begann. „Morgens ist es viel sicherer, mit dem Auto zu fahren“, sagte Lisovenko und fügte hinzu, dass sie und ihr Hund in der Wohnung eines Freundes in Kiew untergebracht sind.

Trotz des Krieges, ihrer neuen ehrenamtlichen Tätigkeit, der Warnsirenen, Explosionen und der wiederholten Angebote ihres Unternehmens, sie zu versetzen, bleibt die 30-Jährige in ihrer Stadt und arbeitet weiter. Weil sie es als angenehm empfinde, sich mit Kollegen zu treffen und einen normalen Tagesablauf zu haben, versuche sie, sich immer nach Mittag einzuloggen. Sie schätze die Möglichkeit, weiterzuarbeiten, da die emotionale Unterstützung und die Rückmeldungen ihrer Kollegen ihr geholfen hätten, durchzuhalten.

Mehr als eine Million IT-Experten in der Kriegsregion

Viele nicht-ukrainische Unternehmen – einschließlich US-amerikanischer Organisationen – haben Mitarbeiter in der Ukraine, und ein großer Teil beschäftigt ukrainische Techniker. Das Marktforschungsunternehmen Gartner schätzt, dass es in Russland, der Ukraine und Weißrussland zusammen mehr als 1 Million IT-Fachleute gibt. In seinem Bericht „Impact of Russian Invasion of Ukraine on Software Engineering Services“ vom Februar 2022 stellt Gartner fest, dass die meisten großen und mittleren Systemintegratoren in diesen drei Ländern präsent sind. Laut Gartner haben auch viele Software-Unternehmen Entwicklungszentren in der Region. Angesichts der Bedeutung der Region für das IT-Outsourcing hat die Krise in der Ukraine auch den globalen IT-Markt in Aufruhr versetzt (siehe auch: Ukraine-Krieg gefährdet IT-Outsourcing-Projekte).

Die CIO-Schwesterpublikation CIO.com sprach mit Lisovenko und drei weiteren ukrainischen Technikern, die in ihrem Heimatland geblieben sind, um mehr über ihre Erfahrungen und ihr Arbeiten im Krieg zu erfahren. Ihre Geschichten zeigen ihre Entschlossenheit und ihr Engagement, trotz der Zerstörung und Ungewissheit in ihrem Land nach vorne zu schauen.

„Wir sind immer noch hier, wir kämpfen“

„Wir sind immer noch hier, wir kämpfen. Wir kämpfen für die Demokratie“, sagte Valerii Sukhov, ein leitender Ingenieur bei Beewise, einem Unternehmen, das einen autonomen Bienenstock mit integriertem Imkerroboter anbietet. Auch der 30-jährige Sukhov, der seit zwei Jahren bei Beewise arbeitet, hielt einen Krieg für unwahrscheinlich.

„Ich habe schon gedacht, dass etwas passieren könnte“, berichtet er. „Aber es ist ziemlich schwer zu verstehen, wie deine Nachbarn, die behaupteten, deine Brüder und Schwestern zu sein, dich morgens ohne guten Grund angreifen können.“ Sukhov hatte in Kiew gelebt, zog aber mit seiner Frau und dem dreijährigen jährigen Kind in die Westukraine. Sie wohnen nun zusammen mit einem halben Dutzend anderer Menschen im Haus der Familie eines Freundes in der Nähe der Stadt Ternopil.

Wie viele andere erzählt auch Suchow, dass er sich kurz vor und zu Beginn der russischen Invasion nur mühsam Lebensmittel und Bargeld von der Bank besorgen konnte. Jetzt sei es einfacher, sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Seine Familie sei in Sicherheit, sie befindet sich nicht in der Nähe der Frontlinien, obwohl auch sie Warnsirenen hörten.

Suchow weiß das Angebot seines Arbeitgebers zur Umsiedlung zu schätzen, obwohl er selbst rechtlich gesehen gar nicht ausreisen kann. Laut einer Regierungsanweisung müssen Männer zwischen 18 und 60 Jahren in der Ukraine bleiben. „Das ist in dieser besonderen Situation das Richtige“, kommentiert er.

Arbeit als Ablenkung

Trotz der dramatischen Veränderungen in der Ukraine und seiner persönlichen Situation erklärt Suchow, dass er weiterhin arbeite und dies eine willkommene Ablenkung sei. „Arbeit ist etwas, das einem helfen kann, aus einer Situation herauszukommen. Es lenkt den Blick weg von den vielen schlimmen Nachrichten über die Geschehnisse im Land.“

Auch Timofii Vlasov, QA-Automatisierungsingenieur beim Softwareanbieter Totango, erzählt, dass die Arbeit ihm hilft, sich von der düsteren Realität und seinem ständigen Alarmzustand abzulenken. „In den ersten paar Tagen steht man einfach nur unter Spannung. Es war beängstigend. Aber man kann nicht die ganze Zeit in diesem Zustand verharren. Man braucht eine Art Ablenkung von all dem, was um die Ukraine herum passiert, und da ist die Arbeit eine gute Lösung.“

Der 33-jährige Vlasov, der seit vier Jahren für Totango arbeitet, verließ Kiew, als der Krieg begann, und zog in die Gegend von Odessa zu seinem Bruder und seiner Schwägerin. Er habe unter anderem mit schlechten Internetverbindungen zu kämpfen und müsse mehr Zeit einplanen, um alltägliche Dinge zu erledigen, wie etwa den Einkauf von Lebensmitteln. Vor den Geschäften gebe es oft lange Schlangen.

Keine sicheren Zufluchtsorte

Vlasov hat sich freiwillig gemeldet, um den örtlichen Verteidigungskräften zu helfen. Und er hat Geld gespendet, um die ukrainischen Kämpfer und zivile Bedürfnisse zu unterstützen. Mehrmals täglich, auch nachts, muss er Schutz suchen, wenn Warnsirenen ertönen. Der Keller seines Hauses, in dem er Zuflucht sucht, ist allerdings nicht bombensicher. Viele Ukrainer hätten gar nicht die Möglichkeit, sich an sicherere Orte zu begeben, berichtet er.

Vlasov ist einer von 15 ukrainischen Mitarbeitern, die Totango beschäftigt, so Amit Bluman, Senior Vice President of Engineering bei Totango. Man habe in den Wochen vor der russischen Invasion einen Notfallplan entwickelt, obwohl alle dachten, „dass wir ihn nie brauchen würden“.

Wie viele andere Unternehmen hat auch Totango angeboten, Mitarbeiter aus der Ukraine zu verlegen, und weitere Unterstützungsangebote gemacht. Bluman sagt, dass nur eine Person in ein anderes Land umgezogen sei, während der Rest des Teams in seinem Heimatland geblieben sei.

Das Unternehmen helfe weiterhin, wo es nur könne, etwa bei der Suche nach einer sicheren Unterkunft in der Ukraine für einen Mitarbeiter und seine Familie, so Bluman. Er betont, dass Totango seine ukrainischen Mitarbeiter nicht dazu verpflichtet oder von ihnen erwartet, dass sie jetzt arbeiten.

Artem Horovoi, 23, ein Software-Ingenieur bei Totango, ruft morgens seine Familie und Freunde an und geht dann zur Arbeit. Wie sein Kollege Vlasov leistet Horovoi einen Beitrag zu den lokalen zivilen und militärischen Bemühungen. Er sagt, er befinde sich an einem sicheren Ort mit zuverlässiger Telekommunikation, räumt jedoch ein, dass ihn oft ganz andere Probleme beschäftigen: „Ich denke an meine Familie. Und ich möchte, dass all dies schnell ein Ende hat.“ (wh)

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation cio.com

*Mary K. Pratt ist freiberufliche Journalistin in Massachusetts.


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