Arbeitsplatz der Zukunft: Anwender brauchen Handlungsspielraum

Der Arbeitsplatz der Zukunft ist kein Produkt, sondern eine Vision – und jeder sieht ein anderes Bild. Daher kommt es darauf an, dass moderne IT-Lösungen flexibel bereitgestellt werden können. Eine Aufgabe, die die IT-Infrastruktur nur gemeinsam mit den Fachbereichen lösen kann. [...]

Eine der wichtigsten Entwicklungen der Industrie ist der Variantenkonfigurator: die Software kann im Handumdrehen aus einem Basismodell eine Million verschiedener Autos ermöglichen. Jeder Kunde erthält ein persönliches Modell, das seinen Anforderungen am besten entspricht. Früher verkaufte Henry Ford den Kunden „jede gewünschte Farbe, solange es schwarz ist“. Heute kann man dank des Variantenkonfigurators sogar Fußmatten farblich individualisieren.
Von dieser Flexibilität und Vielfalt sind Büroarbeitsplätze noch weit entfernt, trotz der seit Jahren geführten Diskussion um den Arbeitsplatz der Zukunft (AdZ). Das Problem ist, dass sich Wunsch und Wirklichkeit nur schwer in Einklang bringen lassen: auf der einen Seite das Anliegen der Mitarbeiter und Manager, flexible IT-Leistungen zu erhalten, und auf der anderen Seite die auf Wirtschaftlichkeit getrimmte IT-Organisation. Dabei liegt gerade in der IT-Infrastruktur ein Schlüssel zur erfolgreichen Implementierung moderner Arbeitsplätze, die allen Anforderungen entsprechen können.
Herausforderungen auf mehreren Ebenen
Die Herausforderungen lauern auf mehreren Ebenen. „AdZ heißt für uns, dass jegliche Arbeitsaufläufe in möglichst hohem Grade digitalisiert und von der IT automatisiert bereitgestellt sowie ständig gepflegt werden“, berichtet Bernhard Steiner, Director Technical Presales bei Ivanti, einem Anbieter von IT-Management-Tools. Und zwar im Idealfall Everything (konsistente Daten unabhängig vom Arbeitsgerät), Anywhere (Büro oder Homeoffice) Anytime (9 to 5 oder von der Couch aus) sowie On-Demand (kurzfristig beantragt und innerhalb kürzester Zeit automatisch ergänzt).
Als große Aufgabenstellung bezeichnet Steiner die Heterogenität des AdZ, weil jedem Mitarbeiter ein oder mehrere Arbeitsgeräte zur Verfügung gestellt werden, die möglichst effizient provisioniert, ausgegeben und gepflegt werden sollen. Dies beinhalte klassische PCs, die notwendigen Accounts und Einstellungen auf den korrespondierenden Servern sowie zusätzlich Smartphones, Tablets oder Zugang zu Terminalservern. „Diese Plattformen zentral und kosteneffizient aus einer Hand zu managen und zeitgleich die Schritt-für-Schritt-Migration auf die neue Infrastruktur zu begleiten, ist die größte Herausforderung.“
Nach Einschätzung des Ivanti-Managers strebten derzeit viele Unternehmen an, die bestehende IT-Infrastruktur in eine nicht nur kurzfristig aktualisierte, sondern langfristig skalierbare, flexible, robuste und automatisierte Umgebung zu transformieren. „Erfolgversprechend ist hier ein Top-Down-Ansatz, da der AdZ keine technische Spielerei auf Techie-Ebene ist.“ Es greife zu kurz, den AdZ allein aus der IT-Perspektive zu betrachten, denn technische Best-of-Breed-Lösungen auf Infrastruktur-Ebene würden nicht automatisch alle Anforderungen eines modernen Arbeitsplatzkonzeptes lösen können. „Vielmehr müssen manuelle Schnittstellen, Papierbrüche und Insellösungen eliminiert werden, was keine reine Aufgabe der IT ist, sondern vielmehr des gesamten Unternehmens.“
Dem AdZ muss ein ganzheitlicher Ansatz vorausgehen
Auch Dietmar Nick, Geschäftsführer von Kyocera Document Solutions Deutschland, verweist auf den ganzheitlichen Ansatz, der dem AdZ vorausgehen sollte: „Der Arbeitsplatz der Zukunft hängt nicht allein von einer modernen Büroausstattung ab – agile Arbeitsweisen sind ein Zusammenspiel aus räumlichen Gegebenheiten, entsprechender Technologie und dem Mindset im Unternehmens.“ Dazu sei es wichtig, sich als Geschäftsführer, Bereichs- oder Abteilungsleiter zu fragen: Sind die etablierten Abläufe und die Führungskultur zeitgemäß und lassen sie flexibles, kollaborative Arbeiten überhaupt zu? „Nur wenn ich Prozesse aufsetze, die unabhängig vom physischen Arbeitsplatz der beteiligten Personen funktionieren, kann ich meinen Mitarbeitern agiles und kollaboratives Arbeiten ermöglichen“, argumentiert Nick.
Neben der Flexibilität bei Infrastruktur und Prozessen sind es vor allem Kommunikationslösungen, die den AdZ ermöglichen. Für Sipgate-Geschäftsführer Tim Mois sind „Services gefragt, die eine reibungslose Zusammenarbeit standortunabhängig ermöglichen und besser machen“. Dabei kehren auch alte Besen gut: Laut einer aktuellen IDG-Studie zum AdZ ist die Telefonkonferenz immer noch Spitzenreiter bei den Werkzeugen zur Zusammenarbeit. Aber die anderen Verfahren holen auf.
„Für uns ist besonders interessant, dass die Vernetzung und Synchronisierung aller Kommunikationskanäle die meistgenannte Antwort auf die Frage nach den Voraussetzungen für das AdZ-Konzept der Befragten war“, sagt Ralf Ebbinghaus, CEO der Swyx Solutions AG. Auch daher sei die Nachfrage nach modernen Unified-Communications-Lösungen (UC), mit denen sich die Kommunikation und Zusammenarbeit in Unternehmen optimieren lassen, sehr hoch.
TK-Infrastruktur auf dem Prüfstand
Dazu trägt nicht zuletzt die Umstellung des Telefonnetzes auf All-IP bei – für viele Unternehmen eine gute Gelegenheit, um ihre TK-Infrastruktur auf den Prüfstand zu stellen und die Cloud ins Auge zu fassen. Laut Ebbinghaus sind IT-Organisationen beim AdZ gefordert, die Anforderungen eines Unternehmens mit den vielfältigen Möglichkeiten innovativer Technologien in Einklang zu bringen. „Bei der Auswahl einer geeigneten Kommunikationslösung heißt das auch, dass diese nicht über jedes neue Feature verfügen, sondern vor allem den individuellen Bedarf genau abbilden muss.“ Zugleich sei es wichtig, so der Swyx-Manager, auf hohe Flexibilität und Skalierbarkeit zu achten, damit sich eine Lösung anpassen lässt, wenn sich die Anforderungen mit der Zeit verändern. „Letztlich geht es darum, Partner und Services zu finden, die sich flexibel an das jeweilige Unternehmen anpassen und sich stetig weiterentwickeln“, bestätigt auch Tim Mois, Geschäftsführer des Internet-Telefonie-Anbieters Sipgate.
Marco Meier, Vertriebsleiter des UC- und Collaboration-Anbieters BroadSoft, freut sich ebenfalls über die hohe Nachfrage nach Kommunikationslösungen, aber auch nach Videokonferenzen, Desktop-Sharing sowie Instant-Messaging. „Unternehmen setzen dabei vor allem auf integrierte Lösungen für UC und Team-Collaboration, die eine Vielzahl verschiedener Anwendungen zur Business-Kommunikation zusammenfassen.“
Eine der größten Herausforderungen dabei sei es, flexible und mobile Arbeitsplatzmodelle, die mehr an ein Startup erinnern, in die IT-Infrastrukturen großer Unternehmen zu implementieren. „Hier geht es vor allem um Datensicherheit und -verfügbarkeit“, so Meier: „Um beides zu gewährleisten, müssen Unternehmen mit der Wahl der richtigen Systeme, Betriebsmodelle und Anbieter den Grundstein legen.“
In vielen Unternehmen ist der Weg noch weit
Auch wenn es Bewegung gibt, ist der Weg noch weit: „Die IDG-Studie hat deutlich gezeigt, dass wir trotz aller heute verfügbarer Technologien und Diskussionen um den Arbeitsplatz der Zukunft in vielen Unternehmen immer noch am Anfang stehen“, sagt Hans-Jürgen Jobst, Senior Product Marketing Manager von Avaya. Die Anwender würden häufig kaum einbezogen, die IT-Abteilung optimiere ihren Eigenbetrieb und bestehende (Firmen-)Kulturen würden Flexibilisierung und Innovationen behindern. Alles in allem liegt ein gutes Stück Arbeit vor den Unternehmen, wenn sie zukunftsfähige Arbeitsplätze einrichten wollen: Laut IDG-Untersuchung ist fast jeder vierte befragte Mitarbeiter der Meinung, dass sein Arbeitsplatz noch weit von einem AdZ entfernt ist, und über 80 Prozent sehen Potenzial zur Verbesserung ihrer technischen Ausstattung am Arbeitsplatz.
Unternehmen sind gut beraten, die Arbeitnehmer in die Entwicklung mit einzubinden und ihre persönlichen wie beruflichen Anforderungen in Erfahrung bringen. „Allerdings sind die Sichtweisen von Stakeholdern, Management, IT-Abteilung und Mitarbeitern teilweise sehr unterschiedlich, und zwischen Wunsch und Realität klafft oft eine große Lücke“, berichtet Avaya-Manager Jobst aus der Praxis. Sein Ansatz: „Die wichtigsten Aufgaben auf dem Weg zum AdZ liegen nach unserer Erfahrung im konsequenten Dialog mit dem Endkunden sowie der Bereitstellung einer auf seine Bedürfnisse und Abläufe zugeschnittenen Lösung, die er von unterschiedlichen Orten aus nutzen kann.“
Nachholbedarf im Bereich der Netzinfrastruktur
Manchmal ist man aber im Funkloch. Entscheidende Voraussetzung für einen Großteil der Technologien zum AdZ sei daher eine geeignete Netzinfrastruktur mit ausreichenden Bandbreiten, ergänzt Swyx-CEO Ebbinghaus: „In dieser Hinsicht gibt es aktuell und auch in den kommenden Jahren noch Nachholbedarf.“ Auch Vertriebsleiter Meier von BroadSoft verweist auf die hohen Anforderungen moderner Lösungen: „Aktuell gibt es vor allem beim Breitband- und Mobilfunk-Netzausbau noch Luft nach oben.“
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Aufwand und Investitionen für Unternehmen auszahlen, ist groß. Schließlich sehen Mitarbeiter viele Vorteile im AdZ, und für über 60 Prozent überwiegen laut IDG-Studie die Chancen der Entwicklung gegenüber den Risiken. Im Mittelpunkt stehen hier Begriffe wie Freiheit, Selbstbestimmung und Ungebundenheit. Somit geht es bei der Einführung neuer, kollaborativer und flexibler Arbeitswelten um nicht weniger als eine Veränderung der Unternehmenskultur, fasst Kyocera-Geschäftsführer Nick zusammen: „Dies gelingt nicht von heute auf morgen, sondern braucht Zeit und Geduld von allen Beteiligten – sei es Chef oder Angestellter.“ Und in den Augen von Avaya-Manager Jobst gleicht der Arbeitsplatz der Zukunft einer Reise, auf der man sich ständig an neue technische Möglichkeiten und Innovationen anpassen muss. „Auf diesem Weg steht uns sicherlich noch die eine oder andere Überraschung bevor.“
AdZ-Studie 2017
Die Studie zum Arbeitsplatz der Zukunft (AdZ) basiert auf einer Online-Befragung in der DACH-Region, in deren Rahmen im Zeitraum vom 2. bis 29. Juni 2017 insgesamt 1.519 abgeschlossene und qualifizierte Interviews durchgeführt wurden. Davon zeigen 1.075 Interviews die Unternehmenssicht und 444 Interviews die Perspektive der Arbeitnehmer. Grundgesamtheit sind strategische (IT-)Entscheider der obersten Führungsebene und der Fachbereiche, Entscheider und Spezialisten aus der IT-Organisation sowie Mitarbeiter aus allen Unternehmensbereichen.

* Alexander Freimark schreibt für die Computerwoche.

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