Neue Technologien wie KI gewinnen schnell an Praxistauglichkeit und bieten Kunden einen unmittelbaren Nutzen – vorausgesetzt, man geht wie proALPHA an die Sache pragmatisch heran. Österreich-Chef Helmut Reich über die Zukunft von ERP, die nichts weniger als smart sein wird. [...]
Vor fast genau einem Jahr hat Helmut Reich als Managing Director das Österreich-Geschäft von proALPHA übernommen. Er hat die Zeit etwa damit genutzt, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an den verschiedenen Standorten kennenzulernen und deren Anliegen besser zu verstehen. Hintergrund: Die Kapazität für die Alpenrepublik wurde innerhalb der letzten sechs Monate um 15 Prozent erhöht.
Für Reich sind damit zwei Themen verbunden: „Es geht einerseits darum, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu halten, andererseits sie aufzubauen. Der erste Bereich teilt sich wiederum in zwei Richtungen: in Hygienefaktoren wie angenehmes Arbeitsumfeld, ein schönes Büro, gute Arbeitswerkzeuge – auch das Finanzielle muss passen. Der zweite Faktor betrifft die Autonomie im Arbeitsalltag: Wie autonom kann der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin arbeiten? Im Projektgeschäft ist dies gar nicht so einfach. Es herrscht Termindruck, es gibt keinen stabilen Produktionsplan, der sechs Monate lang Schritt für Schritt abgearbeitet wird. Es gibt immer wieder Wechsel in den Kundenanforderungen. Um hier bestehen zu können, müssen sich die Mitarbeitenden wohlfühlen. Wertschätzung der Leistung ist ebenfalls eine wesentliche Voraussetzung“, so Helmut Reich im Gespräch mit transform!
Da proALPHA eine Projekt- und Team-Organisation ist, sind die Hierarchien sehr flach. „Es gibt zwar den Solution-Verantwortlichen und den Projektleiter, das sind aber Primi inter pares. Keine Frage: Hierarchien sind heute nicht mehr sehr gefragt, bei jungen Mitarbeitenden noch viel weniger. Diese wollen bei den Entscheidungen eingebunden werden. Was nicht gut ankommt, sind Entscheidungen, die zentral getroffen werden. Letztlich ist es eine Frage des Führungsstils: Ich bin eher jemand, der Mitarbeitende einbindet und ganz klar Verantwortung delegiert.Autonomes Arbeiten hat immer mit Verantwortung zu tun. Die Ziele und Prioritäten müssen zudem klar formuliert sein. Erst wenn das erledigt ist und deutlich wird, welche Kompetenzen vorhanden sind, kann autonom agiert werden.“
„War for Talents“
Angesichts des Fachkräftemangels, der jede Branche, jedes Unternehmen und jede Abteilung trifft, ist das Team-Wachstum von 15 Prozent keine Selbstverständlichkeit. „Der Begriff ›War for Talents‹ hat schon lange seine Berechtigung. Während die HR-Abteilung früher eher unterstützend agiert hat, ist sie nun sehr zentral für das Unternehmen geworden. Daher war sie in meiner ersten Zeit die wichtigste Ansprechstation. Es ging etwa um Employer Branding, die Darstellung der Benefits und die Verkürzung des Bewerbungsprozesses. Man darf heute nicht zwei Wochen nach dem ersten Gespräch verstreichen lassen. Neben der HR-Abteilung arbeite ich intensiv mit den Abteilungsleitern von Consulting und Projektentwicklung zusammen. Es sind die Bereiche mit starker Kundenausrichtung, wo wir am meisten eingestellt haben.“
Ist der ERP-Bereich überhaupt „sexy“ genug für junge Mitarbeitende? „Der entscheidende Faktor ist, ob ich beim Kunden etwas bewirken kann. Wir schauen stets, dass die jungen Kollegen und Kolleginnen möglichst schnell zum Kunden kommen – etwa im Rahmen des Mentoring-Prinzips. Dann merken sie sehr schnell: Ich kann mit den Werkzeugen, die wir ihnen geben, beim Kunden vieles bewirken. Natürlich kann es anstrengend sein oder es Konflikte geben. Meist aber überwiegt die Motivation: Man sieht unmittelbar, dass man Einfluss auf das Ergebnis hat. Ich glaube, dass es wenige Branchen gibt, in denen es ein derart unmittelbares Feedback gibt – positiv wie auch negativ. Menschen, die das ›Berater-Gen‹ besitzen, wissen das sehr zu schätzen, denn sie wollen sich permanent verbessern und Dinge vorantreiben.“
Unmittelbarer Nutzen
Das Problem des Fachkräftemangels hat aus der Sicht von proALPHA nicht nur eine interne Dimension. Es geht auch darum, die Kunden, die mit denselben Herausforderungen konfrontiert sind, bestmöglich zu unterstützen. „Unternehmen differenzieren sich vom Mitbewerb zunehmend über die Digitalisierung – oder auch nicht. Digitalisierung bedeutet nicht nur neue Schnittstellen, sondern auch neue Geschäftsmodelle. Die Frage ist also: Wie schaffe ich es als Hersteller, dass die Kunden ihre Digitalisierungsprojekte optimal umsetzen können?“ Helmut Reich beschreibt einen Mix aus unterschiedlichsten Tools und Vorgehensweisen, die dazu dienen, die Unternehmen zu entlasten, wobei der rote Faden klar zu erkennen ist: Es geht jeweils um den unmittelbaren Kundennutzen – und nicht darum, eine Technologie voranzutreiben, weil sie cool ist.
„Unsere Unterstützung beginnt beim Thema Application Management. Das heißt, dass wir auf Basis von definierten Service-Levels einen Teil der Kundenprozesse übernehmen können, wenn die IT-Abteilung etwa unter einem Engpass leidet.“
Stichwort Cloud: „Die Vorteile liegen auf der Hand. Ich komme in den Genuss des jeweils aktuellsten Softwarestandes, ich profitiere von der Skalierbarkeit sowie der unmittelbaren Verfügbarkeit von Innovation und vieles mehr. Wir zwingen jedoch niemanden, in die Cloud zu gehen, wie andere Hersteller. Aus heutiger Sicht ist die Zukunft eindeutig hybrid. Daher gibt es von uns ein klares Commitment in Richtung on-premises, solange dafür ein Bedarf besteht. Man darf nicht vergessen, dass gerade der Mittelstand in der DACH-Region mit seiner Flexibilität punktet und auf Veränderungen rasch reagiert. Das wiederum setzt einen hohen Grad an Individualisierung voraus, die wir in unserem ERP-System spiegeln können. Nach meiner Erfahrung zählt die Regel: Je näher am Kunden – wie etwa der Maschinen- und Anlagenbau oder der Großhandel –, desto größer der Wunsch nach Individualisierung. Wir bieten natürlich auch Private und Public Cloud an. Zweiteres ist ideal dafür, Zusatzfunktionalitäten zu adressieren, wie etwa unser Supplier Relationship Management.“
Als Zugang zur hybriden Cloud-Welt hat der Spezialist für die Fertigungsindustrie und den Handel proALPHA ray positioniert. Die Lösung ermöglicht den flexiblen orts- und zeitunabhängigen Einsatz der ERP-Lösung im Webbrowser. So soll sie schnelle und reibungslose Release-Updates, aber auch die problemlose Weiterverwendung bestehender proALPHA Business-Prozesse garantieren. Darüber hinaus zeigt proALPHA ray Wege zur cleveren Integration weiterer Cloud-Services auf.
Mustererkennung à la carte
Der ERP-Spezialist hat außerdem vor kurzem mit proALPHA Extensibility ein Tool herausgebracht, das die Lücke zwischen Standardfunktionalität und individuellen Geschäftsanforderungen schließen soll. Eine interne Evaluation aller Kundenprojekte hat ergeben, dass insbesondere die individuellen Datenfelder sowie Funktionsautomatisierungen Herausforderungen darstellen. Zudem ließ sich das User-Interface bislang nur mit Programmieraufwand auf die spezifischen Benutzeranforderungen anpassen. Um insbesondere mittelständischen Anwendern Erweiterungen speziell in diesen beiden Bereichen zu erleichtern, hat proALPHA das Zusatztool Extensibility entwickelt. Zu den Stärken gehöre laut Reich etwa die Möglichkeit, dank des Low Code-/No Code-Ansatzes nicht-invasive Erweiterungen aufzusetzen. Dies wiederum reduziere den Update- und Wartungsaufwand und entlaste damit die IT-Abteilung.
Eine weitere Technologie, die unmittelbar einsetzbar ist und einen sehr schnellen Nutzen beim Kunden bringt, ist künstliche Intelligenz, die proALPHA beispielsweise in der Analytics-as-a-Service-Plattform NEMO umgesetzt hat. Reich skizziert die Evolution der Software-basierten Intelligenz im Unternehmen: „Um bessere Entscheidungen treffen zu können, hat man früher einfache Auswertungen gemacht. Dann kam das Thema Business Intelligence hinzu, basierend auf Analysen, die aber immer vergangenheitsbezogen sind. Mit künstlicher Intelligenz ist es nun möglich, in den riesigen Datenmengen – wir sprechen oft von Terabyte – Abhängigkeiten und Muster zu erkennen, woraus Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Zudem bieten wir vordefinierte Use Cases, wie etwa bei den Themen Wiederbeschaffungszeit und Sicherheitsbestände. Habe ich den optimalen Sicherheitsbestand mit der entsprechenden Wiederbeschaffungszeit, bestelle ich die richtige Menge zur richtigen Zeit. Von anonymisierten Auswertungen bei Kunden wissen wir, dass diese Daten in vielen Unternehmen umständlich manuell gepflegt werden – dazu oft noch falsch. Die Folge: Die menschliche Intelligenz übersteuert sehr gerne. Anders die KI: Sie trifft insbesondere bei großen Datenmengen zweifelsohne die besseren Entscheidungen.“
Als weiteren Use Case nennt Reich optimale Verbrauchsprognosen: „Man kann die Verbräuche analysieren und mit diversen Faktoren kombinieren, um daraus verlässliche Prognosen zu erstellen. Davon hängen wiederum die Produktions- und Absatzplanung ab. Mit diesen vordefinierten Use Cases können wir beim Kunden sehr pragmatisch vorgehen: Wir bekommen von ihm die Daten, anonymisieren sie und lassen sie in der Cloud analysieren, was angesichts der großen Datenmenge auch notwendig ist. Das System erkennt Muster und gibt Handlungsgempfehlungen ab.“
Der Österreich-Chef kommt auf das Thema Process Mining zu sprechen, bei dem die KI Unternehmen hilft, die kompletten Geschäftsprozesse end-to-end zu visualisieren und Abweichungen beziehungsweise „Ausreißer“ zu erkennen. Typisches Beispiel: Ein Prozess läuft in der Praxis ganz anders ab als geplant und umgesetzt. „Um das zu erkennen, brauche ich kein Riesenprojekt, das über ein Jahr läuft. Es ist in wenigen Wochen erledigt. Hier zeigt sich, dass auch neue Technologien, wenn man es richtig angeht, sehr schnell praxistauglich werden und pragmatisch einsetzbar sind.“
Erfolge fortschreiben
Neben NEMO hat proALPHA mit Empolis eine weitere KI-Plattform im Portfolio. „Auch hier geht es immer um konkrete Use Cases, die wir im Mittelstand bereits umgesetzt haben“, so Reich. „Das eine ist Predictive Maintenance, das andere Wissensmanagement innerhalb des Unternehmens. So kann das System bei Anrufen im Fall von Störungen die Art der Beeinträchtigung erkennen und Lösungsvorschläge auf Basis von ähnlichen Problemen liefern. Das bedeutet einen großen Effizienzgewinn, weil dadurch der Service-Prozess deutlich beschleunigt wird. Außerdem werden die Mitarbeitenden entlastet.“ Der Unterschied zwischen NEMO und Empolis bestehe Helmut Reich zufolge in der Datenform und der bevorzugten Datenquelle. Während Empolis stark auf unstrukturierte Daten, wie Word-Dokumenten, E-Mails oder PDF fokussiert, geht NEMO darüber hinaus und integriert strukturierte Daten etwa aus ERP-Systemen oder aus einem MES oder CRM.
Unterm Strich wird deutlich, dass proALPHA mit seinem Kernsystem eine neue Ära betritt. Das Ziel heißt: „smartes ERP“. So überrascht es etwa nicht, dass NEMO ab 1. Januar 2024 fixer Bestandteil aller ERP-Releases sein wird.
Auf die Frage, welche Pläne er für das kommende Jahr hat, antwortet der Managing Director der Österreich-Niederlassung: „In diesem Kalenderjahr sind wir fast 20 Prozent gewachsen, das bedeutet, dass wir die Mannschaft weiter ausbauen. Außerdem wollen wir die Effizienz und die Professionalität im Projektgeschäft weiter verbessern. Es geht einerseits darum, unsere Bestandskunden, die zahlreiche Digitalisierungsprojekte realisieren wollen, optimal zu unterstützen. Andererseits gibt es viele Neukundenanfragen. Die Dynamik im ERP-Markt ist derzeit groß, auch im Mittestand. Wir sind jedenfalls sehr gut aufgestellt und wollen die Erfolge, die wir in der letzten Zeit hatten, im kommenden Jahr fortschreiben“, so Helmut Reich abschließend.
Der Artikel erschien in der Ausgabe transform! 03/2023.
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