Automatisieren mit Dirigent: Prozessorchestrierung sorgt für optimale Abläufe

Geschäftsprozesse bestehen aus komplexen Abläufen und vielen beteiligten Personen und Systemen. Ihre Automatisierung ist keine einfache Aufgabe. Welche Rolle dabei Prozessorchestrierung spielt, erklärt Bernd Rücker, Chief Technologist bei Camunda, in diesem Gastbeitrag. [...]

Bernd Rücker ist Mitgründer und Chief Technologist bei Camunda. (Quelle: Camunda Services GmbH)

Ein wichtiger Erfolg der Digitalisierung ist die Automatisierung von Prozessen. So erzeugen Unternehmen ihre Rechnungen automatisch und versenden sie per E-Mail, beantworten Kundenanfragen mit Chatbots und zeigen den Lageristen Packlisten auf dem Tablet. Aus Kundensicht ist das selbstverständlich, aus Sicht des Unternehmens handelt es sich aber um eine herausfordernde Aufgabe.

Einzelne Schritte in Geschäftsprozessen sind in vielen Fällen recht flott zu automatisieren. Eine große Hürde ist jedoch die Ende-zu-Ende-Automatisierung, bei der ganze Prozessketten automatisch ablaufen. So müssen beispielsweise E-Commerce-Unternehmen hunderte oder sogar Tausende von Bestellungen gleichzeitig abwickeln – bei Amazon sind es sogar Millionen von Bestellungen, die parallel verarbeitet werden. Dabei müssen Warenwirtschafts-, Bezahl- und Versandsysteme und -abteilungen zusammenarbeiten, um einen schnellen und reibungslosen Ablauf zu garantieren.

Solche übergreifenden, untereinander verknüpften Geschäftsprozesse gibt es in Unternehmen nahezu jeder Branche. Jedes Unternehmen hat auch einen gewissen Automatisierungsbedarf, bei großen Unternehmen (über 1.000 Mitarbeitende) ist dieser jedoch am größten, denn sie führen Prozesse umso häufiger aus und können dabei in der Summe viel Zeit und Kosten sparen und das Kundenerlebnis wesentlich verbessern.

Doch bei ihrer End-to-End-Automatisierung stoßen Unternehmen oft auf zwei Hürden: die Komplexität der Prozesse und die Vielfalt der Endpunkte.

Hürden bei der End-to-End-Automatisierung

Zunächst ein Blick auf die Komplexität der Prozesse. Die wenigsten Prozesse bestehen aus einer linearen Abfolge von Schritten, die sehr einfach zu automatisieren wären. Häufig gibt es Verzweigungen, verschiedene Schritte laufen gleichzeitig ab oder der gesamte Prozess stoppt an einem Punkt und wartet auf bestimmte Ereignisse oder Bedingungen – und das sind noch die einfacheren Fälle.

Wenn dynamische, parallel ausgeführte Ausgaben, Nachrichtenkorrelationen oder zeitbasierte Eskalationen hinzukommen, entstehen schnell komplexe Abhängigkeiten und unübersichtliche Prozessstrukturen.

Bei einem Bestellprozess beispielsweise wird eine Reihe an Aufgaben für jeden Artikel für jede einzelne Bestellposition ausgeführt: Verfügbarkeit prüfen, Lieferung planen, Warenlager entsprechend informieren – und das parallel für jede Bestellung. Dabei kann zu jedem Zeitpunkt ein Ereignis dazwischenkommen, das den Gesamtprozess vorzeitig beendet, beispielsweise wenn ein Artikel nicht verfügbar ist oder die Bestellung vom Kunden storniert wird.

Auch die zeitbasierte Eskalation nach dem Rechnungsversand, die nach zehn Tagen eine Erinnerung verschickt, ist ein gutes Beispiel für eine komplexere Aufgabe.

Ein auffälliges Merkmal komplexer Prozesse und gleichzeitig eine zweite Hürde bei der Prozessautomatisierung ist die hohe Vielfalt der Endpunkte. Die Endpunkte sind dafür zuständig, dass die Aufgaben innerhalb eines Prozesses ausgeführt werden. Endpunkte können verschiedene Softwaresysteme – wie beispielsweise Legacy-Systeme, Microservices, Softwareroboter (Robotic Process Automation, RPA), APIs, KI/ML-Tools – sein, aber auch Geräte und Maschinen oder menschliche Akteure, die Aufgaben innerhalb eines Prozesses erledigen.

Zwei Beispiele für Endpunkte im Bestellprozess sind das Mailsystem, das die Bestellbestätigung versendet, aber auch der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin, die die Ware in einen Karton verpackt. Auch wenn es merkwürdig erscheinen mag, einen Mitarbeitenden als Endpunkt zu sehen – aus Prozesssicht ist der Mensch eine mögliche Instanz, die dazu beiträgt, den nächsten nötigen Schritt im Prozess auszuführen.

Kann eine Aufgabe in einem Schritt von einem Menschen (oder einer Maschine) ausgeführt werden, weist das zudem auf eine gut gewählte Granularität der Aufgabe hin.

Prozesse mit einem digitalen Dirigenten orchestrieren

Eine Lösung für die Probleme, die durch komplexe Prozesse mit einer Vielzahl an Endpunkten entstehen, muss also alle Abläufe ganzheitlich koordinieren. Sie muss dabei auch dynamisch parallel ablaufende Tasks, Nachrichten, Korrelationen und Timeouts handhaben. Darüber hinaus sollte sie auch die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Endpunkten managen. Diese Form der Koordination ist die sogenannte Prozessorchestrierung.

Dabei ist es hilfreich, den Begriff Orchestrierung wörtlich zu nehmen. Software für Prozessorchestrierung arbeitet wie ein digitaler Dirigent, der den einzelnen Komponenten komplexer Prozesse den Takt für parallele Abläufe, Abbrüche, Timeouts und vieles mehr angibt.

Für die Integration der Komponenten sorgen Konnektoren. Das sind Schnittstellen für den Datenaustausch zwischen Gesamtprozess und Endpunkten. Ihre Aufgabe ist die Integration von Legacy-Systemen, Microservices und anderen Softwarekomponenten. Vielfach werden diese Konnektoren bei Software für die Prozessorchestrierung mitgeliefert, sie können aber auch selbst programmiert werden.

Prozesse modellieren und kontinuierlich überwachen

Voraussetzung für eine erfolgreiche Prozessorchestrierung sind effizient ablaufende Prozesse. Deshalb müssen Prozesse im ersten Schritt genau definiert werden.

Hilfreich ist hier die sogenannte „Business Process Modeling Notation“ (BPMN), eine grafische Beschreibungssprache, die Geschäftsprozesse und Arbeitsabläufe erfasst. Sie erzeugt ein Flussdiagramm, das alle Prozessschritte und -Abhängigkeiten visualisiert. Gleichzeitig sind BPMN-Diagramme auch Programmcode, da eine moderne Workflow-Engine diese Modelle direkt ausführt. Damit können Unternehmen ihre Prozesse zunächst kollaborativ definieren (und damit automatisch auch dokumentieren), im nächsten Schritt orchestrieren und dann fortlaufend optimieren.

BPMN-Ablaufdiagramme zeigen deutlich, dass selbst scheinbar einfache und auf den ersten Blick geradlinige Prozesse oft komplex sind. Die Abbildung zeigt einen Bestellprozess für einen Online-Shop. Er zeichnet sich durch ein paar recht aufwändige Arbeitsschritte aus.

Beispiel eines Bestellprozesses in BPMN. (Quelle: Camunda Services GmbH)

Bei der Optimierung des Prozesses können folgende Fragen beantwortet werden: Welcher Pfad wird am häufigsten von Prozessinstanzen aufgerufen? Wo liegen die größten Verzögerungen? Bottlenecks und andere Schwachstellen eines Prozesses lassen sich im Rahmen der Prozessorchestrierung besonders gut ermitteln.

Die entsprechende Software bietet die Möglichkeit, alle Prozesse kontinuierlich zu überwachen, sodass Engpässe und andere Leistungsprobleme erkannt werden können. In Prozess-Heatmaps (siehe Abbildung) wird beispielsweise schnell deutlich, an welchen Stellen es zu erhöhter Auslastung oder Engpässen kommt. Dadurch entsteht eine hohe Transparenz in den Prozessen und die Unternehmen können auf dieser Basis leicht entsprechende Verbesserungen vornehmen.

Beispiel einer Prozess-Heatmap. (Quelle: Camunda Services GmbH)

Fazit

Wenn Unternehmen das volle Automatisierungspotenzial ausschöpfen wollen, müssen sie eine Lösung für Prozessorchestrierung mit anderen Technologien kombinieren. Dazu gehören Legacy-Systeme, Microservices, Softwareroboter (Robotic Process Automation, RPA), APIs, KI/ML-Tools, IoT-Geräte und vieles mehr. Die Orchestrierungslösung koordiniert alle Endpunkte, gibt wie ein Dirigent den Takt an und ermöglicht somit die effiziente Automatisierung aller Prozesse.

* Bernd Rücker ist Mitgründer und Chief Technologist von Camunda, einem Anbieter von Software zur Prozessorchestrierung. Als passionierter Softwareentwickler hat er die Prozessautomatisierung von Unternehmen wie Allianz, Deutsche Bahn oder Deutsche Telekom unterstützt. Rücker ist zudem der Autor von „Practical Process Automation“ und Co-Autor des „Praxishandbuch BPMN“.


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