Begabung ist nicht angeboren, sondern muss gefördert werden

Mit der alten, aber noch immer vorherrschenden Vorstellung von der angeborenen Begabung räumte der Schweizer Begabungsforscher Willi Stadelmann in seinem Vortrag vor etwa 400 Lehrerinnen und Lehrern gestern im Stadttheater Wiener Neustadt ordentlich auf. Wichtig sei vor allem Förderung, so der Experte. [...]

Hirnforscher Willi Stadelmann: "Soziale Faktoren wirken wesentlich auf unsere Erbanlagen ein."
Hirnforscher Willi Stadelmann: "Soziale Faktoren wirken wesentlich auf unsere Erbanlagen ein." (c) PH NÖ/Fikisz

„Begabung ist ein heimtückisches Wort, weil es das Wort „Gabe“ enthält, im Sinne von wunderbar, wenn man begabt geboren wurde. Wenn ich diese Gabe aber nicht mitbringe, habe ich Pech gehabt. Das stimmt so nicht!“, betont Stadelmann und erklärt anhand messbarer Hirnentwicklung, dass nachweislich nur ein kleiner Teil von Begabung angeboren ist. „Der Mensch muss quasi alles lernen und er braucht wahnsinnig viel Zeit dazu.“ Erst durch nachhaltiges Lernen werde das Gehirn verändert, so der Hirnforscher. Jeder neue erfolgreiche Lernprozess verändere die Feinstrukturen des Gehirnes. Noch wissenschaftlicher ausgedrückt: Die so genannten Dendriten – verzweigte Nervenzellen – verknüpfen sich durch das Lernen.

Frühe Förderung bestimmt Intelligenz und Begabung

Das gehe zwar bei jungen Menschen schneller, aber funktioniere auch noch bei 80-Jährigen, betont der ehemalige Rektor der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz. Das neuronale Netzwerk sei nicht von Geburt an da, sondern müsse zuerst entwickelt werden. Je dichter dieses Netzwerk schließlich sei, desto mehr neues könne an bisherigem angedockt und gelernt werden. Dementsprechend wichtig sei es, diesen Vorgang von den ersten Lebenstagen an zu fördern. Aber bitte „Frühförderung, nicht Frühstressung“, betont Stadelmann.

„Geburtspotentiale“ müssen gehoben werden

Natürlich spiele im Hinblick auf Begabung auch die Genetik eine Rolle, „aber soziale Faktoren wirken wesentlich auf unsere Erbanlagen ein“, so der Neurowissenschafter. Im Erbgut gebe es so genannte epigenetisch gesetzte „Schalter“, die bestimmen, ob Erbfaktoren an- oder abgeschaltet werden. Erbanlagen seien also zwar die „Geburtspotenziale“ bzw. Entwicklungsmöglichkeiten oder individuelle Leistungsvoraussetzungen des Menschen bei der Geburt. Wie sie epigenetisch verändert werden und was realisiert werden kann, sei aber der sozialen Umwelt zuzuschreiben. Der Umwelteinfluss sei viel größer als bisher angenommen. Stadelmanns einfaches Fazit aus diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen: „Fördern, fördern, fördern!“

Heuras: „Achten wir auf die vielen Talente!“

Bildungsdirektor Johann Heuras bringt diese Erkenntnisse in seinen Grußworten mit dem Thema Schifahren in Verbindung: Die landläufige Meinung sei, Österreich ist als „Schifahrernation Nummer eins“ die Heimat der begabtesten Schifahrer, so Heuras. Er glaube aber, dass andere Nationen ebenso begabte Schifahrer hervorbringen können, wenn die Talente nur ebenso gefördert würden, wie dies in Österreich im Schisport geschehe. Sein humorvoller Umkehrschluss: „Würden wir auch andere Begabungen so wie das Schifahren fördern, wären wir vielleicht auch woanders Weltmeister“. Sein Aufruf an die Lehrerinnen und Lehrer im Saal: „Achten wir auf das Begabungspotential und die vielen Talente, die in unseren Kindern schlummern. Kümmern wir uns um sie, um dieses wichtige Potential nicht zu verlieren!“

Begabungsförderung als Menschenrecht

PH NÖ-Vizerektor Norbert Kraker hält Begabungsförderung sogar für ein Menschenrecht: „Die Kinder haben ein Anrecht darauf, dass ihre Talente nicht verkümmern!“ Vor 40 Jahren habe sich noch niemand für Begabungsförderung interessiert, vor 20 Jahren seien erste Vereine entstanden, die Begabungsförderung thematisierten, jetzt habe das Thema endlich auch im Schulwesen Fuß gefasst.“ 

Der Wiener Neustädter Begabungszyklus

Der Vortragsabend mit dem Neurowissenschafter Willi Stadelmann war bereits der dritte Teil des sogenannten „Begabungszyklus“, einer Veranstaltungsreihe der Pädagogischen Hochschule, der Bildungsdirektion Niederösterreich und der Stadtgemeinde Wiener Neustadt, die sich dem Thema Hochbegabung, Begabten- und Begabungsförderung widmet. In den Vorjahren waren bereits Markus Hengstschläger und Aljoscha Neubauer zu Gast. Die Organisatoren planen auch für das kommende Jahr wieder einen Vortrag. Termin und Referent stehe noch nicht fest.

Die Pädagogische Hochschule bietet übrigens zum Thema Begabungsförderung zwei Hochschullehrgänge zur Begabungs- und Begabtenförderung „Certificate in Gifted Education“ im Ausmaß von 15 ECTS (Zertifikat) bzw. 30 ECTS (Diplom) an. Unter Bezug auf die Ziele des European Council für High Ability (ECHA) bieten die Hochschullehrgänge eine Zusatzausbildung für Lehrpersonen, die diese in die Lage versetzen soll, (hoch)begabten Kindern und Jugendlichen in der Schule einen „Unterricht nach Maß“ anzubieten.

Weitere Informationen finden Interessierte und www.ph-noe.ac.at/de/weiterbildung/hochschullehrgaenge/hochschullehrgaenge-uebersicht.html.


Mehr Artikel

Rüdiger Linhart, Vorsitzender der Berufsgruppe IT der Fachgruppe UBIT Wien. (c) WeinwurmFotografie
Interview

IT-Berufe im Fokus: Innovative Lösungen gegen den Fachkräftemangel

Angesichts des anhaltenden IT-Fachkräftemangels ist schnelles Handeln gefordert. Die Fachgruppe IT der UBIT Wien setzt in einer Kampagne genau hier an: Mit einem breiten Ansatz soll das vielfältige Berufsbild attraktiver gemacht und innovative Ausbildungswege aufgezeigt werden. IT WELT.at hat dazu mit Rüdiger Linhart, Vorsitzender der Berufsgruppe IT der Fachgruppe UBIT Wien, ein Interview geführt. […]

News

ISO/IEC 27001 erhöht Informationssicherheit bei 81 Prozent der zertifizierten Unternehmen

Eine Umfrage unter 200 Personen verschiedener Branchen und Unternehmensgrößen in Österreich hat erstmals abgefragt, inwiefern der internationale Standard für Informationssicherheits-Managementsysteme (ISO/IEC 27001) bei der Bewältigung von Security-Problemen in der Praxis unterstützt. Ergebnis: Rund 81 Prozent der zertifizierten Unternehmen gaben an, dass sich durch die ISO/IEC 27001 die Informationssicherheit in ihrem Unternehmen erhöht hat. […]

News

Public Key Infrastructure: Best Practices für einen erfolgreichen Zertifikats-Widerruf

Um die Sicherheit ihrer Public Key Infrastructure (PKI) aufrecht zu erhalten, müssen PKI-Teams, sobald bei einer Zertifizierungsstelle eine Sicherheitslücke entdeckt worden ist, sämtliche betroffenen Zertifikate widerrufen. Ein wichtiger Vorgang, der zwar nicht regelmäßig, aber doch so häufig auftritt, dass es sich lohnt, PKI-Teams einige Best Practices für einen effektiven und effizienten Zertifikatswiderruf an die Hand zu geben. […]

News

UBIT Security-Talk: Cyberkriminalität wächst unaufhaltsam

Jedes Unternehmen, das IT-Systeme nutzt, ist potenziell gefährdet Opfer von Cyberkriminalität zu werden, denn die Bedrohung und die Anzahl der Hackerangriffe in Österreich nimmt stetig zu. Die Experts Group IT-Security der Wirtschaftskammer Salzburg lädt am 11. November 2024 zum „UBIT Security-Talk Cyber Defense“ ein, um Unternehmen in Salzburg zu unterstützen, sich besser gegen diese Bedrohungen zu wappnen. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*