Big Data in Österreich: Status Quo und Zukunft – Teil 2

Wie sieht es mit Big Data in Österreich aktuell aus? Welche Vorzeigeprojekte und innovativen Anwender gibt es hierzulande? Was könnte sich in diesem Bereich in den nächsten fünf Jahren ändern? Computerwelt.at hat bei 24 Experten nachgefragt. Hier finden Sie den zweiten Schwung an Antworten der Umfrageteilnehmer. [...]

Erich Gatterer, Solution Sales Production Excellence bei Tieto Austria

Wie sieht die Big Data/Analytics-Nutzung am heimischen Markt aus und welche Vorzeigeprojekte oder innovative Anwender gibt es in diesem Bereich?

90 Prozent aller Daten wurden alleine in den letzten Jahren weltweit gesammelt. Der Bedarf,diese zu bündeln, zu
organisieren und einen Nutzen daraus zu ziehen, ist hoch – diese Anforderung stellen auch unsere Kunden. Die Daten werden erfasst, automatisiert kodiert und in Datenbanken gespeichert, um sie anschließend zu einfachen Analysen und Auswertungen heranzuziehen. Mit Big Data lassen sich in Zukunft Prognosen leichter erstellen (Modellierung) und Resultate optimieren (Simulation/Optimierung). Dieser Trend zeichnet sich am heimischen wie auch am internationalen Markt ab. Bereits seit 2010 beschäftigen wir uns bei Tieto mit diesem Thema und haben einige Projekte im Bereich Manufacturing erfolgreich umgesetzt.

Wie könnte der Big Data/Analytics-Alltag in fünf Jahren im Vergleich zu heute aussehen und welche Möglichkeiten wird es für Unternehmen und Anwender geben?

Die Zielgenauigkeit der Produktionsplanung nimmt einen zentralen Stellenwert in der Unternehmensführung ein. Dies ist auf die detailreichen Planungsprozesse, die durch enormen Kostendruck auf Kundenseite entstehen, zurückzuführen. Komplexe, holistische Simulationen und Optimierungen werden zwingend den Arbeitsprozess beeinflussen. Hierbei spielen die zielgerichtete Aufbereitung der Daten für den Benutzer und Unterstützung bei der Entscheidungsfindung eine wesentliche Rolle. In diesem Bereich setzen wir verstärkt auf „Machine Learning“-Komponenten, die automatisiert die Relevanz von Informationen ableiten. Um diese Art von Systemen zu erforschen und zu entwickeln, arbeiten wir intensiv mit der Technischen Universität Wien zusammen.

Franz Unterluggauer, Leiter des Cluster IT in der Standortagentur Tirol

Wie sieht die Big Data/Analytics-Nutzung am heimischen Markt aus und welche Vorzeigeprojekte oder innovative Anwender gibt es in diesem Bereich?

Das Datenaufkommen in der Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Neue Services aus der Cloud, Netzausbau für Breitbandinternet, mobile Devices und nicht zuletzt die Kommunikation über Social Media haben den Markt grundlegend verändert. Eine Studie des IEEE aus 2012 zeigte Hochrechnungen, dass die benötigte Bandbreite für 2015 rund zehn Mal so hoch sei wie noch 2010 – der Datenverkehr verdopple sich in den nächsten Jahren alle zwei Jahre.
Unternehmen aller Branchen müssen sich heute also die Frage stellen, mit welchen Daten sie hantieren, welche Informationen in ihnen stecken und bei wem Nutzungs- und Verwertungsrechte liegen. Denken Sie etwa an Dienstleister im Bankensektor: Abermillionen von Transaktionen liefern Informationen über Kunden, selbst wenn diese anonymisiert sind. Oder an Anbieter von IT-Sicherheitssystemen, die Anwendungsmuster der von ihnen gesicherten Systeme, welche vom Standard abweichen, erkennen müssen, denn es könnten potentielle Angriffe sein. Unternehmen wie Barracuda, AV-Comparatives und eSec aus Tirol sind hier international führende Hersteller und Dienstleister. Angebote von touristischen App-Services geben wiederum Feedback über Ort, Zeit, Häufigkeit und Eigenschaften von einzelnen Nutzergruppen, um darauf aufbauend personalisiert und dynamische Angebote für Familien, Singles oder für Party-Wochenenden zu zeigen.
Gleichzeitig bringt Predictive Analytics enorme Vorteile bei der Wartung und Instandhaltung von großen Maschinen: solche Prognosen sind nur durch strukturierte Auswertung von großen (Kunden-)Anwendungsdaten und beispielsweise verschnitten mit Wetterdaten möglich. Auch hier haben wir etwa mit TechnoAlpin, Sufag und der Leitner Gruppe führende Tiroler Unternehmen. Auch Analysen von Öffentlichen Verwaltungsdaten (OGD) und neuartigen Möglichkeiten von Gegenüberstellungen fördern oft überraschende Erkenntnisse und Zusammenhänge zu Tage. Die Visualisierung von Social Media Traffic oder Business Intelligence in der Produktion ist ein weiteres Handlungsfeld, wo Tiroler Unternehmen wie visalyze oder pitagora aus „dummen Daten“ durch intelligente Algorithmen Wertschöpfung und Steuerungsmethoden ableiten können. Sozusagen: Die Spiele haben gerade erst begonnen!

Wie könnte der Big Data/Analytics-Alltag in fünf Jahren im Vergleich zu heute aussehen und welche Möglichkeiten wird es für Unternehmen und Anwender geben?

Zum einen scheint das Datenaufkommen schneller zu wachsen als es unser Rechtssystem zu regulieren vermag – zu einem einheitlichen Europäischen Rechtsrahmen ist es noch ein weiter Weg. Asien und die USA unterscheiden sich beim Verständnis von Privatsphäre und Datenschutz ohnehin wesentlich von Europa. Auf der Basis der höheren europäischen Standards würden sich durchaus innovative Geschäftsmodelle entwickeln und Wettbewerbsvorteile herstellen lassen. Dazu muss der Nutzen dieser Standards für den Kunden klar kommuniziert werden.
Zum anderen erfordert die immer stärkere Vernetzung leistungsstärkere Datenspeicher, auch weil in der Datenanalyse beschränkte Zugriffszeiten und Speichervolumen Kosten verursachen. Konventionelle Verfahren werden durch schnellere – z.B. In-Memory-Technologien abgelöst werden. Dadurch werden Echtzeitanalysen etwa von Sportgroßveranstaltungen möglich.
Generell wird das Datenvolumen in allen Branchen deutlich wachsen, nicht nur in den bisher von der IT getriebenen Wirtschaftszweigen. Die Verknüpfung von strukturierten mit unstrukturierten Daten sowie die unkomplizierte Nutzbarmachung rein unstrukturierter Daten stellt dabei eine zentrale Herausforderung dar. Ist diese Aufgabe genommen, können beispielsweise mit den Informationen über Mieter und Kundenfrequenz Immobilien wie Business-Parks oder große Büro- und Verwaltungskomplexe besser ausgelastet werden. Die Preisbildung etwa in der Hotellerie oder bei den Schitickets werden nicht mehr statisch bestimmt, sondern aus verschiedenen Inputsystemen dynamisch errechnet werden. Durch die genaue Kenntnis von medizinischen Verläufen und Parametern werden personalisierte Medizin und Therapie möglich.
Das Sammeln und die Interpretation von Kundendaten werden sich weiter professionalisieren. Dadurch werden Produkt und Kunde noch effizienter zueinander finden und neue Produkte, die dem Kundenwunsch noch genauer entsprechen, entwickelt werden. Neben diesen technischen Möglichkeiten werden der Umgang mit den gesammelten Daten und der Respekt vor der Datenhoheit Dritter wesentlich über den Erfolg eines Unternehmens entscheiden. Wer „fremde“ Daten unrechtmäßig nutzt, verspielt das Vertrauen seiner Kunden. Durch die rechtskonforme Nutzung erfahren die Vernetzung und Analyse von Daten eine neue Qualitätsebene.

Axel Quitt, Big Data Experte bei T-Systems Austria

Wie sieht die Big Data/Analytics-Nutzung am heimischen Markt aus und welche Vorzeigeprojekte oder innovative Anwender gibt es in diesem Bereich?

Disruptiv gesprochen wandelt sich der heimische Analytics-Markt gerade in einen stark aus Anwendersicht definierten. Analytics-Lösungen werden weltweit aus Cloud Environments bereitgestellt. Von Anwenderseite stellen sich uns immer mehr Aufgaben für Analysen aus dem textuellen, Audio- und Videobereich. Die Anwender werden nach den ersten Experimenten immer kreativer und wagen sich an größere Aufgabenstellungen. Vorreiter sind einerseits noch immer die Forschungsinstitute im Bereich der Visualisierung, aber auch in die sogenannten „alltäglichen“ Bereiche, wie z.B. die Wettervorhersagen. Andererseits gibt es im industriellen Bereich mittlerweile eine sehr gut etablierte Big Data Szene. Diese profitiert vom Herüberschwappen interessanter Big Data Anwendungen aus Deutschland, wie z.B. im Zusammenhang mit Connected Car. Gerade österreichische Mittelbetriebe können hier in einigen Spezialthemen punkten, obwohl ursprünglich der Mittelstand eine gewisse Anlaufzeit im Big Data Umfeld gebraucht hat.

Wie könnte der Big Data/Analytics-Alltag in fünf Jahren im Vergleich zu heute aussehen und welche Möglichkeiten wird es für Unternehmen und Anwender geben?

Es bleibt kein Stein am anderen. Eine lineare Extrapolation wird hier keinesfalls zutreffen. Große Veränderungen stehen an und werden den Markt durchdringen, wie z.B. Open Data Initiativen und Multi – Cloud Services. Hier liegen spannende Forschungsprojekte auf Kiel, die in absehbarer Zeit die gesamte Branche verändern werden. Können viele Organisationen heute noch mit dem Begriff IoT (Internet of Things) wenig anfangen, wird dies in fünf Jahren zur Selbstverständlichkeit geworden sein. Diese Datenquellen und einen massive Customerisierung von Analytics-Fähigkeiten werden vor allem dem Endkunden bzw. Konsumenten in die Hände spielen. Diktieren heute noch Unternehmen, die das Kundenverhalten aufgrund von Suchen, Abfragen und Kauftransaktionen vorhersagen wollen und können, werden ähnliche analytischen Kapazitäten dem Konsumenten zur Verfügung stehen. Mit etwas Glück führt dies auch zu einer Humanisierung der Arbeitswelt, da Entscheidungen aufgrund transparenter Daten und vorhandener Analytik einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Ähnliches ist auch in Bezug auf die öffentliche Verwaltung zu erwarten.

Teil 1 unserer großen österreichischen Big-Data-Umfrage finden Sie hier. (aw/rnf)


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