Boschs IoT-Strategie der 3S

Um Lösungen für das vernetzte Leben zu entwickeln, setzt Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH, auf eine 3S-Strategie: Sensoren, Software und Services. [...]

Lichtmaschinen, Zündkerzen, Elektrowerkzeug – für diese und ähnliche Produkte ist die schwäbische Bosch-Gruppe mit der Robert Bosch GmbH und ihren rund 450 Tochter- und Regionalgesellschaften in der Öffentlichkeit bestens bekannt. Allerdings deckt sich diese Wahrnehmung nicht mehr unbedingt mit der Realität, denn die Bosch Gruppe zählt zu den Unternehmen, die sich erfolgreich den Herausforderungen der digitalen Transformation gestellt haben.
3S-Strategie: Sensoren, Software, Services
Innerhalb weniger Jahre hat sich die Gruppe zu einem der führenden Anbieter in Sachen Internet of Things (IoT) mit Lösungen für Smart Home, Smart City, Connected Mobility und Industrie 4.0 entwickelt. Hinzu kommt eine eigene IoT-Cloud, die das Unternehmen in die Lage versetzt, Connected Service zu betrieben und zu vermarkten. Strategisches Ziel der Bosch Gruppe sind mittlerweile Lösungen für das vernetzte Leben. Glaubt man dem Marktforschungsunternehmen Gartner werden bis 2020 alleine 250 Millionen Connected Cars auf den Straßen dieser Welt unterwegs sein. Um Lösungen für das vernetzte Leben zu entwickeln, setzt Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH, auf eine 3S-Strategie: Sensoren, Software und Services.
KI für alle Produkte
Wie erfolgreich die Company bei der Umsetzung ihrer Strategie war, zeigt ein Blick auf das Produktportfolio: Bereits heute sind 50 Prozent der Produkte, wie es heißt, webenabled. 2020 soll diese Quote bei 100 Prozent liegen. Und Denner hat schon das nächste ehrgeizige Ziel vor Augen: „Schon in zehn Jahren sind Bosch-Produkte ohne Künstliche Intelligenz kaum mehr denkbar. Sie besitzen sie oder werden mit ihrer Hilfe hergestellt.“ Ein Ziel das sich Bosch durch aus etwas kosten lässt. Bis 2021 will das Unternehmen 300 Millionen Euro in den Ausbau seiner KI-Kompetenz investieren. Und erst kürzlich ging das Bosch Center for Artifical Intelligence an den Start.
Wie wichtig das Thema KI für die Schwaben ist, unterstreicht ein anderes Beispiel. Gemeinsam mit Nvidia hat Bosch einen KI-Autocomputer entwickelt. Dahinter verbirgt sich die Erkenntnis, dass das Autonome Fahren zu komplex ist, um es in Softwareprogrammen abzubilden – das Fahrzeug muss also selbst lernen. Bosch-Chef Denner verdeutlicht das an einem Beispiel: Eine Kreuzung und der Abbiegevorgang eines vorausfahrenden Autos sind laut Denner für einen Computer eine komplizierte Verkehrssituation. Zu kompliziert, um den Fahrweg eines automatisiert fahrenden Autos mit herkömmlichen Methoden zu programmieren. Künstliche Intelligenz – speziell deep learning – ermöglicht es dem Fahrzeug nicht nur, beispielsweise ein vorausfahrendes, blinkendes Auto zu erkennen, sondern dies auch als wahrscheinlich anstehenden Abbiegevorgang zu interpretieren und darauf zu reagieren – entweder durch bremsen oder durch umfahren. Ähnlich verhält es sich, so der Bosch-Chef weiter, bei ganz vielen anderen Verkehrssituationen auch.
Und die Datenmengen werden in den nächsten Jahren noch explodieren, wenn die Fahrzeuge vom teilautomatisierten Fahren zum vollautonomen Betrieb weiterentwickelt werden. Heute, so die Experten, entsprächen die verbauten Assistenzsysteme dem Automatisierungs-Level 2 plus. Bei der nächsten Stufe, Level 3, heiße es dann „hands and eyes off“, im Level 5 zusätzlich „mind off“. Ganz auf den Fahrer kann dann im Level 5 beim vollautonomen Fahren verzichtet werden. Die Branche rechnet noch 2017 mit ersten Level-3-Fahrzeugen und bis Ende 2018 mit Level-4-Modellen. Bereits bei der nächsten Automatisierungsstufe Level 3 werde die fünffache Datenmenge anfallen. Im Level 4 steige das Volumen um das Fünfzigfache. Beim vollautonomen Fahren, also Level 5, seien im Auto dann 4.000 GB an Daten pro Tag zu verarbeiten.
Connected Services Car
Angesichts dieser Datenmengen ist man bei Bosch davon überzeugt, dass die Datenverarbeitung onboard erfolgen müsse, da selbst die Kapazität der neuen 5G-Netze nicht ausreiche. Zumal man die Übertragungskapazitäten gerne für andere Dinge nutzen will – die Connected Car Services. Hierzu hat Bosch mit der Automotive Cloud Suite eine neue Plattform für Mobilitätsdienste ins Leben gerufen. Die Automotive Cloud Suite umfasst eine Software-Plattform sowie einen umfangreichen Baukasten, womit Fahrzeughersteller und andere Anbieter von Mobilitätsservices Dienste aller Art entwickeln können. Die Automotive Cloud Suite basiert auf der Bosch IoT Suite und ist als technologische Basis für Services und Dienste rund um vernetzte Autos gedacht. Dazu stellen die Schwaben in der Automotive Cloud Suite einzelne Software-Bausteine wie etwa ein digitales Fahrtenbuch oder Lösungen zur Umsetzung von Software-Updates zur Verfügung.
Allerdings realisiert Bosch über die Automotive Cloud Suite nicht nur Kunden-Services, sondern will die Plattform auch für eigene Dienste nutzen. Wo die Reise hingehen könnte, demonstrierte das Unternehmen auf der Connected World 2017 mit einem Jaguar F-Pace. Und dabei handelt es sich nicht um Zukunftsmusik. Glaubt man Dirk Hoheisel, Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH, könnten folgende fünf Services bald in realen Alltagsfahrzeugen zu finden sein:
  • Falschfahrerwarnung: Allein in Deutschland werden im Radio jedes Jahr rund 2.000 Warnungen vor Falschfahrern gesendet. Meist erfolgt diese Warnung aber zu spät, denn jede dritte Geisterfahrt endet bereits nach 500 Metern – im schlimmsten Fall tödlich. Die cloudbasierte Falschfahrerwarnung von Bosch soll Autofahrer künftig schon nach gut zehn Sekunden warnen und zwar nicht nur den Falschfahrer, sondern alle entgegenkommenden Autos.
  • Vorausschauende Diagnose: Nichts ist ärgerlicher als eine Autopanne auf der Fahrt in den Urlaub. Die vorausschauende Diagnose verhindert einen plötzlichen Ausfall des Fahrzeugs. Der Zustand wichtiger Komponenten kann während regulärer Fahrten anhand von Daten analysiert und vorhergesagt werden. Rechtzeitig vor Auftreten eines Defekts erhält der Fahrer einen Hinweis und einen Vorschlag für den nächsten Werkstattbesuch.
  • Community-based Parking: Parken soll mit diesem Service zu einer Partnerschaft werden. Im Vorbeifahren erkennen und vermessen Autos mit ihren On-Board-Sensoren Lücken zwischen parkenden Fahrzeugen am Straßenrand. Die Informationen fließen in eine digitale Parkplatzkarte. Mit Hilfe intelligenter Datenverarbeitung plausibilisiert Bosch die Informationen und trifft eine Vorhersage zur Parkplatzsituation. Autos in der Nähe steht die Parkplatzkarte über die Cloud zur Verfügung. So können Autofahrer Parklücken zeitsparend und ohne Umwege gezielt ansteuern.
  • Personal Assistant: Der Traum vom eigenen Assistenten wird wahr. Mit diesem Bosch-Service können Autofahrer während der Fahrt komfortabel per Sprache Termine managen, verschiedene Informationen abfragen, das Smart Home steuern und vieles mehr. Der Assistent lernt dabei, wie es heißt, mit der Zeit die Vorlieben des Nutzers zu erkennen.
  • Secure Truck Parking: Noch mehr Services lassen sich in der IoT-Welt realisieren, wenn unterschiedliche Unternehmen gemeinsam Lösungen entwickeln. Dabei kann sich Bosch-Chef Denner in bestimmten Bereichen selbst eine Zusammenarbeit mit Konkurrenten vorstellen. Ein Beispiel dafür ist die Anwendung Secure Truck Parking. Da an deutschen Autobahnen etwa 14.000 LKW-Stellplätze fehlen hat Bosch gemeinsam mit SAP und Dritten diese Parkplatzlösung entwickelt. Die Idee dahinter: Warum werden nicht die Stellplätze auf Firmengeländen nach Betriebsschluss LKW-Parkplätze genutzt. Die Fahrer könnten sicher vor Überfällen schlafen und die Firmen hätte eine zusätzliche Einnahmequelle für ihre Stellplätze. Die hierzu erforderliche Buchungsplattform über die die Trucker einen Parkplatz reservieren können, läuft in der Bosch IoT Cloud. Für die Anbindung der zahlreichen Schrankensysteme auf den Parkplätzen greift die IoT Cloud auf die Lösung SAP Vehicles Network zurück. Hierbei handelt es sich um einen Marktplatz für fahrzeugnahe Dienstleistungen wie etwa Parken und Tanken. Das SAP Vehicles Network basiert auf der Cloud-Plattform SAP HANA und ermöglicht unter anderem die Videoerkennung der LKW-Nummernschilder bei Einfahrt und Ausfahrt und den Abgleich mit den Buchungsdaten in der Bosch IoT Cloud.

Die digitale Fabrik

Auf anderen Gebieten arbeitet Bosch etwa mit GE zusammen, obwohl man in Konkurrenz zueinander steht. So entwickeln beide Unternehmen an einen zentralen IoT-Stack. So sollen etwa das GE Predix Operating System und die Bosch IoT Suite in eine Plattform integriert werden. Mark Hutchinson, CEO von GE in Europa, rät den Unternehmen, „in Sachen IoT eine gesunde Paranoia zu entwickeln, denn wir hatten gerade fünf Jahre Zeit, um uns auf die Digitalisierung einzustellen, während das Unternehmen seit der Gründung durch Edison 125 Jahre Zeit hatte sich zu entwickeln.“ Doch sowohl bei GE als auch bei Bosch scheint man die Herausforderung gemeistert zu haben. So will Bosch mit seinen IoT-Werkzeugen wie Active Assist in den rund 250 eigenen Werken bis 2020 eine Milliarde Kosten einsparen. Gleichzeitig sollen mit den IoT-Lösungen zusätzlich eine Milliarde an Umsatz generiert werden. In Deutschland hat Bosch beispielsweise in 11 Werken 5.000 Maschinen miteinander vernetzt. Mit Hilfe der so gewonnen Daten sollen die Produktionsparameter optimiert werden. Das Ergebnis: Eine um 25 Prozent höhere Produktivität.

* Jürgen Hill ist Teamleiter Technologie bei der Computerwoche.

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