TÜV SÜD: Wie Low-Code Industrieanlagen sicherer macht

Für Prüfungs- und Zertifizierungsprozesse sind digitale Anwendungen unerlässlich. Daher setzt TÜV SÜD zur Anwendungsentwicklung neben klassischen Programmiersprachen auch High-Performance-Low-Code von OutSystems ein. [...]

Michal Tvarozek, Enterprise Architekt bei TÜV SÜD. (c) TÜV SÜD
Michal Tvarozek, Enterprise Architekt bei TÜV SÜD. (c) TÜV SÜD

Maschinen prüfen und verifizieren, um damit Kunden zu helfen die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen – das ist die tägliche Aufgabe in den weltweit über 1.000 Standorten von TÜV SÜD. Der Zertifizierungsdienstleister unterstützt viele seiner Arbeitsabläufe durch Softwareanwendungen. Die Entwicklung dieser Programme kann langwierig und kostenintensiv sein. Daher setzt das Unternehmen auch auf High-Performance-Low-Code und kann so leistungsstarke Anwendungen schneller und wirtschaftlicher erstellen.

Mit Visualisierungen, Modellen und KI-Tools entwickeln

Low-Code bietet Entwicklern die Möglichkeit, sowohl auf fertige Komponenten zuzugreifen und diese nach Wunsch unterschiedlich miteinander zu kombinieren und anzupassen als auch ganz neue Komponenten zu entwickeln. Der Entwicklungsprozess selbst findet innerhalb einer visuellen, modellgetriebenen Umgebung statt, welche zudem KI-Tools zur Unterstützung bietet. TÜV SÜD entwickelte seine Anwendungen zuvor hauptsächlich mit High-Code-Programmiersprachen, wofür oft hohe Entwicklungsaufwände benötigt wurden. Die Ergebnisse waren zwar zufriedenstellend, jedoch wurde dieser Ansatz immer weniger skalierbar. Low-Code-Technologie dagegen erlaubt es, auch bei einer großen Anzahl an Entwicklungsprojekten flexibel zu bleiben und diese schneller fertigzustellen.

Seit 2021 haben nun sowohl die internen Low-Code-Entwicklungsteams als auch externe Dienstleister von TÜV SÜD Zugriff auf die High-Performance-Low-Code-Plattform von OutSystems. Maßgeblich für die Einführung war, dass die Teams einerseits innerhalb der Plattform komplexe, geschäftskritische Anwendungen entwickeln können und andererseits auch die Option haben, herkömmlichen High-Code einzufügen. Außerdem lassen sich mit OutSystems bestehende Lösungen über Standard-APIs anbinden. Alternativ bietet das „Integration Studio“ die Möglichkeit, eigene Anbindungen zu erstellen.

TÜV SÜD konnte seit Einführung der Plattform eine zweistellige Anzahl an Low-Code-Anwendungen entwickeln. Gleichzeitig sanken die Kosten für ausgeschriebene Software-Projekte um ca. 50 Prozent gegenüber einer Entwicklung mit High-Code. Zu den erstellten Anwendungen gehören beispielsweise solche, die interne Prozesse digitalisieren, etwa im Vertragsmanagement oder im HR-Bereich. Daneben gibt es allerdings auch Applikationen, die den Mitarbeitenden weltweit die vielseitigen Aufgaben bei Inspektionen und Kundenprojekten erleichtern.

Von der automatischen Berechnung bis zur Handlungsempfehlung

Zu der zweiten Kategorie zählt die sogenannte „Fitness for Service“-Anwendung. Sie hilft weltweit bei der Beurteilung der benötigten Instandhaltungsmaßnahmen von Industrieanlagen mit tatsächlichen oder vermuteten Schäden. TÜV SÜD-Sachverständige können zum Beispiel automatisiert die Restlebensdauer von Behältern oder Leitungen berechnen, was die Entscheidungen über Reparaturen beschleunigt und die komplexe Instandhaltung ganzer Industrieanlagen vereinfacht. Die erste Version der neuen „Fitness for Service“-App konnte das Entwicklerteam innerhalb von sieben Wochen umsetzen und so eine kompliziertere und schwerfällige Bestandslösung ersetzen. 

Die Basis für diese Anwendung stellt die von den TÜV SÜD-Kunden bereitgestellte Dokumentation mit technischen Daten zu den Komponenten und Betriebsweisen der Anlagen dar. Die Anwendung ermöglicht es den Sachverständigen diese Informationen zu erfassen und bereitet sie in einer Übersicht auf. Zusammen mit Messungen, die vor Ort durchgeführt werden, ermittelt ein mathematisches Modell die Restlebensdauer der betroffenen Komponenten der Anlagen. Die Sachverständigen erhalten anschließend eine Handlungsempfehlung, die sie prüfen und, falls nötig, entsprechend anpassen. Am Ende steht der Abschlussbericht, der nach dem Vier-Augen-Prinzip innerhalb der Anwendung geprüft wird und an Kunden verschickt werden kann.

Risikobasierte Planung von Instandhaltungsmaßnahmen

Inspektionen und Maßnahmen zur Instandhaltung von Industrieanlagen sind regelmäßig notwendig. Mit der Anwendung „RBINEXT“ können die Sachverständigen von TÜV SÜD mögliche Risiken identifizieren und bewerten. Basierend auf diesen Erkenntnissen lassen sich Empfehlungen über den Zeitpunkt der nächsten Instandhaltungsmaßnahmen ausgeben. Unternehmen wissen so genau, auf welche Anlagen und Komponenten sie wann achten müssen. Außerdem können sie zukünftige Wartungen effizienter planen, um die Anzahl der Mängel bei Inspektionen und die darauffolgenden Stillstände zu minimieren. Zu außerplanmäßigen Stillständen kommt es dadurch seltener.

Der erste Prototyp der Software entstand durch acht zweiwöchige Sprints, die TÜV SÜD 2022 durchführte. Nach ihrem Probebetrieb ging die Anwendung in den produktiven Einsatz über. In ihrer aktuellen Version erfasst die RBINEXT Lösung die Anlagedaten noch verlässlicher – die Sachverständigen tragen hierzu die relevanten Daten zusammen und importieren sie in die Anwendung. Dabei können sie auf die Daten zurückgreifen, die die Kunden vorab bereitstellen. Neben Informationen aus der technischen Dokumentation der verschiedenen Anlagenkomponenten gehören dazu auch die Ergebnisse aus früheren Prüfberichten.

Im nächsten Schritt lassen sich sogenannte „Loops“ erstellen. Dafür halten die Sachverständigen Rücksprache mit ihren Kunden, um verschiedene Komponenten und Anlageteile zu gruppieren und die damit verbundenen Risikoklassen zu berechnen. Diese Klassen bilden die Wahrscheinlichkeit von Störungen und die Gefahren ab, die durch Störungen oder Ausfälle der Komponenten entstehen können. Grundlage für diese Klassifizierungen ist ein mathematisches Modell, auf das die Sachverständigen außerdem zurückgreifen, um Maßnahmen im Einzelfall zu bewerten und Empfehlungen abzugeben. Unternehmen können dadurch auf nicht erforderliche Wartungen ihrer Anlagen verzichten und so Betriebsunterbrechungen reduzieren.

Low-Code-Projekte im Ausland

Die bisher erstellten Anwendungen zeigen, dass der Einsatz der Low-Code-Plattform für TÜV SÜD bereits erfolgreich war. Der nächste Schritt ist, die Plattform auch zur Anwendungsentwicklung im Ausland einzusetzen. So wird in Spanien eine Lösung entwickelt, die für Unternehmen die relevanten rechtlichen Regularien übersichtlich darstellen soll. In Asien entsteht parallel eine Anwendung, mit der TÜV SÜD Audits noch effizienter planen und durchführen möchte.

Anhand der zahlreichen Softwareprojekte von TÜV SÜD wird außerdem deutlich, wie bedeutsam digitale Anwendungen für die Prüf- und Zertifizierungsindustrie sind. Low-Code kann entscheidend dazu beitragen, Prüfdienstleistungen noch effizienter, genauer und flexibler zu gestalten und dadurch die Qualität sowie Sicherheit von Industrieanlagen und -maschinen zu erhöhen.

*Der Autor Michal Tvarozek ist Enterprise Architekt bei TÜV SÜD.


Mehr Artikel

Gregor Schmid, Projektcenterleiter bei Kumavision, über die Digitalisierung im Mittelstand und die Chancen durch Künstliche Intelligenz. (c) timeline/Rudi Handl
Interview

„Die Zukunft ist modular, flexibel und KI-gestützt“

Im Gespräch mit der ITWELT.at verdeutlicht Gregor Schmid, Projektcenterleiter bei Kumavision, wie sehr sich die Anforderungen an ERP-Systeme und die digitale Transformation in den letzten Jahren verändert haben und verweist dabei auf den Trend zu modularen Lösungen, die Bedeutung der Cloud und die Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Unternehmenspraxis. […]

News

Richtlinien für sichere KI-Entwicklung

Die „Guidelines for Secure Development and Deployment of AI Systems“ von Kaspersky behandeln zentrale Aspekte der Entwicklung, Bereitstellung und des Betriebs von KI-Systemen, einschließlich Design, bewährter Sicherheitspraktiken und Integration, ohne sich auf die Entwicklung grundlegender Modelle zu fokussieren. […]

News

Datensilos blockieren Abwehrkräfte von generativer KI

Damit KI eine Rolle in der Cyberabwehr spielen kann, ist sie auf leicht zugängliche Echtzeitdaten angewiesen. Das heißt, die zunehmende Leistungsfähigkeit von GenAI kann nur dann wirksam werden, wenn die KI Zugriff auf einwandfreie, validierte, standardisierte und vor allem hochverfügbare Daten in allen Anwendungen und Systemen sowie für alle Nutzer hat. Dies setzt allerdings voraus, dass Unternehmen in der Lage sind, ihre Datensilos aufzulösen. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*