Chancengleichheit der Geschlechter – überbewertet oder wichtiger denn je?

In den USA schaffen Großkonzerne auf Geheiß Donald Trumps ihre Diversitätsprogramme ab. Auch in Europa folgen Unternehmen dem "Anti-Woke-Kurs". Die DSAG nahm dies zum Anlass, bei den Mitgliedern des Frauennetzwerks Women@DSAG nachzufragen, wie es derzeit um die Chancengleichheit der Geschlechter im Job steht. 139 Frauen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nahmen an der Umfrage teil. [...]

Die beiden Sprecherinnen von Women@DSAG: (links) Franziska Niebauer, Beraterin für SAP IS-H bei der Helios Kliniken GmbH, und Anna Hartmann, Geschäftsführerin der in4MD Service GmbH (c) Bild links: Helios Kliniken GmbH; Bild rechts: www.AndreasLander.de
Die beiden Sprecherinnen von Women@DSAG: (links) Franziska Niebauer, Beraterin für SAP IS-H bei der Helios Kliniken GmbH, und Anna Hartmann, Geschäftsführerin der in4MD Service GmbH (c) Bild links: Helios Kliniken GmbH; Bild rechts: www.AndreasLander.de

Die Umfrage beinhaltete Fragen, wie „Wie steht es derzeit um die Chancengleichheit der Geschlechter im Job?“, „Sehen sich Frauen in der IT – einer noch immer männerdominierten Branche – benachteiligt?“, oder „Werden Maßnahmen überbewertet, die eine Geschlechtergerechtigkeit fördern, weil die Gleichstellung am Arbeitsmarkt bereits Realität ist?“. Die beiden Sprecherinnen von Women@DSAG, Franziska Niebauer, Beraterin für SAP IS-H bei der Helios Kliniken GmbH, und Anna Hartmann, Geschäftsführerin der in4MD Service GmbH, ordnen die Ergebnisse ein.  

Auf die Frage danach, wie wichtig ihnen der Einsatz für Chancengleichheit mit Blick auf die Geschlechter heute noch ist, antworten 86 Prozent der Teilnehmerinnen mit „Wichtiger denn je – Unterschiede sind für mich im Berufsalltag noch stark spürbar“. 10 Prozent geben an „Überbewertet – die Gleichstellung spielt für mich im beruflichen Kontext keine Rolle“ und 4 Prozent haben dazu keine persönliche Erfahrung. „Die Zahlen zeigen eindeutig, dass Chancengleichheit für die Mitglieder unseres Netzwerks nach wie vor ein großes Thema ist, und dass es offensichtlich Maßnahmen und Programme braucht, um Veränderungen anzustoßen“, so Anna Hartmann. „Denn die Situation, dass Frauen sich gegenüber ihren männlichen Kollegen benachteiligt sehen, gibt es nicht erst seit gestern.“ 

Franziska Niebauer ergänzt: „Die Ergebnisse sind keinesfalls überraschend und doch unterstreichen sie einmal mehr, wie viel Arbeit hier noch vor uns liegt. Vor diesem Hintergrund finde ich den ‚Trend‘, die DEI-Programme in Unternehmen abzuschaffen, sehr bedenklich.“ DEI steht für Diversity, Equity, and Inclusion. Das Ziel dahinter ist, dass alle Menschen die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, körperlichen Einschränkungen oder der sexuellen Orientierung. Die hier präsentierte Umfrage fokussierte sich ausschließlich auf die Gleichstellung von Frauen und beleuchtet daher nur einen Aspekt daraus. 

Mindset mitentscheidend für den beruflichen Erfolg

Gefragt danach, was den größten Einfluss auf den Erfolg von Frauen im IT-Umfeld habe, nennen 27 Prozent äußere Rahmenbedingungen: Bestehende Strukturen und Netzwerke würden es Frauen objektiv schwerer machen, so die Befragten. Für 10 Prozent ist das persönliche Mindset ausschlaggebend: Erfolg hänge in erster Linie davon ab, wie man sich selbst präsentiert und behauptet. Mit 60 Prozent sagt die Mehrheit, dass sowohl Rahmenbedingungen als auch Mindset im gleichen Maße erfolgsentscheidend sind. 3 Prozent wählen „Sonstiges“ und merken im Freifeld unter anderem an, dass optische Gründe eine Rolle für den Erfolg spielen und Stereotype dafür sorgen, dass Frauen erst gar nicht die gleiche Haltung wie Männer entwickeln. 

„Es ist bemerkenswert, dass der Großteil der Befragten so stark reflektiert und nicht nur äußere Faktoren, sondern auch die eigene Einstellung als Kriterien identifiziert. Demzufolge können wir Frauen unseren Erfolg zumindest teilweise selbst steuern“, so Hartmann. „Aber eben nur zum Teil, denn was bleibt, sind unter anderem strukturelle Hürden, bestehende Vorurteile und überkommene Rollenbilder, die Frauen per se in eine schlechtere Ausgangslage als Männer versetze““, fügt Niebauer an. 

Schwierige Arbeitsrealität für Frauen in der IT-Branche

Das spiegelt die Mehrheit der insgesamt 108 Rückmeldungen wider, die als Freitextantworten kamen, auf die Frage nach der Arbeitsrealität von Frauen in der IT-Branche: Die Kommentare reichen von „als Frau muss man sich doppelt bewähren“ und „man wird nicht ernst genommen, Männer werden mehr gehört“ bis hin zu „häufige Abwertung typisch ‚weiblicher‘ Eigenschaften wie Emotionalität“. Genannt wird, dass Care-Arbeit immer noch bei Frauen verortet wird und spätestens, wenn Frauen wegen Erziehungszeiten ausfallen, gehen Projekte und Führungsverantwortung an Männer über. Förderung von Frauen ist laut Umfrage oftmals stark vorgesetztenabhängig, in den höheren Führungsriegen befinden sich dann ohnehin kaum Frauen mehr und Gehälter klaffen außerdem im Vergleich Mann/Frau stark auseinander. „Das sind erschreckende Erfahrungen, die innerhalb von Women@DSAG geteilt werden“, resümiert Hartmann. „Mut macht immerhin, dass nicht alle Antworten negativ ausfallen. Es gibt auch einige wenige erfreuliche Erfahrungen.“

Auf der positiven Seite stehen Kommentare wie: Es bestehen zwar noch Unterschiede, aber „es tut sich etwas“, und man erlebt „einen Austausch auf Augenhöhe“, obwohl der Großteil der Kollegen männlich ist. Einige Teilnehmerinnen geben außerdem an, dass es in ihren Unternehmen Diversitätsprogramme gibt, die gelebt werden – und sie Gleichberechtigung in ihrem Arbeitsumfeld spüren. 

Einsatz von Unternehmen und Politik gefragt

„Auch wenn der Wandel vereinzelt spürbar ist, braucht es unbedingt weiterhin den starken Einsatz für Chancengleichheit“, so Hartmann. „Wenige Positivbeispiele und Lippenbekenntnisse reichen nicht. Das Ziel muss eine tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern sein, auf allen Ebenen. Denn Fakt ist: Das eigene Netzwerk spielt immer noch eine entscheidende Rolle. Ich spreche aus eigener Erfahrung, wenn ich sage, dass viele Frauen ihre Jobs nur deshalb erfolgreich ausüben können, weil sie familiäre Unterstützung bei der Care-Arbeit bekommen. Hier sind Unternehmen und Politik gleichermaßen gefragt, Abhilfe zu schaffen. Sei es mit wirkungsvollen Frauenförderungs- und Gleichstellungsprogrammen, sei es mit Unterstützungsmaßnahmen beim Wiedereinstieg für Frauen nach Familienpause oder mit funktionierender Infrastruktur zur Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen.“ Bezogen auf Deutschland ist in den neuen Bundesländern ein kleiner Fortschritt erkennbar ist – u. a. mit Blick auf die höhere Verfügbarkeit von Kita- und Krippenplätzen in Sachsen-Anhalt gibt es sogar mehr Frauen in Führungspositionen als im deutschen Bundesdurchschnitt, dennoch gibt es flächendeckend gesehen noch großen Nachholbedarf. 

Niebauer ergänzt: „Die Rechnung ist einfach: Attraktive Arbeitsbedingungen locken mehr Frauen in die IT – und die braucht es.“ Laut Bitkom-Berechnungen liegt der Frauenanteil – Stand Mai 2024 – nur bei 30 Prozent in der deutschen IT-Branche. Niebauer weiter: „Es ist in mehreren Studien bereits nachgewiesen, wie beispielsweise von McKinsey in „Diversity wins: How inclusion matters“, dass heterogene Teams im Vergleich zu homogenen Gruppen erfolgreichere Entscheidungen treffen. IT-Unternehmen – beziehungsweise Unternehmen im Allgemeinen –, die noch stark an der homogenen Teamstruktur festhalten, sollten sich bemühen, dies zu ändern. Denn mit Blick auf die IT-Fachkräftelücke ist es unabdingbar, ein attraktiver Arbeitgeber für Mann und Frau zu sein.“ 

Das macht die Arbeit der Women@DSAG umso wichtiger: „Wir müssen das Thema weiterhin präsent halten“, schließt Hartmann. „Es gilt, mehr Frauen auf ihrem Weg in und innerhalb der IT zu bekräftigen, und mit Role Models zu zeigen, dass es durchaus auch positive Beispiele gibt.“


Mehr Artikel

News

Produktionsplanung 2026: Worauf es ankommt

Resilienz gilt als das neue Patentrezept, um aktuelle und kommende Krisen nicht nur zu meistern, sondern sogar gestärkt daraus hervorzugehen. Doch Investitionen in die Krisenprävention können zu Lasten der Effizienz gehen. Ein Dilemma, das sich in den Griff bekommen lässt. […]

Maximilian Schirmer (rechts) übergibt zu Jahresende die Geschäftsführung von tarife.at an Michael Kreil. (c) tarife.at
News

tarife.at ab 2026 mit neuer Geschäftsführung

Beim österreichischen Vergleichsportal tarife.at kommt es mit Jahresbeginn zu einem planmäßigen Führungswechsel. Michael Kreil übernimmt mit 1. Jänner 2026 die Geschäftsführung. Maximilian Schirmer, der das Unternehmen gegründet hat, scheidet per 14. April 2026 aus der Gesellschaft aus. […]

News

Warum Unternehmen ihren Technologie-Stack und ihre Datenarchitektur überdenken sollten

Seit Jahren sehen sich Unternehmen mit einem grundlegenden Datenproblem konfrontiert: Systeme, die alltägliche Anwendungen ausführen (OLTP), und Analysesysteme, die Erkenntnisse liefern (OLAP). Diese Trennung entstand aufgrund traditioneller Beschränkungen der Infrastruktur, prägte aber auch die Arbeitsweise von Unternehmen.  Sie führte zu doppelt gepflegten Daten, isolierten Teams und langsameren Entscheidungsprozessen. […]

News

Windows 11 im Außendienst: Plattform für stabile Prozesse

Das Betriebssystem Windows 11 bildet im technischen Außendienst die zentrale Arbeitsumgebung für Service, Wartung und Inspektionen. Es verbindet robuste Geräte, klare Abläufe und schnelle Entscheidungswege mit einer einheitlichen Basis für Anwendungen. Sicherheitsfunktionen, Updates und Unternehmensrichtlinien greifen konsistent und schaffen eine vertrauenswürdige Plattform, auf der sowohl Management als auch Nutzer im Feld arbeiten können. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*