Lohnt es sich in Zeiten von Remote Work noch, Auslandserfahrung zu sammeln? Ralph Ostertag, Director Digital & Technology Asia Pacific bei Heineken, erläutert, warum ein Auslandsaufenthalt so wichtig ist. [...]
Vor der Corona–Pandemie waren sich Karriere-Experten einig: Für Führungskräfte sollte eine längere Auslandsstation in jedem Fall Bestandteil des Lebenslaufes sein. Doch die vergangenen zwei Jahre haben gerade die internationalen Karrierewege durcheinandergewirbelt. Lohnt es sich für IT-Experten und CIOs/CTOs in Zeiten von Remote-Arbeit noch Auslandserfahrung vor Ort zu sammeln?
Auslandsaufenthalt war ein Karriere-Booster
Bis zum Beginn des Jahres 2020 war der Fall klar: Für Expatriates, also ins Ausland entsandte Mitarbeiter, war der Auslandsaufenthalt ein Karriere-Booster. Sie dürfen in der Regel mehr unternehmerische Verantwortung übernehmen, sie arbeiten oft direkt dem Landes-CEO zu, erwerben dabei eine Breite an Wissen und bewegen sich oftmals in einer freieren Umgebung als in der Hierarchie des Headquarters. Viele Dinge also, die die Persönlichkeit reifen und den Erfahrungsschatz wachsen lassen.
Während längere Auslandseinsätze für klassische Management-Funktionen auf dem Weg in obersten Führungsebenen zum vorgezeichneten Weg gehörten, schien man im IT-Bereich dieses Karrieresprungbrett gerade erst so richtig für sich zu entdecken – bis die Pandemie diesen Ambitionen einen Dämpfer verpasste. Entsendungen sind für alle Beteiligten derzeit aufwendiger: Quarantäne-Zeiten, immer neue Impf- und Visumsbestimmungen erschweren internationale Umzüge auch im beruflichen Kontext.
Was bringt der Auslandsaufenthalt für ITler jetzt noch?
Im Marketing und Vertrieb legen Großkonzerne Führungskräften eher nahe, ins Ausland zu gehen, um das globale Unternehmen besser kennenzulernen. Bei erfolgreicher Tätigkeit bieten sie ihnen im Anschluss an den Auslandsaufenthalt einen nächsten Schritt wie Geschäftsführungsaufgaben, Leitung einer Business Unit oder P&L-Verantwortung an.
Dagegen arbeitet man im IT-Bereich (wie auch im HR- oder Finanzbereich) ohnehin schon sehr international mit anderen Kollegen und Fachbereichen zusammen – das Remote-Arbeiten, auch über mehrere Zeitzonen hinweg, gehört in der IT schon länger zum Standard. Andere Manager mussten das in der Pandemie erst lernen. Gleichzeitig stuften Unternehmen vor der Krise einen Karriereschritt einer IT-Führungskraft nach einem mehrjährigen Aufenthalt eher als nicht zwingend notwendig ein, stellten ihn vermutlich auch gar nicht erst in Aussicht.
Weiter gute Gründe für einen Auslandsaufenthalt
Doch richten wir den Blick in die Zukunft: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass internationale Erfahrung gerade für angehende CIOs und CTOs heute ebenso entscheidend für die Karriere ist wie vor der Pandemie – wenn nicht sogar noch mehr. Das hat mehrere Gründe:
Die Corona-Krise war in fast allen Branchen ein Katalysator für die Digitalisierung und hat die zentrale Bedeutung der IT als Business Partner des Top-Managements noch einmal hervorgehoben. Wenn CIOs einen wesentlichen Beitrag zur digitalen Transformation und anderen zentralen strategischen Neuausrichtungen leisten wollen, sind die IT-Manager gefordert, ihre Lebensläufe und Erfahrungen den Standards im Management anzugleichen.
Unternehmen öffnen sich stärker für internationale Kandidaten
Gleichzeitig führt der zunehmende Führungs- und Fachkräftemangel im Tech-Bereich dazu, dass Unternehmen allmählich eine größere Offenheit für internationale Kandidaten signalisieren – ein Trend, der sich in den kommenden Jahren wohl noch verstärken wird. Je internationaler IT-Teams werden, desto mehr profitieren davon CIOs/CTOs, deren Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen und Einflüssen sich auch in ihrem Lebenslauf widerspiegeln sollte.
„Interkulturelle Erfahrung ist unbezahlbar und heutzutage Voraussetzung für eine Senior Leadership Rolle in einem globalisierten Business“, sagt Ralph Ostertag, Director Digital & Technology Asia Pacific bei The Heineken Company. „Sie hilft auch sehr in Bezug auf Diversity und Inclusion sowie Vermeidung von Vorurteilen gegenüber verschiedenen Regionen, Ländern und Kulturen“,
Vom Sachbearbeiter zum CIO
Ralph Ostertag ist ein positives Beispiel dessen, wie Auslandserfahrung eine IT-Karriere auf das nächste Level bringen kann. Er ist innerhalb von weniger als sechs Jahren vom Sachbearbeiter in Deutschland, über einen ersten Auslandsaufenthalt in Asien und einem Zwischenstopp im HQ mit Globaler Leitung der IT-Strategie zum Vice President & CIO Canada, Mexico, Latin America aufgestiegen. Dort verantwortete er das Ressort Digital / IT von Mercedes-Benz in sechs Ländern und war Mitglied des Boards von Mercedes-Benz Canada.
Seine Karriere beschleunigte sich weiter, als er mit Daimler zunächst wieder nach Asien ging und dann zu Heineken wechselte, diesmal mit breiterem Verantwortungsbereich sowohl fachlich als auch geografisch mit mehr als 20 Ländern und direkter Berichtslinie zum Vorstand. „Ich habe sowohl in lokalen, regionalen und globalen Rollen gearbeitet. Das war für meine Karriere entscheidend und ein großer Vorteil gegenüber Leuten, die nur eine Perspektive kennen“, sagt er.
Um sicherzustellen, dass nach dem vielgepriesenen Auslandsaufenthalt auch der Anschluss in Deutschland wieder nahtlos funktioniert, sollten Expatriates aber auch während eines Auslandsaufenthalts immer den Kontakt zu früheren Vorgesetzten und Kollegen pflegen.
Resilienz und Empathie als Kernkompetenz für IT-Führungskräfte der Zukunft
Ich denke, einen Auslandsjob bereuen neugierige und ehrgeizige IT-Manager nicht. Gerade weil die Pandemie über alle Management-Level gezeigt hat, dass eine gute Führungskraft mehr tut als nur Aufgaben per virtuellem Chat zu verteilen. Remote führen ist anspruchsvoll – es hilft daher umso mehr, wenn man andere (Arbeits-)kulturen einmal hautnah und nicht nur über Conference Calls miterlebt hat.
Die Beschäftigungsmöglichkeiten steigen also allemal, weil Unternehmen bei der Auswahl ihres zukünftigen Managements seit der Pandemie zunehmend auf „Soft Skills“ wie Empathie und Resilienz schauen. Diese und andere Sozialkompetenzen werden durch einen Auslandsaufenthalt geschärft oder weiterentwickelt.
Tipps für eine gelungene Expat-Station
Es gibt beim Thema Auslandsaufenthalt ein paar Hinweise, die es zu befolgen lohnt. Klug ist es, diesen Karriere-Baustein früh zu absolvieren, vielleicht sogar noch vor der Familienplanung. Umzüge mit Familie sind immer komplex, wenn auch nicht unmöglich.
Zudem: Je internationaler das Umfeld bei der Auslandsstation, desto besser. Auch Wien ist für deutsche Führungskräfte Ausland, aber die Sprachbarriere ist beseitigt und das erleichtert den Umzug und sicher auch den Alltag.
Arbeiten mit verschiedenen Kulturen
Internationale Kompetenzen werden jedoch eher an Standorten wie den USA, China oder Südafrika geschärft. „Man erlangt die Fähigkeit empathisch mit Menschen aus verschiedenen Kulturen umzugehen“, berichtet Ralph Ostertag aus seiner Erfahrung. „Nur von Deutschland aus bzw. national zu arbeiten ist verhältnismäßig einfach im Vergleich mit einem heterogenen-komplexen globalen Arbeitsumfeld. Wenn man im internationalen Umfeld mit vielen verschiedenen Kulturen arbeitet, ist man gezwungen sich tiefer mit der Kultur und Geschichte der jeweiligen Länder zu befassen und sein Denken und Verhalten stetig anzupassen“.
Drei bis fünf Jahre im Ausland einplanen
Wichtig ist auch mal eine längere Aufenthaltsentsendung von drei bis fünf Jahren einzuplanen. Das verschafft die notwendige internationale Parkettsicherheit. Aber auch Short-term Assignments oder auch Stippvisiten im Ausland sind sicher besser als nichts, zeigen aber nicht im gleichen Maße die gewünschten Effekte.
IT-Manager, die ihre Karriere aktiv planen und Ambitionen auf eine herausgehobene CIO-Position hegen, sollten also auch im „New Normal“ vor einem Auslandsaufenthalt nicht zurückschrecken. Auf lange Sicht lohnt sich in jedem Fall dieser Schritt: sowohl für die persönliche als auch die professionelle Weiterentwicklung.
*Sabine Thiemann ist Principal bei i-potentials und verantwortet im Schwerpunkt Suchmandate für die Positionen der Chief Information Officer, Chief Technology Officer, Chief Digital Officer und Chief Security Officer.
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